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im Geiste
RICHARD WAGNERS
heransgogeben
HANS VON WOLZOGEN.
(NitMlugei icf Yerwaltupratef ier Bajreither BlhiM-Feftirlela
ni im AllgeMeiMi Rlcluvd Wagier-Vareiiet.)
Ächtundzwanzigster Jahrgang 1905.
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Inhalt des achtundzwanzigsten Jahrganges.
Ein ipesifijderteB Generalregister, nach den Beitragsgattnngen und den Antoren geordnet,
befindet sich am Scblosse des Bandes.
Erstes bis drittes Stück (Januar— März): S. 1—88.
Skhard WagiMr, Briefe an Motter und Schwester. — JET. «. WcHeogm. Wagner als
Dichter der Charaktere. — Juüus Kmete. Bachgesellschaften, Bachfeste. — J. Vicuma
da MoUa, Modernes Konsertwesen. — HanM QraeveU, Die Bedeutung des Griechentums
far unsere Kultur. — Chutav Wütmer. Bibel und Yeda. — Karl QjelUrup. Deussens
«kategorischer Imperativ*. — JET. t;. WoUogen, Gruppe — Piedestal — Fundament. —
Edb, Ftttch, M. Martersteigs Geschichte des deutsehen Theaters. — Wolfgang CfoWier.
Germanische Heldensage in Bild und Wort. — Bayreuth und Draussen. Stipendien-
stiftung. Aus den Vereinen. Ausserhalb der Vereine. Caritas. — Beilage: Statistische
Beilage 1904/5.
Viertes bis sechstes Stück (April— Juni): 8. 89—180.
H. V. W. Schiller. — Bkhard Wagner Ober Schiller. — Chähe Ober Schiller. ^
Bk^wrd Wagner. Entwurf zu den «Bergw^ken Yon Falun**, mit einleitenden Worten von
Dr. H. Ermisch. — Bayreuth und Draussen. Erklärung der Zentralleitung. Aus
den Vereinen. Ausserhalb der Vereine. Stipendienstiftung. ^ Beilagen: Berichte der
Gobineau-Vereinigung.
Siebentes bis neuntes Stück (Juli — September) S. 181—268.
Skihaird Wagner. Briefe an die Fürstin Caroline Sayn- Wittgenstein, an Ludwig Schnorr,
an August Wilhelng. — Julius Kniese. — Kurt Hey und Karl Orunehy, Neuere Schriften
aber Musik und Musiker. — H,v. W. Neue Sammelwerke. — Bayreuth und Draussen.
Ans den Vereinen. Stipendienstiftung.
Zehntes bis zwölftes Stück (Oktober —Dezember) S. 269 — 348.
JS. V, WoUogen, Ueber Veröffentlichung von Briefen. — Lndnoig Spohr, Felix Draeseke,
Hectar BerUog, Charles Otrnnod, Briefe an Wagner. — Bichard Wagner. An Felix Draeseke. —
Max 8eQmg. üeber die Fortdauer nach dem Tode. — JET. OraeveU. Zum 300 jährigen Cwvantes-
Jubil&um. — Älaie Höfler. Friedrich Schiller und Richard Wagner. -- H. v. W. Ge-
dichte von Richard Wagner. — Leixuier, Weg sum Selbst. — Lienhard, Wege nach Weimar. —
L, 8. Ueber Bahnsens »Wie ich wurde, was ich ward*. — Karl Qrumhy. Neuere Schriften
aber Musik und Musiker. — W. GoUher. ,Helm und Mitra«. — G. WiUmer. Von der
Musik als Ersieherin. — Bayreuth und Draussen. Bayreuther BObnenfestspiele 1906.
Ans den Vereinen. Stipendienstiftung. Caritas. — Generahregister. — Beilagon: Titel
und Inhaltsverxeichnis sum Jahrgang 1905. — Nachtrag zu dem Berichte der Gobineau-
Vereinigung. — I. Jahresbericht des Prager ak. Wagnervereins.
Beiblatt zum Jahrgang 1905 dei* „Bayreuther Blätter."
Erster Jahresbericht
des
Prager akademischen Wagner -Yereines«
Der in den Kreisen der deatsohen Hoohsohüler Prags während des
Jahres 1904 sich regende Gedanke, auch in dieser alten deutschen Stadt
einen Akademischen Wagner- Verein zu gründen, wurde zum Entschluss
unter dem tiefen Eindrucke der Festspiele 1901, denen einige der Gründer
des jungen Vereines, Dank zwei Bayreuther Stipendien, beizuwohnen das
Glück gehabt hatten. In den Tagen, da die Familie des Meisters zur ersten
AufitLhrung des „Eobold'' in Prag weilte, traten einige Studierende zur Aus«
führung jenes Entschlusses zusammen und entwarfen in der ersten Zusammen-
kunft am 26. November 1904 die Satzungen, die nach Beratungen am 1. und
8. Dezember der Behörde überreicht wurden. Am 6. Dezember wurden
d|e gemeinsamen Studien durch die Lesung von „Was ist deutsch?^
eröffnet Nach weiteren Zusammenkünften am 7. Dezember, 22. und 27.
Jänner 1906 (Lesung: „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven^) beging die werdende
Verbindung die Feier des 13. Februar durch Lesung von Teilen aus „Eine
Mitteilung an meine Freunde.'' Nachdem die Satzungen genehmigt
waren, wurde die Gründungsfeier auf den 1. März 1905 angesetzt als den
Gedenktag, an dem vor dreissig Jahren lUchard Wagner in Wien zum
erstenmal die Bruchstücke aus der damals eben vollendeten „Götter-
dämmerung^ vorftLhrte; die unvergesslichen Eindrücke jener Tage schilderte
Prof. Höfler aus eigenen Erinnerungen. Die musikalische Vorführung der
Wandererszenen aus dem ersten Akte j^Siegfiried^ und jener Bruchstücke
aus der „Götterdämmerung'' durch die Herren Boos^ Beer, Teller, Mitglieder
des deutschen Theaters, machten jene Erinnerungen künstlerisch lebendig.
Einer Spende der gesammelten Schriften und Dichtungen Bichard Wagners
war folgende „Gründungsurkunde'' beigeschlossen:
„Ich bitte Sie, lieber Herr Professor, dem jugendlichen aka-
demischen Verein, welchen Sie soeben gründeten, meinen allerherz-
lichsten Gruss zu entbieten und den edel strebenden Jünglingen
zu sagen, welch' eine Befriedigung es mir gewährt, mir sagen zu
dürfen, dass sie den Schatz der gesammelten Schriften heben, sich
aneignen und in diesen Arbeiten mit „Was ist deutsch" begannen.
Dieser Schatz ist unvergänglich und wird ihnen durch das Leben,
wie mir, ein ewig spendender Hort des Trostes und der Eraft sein.''
. .t>6m Blfttte lisit dxQ vW^idoiiUig beigeftlgt: y^Am einem Bxa Olmiitobekid
1901 ans Haus Wahnfiied eingetroffenen Briefe. Der Prager akademisdie
Wagnerverein möge in diesen Worten, deren Abschrift auf mdne Bitte
nochmals unterzeichnet ward, seine ächteste Gründungsurkunde lesen, und
er wahre die Worte als Weihegruss seiner Treu'."
An der erhebenden Feier nahmen Teil seine Magnifenz der Herr Bektor
der deutschen Universität in Prag, Professor Alois Bzaoh, mehrere Professoren
und ihre Gattinnen und zahlreiche Studierende.
Die Schillertage des Mai beging der Verein am 12. und 29. durch
Studien der IX. Symphonie und den 22. Mai durch eine Schiller-Wagner-
feier, in der Professor Höfler die einen Monat zuvor im Wiener akademischen
Wagner- Vereine gehaltene Festrede mit Beziehungen auf den jungen Prager
Bruderverein wiederholte. Eröflhet war der Abend durch „Wach auf !^, nach
der Bede folgten Schiller's und Liszt's „Ideale'' und den Schluss bildete:
„Ehrt eure deutschen Meister!''
Am 9. Juni trug Herr Bichard Batka über Wagner und das spanische
Drama und über Wagnerlitteratur vor. Das erste Vereinsjahr schloss am
3. Juli mit einem geselligen Abende, der wie alle früheren noch einzelne
musikalische Darbietungen aus Wagner und anderen deutschen Meistern,
Vorlesungen aus den Schriften und Dichtungen, und daran sich knüpfende
Besprechungen gebracht hatte.
Der Vorstand des Prager akademischen Wagner- Vereines war in seinem
ersten Jahre : Obmann : stud. jur. Josef Stark, Obmannstellvertreter : stud.
phü. Josef Peschek; Schriftführer: teohn. Hermann Wokurka und phil.
Bobert Haas; Bücherwart: jur. Wilhehn Willomitzer; Säckelwart: jur.
Max Beer von Schlatt; Beiräte: Professor Dr. Alois Hdfler, Dr. Bichard
Batka.
Der Prager akademische Wagnerverein erfüllt eine Ehrenpflicht, wenn
er auch an dieser Stelle dankbar Professor HOflers gedenkt, den der
junge Verein stolz als seinen besten nennt. Seine rastlose Arbeit, ai)f-
opfernde Hilfe und begeisterte Hingabe filr unsere Sache liess uns, wie
wir hoffen, den rechten Weg finden und lässt uns jetzt voll froher Ho&ung
in die Zukunft schauen.
BAixiuvsBä BLlmk. L/tll.
L— HL
Das Menschliche ist immer der AnfEuig des Poetischen, das nur der
Gipfel davon ist
Um das politische Problem in der Erfahrung zu lösen» muss man
durch das ästhetische den Weg nehmen, weil es die Schönheit ist, durch,
welche man zur Freiheit wandelt
Das Publikum hat nicht mehr die Einheit des Kindergeschmacks und
noch weniger die Einheit einer vollendeten Bildung ; es ist in der Mitte
zwischen beiden, und das ist fttr das Schlechte eine herrliche Zeit
(Schiller.)
Briefe Richard Wagners an Mutter und Schwester.
Die Güte des Hauses Wahnfiied ermöglicht es dem neuen Jahrgange
der „Blätter'^, mit der Yerö£fentliohung von Briefen aus des Meisters Jugend-
zeit zu beginnen. Ein Brief an die Schwester Ottilie, spätere Frau Prof.
Hermann Brockhaus, war voranzustellen, da er schon aus dem Jahre 1832
stammt, und es wird den Leser eigentümlich berühren, wenn er das Datum
des Schlusses liest: den 21. März. Am Tage darauf starb Goethe. —
Daran scliliesst sich der Brief an die Mutter aus dem Jahre 1836 ; und auch
hier ist das Datum nicht bedeutungslos: am Tage darauf besuchte der
22 jährige Künstler zum ersten Male Bayreuth! — Dass aus dieser Zeit,
nur Tun 4 Jahre später, ein Stahlstich Ludwig Bichters existiert, der eine
hübsche Ansicht des damaligen Bayreuth, von den Höhen hinter dem
heutigen Festspielhügel aus, wiedergibt, und dass dieses Bildchen jetzt auch
als Postkarte (im Verlage von J. Löwenthal, Frankfiirt a./M., Brückhof-
strasse 15) vervielfilltigt erschienen ist, möchte manchem unserer Leser zu
erfithren willkommen sein.
E. T. W,
1
An die Schwester
damals zu Besuch in Kopenhagen, im Hanse des Dichters Adam Oehlenschl&ger, mit desden
Tochter Charlotte (im Brief als Fräulein Lottchen erw&hnt) sie befreundet war.
Leipzig den 3^ Maerz (1832).
Meine liebe, gute Otilie,
So komm' auch ich einmal dazu, Dir in Dein fernes Dänemark ein
Paar Zeilen zu schicken, nachdem ich Dich so lange nicht gesehen habe,
dass mir es ein wahres Bedür&iss geworden ist, wenigsten's schriftlich
einmal wieder mit Dir zu sprechen; und da möcht' ich Dir denn so viel
von diesem für mich so entscheidend gewesenem Jahre erzählen, dass ich
wohl fürchte(n), mit diesem Blatte Pappier nicht auszureichen; also vor
der Hand nur das, was mir am meisten auf dem Herzen liegt. — Wie
sehr hat es mich doch betrübt, dass ich von Dir nicht Abschied nehmen
konnte, als Du von hier wegreistest ; das war mir das erste Schmerzhafile,
was mich seit Deiner ganzen Abwesenheit betrofien hat, recht wehmüthig
war mir es, als ich in dem Gasthofe bei Culm verweilte, wo Du, wie mir
die Mutter sagt, den letzten Abschied genommen hattest; — nun, es ist
ja wohl nicht mehr lange hin, dass ich Dich wiedersehen werde; denn so
wohl es Dir auch jetzt gehen mag, so hoffe ich doch auch , dass Du Dich
auch wieder nach uns einmahl sehnen werdest , wenn Du anders mit uns
sympathisierest. — Jetzt aber lass Dir einmahl von mir erzählen, vielleicht
erfährst ( ) doch auch gerne, wie es mit mir steht, da Du Dich noch in
einem Deiner letzten Briefe so sorgfältig um mich bekümmert*est. — Ach,
wie schmerzt es mich Dir sagen zu müssen, dass ich wohl eine Zeitlang
recht liederlich war, und durch den Umgang mit Studenten sehr von meinem
Ziel entfernt worden war, und desshalb der guten Mutter recht viel Sorgen
und Noth machte ; bis ich mich endlich ermannte, und durch meinen neuen
Lehrer so in meiner Besserung befestigt wurde, dass ich jetzt auf dem
Punkte stehe, von dem aus ich meinen höheren Lebensplan schon für fast
betreten halten kann. Du musst nämlich wissen, dass ich schon über ein
halbes Jahr her der Schüler des hiesigen Cantor's Weinlig bin, den man
wohl mit Becht ftb: den grössten jetzt lebenden £ontrapunk-
tisten halten kann, und der dabei als Mensch so ausgezeichnet ist, dass
ich ihn durchaus wie einen Vater liebe. Er hat mich mit einer solchen
Liebe herausgebildet, dass ich schon jetzt meine Lehrzeit, nach seinem
eigenen Ausspruche , für beendet betrachte , und er mir jetzt nur noch als
rathender Freund zur Seite steht. Wie sehr er mich selbst liebt, kann
Dir das beweisen, dass er, als ihn die Mutter nach halbjährigem Unter-
richt, um die Bestimmung des Honorar's fragte, äusserte: es würde un*
billig von ihm sein, wenn er für die Freude, mich unterrichtet zu haben,
noch Bezahlung annehmen wollte; mein Fleiss und seine Hoffnungen von
nur belolmten ilm hinlänglich. — Nun kanst Du Dir wohl anch denken,
dasä das alles Früchte getragen hat: — Vergangene Weihnachten wurde
im Theater eine Ouvertüre von mir aufgeführt, und vorige Woche sogar
eine im grossen Conzert; — Du musst nämlich wissen, dass das letztere
keine Kleinigkeit ist ; denn ehe etwas ffir das Conzert von einem jungen
Componisten angenommen wird, muss das Werk von allen Musikverstän-
digen von der Conzertdirektion ftür würdig gehalten werden, dass meine
Ouvertüre also angenommen wurde kann Dir beweisen, dass etwas dahinter
ist. — Jetzt muss ich Dir aber den für mich gewiss wichtigen Abend der
Aufführung berichten: — Eosalie und Luise waren zugegen. Von leb-
hafftem Erfolg konnte ich mir keinesweges- etwas erwarten, da erstlich
in Conzert selten Ouvertüren a(u)pplaudirt werden, und zweiten's kurz vorher
neue Ouvertüren von Marschner und Lindpaintner ohne ein Hand
in Bewegung zu setzen, aufgeführt worden waren; — meine Spannung
war aber demongeachtet ungeheuer, und ich verging fast vor Angst und
Zagen ; (Ach, wärst Du nur da gewesen !). Denke Dir also mein freudiges
Erstaunen, als nach dem Schluss meiner Ouvertüre, der ganze Saal zu
applaudiren anfängt, und zwar so, als ob sie das grösste Meisterwerk ge-
hört hätten ; — ich wusste nicht wie mir zu Muthe war, das kann ich Dir
versichern! — Luise war so ergriffen, dass sie weinte: — Wie hab' ich
mir da gewünscht, dass Du zugegen wärst gewesen. Du hättest Dich ge-
wiss auch ein wenig gefreut! —
Genug davon! Noch eine andere Nachricht: — in dieser Woche
ist eine C()aviersonate von mir in Druck erschienen, die ich meinem
W e i n 1 i g dedicirt habe. Ich habe dafilr für 20 Thaler Noten bekommen, —
Gern würd' ich Dir ein Exemplar davon zuschicken, wenn ich nicht be-
dächte, dass der Transport fast noch den Preis übersteigen würde, für den
Du sie in Copenhagen selbst bekommen kannst; gehe deshalb nur in eine
Musikhandlung, und lass Dir sie unter dem Titel: „Sonate fbr das Piano-
f orte von Bichard Wagner Istes Werk, Leipzig bei Breitkopf und* Haertel"
aus Leipzig verschreiben. Sie ist nicht sehr schwer, und im Fall Du sie
selbst nicht gleich solltest spielen können, so bitte nur in meinem Namen
Fräulein Lottchen, Dir dieselbe vorzuspielen; — es soll mich sehr freuen
wenn sie Dir geftQlt. — Neuerdings habe ich auch zu König Enzio,
einem neuem Trauerspiele von Raupach, eine Ouvertüre komponirt, die bei
jedesmaliger Darstellung des Stückes, im Theater aufgeführt wird. Sie
gefallt allen. — Nun aber nichts weiter von meinen Produkten, sobald Du
wieder bei uns sein wirst, wird es mir unendliche Freude machen. Dir,
meine gute Schwester, alles mitzutheilen.
Den 21^ Maer^.
1^ lange ist es her , dass ich nicht dazu kam , den Brief zu beenden.
Während dieser Zeit haben wir Deinen letzten Brief bekommen , nnd da
Dir Bosalie selbst antwortet, und diese Zeilen nur eingeschlagen werden,
so wäre es mmöthig, Dich mit Nachrichten von uns zu beschicken, da
Bosalien's Brief Dir gewiss über uns Alle genug sagen wird. — Wie sehr
hab' ich mich in Deinem letzten Briefe besonders darüber gefreut, dass
Dir die Sehnsucht nach uns zurück recht ankommt, sie wird gewiss Deine
Herreise beschleunigen ; ach , komm nur ja recht bald , dass wenn Bosalie
weggeht, ich nicht ganz allein bin, ohne Jemand, der mit mir auch durch
die Musik verwandt ist. — Ich habe übrigens während der Zeit der Unter-
brechung dieses Briefes wieder eine Ouvertüre geschrieben, die ich in dem
Musikvereine selbst dirigiren werde; vielleicht bringe ich sie auch noch
in dem grossen Conzerte dran; — Ach! Gott, da fange ich schon wieder
von meinen Gompositionen an; um diess alte Lied zu unterbrechen, will
ich nur gleich den Brief schliessen. Das einzige, was ich Dir nach dem
Lebewohl noch zurufe , ist : — bleibe ja nicht mehr lange weg , und Gott
gebe, dass Du mich recht lieb behalten haben mögest, wenn Du wieder
zurückkommst. Möge es Dir noch die letzten Tage in Copenhagen recht
wohl ergehen, hier soll Dir's gewiss wieder gefallen.
Adieu I Adieu
Dein
Eichard W.
Ihr. Wohlgeb*
Madame
Johanna Q^yer
pr. Adrss: Fräulein Bosalie Wagner
zu
Leipzig.
Beichels Gkurten
im Hintergebäude.
Carlsbad, den 26*« July 35.
Nur an Dich , liebste Mutter , denke ich mit der innigsten Liebe und
der tie&ten Bührung zurück; — ich weiss wohl, Geschwister gehen ihren
eigenen Weg, — jedes hat sich u. seine Zukunft, u. die Umgebungen,
die mit beiden zusammenhängen, im Auge ; es ist so u. ich fühle es selbst,
es ist eine Zeit, in der sich eine Trennung von selbst findet ; — wir gehen
dann in unsren gegenseitigen Beziehungen nur noch vom Standpunkte des
äussren Lebens aus; wir werden unter einander befreundete Diplo-
itiAten, — wir schweigen da, wo es uns politisch ersoheint, — nnd sprechen
da , wo es onsre Ansicht von der Sache verlangt , und wenn wir von ein-
ander entfernt sind , sprechen wir am meisten. Ach , wie steht doch aber
über alle dem die Liebe einer Mutter! Ich gehöre wol auch zu denen,
die nicht immer sprechen können, wie es ihnen im Augenblick um's Herz
ist, — sonst würdest Du mich wohl oft von einer viel weicheren Seite
kennen gelernt haben. Aber die Empfindungen bleiben dieselben, — u.
sieh Mutter, jetzt, — da ich von Dir fort bin, überwältigen mich die Ge-
fidüe des Dankes Air Deine herrliche Liebe zu einem Einde, die Du ^^rn
zuletzt wieder so innig und warm an den Tag legtest, so sehr, dass ich
Dir in dem zärtlichsten Tone eines Verliebten gegen eine Geliebte davon
schreiben und sagen möchte. Ach, aber weit mehr, — ist denn nicht die
Liebe einer Mutter weit mehr, — weit unbefleckter als jede andre? —
Nein, ich will hier nicht filosofiren, — ich will Dir nur danken, u. wie«
derum danken, — und ich möchte Dir gern alle die einzelnen Beweise
Deiner Liebe aufzählen, für die ich danke, — wenn es nicht' deren zu
viel wären. Weiss ich doch, dass gewiss kein Herz so innig theilnahmvoU,
so sorgenvoll mir jetzt nachblickt, wie das Deine, — ja, dass es vielleicht
das einzige ist, das jeden meiner Schritte bewacht, — u. nicht etwa um
kalt über ihn zu kritisiren, — nein, sondern um ihn in Dein Gebet ein«
zusohliessen. Warst Du nicht immer die Einzige, die mir unverändert
treu blieb, wenn andre, blos nach den äusseren Ergebnissen aburtheilend,
sich fllosofisch von mir wandten? Ich wäre ja auch über die Art an«
massend, wollte ich von Allen gleiche Liebe verlangen, ich weiss sogar,
dass das gar nicht möglich ist — ich weiss es selbst. Dir dringt Alles
aus dem Herzen , aus dem lieben , guten Herzen , das Gbtt mir immer ge-
neigt erhalten möge, — denn ich weiss, wenn mich alles verliesse, würde
es immer meine letzte, liebste Zuflucht sein. O Mutter, wenn Du zu früh
stürbest, eher, als ich Dir vollkommen bewiesen, dass Du einem edlen,
gränzenlos dankbaren Menschen so viel Liebe gewährt hast! Nein, das
kann nicht sein. Du musst noch viele schöne Früchte gemessen! — Ach,
wenn ich an die letzten acht Tage Deines Umganges gedenke ! Es ist mir
em völliges Labsal, eine Erquiokung, mir jeden einzelnen Zug Deiner lie«
benden Qate vor die Seele zu rufen ! Meine liebe, liebe Mutter, — welch,
ein Erbärmlicher wäre ich doch, wenn ich je gegen Dich erkalten könnte ! —
Ich werde Euch für die Zukunft wenig von meinem Thun nnd Treiben
berichten, — sie urtheilen nach den äusseren Ergebnissen, und die werden
sie erfahren ohne mein Dazuthun. Sei es nun, wie und auf welche Art
es wolle, ich bin nun einmal selbständig, und will mir allein genug sein.
O diese Demüthigung vor B. ist tief in mein Herz gegraben, u. die
bittersten YorwürfiB peinigen mich, dass ich ihm das Becht in die Hände
gab, mich zu demüthigen. Ich werde mich ganz mit ihm ausgleichen,
aber nun und nimmermehr mit ihm einigen^ und wexm ich darum Unrecht
6
Hätte, 80 will ich lieber mit diesem üm'eclit sterben. Ich entziehe micli
ihnen gänzlich. Becht kann nicht jeder Mensch haben, u. ich hatte Un-
recht, — aber ich werde es ihnen — nie gestehen, sondern mich so
stellen, dass ich ihnen nichts zn gestehen habe, — nnd diess ist jetzt
meine grosse Sünde gewesen, dass ich mich ihnen in die Hände spielte,
dass ich mich so weit brachte, ihnen auch nur das mindeste Becht über
mich einräumen zu müssen. Wir stehen übrigens einander so fem, dass
es lächerlich wäre, mich mit ihnen einigen zu wollen. Und doch, wie
freue ich mich über diese Katastrofe, die mich nun zur vollkommenen
Erkenntniss brachte, dass ich von Niemand in der Welt etwas zu erwarten
habe, sondern ganz allein auf mich angewiesen bin. Nun ftlhle ich mich
erst selbständig. Denn das war es, was mir mangelte, und was mich er-
schlafflie und fahrlässig machte, — es war ein gewisses unbestimmtes, be-
wusstloses Vertrauen auf einen Eückhalt, das sich dummer Weise nicht
nur auf Apel beschränkte, sondern auch noch andere baroke Sichtungen
nahm, über die ich fast lachen muss, meiner Dummheit wegen. Ich bin
jetzt über Alles enttäuscht, und bin deshalb sehr firoh. Meine Weichheit
musste diese Erfahrung machen, — sie wird mir in jeder Beziehung nützen.
Ich bitte sie nur vor der Hand, mir ihre Theilnahme zu versagen, — sie
würde mir lästig sein, — Du, — Dein Herz — Deine Liebe sei mein
einziger Bückhalt, in denen ich in allen Nöthen meines kommenden Lebens
Trost und Hoflftiung suchen werde — ; Mutterliebe bedarf keiner Gründe,
jede andere will wissen warum sie liebt, u. wird daher nur zur Achtung.
Ich war in Teplitz und Prag, u. fand nichts weiter fUr meine Be-
sorgungen, als die Bestätigung meines Planes, nicht nach Wien zu gehen,
sondern nur noch mehr Hinweisungen auf die Bichtung, die ich jetzt ein-
geschlagen. Moritz war in Prag u. hat mir in dieser Hinsicht viel an
die Hand gegeben. Ich habe an alle Individuen, auf die ich reflektiere,
von Prag aus geschrieben, damit ich im Voraus weiss, woran ich mit ihnen
bin, und keinen Weg umsonst mache. In Nürnberg erwarte ich ihre Ant-
worten, wohin ich morgen oder übermorgen abgehe, da ich nur noch einen
Brief aus Magdeburg erwarte, um mein hiesiges Geschäft in Ordnung zu
bringen. In Nürnberg werde ich mich aufhalten; wenn ein Theater in
der Auflösung ist, erwischt man manches leicht; — auch können mir
Wolfiram's über vieles Auskunft geben, sodass ich auf ihr Urtheil hin viel-
leicht manche Beise erspare. —
Meine liebe, liebe Mutter, — mein guter Engel, — leb' herzlich wohl,
und betrübe Dich nicht ; — Du hast einen dankbaren Sohn, der nie, nie ver-
gessen wird, was Du ihm bist ; mit der innigsten Bührung gedenkt Deiner
Dein
Bichard.
Wagner als Dichter der Charakteret
Von Huui T. WolMgei.*)
„Ja, es sind Gestalten, — ja, es sind Bilder, was wir in den Werken
erblicken^, sagen oft Leute, die kaum erst sehen gelernt haben an der
grossen Kunst, und dann fügen sie mit ihrer blind erlernten Schulweisheit
hinzu: „Aber — das Drama verlangt Entwicklung der Charaktere". —
Nun, wenn es das verlangt, dann kennt es sich selber nicht. Drama
ist Handlung, nicht Entwicklung. Musikalisches Drama ist innerliche Hand-
lung, die in der bewegten Erscheinung sich kundgibt. Die Gestalten, die
„Charaktere'' sind die bewegte Erscheinung innerlicher Handlungen, seeli-
scher Vorgänge und Erlebnisse. Wer davon nichts sieht noch hört, dem
muss freilich alles das, was er nun noch sieht und hört, da es nicht mehr
Ausdruck eines seelischen Inhaltes für ihn ist, die ganze Erscheinung
des musikalischen Dramas, nur wieder ein „opemhafter Prunk" sein, oder,
wie es kürzlich in einem ernsthaften Aufsatz über heutige Schauspielkunst,
sobald die Bede auf Bayreuth kam, nur noch nach dem Berichte eines
„Augenzeugen" lautete: „Bayreuth beschränkt sich auf eine ^yPonoratna^
Kunst*. Sollte es dies in den Augen solcher Zeugen nicht tun, so müsste
es also von den Bildern und Gestalten, welche die innerliche Handlung
zum Ausdruck bringen, absehen und dafür „Charaktere sich entwickeln"
lassen. So will es der wissenschaftlich geschulte Verstand der Zeit der
Entwicklungslehre. Was sagt die Kunst dazu? —
Auch im Wortdrama — wo „entwickelt" sich dort ein Charakter? Er
spricht sich aus, unter dem Einflüsse, auf die Motive der Handlung.
Entwickelt sich ein Hamlet? Ein Othello? Eine Jungfrau? Ein Teil?
Ein Götz? Ein Egmont? Jeder von ihnen erscheint als ein Wesen, das
seines Schicksals Schmied ist. Entwickelung braucht Breite des Baumes,
Fülle der Einwirkungen, wie sie die straffe Form des Dramas auf der
schmalen Linie der Handlung nicht hergibt, nicht duldet. Vielmehr ist es
der psychologische Eoman, der es unternehmen darf, Lebensgeschichten zu
erzählen, in welchen Charaktere nach ihren verschiedenen Seiten hin all-
mählich wachsen, reifen, sich entfalten. Das nennt man dann ihre Ent-
wicklung. Am ehesten wäre daher aus der dramatischen Litteratur der
Faust, eine epische Figur (selbst in der Gretchen-Tragödie), unter diese
undramatische Gesellschaft der Werther, der Wilhelme, der grünen Hein-
^ Bei Schaster & Löffler in Berlin erscheint demn&chat in der Serie ,,Die Dicbtnng^*
ein Bnch von mir: Wagner ob Dichter. Ich gknbe, mit Erlaubnis des Verlages, den Lesern
unserer Blfttter, denen ich kein „Referat" darüber geben kann, statt dessen eine Probe —
das siebente der acht Kapitel der Schrift — hiermit rorlegen sa dOrfen. H. ▼• W.
t
riohe, der Hongerpastoren und der Jörn ühl zu rechnen. Aber auch dabei
ist der Begriff der Entwicklung nur mit Vorsicht oder Vorbehalt anzu-
wenden. Auch in der Epik handelt es sich immer nur um eine Auswick-
lung des Kernes der Persönlichkeit aus den Schalen und Hülsen der äusseren
Verhältnisse und Lebensbedingungen.
Hier gibt die Kunst das Wort an die Philosophie. — Eine unumstöss-
liche philosophische Erkenntnis belehrt uns: der Charakter ist un-
veränderlich. Das Drama zeigt ihn als einen solchen in den grossen
Situationen, die es zur Darstellung bringt. Die Tragödie beruht auf eben
dieser ünveränderlichkeit des Charakters. Veränderte er sich, entwickelte
er sich zu etwas Anderem, Neuem, so entschlüpfte er der harten Notwendig-
keit der Tragödie. Er würde viel zu interessant, als dass er noch ein Held
sein könnte. Man müsste ihn verfolgen, anstatt von ihm verfolgt zu
werden, wie von einem einmal erschauten Traumbilde.
Zur ünveränderlichkeit des Charakters gehört aber auch seine Vorher-
bestimmung: „Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.^ (Goethe.) Als
vorherbestimmt treten die Charaktere des Holländer, der Senta, des Lohen-
grin, des Hagen in das Drama ein, und vorherbestimmte Schicksale bringen
Tristan und Isolde, Siegmund und Sieglinde mit in's Leben. Das Leiden des
Amfortas, der Fluch der Kundry sind Vorherbestimmungen, mit denen das
ganze Drama von Anfang an zu rechnen hat. Sie werden nicht erst aus
der dramatischen Handlung entwickelt, sondern diese entwickelt sich aus
ihnen. Naive Naturen kamen zur Welt in Siegfried und Parsifal, Künstler-
naturen in Tannhäuser und Walther. Ist es etwas Anderes bei einem
Egmont, einem Tasso? Die Maasse nur verändern sich; die ideale Symbolik
des musikalischen Dramas steigt zu dämonischer Grösse. —
Was nun diese „Naturen^, diese geborenen Charakter, erleben, sodass
sie aus dichterischen Gestalten zu dramatischen Helden werden, das sind
die grossen Er&hrungen, die Schicksalswenden. Immer aber sind dies
seelische Erlebnisse. Solche erlebt eine Senta, eine Elsa, eine Elisabeth,
eine Brünnhilde, ein Wotan, ein Tannhäuser, ein l^arsifal. An Einem ge-
waltigen Ereignisse, Einer tiefen Aufklärung werden sie reif, sei es zur
Tat oder zum Tode, sei es zur Besignation allein oder zur höheren Auf-
fassung des Lebens. Eine geistige „Entwicklung^ des unveränderlichen
Charakters kann durch die Lehre stattfinden. Das seltene BeiBpiel, wie
eine Lehre dramatisches Motiv werden kann, haben wir in dem Verhält-
nisse des Sachs zu Walther, auch zu Eva. „Ob je auch Kind ich bliebe —
erwecktest Du mich nicht ?^ Es ist dies dadurch ermöglicht, dass im musi-
kalischen Drama Alles in's Innerliche, Seelische vertieft wird. Auch das
Geistige ist Ausdruck des Seelischen, ein Bewusstwerden der Seele von sich
selbst.
Damit gewinnt eine Form, welche im Wortdrama beinahe völlig in
Verruf gekommen war, weil sie als unnatürliches Aushil&mittel der Ver-
gtändliohtiDg anfgefistsst ward, eine neue nnd grosse Bedeatong : der Monolog
oder die Erzählung. Sie sind nun die natürliche Ansdnicksform fär die
innerliche, seelische Erfahrung. So bilden sie überall Hauptpunkte in der
Handlung des Wagnerischen Dramas. Der Holländer, Siegmund, Sachs,
Tristan (im dritten Akt), sie künden ihr Schicksal und ihre Erkenntnis in
Monologen, die ganz beseelt sind durch die Macht des innerlichen Lebens
dieser Gestalten. Diese Kundgebungen des Individuums „berichten^ die
Ereignisse nicht; sie sind unmittelbarer Ausdruck des Charakters. In den
Erzählungen werden sie zu dramatischen Momenten. Lohengrin — Wotan —
Isolde — Kundry: sie wirken damit auf die Seele der Andern, der Mit-
lebenden und Mitwirkenden bestimmend ein. Auch der innere Mensch ist
nicht nur ein Solist. Gerade durch das Innere ist er mit dem All verwandt,
mit Allen verbunden. „Mit mir nur rat' ich, red' ich zu Dir^ darf Wotan
zu Brümdulde sagen. Durch die Aeusserung ihres Innern stinuut die Per-
sönlichkeit des Einen auch die andere Seele auf das Innere um und be-
stimmt eben dadurch die Handlung. Das ist das eigentliche Drama in
der Dichtung Wagners, das sind die „Entwickelungen^ seiner Charaktere:
ixmere Wenden aus Motiven der seelischen Einwirkung, die tiefer, vorher-
bestimmter Gemeinsamkeit ihre Exaft verdankt. —
Wir erleben es, wie Senta aus ihrem Mitleiden das Hochgebot der
Treue gegen den Mitleidswertesten empfängt, und diese Treue allein wirkt
fort, ihn beseligend, ihn enttäuschend, ihn erlösend. — Die Seele der Elisa-
beth wird zum Geiste des Dramas vom Tannhäuser, indem sie aus kind-
lichem ünbewusstsein im Leiden der Liebe erwacht zum religiösen Ent-
schlüsse. — Elsa erlebt das innere Drama des Lohengrin in ihrer erst be-
glückten, dann getrübten Seele : Glaube und Zweifel ; aber auf Lohengrin
selbst geht es erst zum Schlüsse über: die Tragik des Weibes wird zur
Tragik des Genius, der unverstanden, ungeglaubt, aus der Welt der mensch-
lichen Leiden und Freuden scheidet. Dies Scheiden macht den Lohengrin
zum tragischesten der Wagnerischen Dramen, die sonst alle auf das Erlebms
der bewussten Einheit hinausführen. — Was bringt uns die fremdartige
G^estalt der Venus nahe, wenn nicht die seelische Wende, die auch in ihr
sich voUzieht, die sie aus einem Typus zu einer Persönlichkeit macht?
Tannhäuser hat sie das Leiden gelehrt; nun wird sie auch in seiner wahn-
voll leidenden Seele aus der „Wonnereichen" des Anfangs zur „Erbarmungs-
reichen" am Ende. — Sachs ist die Seele der Meistersinger, der innerliche
Mittelpunkt der Handlung. Seine Besignation wirkt als überlegene Wohl-
tätigkeit, welche alle Konflikte des Dramas zu heiter-sinnvoUem Schlüsse
leitet. Das ist keine Charakterentwicklung, es ist das Ergebnis und die
Wirkung eines innerlichen Erlebnisses, eines Yollbewusstwerdens des reifen
Menschen von dem Wahne der Welt. Die innerliche Handlung, die in
Sachs zum Abschluss kommt, erwirkt so die äussere und eröfihet die Per-
spektive hx die Zukunft. — Wotan ist die Seele des Einges; mit der "
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sohafiong der Helden wird seine einzelne Seele selbst vom Drama, von der
Tragödie ergriffen und die so ergriffene Wotanseele geht über in die Seele
Brünnhildens, Wotans Leiden wird ibr Mitleiden, oder ans der Entsagung
des Einen entsteht die liebe der Andern. Von dieser Wendung in Brünn-
hüdens Seele führt der Weg bis zum Ende des Gesamtdramas, der Weg
aus Liebe durch Wahn zur Erkenntnis. — Im Tristan, dem Werke der
grössten Verinnerlichung, ist Alles in's Seelische verlegt ; dadurch tritt uns
das Persönliche der Helden so nahe, dass jede Eegung ihres Lebens, jeder
Zug ihres Bildes, uns innigst ergreift und fesselt. Dazu kommt, dass es
sich hier allein um Zwei handelt ; so wird die Sehnsucht zum dramatischen
Motive. Die seelische Wende ist eine Wende der Sehnsucht: die Sehnsucht
der Liebe wird zur Sehnsucht nach dem Tode — im I. Akt verzweifelnd —
im n. hoffend — im HI. bewusst wollend. Die Persönlichkeiten, in der Liebe
zu Eins verschmolzen, lösen sich völlig — wahnlos — im Tode auf. Aber
es ist wohl zu bemerken, dass gerade innerhalb dieser anscheinend nur der
Liebe geweihten Tragödie, überall da, wo die Charaktere fSr sich, individuell
wirken, in Tris'an, in Kurwenal, in Marke, auch in Brangäne, ihre Eigen-
art sich als ein hilfreicher Edelsinn kundtut. „Edel sei der Mensch,
hilfreich sei er und gut." Es ist erstaunlich, wie der Meister der grössten
Liebestragödie in der Gestaltung seiner Charaktere dieser ethischen Grund-
lage Ausdruck zu schaffen vermochte. Das bezeugt den ethischen Charakter
seiner ganzen Dichtung überhaupt. Wir befinden uns von vornherein aut
erhabenem Boden, in der Sphäre der Edelnaturen, der Seelen, welche die
grossen Wenden durch Leid zur Erkenntnis erleben können. —
Nur dort findet der grosse Dichter seinen Stoff, daher schöpft er seine
Kraft. —
Als einen Beleg fax Mangel an ethischem Wert wird dagegen gewöhn-
lich die Bezauberung des Siegfried durch den Yergessenheitstrank des
Nibelungen angeffthrt. Dadurch werde der Held unfrei. Gerade dieses
Moment ist jedoch vielmehr ein Beleg ftlr die Unveränderlichkeit des
Charakters, die sich mit der Unfreiheit durchaus nicht deckt. Unfrei wird
der Mensch, wenn er seinen Charakter verleugnet; seine Freiheit aber be-
steht in der Behauptung seines Charakters. Natürlich kann hierbei im
Drama nur von der individuellen Freiheit die Rede sein ; die metaphysische
überlassen wir der Philosophie. Siegfried nun, wenn ihm durch das Zauber-
mittel der feindlichen Dämonenmacht einzig und allein das Bild Brünnhildens
aus der Erinnerung gelöscht worden, also eine geistige, cerebrale Schädigung
angetan ist, bleibt trotzdem in seinem Wesen, seiner Seele, seinem Gemüte,
als Charakter, unveränderlich der selbe, als der er geboren ist und bisher
sein Leben ausgelebt hat. Er weicht keinen Schritt weit von sich selber
ab ; vielmehr wird Alles, was er tut, von seinem Charakter bestimmt, welcher
der des fröhlichen, unbesorgten, taÜustigen, vom nächsten Eindruck hin-
gerissenen, vor Allem stäts furchtlosen Helden ist. Als ein Solcher
11
entscheidet er selbst über sein Schioksal, indem er die Drohungen der
Bheintöchter verachtet und im lachend stolzen Trotz dagegen den ver-
hängnisvollen Bing ihnen weigert. Sein eigener Wille und seine Charakter-
eigenschaft des Mutes, nicht aber seine Bezauberung bringt ihm den Tod.
und auch Brünnhilde wird in ihrer letzten Entscheidung durch diesen Tod
Siegfrieds bestimmt: ,,Älles ward mir nun frei.^ So wirkt das Lebens-
opfer des immer und einzig naiven Helden entscheidend mit zur völligen,
bewussten Betätigung der ethischen Idee des Gesamtdramas : „Selig in Lust
und Leid lässt die Liebe nur sein."
Dass es sich dabei nicht xmi die sinnliche Liebe, sondern xmi die Liebe
als ethische Macht handelt, ist eben die Erkenntnis, zu welcher das Drama
als Tragödie führt. Sofern die Dichtung dies vermag, ist sie selbst Aus-
druck einer Weltanschauung, ßichard Wagner hat einmal sehr be-
stimmt sich darüber geäussert, dass die Grundidee all seiner Dichtungen
doch eigentlich die „Entsagung" sei. Also ein ethischer Begriff, der einer
Weltanschauung entspricht. Die Weltanschauung äussert sich aber nicht
als eine vom Dichter in sein Werk hineingetragene Seutentiosität, Maxime
oder Tendenz. Wir bleiben bei ihm stäts in der Kunst, in der Dichtung,
im Drama. Die Charaktere seiner Helden selber sind es, in welchen
die Weltanschauung sich bildet, durch welche sie zum Ausdruck ge-
langt. Wagner ist der Dichter einer Weltanschauung, indem er der Dichter
seiner Charaktere ist, welche, obzwar „unveränderlich", doch die tiefete
„Seelenwende" an sich erleben: die Wendung zur „Resignation", in irgend
welcher Gestalt, zur Erkenntnis der Niedrigkeit und Nichtigkeit des Wahnes,
damit aber auch zum Eingang in ein höheres, reineres, ideales Beich des
Seelenlebens. Diese Art der Charakteristik ist durchaus ethischer Natur;
daher der Erlösungsgedanke und der religiöse Geist, der in so auffallender
Weise gerade Wagners Drama von allen andern unterscheidet. Er hat die
Heldenschaft der „Willensumkehr" in das Drama eingeführt, die Erlösungs-
heldinnen wie Senta, Elisabeth, die religiösen Helden wie Lohengrin,
Parsifal. Auch dies ward ihm erst durch das musikalische Drama ermöglicht,
eben weü hier das Drama ganz in die Seele, nicht nur verlegt werden
konnte, sondern musste, weil die Musik selbst die Idealität des Willens
ausdrückt und in ihr das Wunderbare als natürlich glaubhaft wird. Der
Wunder grösste aber sind, wie uns Wagner selbst gesagt hat : die Umkehr
des Willens und die Erlösung. In ihnen erreicht der Charakter den höchsten
Grad seiner Betätigung und die höchste Tatsache seiner Erfahrung.
Nur hüte man sich wohl vor der undramatischen Auffassung, als wäre
mit dieser Besignation, dieser Willensumkehr, eine kraft- und taÜose Askese,
also vielmehr Auslösohung des Charakters, gemeint. Selbst wenn der Gott
Wotan seiner Welt entsagt, lässt er sie doch dem „wonnigsten Wälsung"
zum Erbe, und eine neue Welt ist es, was er „will" : Leben und Liebe,
erlösende Welten-T a t. Brünnhildens Erlösung der alten Qötterwelt bedeutet
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esngleich die Yerkündigong der neuen Liebeamaoht, welche eine neue Welt
zu schafien die Eraft hat. Tristan und Isoldens seliges ünbewnsstsein —
dem Nirvanam vergleichbar — ist nur eine negative Form ftr das, was
sie, nnbewnsst, einzig ersehnen: ein Beich der Liebe ohne Wahn der
Sinne. — Endlich im Parsifal wird dieses Beich zur Wirklichkeit als das
Heiligtum des erlösten Erlösers, welches doch zugleich durchaus ein Helden-
tum bedeutet. Die Gralsritterschaft hat nichts mit einem weitabgewendeten
Mönchstum zu tun; diese edelsten der Helden ziehen in die Welt hinaus,
vom Gral geschickt: zu wirken des Heilands Werke, — Lohengrin-
Taten. Da gilt es nicht Verneinung des Lebens, sondern nur des sinnlich-
egoistischen Wahnes, der die zu höchsten Taten berufene Menschenseele
schädigt Das Leben selbst wird auf eine höhere Stufe erhoben, auf welcher
die grössten Charaktere sich auszubilden vermögen. —
Nicht epische Entwicklung von Stufe zu Stufe, sondern dramatische
Wendung zur höchsten Stufe ist die ethische Au%abe der Wagnerischen
Charaktere. Ihre Gestalten gehören einer Weltgestaltung an, davon ihr
Dichter einmal gesagt hat: „Im Innern wird dem Edlen die Welt gestaltet;
nur dem gemeinen Toren entsteht sie von Aussen.'' Und so ist Wagners
ethische Weltanschauung das tragische Erlebnis seiner dramatischen
Charaktere. —
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Bachgesellschaften, Bachfeste«
Es ist eine grosse, echte, deutsche Bewegung, die den Genius Bach's
zum Mittelpunkte hat und in der Tätigkeit der alten Bachgesellschaft
1860 bis 1900 und der sich eng anschliessenden 1900 gegründeten neuen
Bachgesellschafb zum Ausdrucke kommt; eine Bewegung, bei der be-
trachtend zu verweilen filr die Bayreuther Blätter wohl angebracht ist.
Ein Ausholen in vergangene, wenig erfreuliche Zeiten wird dazu nötig sein.
Bach starb 1760 und bald nach seinem Tode begann die merkwürdige
Zeit seines Yergessenwerdens, wovon das üeberwuchem der Italiener
(darunter nachher Mozart so viel und noch Beethoven zu leiden hatten)
und die rasche Verbreitung des nicht zu popularisierenden Händel Haupt-
ursachen sein mögen. Aber auch : die geringe Zahl von Bach's Freunden,
seine Schüler und nicht zum wenigsten seine Söhne bewahrten sein An-
denken nur in der Erinnerung an sein wunderbares Yirtuosentum auf der
Orgel und dem Klaviere und vergassen darüber die Hauptsachen, deren
Bedeutung ihnen allerdings kaum au%egangen war ; ja, sie verstümmelten
eine Anzahl seiner Werke durch unsinnige Vereinfachungen und ver-
schenkten oder verkauften die Schätze des grossen Toten, statt sie treulich
zu bewahren. Im Grossen und Ganzen der pietätvollste war der zweite
seiner überlebenden Söhne, der als Cembalist Friedrichs des Grossen der
Berliner oder nach seiner üebersiedelung der Hamburger Bach genannte
Philipp Emanuel. Da Bach kein Testament hinterlassen hatte, teilten sich
die beiden ältesten Söhne, der ebengenannte und sein älterer Bruder Friede-
mann, der Halle'sche Bach, eigenmächtig in den Nachlass. Friedemann,
des Vaters Liebling und der talentvollste der Söhne, verschleuderte in
seinem gänzlich verkommenen Leben das reiche Erbe, wobei Vieles auf
immer verloren gegangen ist. (Die G^Mner des Grafen Spork verklebten
mit den Originalstimmen der HmoU-Messe die Baumschäden^ und die Violin-
sonaten femden sich unter dem für einen Butterladen bestimmten Papieren.)
Für den Nachweis, was in den fän&ig Jahren nach seinem Tode für seine
Werke geschehen ist, lassen uns alle Quellen im Stich. Für die Meisten
lebte der Name Bach in den zahlreichen „galanteren^ Kompositionen Philipp.
Emanuels weiter. Einige gelassene und herablassende Bemerkungen damals
berühmter Leute und der Bericht über Mozart's Begeisterung, als ihm
Doles, der Nachfolger Bach's, in Leipzig 1789 Bachische Motetten vorführte,
ist ziemlich Alles, was wir wissen. Eine Wendung trat erst zu Beginn
des 19. Jahrhunderts durch Bochlitz und Forkel ein. Ersterer war
Bedakteur der neugegründeten Allg. musikalischen Zeitung und bekannte
sich als Augenzeuge der erwähnten Mozartscene, die ihn zu einem Paulus
gemacht hatte, als Streiter ftlr Bach, wenn auch nur im joumalistiscbAn
u
äinne; Forkel aber wirkte eindringlioher mit seiner 1803 erschienenem,
wenn auch wenig erschöpfenden Bachbiographie. Und nun wagten sich,
zwar noch bescheiden und vorsichtig, aber doch mit Erfolg, einige Ver-
leger an Kollektivausgaben Bachischer "Werke. Um deren Aufführungen
war es freilich immer noch schlecht bestellt. Sie blieben fast auf Leipzig
beschränkt. Berlin barg zwar viele Manuskripte Baoh's, aber an der ge-
eignetsten Stelle, der Zelter'schen Singakademie, wurde öffentlich kein Ge-
brauch davon gemacht, und die fdnfhundert Briefe Zelters an Goethe
(1796 bis 1832) enthalten wohl einige oft zitierte Enthusiasmen über Bach,
die aber reichlich aufgewogen werden durch weniger bekannte Aussprüche
Zelters, wie „Härten, Petulemzen, Frei- und Frechheiton" Bach's, „das
Fremde (Französische) in seinen Werken, das man ihm aber abnehmen
kann, wie einen dünnen Schaum", oder „in seinen Singstücken kommt oft
anderes heraus, als die Worte sagen, und er ist genug darüber getadelt
worden, auch ist er nicht streng in Beobachtung der harmonischen und
methodischen B>egeln, die er sich mit grösster Keckheit Untertan macht," —
Aussprüche übrigens, zu denen Goethe stäts vornehm schweigt. Eine zweite
Wendung und zwar nach der Seite der lebendigen Aufführung datiert sich
von drei Aufführungen der Matthäuspassion, die der 20jährige Mendelssohn
in Berlin 1829 veranstaltete, dem bald der mutige Frankfurter Schelble
und etwas später der als Sänger, Dirigent und Schriftsteller gleich begabte
und betätigte Breslauer Mosevius nachfolgte, wonach nun die Bachbewegung
nicht mehr zum Stillstande kam. Wesentlich halfen C. von Winterfeldt
und Dehn durch wertvolle Arbeiten, während ich der oft zitierten Schrift
„über Reinheit der Tonkunst" des Heidelberger Thibaut (1826) wegen ihrer
uferlosen Händelverehrung und sehr beiläufigen Erwähnung Bach's den
fördernden Einfluss auf die Bachverbreitung nicht zuerkennen kann, der
immer behauptet wird. Wieder zögerten die Verleger mit der Herausgabe
weiterer Werke Baoh's, bis endlich öffentlich, zuerst in Eob. Schumann's
Neuer Zeitschrift für Musik, der Buf nach einer ganzen Bachausgabe
erscholl. Mendelssohn hatte in seiner Weise für Bach weitergewirkt, zuletzt
wesentlich unterstützt durch Hauser, Hauptmann und den späteren Mozart-
biographen Jahn, und nun konnte am 28. Juli 1850, dem 100. Todestage
Bach's, die „Aufforderung zur Stiftung einer Bach-Gesellsohaft" erlassen
werden, die sich die Aufgabe der Herausgabe aller noch vorhandenen Werke
Bach's stellte. Die Aufiordenmg war unterschrieben u. a. von Liszt, Spohr,
Schumann, Mosevius, Marx, Jaim, von Winterfeldt, aus deren JEteihe ein
engerer Vorstand gewählt wurde, der noch am Ende des Jahres in Ver-
bindung mit dem Verlage von Breitkopf und Härtel seine Tätigkeit begann,
unser grosser Franz Liszt war schon früher mit seinem vollen Herzen
und immensen Können, sogar an Mendelsohn's Seite, in die Bewegung ein-
getreten. Er spielte schon 1840 mit diesem und Ferd. Hiller im Leipziger
Gewandhause das D-moll-Tripelkonzert; er übertrug die grossen Orgel-
präladien and Fageil &td^ das Klavier, die seitdem tmerlässliche Bestandteile
der Studien und Programme aller Pianisten sind; ganze Künstlergenerationen
von Bülow (und Joachim) und Tausig bis d'Albert und darüber hinaus
lehrte er Bach im grossen Stile ausüben, und hat nach Kretschmar's Be-
richte über die alte Bachgesellschaft, der er von 1850 bis zu seinem Tode
als Ausschussmitglied angehörte, „ihre Interessen erfolgreich an deutschen
Höfen unterstützt^. Die Arbeit der Herausgeber, das Material zu finden,
zu sichten, die authentischen Lesarten endgültig festzustellen, war ungeheuer;
die Resultate liegen nun seit 1900 in 46 Bänden abgeschlossen vor uns;
die Yorberichte der einzelnen Bände wie der Schlussbericht geben ein Bild
deutscher, aufopfernder, selbstloser Hingabe an das grosse Werk; wir sind
um einen wundervollen Besitz reicher, den uns zu neiden man Eecht hat.^)
Alle Mitarbeiter zu nennen ist nicht Aufgabe dieses Abrisses. Nur des
verdienstvollsten sei in Dankbarkeit gedacht, des nachherigen Thomas-
kantors Wilhelm Bust, der beinahe ein Menschenalter in selbstloser
Weise, mit grosser Sachkenntnis und Arbeits&eudigkeit, für die Bach- Aus-
gabe gewirkt hat. Wir besitzen nun den gcmzen Bach, dank der ersten
Bachgesellschaft, die 1900 ihre Arbeit schliessen konnte. Aber „ich liege
und besitze^ ist kein Becht des Lebenden. Es gilt nun, die Schätze in
klingende Münze zu prägen, die Musik Bach's im tiefsten Sinne volkstümlich
zu machen, und zu diesem Zwecke entstand die Neue Bach-Gesellschaft,
deren Tätigkeit sich vorläufig in zwei Bichtungen bewegt: in der Heraus-
gabe Bachischer Werke zum praktischen Gebrauche, d. h. mit Tempo- und
Yortragsbezeichnungen, mit Begleitungen und sonstigen auf die Ausführung
bezüglichen Angaben versehen; und in der Veranstaltung von Bachfesten,
die Art und Geist der Aufiiihrung Bachischer Kunstwerke zeigen und ein
Mittel- und Ssunmelpunkt der Freunde der grossen Sache sein sollen.
Wesentlich mit auf der Grundlage von Philipp Spitta's ausgezeichneter
1873 bis 1880 erschienenen Bachbiographie hat sich in den letzten 25 Jahren
die Gewissheit durchgerungen, dass mit den früher üblichen Bach-Bearbei-
tungen, vor allem den Instrumentierungen vollständig zu brechen ist; dass
Bach's Orchesterklang als etwas ganz Eigentümliches nicht verwischt werden
darf; dass das Melos seines Chores, seines Orchesters, seiner vokalen wie
instrumentalen Solostimmen sich über dem die Harmonie gebenden Unter-
*) An dieser Stelle ist ein Einschiebsel zu machen: In dem erwfthnten Schlossartikel
findet sich eine Beschaldignng, die sehr ernstlich zurückzuweisen ist. Der Verfasser, Herr
Prof. Dr. Kretzschmar, führt einige Celebrit&ten auf, die nicht Mitglieder der Bach -Gesell-
schaft gewesen sind; er nennt Loewe, Reissiger, Marschner, Meyerbeer, und fügt hinzu:
„Selbst Hans ?on Bülow ist trotz „Bach-Beethoren-Brahms'' nicht Bfitglied der Bach-G^ell-
schaft gewesea^/* Darauf wäre zu antworten, dass der Orund von Bülow's Nichtmitgliedschaflt
▼ielleicht der war, dass die meisten der Herren des Bachausschusses, wie Hauptmann, David,
^etz. Lachner, Hiller, Joachim, hinter ihrer Bach- Verehrung herror ihre überaus boshaften
Angriffe gegen die „Zukunftsmusik^^ und deren echtesten Kämpfer Bülow richteten, statt ihre
freie Zeit für grössere Eorrektbeit der ihnen anrertranten Bachansgabe zu rerwenden.
ghinde det durch kein Surrogat zu ersetzenden Orgel nnd des Oembalo^d
wie die Gestalten anf dem Hintergrande eines Gemäldes zn bewegen habe ;
dass die Bezitative, deren Begleitung Bach nicht notiert hat, nach seinen
Generalbassbeziffernngen ausschliesslich auf dem Klaviere zu begleiten sind,
wie er es selbst ausgeübt hat, die einzige Art, den Eezitativen, „in denen
die Dichtung vom erregteren lyrischen Schwünge sich zur blossen Kund-
gebung gefühlvoller Bede herabsenkt **, den Fluss ihrer Vortragsfreiheit und
Beweglichkeit und somit das rechte Verhältnis zu den gefählsbreiteren und
geschlossenen Formen des Chores, der Arie, des Chorals zu geben. Und
so mögen die Aufführungen der Bachfeste dafür sorgen, dass die Bein-
haltung der Aufiührungsart Bachischer Werke eine immer bewusstere und
allgemeine werde; denn noch sind wir nicht am Ziele, wie zwei jüngst
erschienene sehr wenig einwandfreie Bearbeitungen der Kantate „Herr bleibe
bei uns'' und der Trauerode zeigen»
Von Bachfesten fanden bisher zwei, das erste in Berlin 1901, das
zweite im Oktober 1904 in Leipzig statt. Nur das letztere konnte ich
besuchen. Es ist hier nicht der Platz, Bezensionen zu schreiben; es sei
gesagt, dass es im Grossen und Ganzen meinen Erwartungen entsprach.
Die Aufführungen waren sorgsam vorbereitet. Die Thomaner, unter Leitung
des Thomaskantors Schreck, leisteten, ihres Ehrenplatzes eingedenk, in den
beiden doppelchörigen Motetten „Singet dem Herrn ein neues Lied^ und
„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf ^ gesangtechnisch und musikalisch
Ausserordentliches, wenn auch die Führung zum inneren Erlebnisse aus-
blieb. Die Direktion der übrigen Darbietungen, die wegen Erkrankung
Kretzschmar's an den jungen Dirigenten des Leipziger Bachvereins Straube
überging, war ihrer grossen Aufgabe doch so gewachsen, dass Vortrags-
unsicherheiten und Willkürlichkeiten sich nicht zu Stilwidrigkeiten aus-
wuchsen, wenn man auch zu bedauern hatte, dass sie den Händen des
reiferen Dirigenten entzogen sein musste. (Verfehlt war nur Straube's Vor-
trag des Orgel-Esdur-Präludiums mit der dreiteiligen Fuge, dem, bei einem im
Ganzen zu schnellen Tempo, durch stumpfe Begistraturen Gegensätze auf-
gedrängt wurden, die den einheitlichen Charakter des herrlichen, festlichen
Stückes wesentlich störten.) Ausser den genannten enthielten die Pro-
gramme von Werken Bach's noch: fanf Kirchenkantaten „Gott der Herr
ist Sonn' und Schild", „Herr, gehe nicht ins Gericht", „Jesus schläft, was
soll ich hoffen", „Wachet, betet" und „Erfreut euch, ihr Herzen" ; an Orgel-
werken noch die Cdur- Toccata und Fuge; an Instrumentalwerken die
Ddur- Orchestersuite, das Ddur- und das DmoU- Tripel- Klavierkonzert, das
4. Brandenburgische Konzert, die Edur- Violinsonate, die OmoU-Violonoell-»
suite und die zwei weltlichen Kantaten „Der Streit zwischen Phoebus und
Pan" und die Kaffee-Kantate — ein herrlicher Inhalt, dem staunend und
bewundernd deutsche Künstler sich hingeben konnten. Deutsche Künstler ! —
ja, wo waren sie? Die heut an der Oberfläche des KunsÜebens stehen
17
tmd gehalten werden, fehlten fast alle, die Leipziger Spitzen besonders;
blieben die heut gewohnten Lärmtrommehi ans? oder dirigieren und kom-
ponieren die Herren alle selbst? —
Doch, die Bachfrage ist nicht nur eine künsÜerisoh-mnsikalische, sondern
auch eine künstlerisch -kirchliche, und P£Etrrer und Kantoren waren viele
gekommen, mn zu bezeugen, wie ernst und eifrig draossen in der evan-
gelischen Ejrche Deutschlands der Boden bestellt wird, um den Wieder-
einzug Bach's in den Dienst seiner Kirche vorzubereiten: ein Festgottes-
dienst in der Thomaskirche, wie er zu Bach's 2ieit mit der AufiÜhrung einer
seiner Kantaten üblich gewesen ist, war Bestandheit des Bachfestes;
bedeutsame Beden über Bach und evangelische Kirche wurden gehalten von
JEUetschel in Leipzig, Smend in Strassburg, Greulich in Posen (von letzterem
besonders warmherzig in Beziehungen Bachs zu Richard Wagner, unter-
stützt durch Martin Seidel in Leipzig) ; Aussichten xmd Möglichkeiten wurden
erörtert, über Beispiele von kirchlichen Bachkonzerten unter Beteiligung
der G^emeinde und von liturgiBchen Gottesdiensten mit Bachischer Musik
in Eisleben, Heidelberg, Strassburg und Posen beriohtet|, so dass man
berechtigt sein kann, daran reiche Hofi&iungen zu knüpfen, wenn, ja wenn —
die Axt an die Wurzel der heutigen Sänger-, Musiker- und Kantorenbildung
an Konservatorien, Musikschulen und Akademieen gelegt wird; und damit
komme ich auf die noch viel ernstere dritte Au%abe der Neuen Bach-
gesellsohaft.
Alles, Chor- und Sologesang und praktische Bildung der Dirigenten
liegt in diesen Anstalten im Argen : weil die besondere Behandlung der
Knabenstimmen nirgend gelehrt wird, werden nur in den Schulen die fikr
die Kirchenmusik so wichtigen Stimmen verplärrt und jedes Wohlklanges
tmfähig gemacht ; Chorklassen aber existieren in den meisten Musikanstalten
nur auf dem Papier; welche Not es macht, Solosänger für ein Werk von
Bach zu finden, die sich ohne merklichen Defekt um ihre Angabe mühen,
weiss jeder Dirigent; und was an Unerfahrenheit, Ungeschicklichkeit, Un-
sicherheit und Stillosigkeit vieler Dirigenten in Konzert und Earche einem
Baclüschen Werke gegenüber zu erleben ist, üersteigt die trübsten Erwart-
ungen. Einfache Gebilde, eine achttaktige Periode mit Vordersatz und
Nachsatz, können wie oft nicht zum Eindrucke des Hörers kommen, weil
der Dirigent sie nicht als Gestalten empfindet, weil, allgemein gesprochen,
das geh^t- und gestaltlose „Musizieren^ und „Gesinge^ Alles überwuchert.
(Goethe sagt: „Kein Mensch will begreifen, dass die höchste und einzige
Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sei und in der Gestalt
die Spezification, damit ein jedes ein Besonderes, Bedeutendes werde,
sei und bleibe.") Das ist es im letzten Ghrunde, was dem gehalt- und ge-
staltvollen Bach den Eingang in seine Kirche erschweren wird, wenn auch
sonst alle Wege dahin geebnet wären. Darüber kommen die Herren mit
ihren noch so edlen Bestrebungen nicht hinaus ; die eingeleitete Bewegung
s
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wird im Saude yerlanfen, wenn zum Bachkennen nicht das fiachkönneü
kommt, und das Baohkönnen muss von Berufenen gelehrt werden, nicht,
wie leider so viele Hauptsachen, dem lieben Zu&ll überlassen sein. War
das Bachkennen Aufgabe der alten Baohgesellsohait, so sei das Bachkönnen
Aufgabe der neuen. Dazu will ich einen praktischen Vorschlag machen,
denn der Worte sind genug gewechselt: In E^leinparis, das seine Leute
bildet, dem Sitze der Neuen Bachgesellschaft, besteht ein berühmtes Kon-
servatorium. Es hat 800 Schüler, aber, man staune, keinen Chor. An
dieser Anstalt richte man einen Lehrstuhl für Bach ein, da bilde man einen
Chor von 250 Stimmen (ein Schülerorchester soll vorhanden sein), übe mit
ihm in regelmässigen Proben grosse und kleine Werke von Bach und
benütze mindestens die Hälfte dieser Proben zur Heranbildung junger
Dirigenten. Lehrer- und theologische Seminarien hätten begabte Schüler
zur Teilnahme an den Bachkursen abzuordnen. Damit wäre ein Anfang
gemacht, dem andere Anstalten bald folgen würden. Und Bach wäre damit
ein Denkmal gesetzt, schöner als je eines aus Stein, um welch' grosse,
deutsche Sache es sich dabei handelt, mögen zum Schlüsse die herrlichen
Bachbekenntnisse des grossen Bayreuther Meisters, auch eines Leipzigers,
bestätigen.
„Will man die wunderbare Eigentümlichkeit, Exaft und Bedeutung
des deutschen Geistes in einem unvergleichlich beredten Bilde erfassen,
so blicke man scharf und sinnvoll auf die sonst fast unerklärlich rätselhafte
Erscheinung des musikalischen Wundermannes Sebastian Bach. Er ist die
Geschichte des innerlichen Lebens des deutschen Geistes während des
grauenvollen Jahrhunderts der gänzlichen Erloschenheit des deutschen
Volkes.**
„Bach's Wunderwerk ward Beethoven zur Bibel seines Glaubens; in
ihm las er, was nur das Auge des deutschen Geistes erschauen konnte,
was ihn aus innerstem Gewahrwerden zu der unwiderstehlichen Protestation
gegen alles ihm auferlegte äussere Wesen trieb. Da stand es geschrieben,
das Bätseiwort seines tiefinnersten Traumes, das einst der arme Leipziger
Kantor als ewiges Symbol der neuen anderen Welt aufgeschrieben hatte.^
„Welcher Beichtum, welche Kraft, Klarheit und dennoch prunklose
Beinheit sprechen aus dies^i einzigen Musikwerken! Li ihnen ist das
ganze Wesen, der ganze Gehalt der deutschen Nation verkörpert.^
„Bach muss als der grösste protestantische Kirchenkomponist betrachtet
werden.**
Bayreuth, Julius Kuiese.
Weihnachten 1901.
tfr
Modernes Konzertwesen.
Von J. Yiiuui te Motto.
Wagners Einfluss ist hente auf allen Gebieten fühlbar. Auf die Mnsiker
ist der Einflnss so stark, dass einzelne ihn gar ffir y,gefilhrlich^ halten, andere
hastig nach einer Ueberbietnng Wagners verlangen. Aber auch die andern
Künste erhalten von diesem Universalgenie Anregung. Das Schauspiel
hat sich zwar über die photographischen Momentaufnahmen noch nicht
weit erhoben, sonst aber nfthert sich die Dichtkunst doch mehr dem Bein-
menschlichen im Wagnerschen Sinne , die Künste suchen überhaupt An-
näherung, sie verlieren den Stolz der Einsamen. Der Einfluss auf die
Bildung des Künstlers ist jedenfalls am auffallendsten. Der Fachkünstler,
der nur »seine^ Kunst studiert, ist kaum noch vorhanden. Die grösste
Freude erweckt aber die Beachtung, die Wagner als Denker findet. Nicht
nur die vorzüglichen Darstellungen Wagnerscher Weltanschauung, sondern
auch die entfernter stehenden Männer der Wissenschaft, Theologen, sogar
Geschichtsschreiber zeigen das. Die grosse Strömung, die die Mystiker in
neuer Auflage wieder ins Leben ruft, ist auch gewiss nicht nur auf Schopen-
hauer, sondern zum grossen Teil auf Wagner und seinen Parsifal zurück-
zuführen.
So scheint es ja , als hätten wir's herrlich weit gebracht. Aber leider
stellen sich diesen erfreulichen Einzelerscheinungen dunkle Kehrseiten ent-
gegen. Die Künstler haben wohl Bildung. Aber die Unmasse der Studie-
renden fählt sich fähig, ohne allgemeine Bildung Künstler zu werden.
Die technische Fertigkeit wird noch immer als die ganze Kunst angesehen.
Daran sind die Künstler aber selbst schuld, weil sie nicht, wie Bülow,
es streng abweisen, mit jemand ein Beethovensches Werk zu spielen, wenn
er „kein gebildeter Mensch ist^ (natürlich nicht aus sozialen, sondern aus
künstlerischen Gründen). Kurz gesagt: was fehlt, ist die Erziehung
des Publikums, und Künstler, die als Erzieher unnachgibig
wirken. Daher kommt es wohl, dass im Konzertwesen Wagners Einfluss
am wenigsten etwas geändert hat, dass dieses eine Entwicklung nimmt,
die jedes Jahr beängstigender wird. Bülow starb zu früh.
Was Porges vor vier Jahren in diesen Blättern vom Konzertpublikum
sagte, gilt heute noch unverändert. Dies ist allerdings nicht zu verwundem.
Das Publikum in Grossstädten ist nur zum kleinsten Teil ein bleibendes,
drei Viertel bestehen aus Ausländem, die mehr oder weniger vorübergehend
sich dort aufhalten. In Berliner Konzerten hört man mehr firemde Sprachen
als die deutsche. Eine Ausnahme bilden vielleicht die Abonnementskonzerte,
die das „Modepublikum^ inne hat. Wie ist die Erziehung einer so weoh-
80
selnden Masse möglich? Die Solisten wiedemin haben jeder ein eigene
Stammpnbliknm ans Bekannten nnd Schülern gebildet. Darunter gibt es
die Fanatiker, die nur den Einen gelten lassen, nnd die nicht weniger
schlimmen Eklektiker, die jeden Gott anbeten. Von jungen Damen gut
hier dann mehr als irgendwo, dass sie mit dem Herzen „urteilen" und —
hören. Ein £onzert ohne begeistertes Publikum gibt es in Berlin nicht.
Das urteil wird nach bequemen Schlagworten geMlt Besitzt der Künstler
eine vollendete Technik, so fehlt es ihm an Innerlichkeit. Fehlt es ihm
an Technik, so hebt man die Tnnerlichkeit hervor. „Er ist so musikalisch!^
Spielt er viel Ellassisches, so kann er Modernes nicht so gut spielen. Oibt
er einen Lisztabend, so heisst er gleich Lisztspieler. Aber wehe ihm dann,
wenn er Beethoven spielt. Andere Rezepte sind : objektiv, subjektiv u. s. w.
Das grössto üebel im Konzertwesen, von allen anerkannt, beklagt, von
niemand gemildert, ist die üeberfnUe von Konzerten. Die Künstler wie
das Publikum leiden darunter, einzig die Agenten und Saalbesitzer haben
davon Freude und Vorteil. Und doch lässt es jeder gehen. Kein Vor-
schlag zur Dämpfung der Konzertseuche — viele sind allerdings nicht
gemacht worden — ist je beachtet und befolgt worden. Und so sehen wir
jährlich ruhig zu, wie die Konzerte an Zahl zunehmen und uns wie ein
überlaufender Strom bald zu ersticken, alle Freude an der Musik zu töten
drohen. Ich glaube, man stellt sich die verderblichen Folgen dieser üeber-
fülle nicht so schlimm vor, wie sie wirklich sind.
Grosse Eindrücke müssen selten sein, damit sie wirken. Wie weise
und wie tief empfand unser Meister, als er die Festspiele einsetzte, die
nicht einmal jedes Jahr sich wiederholen sollten. In diesem Sinne sagte
auch Nietzsche : es gibt Kunstwerke, mit denen man nicht auf Du und Du
stehen muss. Was ist aber die Folge dieser Flut von Konzerten? Dass
man Werke, deren Anhören zu zählenden Festen in der Erinnerung werden
sollen, wie die neunte Sinfonie, oder die letzten Quartette Beethovens
in einer Stadt wie Berlin oft in einem Winter fünf, sechs Mal — anhören
muss. Von der Lisztschen Sonate, diesem vor 10 Jahren noch scheu ge-
miedenen Stück, kann man, da die Klavierabende am meisten wucherUi
noch viel mehr AuflEÜhrungen hören. Denn jeder Jünger will zeigen, dass
es ihm ernst xmi die Kunst ist und setzt solche Werke auf Anfänger-
Programme, mit viel Selbstvertrauen aber wenig Respekt vor solchem Kunst-
werk, das zu seiner Ausfiihrung einen reifen, ganzen Menschen erfordert.
Die erste Folge einer so häufigen Auffiihrung des selben Werkes, und
sei es des grössten, ist notwendiger Weise, dass der Hörer das Interesse
am Werke verliert und es ganz der AusfEihrung zuwendet. Da heisst es
nicht mehr : nun will ich mich einmal wieder von op. 106 recht erschüttern
lassen — sondern: nun will ich mal sehen, wie Der op. 106 spielt. Und
dann kommt das Vergleichen. Das vertritt den Genuss.
Aber wie nachteilig überhaupt yieles Mnsikhören auf das Empfinden
wirkt, beachtet man auch nicht. Man hört nicht, man frisst Musik«
unsere Zeit hat ja das „rasch leben'' zum Yorzng gestempelt. £ine
Folge davon ist z. B. die zunehmende Hastigkeit der Tempoftlhrung, es
fehlt immer mehr die Konzentrationsi&higkeit um ein langscunes Tempo
nachzuempfinden, ein lebhaftes wirkt erst dann „aufregend'', wenn es zum
Galopp wird. Ein denkender Mensch würde sich nie dessen rühmen, dass er
„rasch lebt," dass er schnell fertig wird mit den Eindrücken, sie sofort im
Gehirn klassifiziert und — vergisst, damit er Neues, immer nur Neues auf-
saugen kann. Der moderne Mensch rühmt sich seines raschen Lebens. *) Des-
halb ist er auch einzig fähig, Abend ftlr Abend sich neuen Eindrücken hinzu-
geben, Konzerte, Theater, Gesellschaften rasch zu absolvieren, ohne Vor-
bereitung und ohne Nachwirkung. Sind aber diese beiden nicht
die Bedingungen und die Vorteile eines Kunstgenusses?**) Freilich, wenn
man keine Zeit hat, kann man nicht, und wenn man ein Werk zu oft hört,
braucht man nicht sich vorzubereiten und auch nicht in sich nachhallen
zu lassen, es nachwirkend zur Veredelung unseres Innern umzubilden.
Daher haben unsere Konzerte auch üst nie sittliche Macht. Kaum denkt
man heute an das was man morgen hören wird, kaum fühlt man am
nächsten Tage noch was man am vergangenen gehört hat. Mit Wehmut
denke ich an meine Studienzeit zurück, wenn ich mich auf ein Konzert
Bülows wie ein Mädchen sich auf den Ball vorbereitete : wie die Vorfireude,
wie das Nachgemessen alle Arbeit, alles Alltägliche da verklärte, und wie
intensiv war trotzdem das Hören selbst, ohne durch die Vorbereitung etwas
zu Volieren . . . Man wende nicht ein, dass der Studierende, der eben
nicht soviel Konzerte besuchen kann, auch heute noch sich solche seltenen
Genüsse verschaffen wird. Ach ja, wer ist der Glückliche heute, der nicht
eine Unmasse Freibillets bekommen kann? Wer kann heute sich dem
Laufen in die Konzerte entziehen? Wird doch so unmenschlich viel, und
so unmenschlich viel gut (?) gespielt.
ITm nun nicht wie andere bloss Klagen zu ffihren ohne einen Vorschlag
zur Verbesserung zu machen, wiU ich den meinigen nicht vorenthalten, der
*) Raskins goldene Worte sind vergeBsen: „£& gab immer melir in der Welt zu sehen
als Menschen sehen konnten, gbgen sie auch noch so langsam/'
**) In einer Sammlnng hfibscber Aufsfttze sagt Alexander Ton Gleichen-Rnss-
wnrm Aber den modernen Mangel an Zeit: „Der Nachklang, das Schönste und Zarteste an
allen Gefühlen, wird jfth Temichtet.** Änch den Wert eines „mhigen, anmntSYollen Feier-
abends" fühlen wir nicht mehr. Wir sind ja nicht einmal am Sonntag frei Ton Musik und
Theatern. Wer den englischen Sonntag verdammt, hat noch nicht den Frieden eines solchen
Tages erlebt, eines Tages ebne Zeitungen ! Wir werden jetzt auch Montags Immer mehr
mit Zeitungen beglQckt. Was würde Goethe dazu sagen, der sich empörte, dass man jeden
Tag die Zeitung drucke oder gar eine fOr jede Stunde des Tages. Wir sind nun soweit
nnd gemessen Morgen-, Mittag- und Abendseitungen,
natürlich ebenso wenig beachtet werden wird, aber wie ich hoffe, wenigstens
jien ist.
Alle Klagen betonen immer wieder : es gibt zu viel sohlechte Ecmzerie,
schafft die ab. Nun, mir scheint allen Ernstes, dass es im Gegenteil viel
zu viel gute Konzerte gibt. Denn es ist klar, dass die Anflüiger-
nnd Mittelmässigkeits-Konzerte niemand schaden, als den Angehörigen, die
verpflichtet sind, sie zu hören. Aber die guten Konzerte, die man alle
hören muss, die bringen mich öfter in den Konzertsaal, als es gesund ist.
Warum mehr als eine Gesellschaft für Orchesterkonzerte? Warum mehr
«Is eine Quartettvereinigung jeden Winter? Warum muss jeder Sfinger,
jeder Pianist Jahr aus, Jahr ein mehre Konzerte in der selben Stadt
geben? Damit er nicht vergessen wird? Es wäre im Gegenteil selbst
dem grössten Künstler gut, wenn er von Zeit zu Zeit ein bischen vergessen
würde. Bei den meisten, die nicht gern „lernen^, reicht ja schon das
Bepertoire nicht aus um so oft zu spielen, sie lassen uns immer wieder
die selben Sonaten hören. Also: weniger gute Konzerte — wodurch die
.„Güte^ der Konzerte an sich natürlich noch zunehmen würde — das würde
die Anzahl von Konzerten, die man besuchen soll, gewiss einschränken.
Da der Andrang zu den einzelnen Konzerten um so grösser sein würde, so
hätten ja Künstler und Publikum Vorteil davon.
Noch einen Vorschlag möchte ich machen zur Vermeidung, dass man
jeden Winter die selben Stücke Dutzende von Malen hört — der aber
natürlich eben so unrealisirbar ist. Es wäre sehr schön, wenn die besten,
die maassgebenden Künstler eine Art Verband bildeten um unter sich die
Programme für die nächste Saison zu verabreden. Einer würde den
andern ergänzen. Auf diese Weise würde z. B. auch vermieden werden,
dass ein lange vergessenes Stück plötzlich (gerade deshalb) epidemisch
auftaucht. Es würde auch vermieden, dass Künstler aus Eifersucht die
selben Stücke, mit denen andere soeben „Sensation^ machten, gleich hinterher
spielen, um sie zu übertrumpfen, oder dass verschiedene Vereine (nicht
immer aus Zufall) bald hintereinander das selbe Werk aufführen. Es könnten
auf diese Weise leicht im Lauf eines Winters sämtliche Werke Beethovens
zur AuSlOhrung kommen. Hermann Wolff hatte eine solche Gesamt - Auf-
führung geplant, aber aus „praktischen Gründen^ in einem Monat und
28 Konzerten! — Musikfressen!
Doch wie ist an ein gemeinsames Wirken der Künstler zu denken bei
dem Spezialitätengetriebe, dem die meisten sich hingeben ? Da würde jeder
gewisse Stücke spielen wollen (z. B. Chopins As dur-Polonaise), andere
Stücke würde Keiner spielen wollen !
Man hat auch andere Formen des Musizierens gewünscht. Feine
Naturen fahlen sich verletzt und abgelenkt durch das Aeussere eines
Konzeitsaales mit der fremden Menge darin, sie ziehen die Musik zu
Hause, in kleinem Kreise vor. Jch kann, weder als Künstler noch als Hörer,
S8
dein tmbedingfc beistimmen. Bei aller Anerkennung des intimen Beizes^
einen Künstler im kleinen Saum za hören, mnss man doch andererseits
engeben, dass auch hier sich viele ungünstige umstände finden« Ein
künsüerisoh eingerichtetes Zimmer kann stimmungsvoller sein als ein
Konzertsaal. Aber auch dieser kann stimmungsvoll sein, wenn man nur
endlich von der Manie abginge, ihn mit Säulen und Gold protzig zu über-
lasten, dass man sich immer im Essaal eines Hotels glaubt. — Ein Ejreis
von wenigen, bekannten Hörern, kann stimmungsvoller sein als das fremde
Yielkopftum — aber nur, wenn sie alle dem Künstler und unter sich
einander sympathisch sind. Sobald der geringste Biss in dieser Kette
besteht, so ist der fremde Hörerkreis, der mir im einzelnen gleichgültig
ist, jedenftills vorzuziehen. Man erzählt, dass Chopin unfthig war, eine
Note zu spielen, wenn eine der anwesenden Personen ihm zuwider war.
Freilich war ihm das ö£fentliche Publikum, zu dem er kein persönliches
Verhältniss hatte, ebenso verhasst. Wenn also ein intimer Kreis anregend
sein kann, so kann er auch leider recht nüchtern wirken, da man hier
Gesicht und Geist der Personen in bedenklicher N&he sieht, während eine
.grosse Zuhörerschaft im lichterhellen Saale als unpersönliche Masse, wo die
Nüchternen einem nicht zum Bewusstsein kommen, immer etwas Festliches
hat. — Wenn nur leider das deutsche Publikum (das männliche) nicht die
entsetzliche Gewohnheit hätte, in ganz stilwidriger Toilette, im Hausrock,
zu erscheinen. Wenige kleiden sich festlich an. Dies wäre nicht nur
pflichtschuldige Achtung vor dem Künstler, sondern auch Bücksicht auf die
andern Zuhörer, da es Stimmung erweckt Ich höre entrüstet ausrufen : also
Kleider erwecken Stimmung! und gar der schwarze Bock! und doch ist
es so: natürlich nicht die unästhetische Form der modernen Kleidung,
sondern das Symbol, das damit verknüpft ist. Es zeigt eben, dass man
den Alltag ntm auch äusserlich ablegt.
Viele ziehen es vor, Musik „in der Nähe" zu hören. Ich muss ge-
st^en, dass mir zum Genuss der Musik etwas „Feme" nötig ist, auch bei
der intimsten Musikgattung: der Kammermusik. Dass es jedoch auch
stilwidrig ist, ein Streichquartett in Sälen zu spielen, die fär Orchester-
auffiihrungen gebaut sind, braucht nicht bemerkt zu werden. Aber ein
Instrument vor allem ist ganz besonders auf „Wirkungen in die Feme"
berechnet: das Klavier. Wer das Eigentümliche des Klavierklanges ge-
messen will, z. B. das Poetische einer feinsinnigen Pedalbehandlung, der
muss es nicht im Zimmer hören, sondern mindestens — aus dem Neben-
zimmer. — Noch ist zu bedenken, dass die Bedingungen ftr den Künstler
im Konzertsaal weit günstiger sind als im Zimmer. Wie selten findet der
Pianist hier ein vollkommenes Instnmient, gute Akustik, wie viel besser
kann er sich für das Konzert vorbereiten, wird nicht zersfeceut durch vielerlei
G^espräche mit vielerlei Menschen. Von der ausgebreiteten, taktlosen Sitte,
einen Künstler zum Musizieren zu bitten nach einer reichlichen Mahlzeit
24
rede ich niolit erst, da das in geistdg vornehmer Gesellsohaft gar nicht
vorkommen kann. Der sonst so höfliche Meister Liszt soll deshalb einer
hohen Dame geantwortet haben: „Ich bin nicht gewohnt, wenn ich ein-
geladen werde, fiär das Essen zu bezahlen.'' Und Bülow, gebeten vor dem
Souper ein „kleines" Stückchen zu spielen, regalierte — wie erzählt wird —
die hungrige Gesellschaft mit den &mf letzten Sonaten Beethovens.
Die im Konzert mögliche Vorbereitung erleichtert nicht nur dem
Künstler die Ausführung, sondern dem Hörer den Gtonuss. Wenn ich lange
vorher weiss, was ich hören werde, stelle ich meine Au&ahmeorgane dem-
entsprechend ein, för Bach anders ab fOr Chopin, fär ein graziöses Werk
anders als ftlr ein wildes oder tie&inniges. Ein improvisiertes Programm
zu Hause kann manchen Beiz haben, namentlich wenn man sich gerade
das Werk wünschen kann, das der Stimmung oder dem Interesse des
Augenblicks entspricht Aber man wird selten den Künstler finden, der
jedes Mal solchen Wunsch erfüllen kann. Der grosse französische Pianist
Alk an soll derartige Privatkonzerte im Saal Erard für seine Freunde
gegeben haben. In diesem Falle kommt der Künstler der Stimmung der
Hörer entgegen, im ersten muss der Hörer sich nach dem Werke stimmen,
loh meine, dass ein Empfängnisfähiger diese Wirkung der Kunst, gerade
dieses Losreissen, Emporheben vorziehen wird. „Kunst im Leben^ ist ein
schwer zu lösendes Problem. Lieber „Kunst über dem Leben^ (nicht abseits).
Es mag individueller Geschmack sein: aber jedenfalls stimmen mir
viele bei, dass die Musik in den Konzertsaal gehört, auch die intime Musik.
„Hausmusik^ — vor diesem bürgerlichen Begriff schauert es mich.*)
Gewiss ist es jedoch, dass man intime Konzerte, grosse Konzerte und
Musikfeste unterscheiden müsste. Letztere gibt es ja genug. Aber sie
unterscheiden sich kaum durch etwas anderes von den gewöhnlichen
Konzerten, als durch . die Länge der Programme und die Zahl der Aus-
führenden.
Man macht da wieder die Erfahrung, dass „Feste^ nur an den kleinsten
Orten möglich sind, wo keine anderen Interessen und keine Entfernungen
4ie Festteilnehmer innerlich und räumlich trennen. Von „Festspielen^ in
Städten wie München zu reden ist illusorisch, denn die Zuhörer fahlen sich
^ Es handelt sich hier nstflrlich nicht nm die Pflege der Musik zu Hsose, Ton der
nenerdings sofiel die Rede ist Deren Wert für Vertiefang des Mosikgef&hls heim Dilettanten
steht aosser Frage. Wenn es sich aher um kOnstlerische Ausflhong, VorfAhntng der Werice
handelt, dann, meine ich, kann die Form des Eonsertes nicht gut ersetst werden. D. Verf.
Intime Musik ist fOr intime Hörer, Miterleher, sicher gedacht und geschaffen; aber
um „Hausmusik*' su werden, hedarf sie des „Hauses", das ihr entspricht Dies kann im
Einielfalle sich finden; doch unsere ganie moderne Welt mttsste erst von Innen heraus
kOnstlerisch werden, bis dass in ihr die «Häuser* für intime Musik wirklich so zur Er-
scheinungsform der Kunst gehörten, wie heute eben der — oft leidige und wenig intime —
XonsertsaaL üebrigens spricht in Obigem der Eflnstler, der das Publikum natürlich braucht;
in mir spricht dagegen der Hörer, den das Publikum stört H. t. W.
T2S
da nicht im geringsten geeinigter als bei irgend einer andern Anfftüinmg.
So war es auch jüngst beim Bachfest in Leipzig. Die Stadt trägt das
gewöhnliche Aussehen, die Zuhörer zerstreuen sich nach jedem Konzert.
Wo ist da das Festliche? Wie anders Bayreuth! • • •
Man hat auch den Bau des Konzertsaales reformieren wollen und glaubt
durch ünsichtbarmaohung der Künstler und Verdunkelung des Saales
grössere Stimmung zu erwecken. Jemand schrieb, man müsse staunen,
dass man so spät darauf käme, Wagners Anordnungen fitr das Theater im
Konzertsaal anzuwenden. Man staunt vielmehr darüber, dass man Wagner
so missverstehen kann. Jene Anordnungen waren doch eben für das Theater,
sie passen gar nicht in den Konzertsaal. Aber „Vereinigung der Künste^
wird heute vielfach als jene von unserem Meister gerügte „Vermischung
der Kunstarten^ verstanden.
Im Theater steht das Bühnenbild vor dem Zuschauer als die „sichtbar
gewordene Musik''. Das Orchester muss unsichtbar bleiben, damit es sym-
bolisch wirkt, sehen wollen wir nur das Drama. Was sehen wir nun im
Konzertsaal, wenn die Ausftlhrenden unsichtbar sind? Eine Wand. Irgend
eine unveränderliche Dekoration, die zu der gehörten Musik keinen Bezug
hat. Um konsequent zu sein, müsste man wenigstens diese Dekoration
dem Charakter der Musik entsprechend ändern, denn was soll eine rote
Wand, wenn die Musik „rosa'' ist? Oder ein griechischer Tempel, wenn ein
christlich-religiöses Werk gespielt wird? Eigentlich wäre das nur in der
Form möglich, wie Liszt sich die Aufführung seiner Dante-Sinfonie zuerst
dachte: durch VorfEÜirung congenialer Bilder während der Musik. Aber
dann müsste das Werk von vornherein für solche Darstellung konzipiert
werden. Die „Neunte" etwa auf solche Weise au&uführen wäre unmöglich.
Aber selbst wenn das Problem einer passenden Verdeckung gelöst
werden sollte, in der Instrumentalmusik und der nicht dramatischen Vokal-
musik haben wir das Bedürfnis, den Ausführenden zu sehen. Nicht etwa
aus Neugierde, sondern aus richtigem künstlerischen Gefühl. F. von Haus-
egg er sprach sich schon in „Musik als Ausdruck" gegen die Unsichtbar^
machung des Künstlers aus: ,,Wir verlangen, mehr oder weniger bewusst,
dass sich die Musik, die unser Ohr empfängt, als menschlicher Ausdruck
darstelle." Auch Laser neuerdings („Der moderne Dirigent") teilt diese
Meinung, brauchte aber nicht einmal die Eitelkeit der Künstler in Betracht
zu ziehen, die als äusserliches Moment in höheren Kunstfiragen gar nicht
beachtet werden darf — es hätte dann mancher Künstler, namentlich
manche Künstlerin, Grund,. unsichtbar au&utreten — sondern wir brauchen
nur an Goethe's Ausspruch zu denken: „wir wissen von keiner Welt,
als im Bezug auf den Menschen ; wir wollen keine Kunst, als die ein Ab-
druck dieses Bezugs ist." Eine Musik hinter der Wand hat keinen Bezug
auf den Menschen, sie könnte ja dann ebenso gut von automatischen In-
stramenten hervorgebracht werden.
^6
^Aber der Hörer soll nicht durch die Person des Künstlers s^streut
nnd abgelenkt werden.^ Nim, ich meine : eine BeschäAdgang mit den Ans«
f^lhrenden ist noch nicht das Schlimmste fOr den Hörer. Der Anblick einer
Eünstlerschar, die ihre Ejraft nnd ihr Können i&r das Kmistwerk einsetzt,
hat nichts Kleinliches. Womit beschäftigt sich aber der oberflächliche Hörer,
wenn er die Künstler nie sieht? Sehr richtig sagt Laser, wer keine Fremde
an der Musik hat, den wird man auch mit G-ewaltmitteln nicht dazu zwingen.
Wer sich im Konzert konzentrieren will, kann es, auch bei offenem
Podium. Wer sich leicht zerstreuen lässt, fOr den wachsen die Gefikhren
nur, wenn er das Podium nicht zu sehen bekommt. Wie Victor Hugo sagt,
gibt es für die Menge nichts Interessanteres als eine Wand, hinter der
etwas vorgeht. Macht sich ein Dirigent lächerlich, so ist das seine Schuld,
deshalb brauchen wir nicht die Konzertsäle umzubauen. Einen Bülow
beim Dirigieren nicht zu sehen, hiesse eines beredten Kommentares ver-
lustig gehen. Jede Bewegung war bei ihm unwillkürlicher Ausdruck seiner
Kunstempfindung ; und diese mitempfinden, wäre kein künstlerischer Genuss ?
Man will aber auch den E3ang des Orchesters mehr in einander
schmelzen, die zauberhaften Wirkungen Bayreuths auch im Konzertsaal
gemessen. Das könnte nur in modemer Musik passend sein. Berlioz,
der auch etwas davon verstand, betont gerade die Notwendigkeit des Kon-
trastes, der durch die Entfernung der verschiedenen Instrumenten-
gruppen entsteht. Beethoven rechnet entschieden auf diesen Kontrast.
Durch die Wagnersche Aufstellung sollen aber die Gruppen gerade ver-
schmolzen werden. Diese Verschmelzung bildet ja eben den tie&ten Gegen-
satz zwischen dem modernen und dem a^ten Instrumentationsstyl.
Die ITnsichtbarmaohung des Podiums ist also weder künstlerisch
gerechtfertigt noch praktisch durchführbar und würde nur zu Spielereien
fahren, wie auch die Verdunkelung des Saales, die — bezeichnend genug —
öfter von mittelmässigen Künstlern probiert wird. Sie erhöhen dadurch
die Wirkung ihres Spiels durchaus nicht. Im Gegenteil, ein dunkler Saal
und solche Musik — es gibt kein besseres Schlafmittel. Das Hübscheste
ist dann, wenn am Schluss jeder Nummer der Lichterglanz wiederkehrt,
wie eine Aufforderung: Plaudite, amicij commedia finita e$t Wenigstens
müsste die Dunkelheit des Saales eine gleichmässige sein, von Anfang
bis zu Ende des Konzertes. Das wirkt aber so deprimierend, dass es
dem künstlerischen Genuss entschieden hinderlich ist. Anders ist es in der
Kirche, wo eine mystische Beleuchtung natürlich wirkt. Wer nicht in
seiner Kunst Suggestionskraft hat, wird sie nicht durch Dunkelheit ge-
winnen, wer sie hat, wirkt trotz Helligkeit. Aber auch hier wird Wagner
missverstanden: die Verdunkelung im Theater ist doch nur partiell, die
Bühne steht als erleuchtetes Bild da, nur um dieses Bild nicht falsch zu
beleuchten und es plastischer hervortreten zu lassen, ist der Zuschauerraum
verdunkelt. Es fragt sich, ob das Vorspiel zu den Meistersingern nicht
etwas an Frisdie y^liert, wenn es im dunkeln Baum gehört wird. Was
man dnroh alle diese Yersache anstrebt, wäre nur zu erreichen in Anf-
.iühnmgen, wo man der einzige Zuhörer wäre, wie der edle König von
Bayern sie liebte.*)
Viel wichtiger als alle diese Fragil ist die eines stylvollen Programms,
mit deren Belenohtong ich diese Betrachtungen schliess^i will.
Im Ennstwart (XYII., 15) habe ich bereits Einiges darüber gesagt,
das ich hier nur ergänzen werde. Porges hat in seinem ob^i erwähnten
Aufsatz auch davon gesprochen, hie und da m^kt man bei Kritikern eine
Beachtung dieser Frage. Aber es wird noch zu einseitig die Wahl der
Werke betont und zu wenig die Zusammenstellung. Ersteres ist aber
viel leichter als letzteres. Ein Programm muss ein Ganzes sein, wie ein
symphonisches Werk : es muss eine Idee haben, einheitlich sein, Kon-
traste enthalten und eine Steigerung, „^iel verlangt!^ Freilich. Aber
weiss man, wie demoralisierend Mischprogramme wirken? Am schlechtesten
werden wohl die Programme von Qrchesterkonzerten komponiert. Be-
merkenswerte Programme macht Kapellmeister Lorenz in Gotha, z. B.
Don Juan-Strauss, Faustouvertüre-Wagner, Faustsymphonie-Liszt. Erstens
müssten die Solisten ausgeschlossen werden, denn abgesehen davon, dass
ihre Stücke nur zufidlig sich stylgemäss in das Programm einfügen, dass sie
of)} durch Stückchen oder Liedchen kleinen Genres die Yorfiihrung von
grossen Werken unterbrechen, bilden sie den höchst verderblichen An-
ziehungspunkt fär das Publikum. Dieses kommt dann des Solisten wegen
und bringt den Hauptwerken des Programms nur ein schwächeres Interesse
entgegen. Noch schlimmer wird es, wenn zwischen den Orchesterwerken
Lieder mit Klavierbegleitung oder Klaviersolostücke eingeschoben werden.
Die gehören durchaus nicht in solche Konzerte, sie gehören zu einem ganz
anders gearteten Style, der hier höchst störend oder kleinlich wirkt.
Dann ist es sehr schwer, die richtige Stellung für eine Novität oder
ein modernes Werk zu finden, wenn ausserdem klassische Werke gespielt
werden. Diese ans Ende des Programms zu setzen, ist jedenfalls mieidich.
Porges hatte Becht, dass man Liszt und Haydn, Strauss und Mozart nicht
im selben Konzert aufftlhren sollte. Aber die Dante-Symphonie zuerst
und danach die Jupiter-Symphonie zu bringen, ist doch noch schlimmer.
Der Anfang eines Konzertes ist eins der schwierigsten Probleme.
So hörte ich einmal ein Konzert, das mit dem Tannhäuser-Bacchanale (ohne
die vorausgehende Oaverture) begann! Das war einer der seltsamsten
Konzertanfilnge, die ich gehört. Man denke nur an den ersten Akkord
und die ganze Stimmung. Das Schwerste an einem Konzertanfang ist:
*) Wir lassen hier dem Eflnstler das freie Wort, ohne diese Frage danit nnsererseiU
«itschieden haben su wollen. Es ist eine Sache des Eindmcks, und wer Ihn noch nicht
hatte, kann nicht nrteiien. Der Eindruck des Künstlers aber ist als solcher immer beaehtens-
wett. I>. Bei.
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Stimmung zu erwecken. Hastig yerlässt man die Arbeit, das Hans, eilt ins
Eonzert und ohne sich im geringsten gesammelt zu haben, zerstreut doroli
Begrüssung Bekannter etc., lässt man die Musik über sich ergehen.
Wir sind so abgestumpft durch das grossstädtische Leben, dass wir
wohl kaum noch wissen, was Stimmung ist. Darum können so viele
nicht begreifen, weshalb unser Meister den Parsifal nicht in Qrossstftdten
aufgeföhrt wissen wollte. Sehr prägnant hat Goethe diesen Zustand
gekennzeichnet, als er nach längerer Abwesenheit die „Grossstadt" —
Frankftirt wieder besuchte. „Sehr merkwürdig ist mir au%efidlen, wie es
eigentlich mit dem Publike einer grossen Stadt bescha£fen ist Es lebt i n
einem beständigen Taumel von £rwerben und Verzehren
und das, was wir Stimmung nennen, lässt sich weder her-
vorbringen noch mitteilen. Die Poesie verlangt, ja ge-
bietet Stimmung, sie isoliert den Menschen wider seinen
Willen.« (An Schiller.)
Eine Symphonie (oder eine Sonate) zu Anfang zu setzen ist unge-
schickt, weil die Zuspätkommenden die Sätze durch gezwungene Pausen
trennen und die Stimmung zerstören. Es muss noch durchgeführt werden,
dass zwischen den Sätzen eines cyclischen Werkes die Saaltüren geschlossen
bleiben. Siegmund von Hausegger geht in seiner ernsten Eunstauffassung
so weit, dass er auch den Applaus verbietet^). Der Applaus ist aber doch
manchmal ein unwillkürlicher Ausbruch der Begeisterung, tmd wird dieser
durch „Gesetze« zurückgedrängt, das wirkt dann wieder verstimmend.
Früher war es so sehr „Sitte«, wenn die Symphonie zum Schluss kam,
dass ein grosser Teil des Publikums den Saal vor dem letzten Satz
verliess, dass der immer erfinderische Bülow „zum Schutz« der Symphonie
dieser eine Ouvertüre folgen liess. Jeder blieb nun bis zur Ouvertüre!
welches Eind doch das Publikum ist.
*) Dieser Tortrefflicbe Eflnstler yerfolgt energisch eine Reform der Programme nnd
soll in den mS^^^o^^^i^ Monatsheften*' bemerkenswerte Aosseraogen darflber gemacht
haben. D. Vert
Die Nachricht, auf welche der Verfiisser sich stfltst, war nicht gans korrekt An!
den Hanseggerschen Programm findet sich die Bemerkung: ,1m Interesse des einheitlichen
Eindmcks der Werke wird gebeten s wischen den einzelnen S&tcen der Symphonien
Ton Beifalls&nssemngen freundlichst absehen zu wollen* und in seinem Aufsatz: ȟeber
Konzertprogramm" in den »Sflddeutschen Monatsheften* I, 12 sagt der Eflnstler: »Eng in
Besiehung zu dem Bestreben nach einheitlichen Programmen steht die Forderung, wo ein
besonders inniger Zusammenhang zwischen den Sätzen einer Symphonie herrscht, dieiai
nicht durch grosse Pausen und stimmungstOrendes Hineinapplaudieren zerreissen zu lassen.
Wie anders wirkt auf den zweiten Satz der V. Symphonie von BeethoTen der Eintritt des
Scherzos nach einigen Augenblicken schweigender Gespanntheit; gar nicht zu reden Ton den
dnzelnen Sätzen der Neunten. Es ist bekannt, dass Bolow bei den letzten Sonaten Beet*
hoTcns den selben Modus beobachtete." Dem ist Tollkommen beizustimmen. H. T. W.
Zn wenig wird auf den Kontrast der aufeinanderfolgenden Stücke
geachtet. Selbst die Sänger, die heute bei weitem die besten Programme
machen, verfallen oft in Monotonie. Neulich hörte ich in einem Konzert
drei grosse Werke nach einander in der selben Tonart: Chopins F-moll-
Konzert, Liszt's Ideale (F-dur), Brahms' F-dur-Symphonie. Gounod
sagte: wenn das Orchester eine Zeit lang in einer Tonart gespielt hat,
dann steht das ganze Haus, jeder Stuhl in der selben Tonart. Noch be-
denklicher natürlich ist die Monotonie im Charakter der Stücke.
Was die Wahl der Werke betriöt, so wird von mancher Seite zu
viel Wert auf Novitäten gelegt. Gewiss ist die Langweiligkeit und
Gleichförmigkeit der meisten Programme kaum zu ertragen. Aber mit der
Aufführung von Novitäten, weil es Novitäten sind, ist dem auch nicht
abgeholfen. Porges hat eine ernste Mahnung ausgesprochen: nicht aUes
Neue bedeutet einen Fortschritt. Man hütet sich sorgfältig vor dem Fehler
früherer Zeiten : das Genie bei seinen ersten Begungen zu verkennen und ver-
fällt ins andere Extrem. Stagnation ist zu vermeiden, aber in der modernen
Sehnsucht, Gier nach „Neuem" ist etwas Ungesundes, Müdes*). Woher
diese Sucht nach dem Neuen, nach einer „grossen, modernen Kunst''?
Haben wir etwa Bach, Beethoven, Wagner, bereits „überwunden"? Ge-
nügen diese unserem weltumspannenden Gefühl nicht mehr? Man wird
mich einen Reaktionär schelten und mir entgegnen, dass solche Ansichten
die Entwicklung der Kunst aufhalten. Ich glaube zwar, dass keinerlei
„Ansichten" irgend eine Entwicklung beeinflussen können, aber wenn eine
Generation gar zu leichtsinnig über die Meister der Vergangenheit hinweg-
hüpfl,^*) so verliert man das Interesse an ihrem Streben. Wenn man heute
schon von einem „Jenseits von Wagner und Liszt", von „Strauss contra
Wagner" spricht, so berührt das unheimlich. Aber der moderne Mensch
„lebt rasch." Er hat Wagner schon „überlebt".
Am besten wäre es, wenn die Versuche unbekannter oder wenig
bekannter Komponisten in eigens dafür eingerichteten Konzerten zui:
AufiEtlhrung kämen, wie die (eingegangenen) Konzerte von B. Strauss waren
und wie neuerdings Busoni und die Konzertdirektion Wolff veranstalten.
Das künstlerisch unbedeutende Besultat aller dieser Konzerte, was neue
Namen betrifft, lässt die Scheu des Publikums wie der Konzertgesell-
schatten vor Novitäten durchaus gerechtfertigt erscheinen. Im besten Falle
handelte es sich um Talentproben, die etwas „versprechen" und wohl eine
Aufführung verdienten, die aber mehr dem Komponisten als dem Publikum
*) „Das Neael Wir Mhnen hob nach ihm wie nach dem Qlack selbst" „Nichts ver-
altet so schnell wie das Nene.*' Ä. Ton Gleichen-Russwnrm, 1. c. Dagegen Qoethe: „Das
Neue ist meistens nur eine unangenehme Störung/*
'^*) Es hiess neulich in einer Kritik, man könne nicht leugnen, dass einiges in Beethoyens
8. Sinfonie feraltet sei, es sei aber noch nicht so weit, dass man einen Beethoren in
seiner Gesamtheit als veraltet empfinden könne.
so
nützte, äympaihisch berührt in der zeitgenössiisclien Produktion der An-
schloss an grosse Ideen, das Interesse des Masikers an allen Geistesfragexiy
das Eingen nach einer Weltanschaunng und ihrem Ausdruck in der Musik.
Auf der andern Seite aber hat das wieder den Nachteil , dass jeder Jüng-
ling sich verpflichtet und i&hig fühlt, die tiefsten philosophischen Probleme
zu berühren ; dann kommt wohl jenes weltschmerzliohe Gebahren zur Schau,
das unser Meister so köstlich belächelt hat.
In den andern Konzerten, deren Zweck die Yorfiihrung der Meister-
werke aller Zeiten ist, sollten nur solche Novitäten Platz finden, die keine
blossen Versuche bedeuten, sondern vollendete Produkte eines bedeutenden
Menschen sind. Tief zu beklagen ist gewiss die Bequemlichkeit der meisten
Pianisten, die immer wieder nur die populärsten Werke der populärsten
Komponisten wiederholen. Darin beschämen uns wieder die Sänger. Auch
die Gleichgiltigkeit gegen Kollegen ist verdanmienswert , jeder spielt nur
seine eigenen Sachen. Lächerlich ist es dann wieder, wenn Anftnger oder
Stümper sich einen Namen machen wollen durch AufOtlhrung von Novitäten.
Denn hierzu gehört Autorität und vollendete Kunst.
Eine Sorte Konzerte müsste vom künstlerischen Standpunkte aus ge-
brandmarkt werden, da sie in der Au&tellung eines wahren Salatprogramms
den Gipfel erreichen. Sie nennen sich „EUte -Konzerte", auch „Künstler-
Konzerte" (als wäre der Best „Plebs" und „Handwerker"). Zu diesen Kon-
zerten werden etwa ein halb Dutzend „erster" Künstler angefordert, die
ungemein viel Publikum „anziehen", da spielt und singt dann jeder seine
Paar Stückchen ab und — man ist „sehr erbaut davon."
Aber die besten Künstler lassen sich dazu herbei. Auch einer anderen
unkünstlerischen Unsitte beugen sie sich: der „Zugabe." Die Begeisterung
wächst gewöhnlich bis zum Schluss, oft bricht sie sogar erst dann aus.
Der Schluss wirkt magisch auf das Publikum, da besinnt man sich plötzlich,
dass man sehr begeistert ist. Und nun ruht man nicht eher, als bis der
Künstler wie ein Zirkusreiter das letzte Kunststück immer noch überbietet
Und er merkt nicht, wie wohlfeil diese „Schlussbegeisterung" ist und tele-
graphiert: enormer Erfolg, sechs Zugaben. Genau im selben Style wie
in Spanien die Telegramme über Stiergefechte: glänzende Stiere, zwölf
Pferde getötet. Nach einem einheitlich komponierten Programm noch Zu-
gaben zu spielen, ist eine Sünde.
Auf die Frage, ob denn nicht die Bedakteure die Zeitung dirigieren,
antwortet ein Journalist bei Ibsen: „ach nein, wer die Zeitung dirigiert,
das sind die Abonnenten."
Anwendung auf die Konzertprogramme .... —
81
Die Bedeutung des Griechentums fOr unsere Kultur.
ünvergesslich ist es mir, wie ich einst auf dem Meere von Syrakas
nach Porto Empedocle fuhr und plötzlich anf der Höhe die lange Beihe er-
habener Tempel des alten Agiagas auftauchte, die ein so beredtes Zeugnis
für hellenisches Schönheitsgefilhl ablegen. loh schrie beinahe auf beim
Anblick und meine Seele wogte hin und her. Denn der Eindruck war
überwältigend.
So geht es jedem, der sich der hellenischen Kunst nähert. Es gibt
jetzt eine Tendenz bei uns die alles Fremde ftir minderwertig erklären
möchte, die speziell das Griechentum fitr einen überwxmdenen Begriff hält,
die meint, man köime von den Hellenen nichts lernen.
Aber mir scheint, die Bedeutung griechischer Kunst und Lebens-
weisheit ist noch lange nicht genug gewürdigt und ausgeschöpft, und wir
gehen eher einer Periode entgegen, wo sich das Verständnis fiir das hel-
lenische Wesen vermählen wird mit der Liebe zum germanischen Geiste,
und wo aus dieser Ehe ein schönes Kind hervorgehen wird, wie die Welt
noch keines gesehen hat.
Heute schilt alles auf das Gymnasium , und mit Recht. Denn sein
Geist ist aUmählich ein unhellenischer geworden und der grammatische Drill
herrscht dort in einer Weise, die den Sinn f^ die Kalokagathie erstickt
Aber man hat darin unrecht , dass man die Schuld bei der Beschäftigung
mit den Griechen sucht , wo man seine Augen ganz wo anders hin lenken
sollte. Gerade das griechische Altertum ergänzt unsere Kultur in glück-
lichster Weise. Die Beschäftigung mit den Bömem trägt nicht halb den
Gewinn und ist beinahe entbehrlich. Das Griechentum aber nimmt in
seinen Wirkungen eher zu als ab.
Gerade die grossen Geister, die ihrer Zeit voraus waren und der uns-
rigen als geistige Führer dienen, ein Goethe, ein Schiller, ein Humboldt,
Herder, Winkelmann u. a. sahen einst mit staunender Bewunderung auf die
Griechen. Für einen Griechen zu gelten war bei ihnen das höchste Lob.*)
Die Alldeutschen schmähen auf die Griechen und suchen sie zu ver-
kleinem. Aber so lobenswert ihre Begeisterung für alles Einheimische sein
mag, so sind sie doch zu tadeln^ dass sie in blinder Wut und verblendeter
^ In d«r Tonflgüchen „Geschichte der deutschen Eultor'' Ton Steinhausen findet
man folgende Stelle (S. 164): „^ie bewusst der Renaissancegeist schon in der Zeit der
Ottonen snm Ansdmck kam, leigt das Schreiben, in dem Otto Gerbert am belehrende
IJnterweisnng bat und ihn ersnchte, „gegen die Roheit unserer sftchsischen Natur schonungslos
BU terlahren, in uns aber su bdeben und aussubilden, was uns Ton griechischer Anmut
und Zierlichkeit beiwohnen möchte."* „Erweckt in uns den Oriechengelstt*'
32
Einseitigkeit ein Bildungselement bekämpfen nnd einen Einflnss herab-
setzen, der zur Schaffiing einer germanischen Eultur wichtig ist.
"Wir Germanen verdanken allen Völkern Anregung und Belehrung und es
ist nicht unser geringster Euhm, dass wir gern von anderen gelernt haben
und es freudig anerkennen: es ist kein Grund vorhanden jetzt von der
alten guten Sitte abzuweichen.
In welchen Punkten können wir nun auch heute noch von den Griechen
lernen ? Da f&llt gewiss jedem sofort die Betrachtung der Kunst ein. Aber
wie wenig zehren wir im Grunde heute von ihr! Ja, jeder kennt freilich
die berühmtesten Statuen, eine Venus von Milo oder einen Hermes des
Praxiteles: aber ein eindringendes Verständnis frtr das Wesen der griechi-
schen Kunst findet man selten. Das ist ja auch auf dem Gymnasium nie
gebracht worden.
Ich stand einmal auf der Akropolis mit einer deutschen jungen Dame
und bewunderte die herrlichen Jünglinge zu Pferde vom Zug der Pana-
thenäen, die in dem kleinen Museum zu sehen sind. Aber meine Beglei-
terin hatte offenbar keinen Sinn für die Schönheit. Ja, wären sie in Uni-
form gewesen, mit Epauletten und Fangschnüren, dann hätte sie sich
wahrscheinlich auch für sie erwärmt. Die Freude am Nackten ist etwas
bei uns ganz Unbekanntes. Bei uns hat Nackheit gern den Begriff der
Entkleidung und daher etwas Anstössiges. Aber dies ist erst im Laufe
der Zeit so gekommen. Die alten Germanen zeigten sich noch gerne nackt
und wir selbst gehen augenscheinlich nach einer Periode, wo die E3eidung
eine erzieherische Tätigkeit hatte, nachdem der Zenith offenbar schon im
18. Jahrhundert überschritten ist, zur Natur mehr und mehr zurück, wie
der Fortschritt beweist, den die Freiluftbewegung (selbst bei Frauen) macht.
Ohne Sinn ßXr die nackte Schönheit ist ein Verständnis frlr Plastik
schwer möglich. Wir nähern uns also der griechischen Auffassung, wenn
wir Sorge tragen, dass man schöne nackte Körper zu sehen bekommt.
Freilich müssten diese Körper auch entsprechend ausgebildet werden , wie
es in Griechenland der Fall war.
Es wird berichtet, dass der Feldherr der Athener einige gefangene
persische Krieger entkleiden liess, um seinen Landsleuten ihre nackten
Körper zu zeigen und dass ein allgemeines Gelächter bei den Griechen
entstand, als sie den Mangel an systematischer Ausbildung der Muskeln
bemerkten. Die selbe Verachtung würden sie höchst wahrscheinlich uns
beweisen und würden uns fragen, warum wir denn unsere Schulen „Gym-
nasien" nennen, wenn wir dem Worte, das doch von „gymnös, nackt"
kommt , entsprechend nicht leben wollten. Freilich , eins geht mit dem
andern. Die Griechen schämten sich nicht ihren nackten Körper beim
Spiele zu zeigen , weil sie wussten , dass sie sich seiner nicht zu schämen
brauchten. Wir aber haben eine instinktive Furcht uns zu entblössen, weil
wir fürchten uns unseres hässlichen Köipers schämen zu müssen. Wir
88
bedürfen einer raffinierten Kleidung, mn etwas vorzturtellen und nng ein
Belief zu geben. Man denke sieh einmal beim modernen Menschen den
Anzng weg and es bleibt nioht viel übrig.*)
Daher hat anch die griechische Knnst die edle Einfachheit and stille
Grösse, die wir vergeblich nachzuahmen suchen. Daher hat alles bei ihnen
eine gewisse Emythmie, die wir so selten in modernen Schöpfiingen finden.
Die Griechen wagten es Genie zu haben (wie Cbamberlain sagt): daher
erstreckte sich ihre künstlerische Intuition auf alles , was wir mühsam mit
dem kritischen Verstände zu erfassen trachten und so selten erreichen.
uns fehlt nur zu sehr der Schönheitssinn, weil wir uns von der Durch-
dringung durch griechisches Wesen frei gemacht haben. Man sehe sich
doch die neue dekorative Kunst des Jugendstiles an, diese unschönen Linien,
dieses Bizarre xmd Gesucht-e, Gezierte, Geschnörkelte und Gekünstelte
ist geradezu das Gegenteil des griechischen Geistes, der maassvoll, einfach
und voller Grazie war. Der Grieche war ein geborener Künstler, wir
qu&len uns den Sinn für die Kunst erst an.
Wir haben heute das Charakteristische in der Kunst ausgebildet, wir
malen Armeleutekunst, wir schrecken nicht vor Darstellung des HässUchen
zurück. Aber die Griechen hfttten sich mit Schauder von solchen modernen
Darbietungen abgewendet, weil ihr Schönheitssinn durch solchen Anblick
beleidigt worden wäre. Ihr Ideal war die reine Schönheit, unseres ist das
Charakteristische, ihr Ideal war der reine Typus, wir sind mehr für das
Individuelle, für das Spezifische.
Aber wir sollten schon in der Jugend lernen das Grosszfigige, das
Monumentale, in der heUenischen Kunst zu verstehen und zu bewundem.
Die besten Erzeugnisse des griechischen Schönheitssinnes sollten in der
Schule an den Wänden hängen, ein Eros von Centocelle, ein Zeus von
Otricoli, der Kopf der Aphrodite von Berlin u. A. Mit Entzücken denke
ich heute noch an die Zeit, die ich vor dem Kopf der Aphrodite des Lord
Leaconfield in Petworth zugebracht habe, oder der Demeter von Ejiidos im
British Museum. Gibt es eine vollkommenere Darstellung des Begrifis der
mütterlichen Matrone, der „guten Göttin", der Mutter schlechthin als diese
Demeter, die um ihr Kind trauert, das ihr entrissen ist? Ist es nicht die
Darstellung der heutigen Menschheit, die das verlorene Paradies sucht?
Das Urbild der mater dolorosa?
*) Das ist gewiss zn befürchten I Man kann aber wohl den Körper gesund und schön
ausbilden, ohne dass er deshalb unserem nordischen Klima und allen daher abgeleiteten
jahrhundertalten Sitten zum Trotz sich in einem doch uns innerlich fremden Sinne griechisch
— nackt — produzieren mOsste. Es hat doch wohl einen tieferen, nicht so leicht durch
Zucht zu beseitigenden Grund, dass wir das Nackte als Entkleidung empfinden. Und sollen
wir denn ku den urgermanischen Bärenhiutem zurfickkehren, um Idealmenschen zu werden? —
Ich kann die Ansichten des werten Mitarbeiters nicht ganz teilen, wenn ich auch es sehr gut
finde, der barbarischen Verachtung des Oriechentnms entgegenzutreten. fi. ▼• W.
3
64
Wo aber fänden wir heute eine beseligende Statue wie die des olymp-
ischen Zeus, zu der man von weither pilgern möchte, um sich an ihrer
Erhabenheit zu weiden?
„Wenn die Menschen es als ein Unglück empfanden (sagt der englische
Aesthet Professor Pater in seinen griechischen Studien, Verlag E. Die-
derichs), wie Arrian uns erzählt, zu sterben, ohne den Zeus zu Olympia
gesehen zu haben, so lag das daran, dass die Menschen dort den Eindruck
dessen zu erproben wünschten, womit ihre Augen xmd ihr ganzes Empfind-
ungsvermögen ihn liebevoll umgaben; und der Genius von Phidias ver-
mochte es, das Gold und Elfenbein der körperlichen Gestalt mit der Milde,
der Weite und dem Lächeln des Himmelszeltes zu umfluten. Noch jetzt
leuchtet der milde Glanz aus dem Antlitz des Vaters aller Einder des
Sonnenscheines und des Segens; als ob eine der grossen weissen Wolken
sich in ihn gewandelt habe, und nun auf sie herablächelt aus Sommergluten
zur Mittagszeit; das war es, was die Griechen diese Dinge so warm, so
frisch, so himmelsblau empfinden liess, wenn sie jung xmd alt, krank oder
gesund zu ihm zogen, um sich in des Gottes geheiligter Nähe zu sonnen,
wenn bei feierlichem Umzüge die Hymnen erbrausten, in den dufterföllten
und geweihten Hallen des grossen Tempels zu Olympia; denn immer
sprachen zu dem Bewusstsein dieser Menschen aus dem Bilde des Zeus
nur rein menschliche Züge.^
Der Grieche lebte und webte in der Natur. Nur bei Verständnis für
das Naturleben kann ein künstlerisches Gefühl aufkommen. Wir aber in
den Grossstädten, wo unsere Kultur geschafien wird, sehen und hören
nichts mehr von der Natur. Wir leben in künstlichen, aber nicht in künst-
lerischen Verhältnissen, gerade umgekehrt wie die Griechen.
Ein Kind der Grossstadt kennt weder Waldweben noch Meeresrauschen,
es kennt weder die einheimischen Gewächse noch die Tiere des Feldes
anders als durch Abbildungen. Weim ein Berliner Kind einmal auf dem
Lande eine Kuh brüllen hört, behauptet es, ein Löwe habe gebrüllt, weil
es vom zoologischen Garten her den Löwen besser kennt als die Kuh.
Kein Wunder, dass der Sinn für die Heimat, ja für die Basse eben so wenig
entwickelt wird wie das Beobachtungsvermögen. Ein modemer Deutscher
ist beinahe ein Fremder auf seinem eigenen Grund und Boden, weil die
„Bildung" ihn systematisch verdummt und verdirbt.
Alle echte Kunst aber geht von der Anschauung aus, alle wahre
Philosophie von der Erfahrung, alle Weisheit von sinnlichen Vorstellungen.
Das machte die Griechen so gross, dass sie wohl viel Kultur, aber wenig
Zivilisation hatten — umgekehrt wie bei uns.
Bei uns gibt man einem kleinen Kinde ein kompliziertes Spielzeug,
eine kostbare Puppe — daher kann sich seine Phantasie nicht entwickeln.
Das griechische Kind spielte mit einer einfachen Tanagrafigur, aber sie ge-
nügte ihm zur Anregung. Wurde es älter, lernte es den „König der
Dichter", den Homer, keimen und zuletzt ward es in die „Musik" ein-
geftübrt. Wir aber unterdrücken das natürliche Bedürjftiis des Kindes nach
freier Betätigung seiner Phantasie, wir lassen seine Fähigkeiten durch eine
pedantische Schulmethode verkümmern und spannen seinen wissbegierigen
kleinen Geist in die spanischen Stiefel einer geschraubten Systematik, die
seine Natürlickeit verhindert sich zu entfalten.
Lernen wir doch von den Griechen zur Kunst d. h. zum Können er-
ziehen. Hören wir endlich auf beständig in das Kind hineinzustopfen,
statt es zu freier Tätigkeit zu erziehen! Nichts ist hier besser als der
Werkunterricht, der die Kinder zu kleinen Künstlern macht.
Hören wir, was ein berufener Vertreter der Zukunftspädagogik, der
Schulinspektor Scherer in Büdingen (Hessen) darüber in „Kind und
Kunst", Monatschrift für die Pflege der Kunst im Leben des Kindes,
Dezember 1904, sagt: „Die Schule hat zu der technisch - künstlerischen
Bildung in der selben Wei^ den Grund zu legen, wie sie es für die geistige,
sittliche, religiöse und wirtschaftliche zu tun hat; sie hat auf Grund der im
Kinde liegenden Keime den jungen Menschen zum künstlerischen Geniessen
und Schaffen innerhalb der bescheidenen Grenzen des Nichtkünstlertums
und der dem Menschen gesetzten Lebensau%abe vorzubereiten. Künstle-
risches Geniessen und künstlerisches Schaffen aber ist nur möglich, wenn
der Geniessende und Schaffende das Technische des betreffenden Kunst-
zweiges, hier der bildenden Kunst, kennt und sich die Elemente der selben
durch eigene Arbeit angeeignet hat; das soll in der Schule durch den
Zeichen- und Werkunterricht geschehen.
Der Zeichenunterricht mit seiner Darstellung auf der Fläche kann allein
die gestellte Aufgabe nicht lösen ; er bedarf dazu der Ergänzung durch die
plastische Darstellung im Werkunterricht. Das Auge muss im richtigen
Sehen und Beobachten, die Hand im Tasten und Fassen geübt werden,
damit die durch das Auge vermittelten flächenhaften Gesichtsbilder zu
körperlichen werden; durch das Zusammenwirken von Auffassen und Dar-
stellen mittels Auge und Hand entsteht das plastische Kunstwerk. In ihm
Riegeln sich die Tastgefähle und Bewegungsvorstellungen, die bei seiner
Herstellung mitwirkten, wieder, auf Grund dieser sinnlich wahrnehmenden
Spuren vollzieht der Geniessende dann die innere Nachahmung, um das
fertig Dastehende wieder zum eigenen Erlebnis zurückzuführen. Für das
plastische Schaffen in der Kunst, im Handwerk und im künstlerischen
Dilettantismus aber ist das plastische Darstellen, das Formen, die beste
Grundlage; denn die geübte Hand hat ein bestimmtes Gefiüü daftlr, mit
welcher Kraft und in welcher Art sie ein Werkzeug an einem zu be-
arbeitenden Gegenstande anzusetzen hat. Angeboren sind dem Menschen
und mit seiner Entwicklung entstehen nur eine kleine Zahl der für die
Au%abe des Lebens und der Kultur nötigen Bewegungsformen, die meisten
und besonders die zweckmässigen und komplizierten müssen durch An-
■ »
passimg und üebnng erlernt werden ; das aber mtiss in der Jugend ge-
schehen, solange Mnskehi nnd Nerven noch bildongsffihig sind. Dnich
den Werknnterricht sollen Ange nnd Hand geübt werden; es soll der im
Kinde liegende und sich im Formen von Ton und Sand betätigende Gb-
staltnngstrieb befriedigt, und die Grundlage zur teohnisch-künsÜerisdien
Bildung gelegt werden'^.
Also, wollen wir ein künstlerisches Volk werden, wie dieGhiechen^
so müssen wir auch von unserer pedantischen grammatikalisch-scholastischen
Erziehung abgehen und die „formale Bildung'' in etwas ganz anderem
suchen als bisher. Die formale Bildung der Zukunft wird vielmehr
bestehen in der Hervorbringung der Fertigkeit geeignete Gegenstände des
Sachunterrichtes (z. B. Tiere, Pflanzen, Waffen, Geräte und dergL) in Ton
darzustellen. Durch dieses Arbeiten erhält dann bei dem Kinde der be-
treffende Gegenstand einen besonderen sittlichen Wert, und es kommt
zum Bewusstsein seiner Kraft und LeistungsfiLhigkeit Es erkennt, dass
es nicht genügt Gtedanken zu haben, sondern dass man sie auch in Taten
umsetzen muss.
Das ist ja gerade einer unserer nationalen Fehler, dass wir nur
Theoretiker zu sein pflegen, weil wir nicht gelernt haben, unseren sittlichen
Willen gebührend zu betätigen. Wie ganz anders war da die Ausbildung
der Ghiechen ! Ihre „Musik^ war nichts Theoretisches, sondern rein pmktisch
wie die Gymnastik : sie erzeugte den opvq fcaldc ii dj^a&og^ den harmonisch
ausgeprägten Yollmenschen.*)
uns fehlt die Erziehung der Pythagoräer.^) uns fehlt der direkte
Einfluss älterer weiser Männer auf die Jugend, wie ihn ein Sokrates aus-
übte, und wie er in ganz Griechenland üblich war in dem anerkannten
Verhältnis der Zuneigung eines älteren Mannes zu einem Knaben. Die
Erziehung in Hellas war eine Erziehung zu Persönlichkeiten, heute ist es
eine zu Maschinen. Daher waren die Hellenen schöpferische Menscdien.
Ihr Ideal war das, welches Plotin als Quintessenz der Platonischen Philo-
sophie bezeichnet, das Gottähnlichwerden. „Das Seiende ist die Schönheit,
die andere Natur aber ist das Hässliche, das Hässliche und das ursprünglich
^ In den «BUUern fOr dentsche Eniehang* 1904 Nr. 11 findet sich ein schAner .Brief
ans England**, dem ich die folgende Stelle entnehme: ,,ünsere Schaler zn Qentlemen im
wahren Sinne des Wortes an erziehen, das mnss Ton jetst ab das Ziel unserer Schnlen sein ;
Ton jetst ab werde ich das griechische Kalos k' agathos immer mit ,,Gentleman'' abersetsen
lassen.** Ich abersetse es mit ,,Bitter.**
^) Man sncht jetst auf aDe mögliche Weise die Schule nnd die Erziehung in TOrbessem.
Aber noch niemand hat ernstlich daran gedacht, die asketische Schulung des Pythagoras zu
empfehlen. Seine Schaler mnssten 2 Jahre lang Schweigen beobachten, um Selbstsucht und
Denken zu lernen. Wie nötig w&re heute für die unreife Jugend, namentlich die weibliche,
eine solche Maassregel, wo in den höheren St&nden die ünfthigkeit förmlich pririlegiert und
Naseweisheit kOnstlich grossgesogen wirdl
87
Böse ist identisoh, so dass umgekehrt das wahrhaft Seiende zugleich gut
und schön, richtiger die Güte und die Schönheit ist.''
Die Griechen wurden somit keineswegs Air das Diesseits erzogen,
sondern für das Jenseits — d. h. für das Hervorbringen von Idealen, die
von den Weisen als die Gedanken der Götter erkannt wurden. Ihr Ideal
war also eigentlich christlicher als das moderne materiaUstische. Sie
waren, wie aUe alten Völker, ein psychisches Volk, sie sahen noch in die
jenseitige Welt, wie aus den neueren Untersuchungen (z. B. durch Bohdes
Psyche) klar hervorgeht.
Daher tut man ihnen auch unrecht, wenn man ihren Götterglauben
tadelt. Er beruhte auf ganz richtigen Beobachtungen. Sie verehrten grosse
Wesenbeiten hinter der Szene, die Seher auf geistigem Wege erkannt
hatten. Was wir etwa mit „Engeln'' bezeichnen, nämlich herrliche, grosse,
vergeistigte Wesen, welche die physische Materie bilden und beeinflussen,
das nannten sie Götter. Wenn sie z. B. vom Poseidon sprachen, so meinten
sie nicht, dass diese Gottheit bloss das Meer symbolisiere, vielmehr den
„astralen" Bestandteil des Wassers. Ich will diesen den modernen Ge-
lehrten noch fremden Gedanken etwas näher ausführen, weil man ohne ihn
die alte Mythologie gar nicht verstehen kann.
Nehmen wir an, es habe früher — wie es unzweifelhaft der Fall ist
— grosse Seher gegeben, die Blicke in das Jenseits tun konnten, so waren
die alten Völker in ihrem Glauben auf die grossen Männer angewiesen.
Diese nun sagten (übereinstimmend in allen alten Beligionen), dass hinter
unserer physischen Welt noch eine ätherische Welt sei, aus feinerem Stofie
bestehend, unseren gewöhnlichen Augen aber unsichtbar; hinter dieser
feineren Materie sei noch eine feinere u. s. w. Nun liegt es auf der Hand,
dass man gezwungen ist anzunehmen, dass in höheren Begionen das, was
in niederen als Geist erscheint, Materie ist und umgekehrt, sodass also
jedem Sto£F dahinter Geist entspricht. Diesen, wenn man so sagen darf,
individualisierten Geist, nannten sie die Götter. Es waren also geistige
Ejräfte, die auf der physischen Ebene als der hintere, innere, geistigere
Teil der Materie erscheinen. Keineswegs verehrten die Alten jemals die
Materie. Wenn die Philosophen, z. B. die sogenannten Hylozoisten, vom
ürsto£F sprechen und ihn als Wasser, Feuer etc. bezeichneten, so meinten
sie nicht das physische Wasser usw., sondern eine prima materies, die
mehr geistig war.
Dies können und müssen wir auch heute noch als richtig anerkennen.*)
*) Wer sein astrales Schauen aasbilden will, mass auch heute noch die selben üebnngen
machen, die in den alten Oeheimscholen Torgenommen warden. Die Alten waren ans des-
halb überlegen, weil sie besser die Natar der Dinge sahen, während wir alles aas Bflchem
schöpfen. Man nehme z. B. ein Samenkorn in die Hand and richte seinen Geist darauf^
dass es später wachsen wird, dann wird man schliesslich ein astrales Licht sehen, das durch
Prina erseugt wird. Dieses Urfener sahen die alten Philosophen. Von da bis cor Schaaong
der Gottheit (^tw^^) war dann nicht mehr so weit
S8
Wir haben gerade dadurch an wissensohafUioher Erkenntnis eingebässt,
dass wir die jüdischen Ansohannngen adoptiert haben, die von ihrem Einen
Gott-Schöpfer sprechen, aber die grossen Kräfte zwischen ihm nnd der
Erde wenig oder gar nicht berücksichtigen. Der Fortschritt der Znknnft
wird wesentlich darin bestehen,^ dass man diese grossen Kräfte als geistige
Wesenheiten wieder anerkennt und verehrt, dass man die Kluft zwisdien
dem Jehova und der Materie überbrückt.
Dass aber die besten der Ghiechen Gott als das allem zu Grunde lie-
gende ürprinzip , in dem wir leben , sind und uns bewegen , anerkannten,
geht aus vielen Stellen ihrer Schriften klar hervor. „Zefig iativ äi&fJQ, ZmDg
Si yti, Zd^g S* aögavog, Zsüg xoi td närra x^ '^^ ^^ StvnigiT^QW sagt
Aeschylos (Clem. Alex. Strom.) „Zeus ist die Erde, Zeus die Luft, Zeus
der Himmel, Zeus ist alles , und was über allem ist.^ Dass sie die Seele
Air unsterblich hielten, ersieht man aus den Lehren, die in den Mysterien
vorgetragen wurden : xXv&i fwi co nänp, ß-avfAU ßgottSv, rag äa^oiav jmS^op
tpvxclg höre mich, Vater (Dionysos), Staunen der Sterblichen, der du der
ewiglebenden Seele waltest (Melanippides 6). Ja, sie nahmen geradezu
den göttlichen Kern bei der Seele an, wie ihn auch Christus lehrte : „*E}yipov
&idg* «I dv&Q(MQ\) wird der Seele (bei Orpheus) zugerufen, wenn sie
durch die Weihen wieder göttlich wird. Denn die Mysterien waren die
griechischen Sakramente, welche die Wohlmeinenden und richtig Belehrten
heiligten. Die in die Mysterien Eingeweihten waren die eigentlichen Be-
ligiösen , sie waren „die Stillen im Lande", die Mystiker. Von den Eltern
her wurden die Söhne schon seit Generationen in die Kuligemeinsohaft
aufgenommen und erhielten durch die Geheimnisse die Weihe des Lebens.
Man hat Verse auf goldenen Täfelchen in Sybaris gefunden , welche
ein helles Licht auf solche Kultgenossenschaflen werfen. Da erscheint die
Seele schon in den heiligen Weihen eines geistlichen Ordens „gereinigt"
wie ihre Eltern {SgxofAui ix xu&agtov xa&apä, x^ov/oiv ßaaiUia)^ sie entfliegt,
dem Kreise, dem schmerzlichen, kummerbeschwerten der Geburt {xfixXog
xfig ywia^wg) und tritt mit hurtigen Füssen in den ersehnten Bezirk, und
schmiegt sich in den Schoss der Herrin der Unterwelt, (der Persephone),
die ihm darauf antwortet: „Glückliche, seligzupreisende du, nun wirst da
statt eines Sterblichen ein Gott sein."
Erinnert das nicht alles an die Gebräuche der katholischen Kirche
mit ihren Weihungen, Orden, Sakramenten und die Au&ahme in den
Schoss der vermittelnden Jungfrau Maria? erinnert das nicht an den in-
dischen Glauben vom Bade des Gesetzes, dem Kreis der Geburten und
an das Wort des Apostels in der Apokalypse von den Seelen, die nicht
mehr nötig haben auszugehen?
Fürwahr, die Leute, die verächtlich vom „Heidentume" reden, kennen
und verstehen es nicht. Die Fortgeschrittenen glaubten damals schon viel, was
8ft
wir heute glauben. Freilich AÜirten nicht alle das orphische Leben (d^ixog
ß/og) oder die Pythagoräische Lebensweise (Ilv&ctyöpHog xfonog to€ ß^ov)
und der Spruch bleibt ewig wahr: noXloi fiiv vag&rpe6(popOi, navQoi di r<
Bauxoi. Aber sie erkannten, dass das tugendhafte Leben allein glücklich
macht, dass der Mensch erntet, was er gesät hat, dass der Charakter des
Menschen sein Geschick ist (rid-og diß&^ntp Scc/fitov Heraklit fr. 121) und
sie erkannten die Macht der Liebe, des zauberhaften Dämons, des be-
rückenden, allerwärts herrschenden Eros, der andittoiiv Smf»6vmv ^ig-
TtCTOS ist.
Sie wussten, dass über der irdischen Verkettung von Ursache xmd
Wirkung (xvxXog diniyxfjgf Maya im indischen) ein intelligibles Leben ist,
und dass die Guten zur Insel der Seeligen kommen, zur Burg des Chronos,
zum Weg des Zeus, wo der blonde ßhadamantys mit den Heroen thront.
Sie wussten, dass ein ßiaaßu (eine Befleckung) am Mörder klebt, das die
ganze Umgebung verunreinigt, dass jede Freveltat, jede Ueberhebung eine
<jßQ$q ist gegen die Götter , die das Unrecht rächen , dass aber jedes Un-
recht gesühnt werden kann durch die sittliche Katharsis, Bechttun und
Busse, und sie erkannten, dass im Leben eine Art Vorsehung waltet und
ein moralischer Aufstieg ist: denn ein schöner Knabe sagte jedem Gaste
bei der Hochzeit itfvyov xaxöv, eipav äfisivov (ich bin dem Schlimmeren
entronnen und habe das Bessere gefunden). Wer aber starb, der fand
sich vor zwei Wegen am Eingange zur Unterwelt, rechts zum Chor der
Seeligen (jc^QOQ e^gsßSif) und links zum Hades für die Ungerechten.
Und nicht bloss in schönen Worten, auch in schönen Taten zeigten
edle Griechen, dass sie an Gott glaubten. Mag der Durchschnittsmensch
damals auch tief gestanden haben (wir wissen nicht, ob er heute höher
steht !), es gab doch Persönlichkeiten, die dem Ideal des „guten und schönen
Lebens^ {xakoxdya&lag) nahe kamen. Ich will hier nur auf den Empe-
dokles hinweisen, der sehr wohltätig war, der viele tmbemittelte Bürgers-
töchter aus seinem bedeutenden Vermögen ausstattete, unentgeltlich heilte
und mit magischen Fähigkeiten sogar Dinge tat, die an Wunder grenzen.
Von ihm wird auch unter anderem berichtet, dass er durch die Gewalt
der Töne einen racheschnaubenden Jüngling, der sein Schwert gezückt
hatte, von dem Morde seines Gastfreundes abgehalten habe. Das beweist
die grosse Macht, die die Musik bei den Griechen ausübte. Sie fühlten
mehr noch als wir die magische Krafl der Schwingungen und gaben sich
willig diesem Einflüsse hin. Deshalb war ihre Musik etwas Heiliges und
der Tanz diente nicht der Erregung der WoUust, war eher eine gottes-
dienstliche Handlung.
Von Kreta, der Wiege des wirklichen Tanzes, schon bei Homer, stammte
Thaletas, den die Spartaner beriefen, als die Fest ihr Land heimsuchte,
um mit dem kretischen Päan zum Preise ApoUons, des Heilspenders, die
40
dfientliche Not zu lindem.*) Das Wort naidp hat ursprünglich die
dentong von Arzt und schon in der Hias wird ein Päan zu Ehren Apolls
getanzt zur Abwehr der Pest. Man wusste also gut genug, dass durch
Anspannung des Willens in Verbindung mit bestimmten Tönen und rhyth*
mischen Bewegungen schlechte Einflüsse wieder zurückgedrängt werden
konnten. Es waren die Mantras der Inder, die sich auch in den reli-
giösen Zeremonien aller alten Völker, besonders der Aegypter und Chal'
däer, wiederfinden und auch heute noch in der katholischen Kirche sich in
etwas veränderter Form erhalten haben. Wollen wir eine Wiedergeburt
sittlichen Lebens haben, so müssen wir auch unsere unästhetischen mo-
dernen Tänze durch das Griechentum reformieren, wie es Miss Isadora
Duncan tut.
Ephoros behauptet, dass zuerst die Ar kadier die gesamte Staats-
ordnung musikalisch eingerichtet hätten (eig xfjv oXfjv nohre/av rfjv fiovaixi^
nuQakaßütv) derart, dass nicht nur den Knaben, sondern den jungen Männern
bis zu 30 Jahren, die fortgesetzte Pflege der Musik zur Pflicht gemacht
worden sei, während sie im übrigen eine harte LebensftihruDg hatten
Polybios fägt hinzu, dass nur bei den Arkadiem die Kinder von klein
auf gewöhnt würden regelrecht die Hymnen und die Päane zu singen, mit
denen jede Landschaft ihre heimischen Heroen und Oötter pries, „und
während es nicht für eine Schande galt, auf anderen Wissensgebieten wegen
Unkenntnis zu versagen, wird es von ihnen für schimpflich gehalten das
Singen abzulehnen. Auch üben sie Au&üge mit Aulosbegleitung in Beih
und Glied und führen alljährlich Tänze auf, die sie gemeinsam studieren
und auf gemeinsame Kosten in den Theatern zur Schau stellen {kniS^ixvvmcu).
Diese Gewohnheiten übermachten ihnen die Vorfahren nicht aus üebermut
und Genusssucht, sondern im Hinblick auf ihrer aller harte Lebens-
führung und Sittenstrenge, welche ihnen zufolge des harten und rauhen
Klimas eignet, das bei ihnen fast aller Orten herrscht. Arten doch wir
Menschen alle nach dem Klima und unterscheiden uns da als Völker haupt-
sächlich durch Sitte, Wuchs und Farbe. Auch bürgerten sie gemeinsame
Ausflüge und Opferfeste für Männer und Frauen ein, desgleichen Beigen
der Jungfrauen und Knaben, in der Absicht, die natürliche Bauhigkeit
durch üebung solcher Gebräuche zu mildem und zu veredeln. Die Be-
wohner von Kinaitha, die diese schliesslich ganz vernachlässigten, obgleich
sie von ganz Arkadien bei weitem die rauheste Lage und die härteste
Luft haben, sind, beginnend mit Streitereien und ehrsüchtigen Händeln
untereinander, zuletzt so verroht, dass nur bei ihnen gerade die ärgsten
Freveltaten vorkonmien.^
Man kann sich denken, welchen schönen Anblick es gewährt haben
muss, wenn die herrlich gewachsenen frischen Knaben und Jünglinge, ge-
*) BiemanD, Handbach der Musikgeschichte I S. 67, Leiprig, Breitkopf n« Hftrtel 1904.
Arthur Fairbaoks The greek Paean, Comell Studies XII 1900.
41
Balbt und die Locken mit Eränzen geschmückt, unter Flötenspiel nackt
tanzten nnd rhythmische Körperbewegungen (9)0(>a/) und einander antwortende
Bewegungen der Hände ausfilhrten, wenn bei den Gtötterfesten und Fest-
spielen eine Menge Einzelhandlungen (als Hyporcheme) mit Flötenspiel und
Ohorreigen vollzogen wurden, so z. B. das Einholen der Lorbeem aus dem
Tal Tempe fOr die Sieger bei den Pythien {8oufiniq>oQatd mit Jungfrauen-
chor), das Einholen der Trauben {AaxwfOQtxn)^ das Her^tragen des Drei-
fusses (rQmo8o(poQixd)j die Prosodien (npoaoSiaxoi)^ die beim Einziehen in
den Tempel oder beim Wegziehen vom Altare (dnoatoXaeof) gesungen wurden.
Das Kunstvollste war aber die pantomimische Darstellung der durch die
Worte geschilderten Handlung {^Mgx^aig^ mit welcher einzelne dazu ge-
eignete Personen betraut waren, während der übrige Chor nur einen ein-
iachen Beigen ausftihrte. Selbst die Kampf spiele zu Olympia wurden (nach
Pausanias) zum Teil mit Musik begleitet. Bei der Feier der eleusini-
schen Mysterien spielte die Musik natürlich eine grosse Bolle. Befanden
sich doch die Priester- und Heroldsämter in den Händen der Eumolpiden,
die ihre Abstammung von Musaios, dem Schüler des Orpheus, ableiteten.
Das ganze Jahr mit seinen Festen bot reichlich Gelegenheit zur harmoni-
schen Betätigung und zum schönen Ausleben des hellenischen Menschen
in einer Weise dar, wie wir es uns schwer vorstellen und noch schwerer
nachmachen können, unserem Leben fehlt eben die Eurythmie.*)
unserem modernen Menschen fehlt die innere Harmonie, er ist zer-
rissen, unzufrieden und geistig unfrei; dabei prägt sich auch in seinem
Aeusseren das unfreie und ün vornehme aus. Er würde meist auf den
Griechen den Eindruck eines „Banausen^ und eines „Barbaren^ machen.
Die Eigenschaften der Hellenen aber fasst einmal Nietzsche in den Worten
zusammen: „Gesunder, gewandter Körper, reiner tiefer Sinn in der Be-
trachtung des Allernächsten, freie Männlichkeit, Glauben an gute Basse
imd gute Erziehung, kriegerische Tüchtigkeit, Eifersucht im agiate^itv,
Lust an den Künsten, Ehre der freien Müsse, Sinn fär freie Individuen,
fär das Symbolische.^ Sie trieben nicht bloss Kunst, sie lebten Kunst,
' sie lebten Schönheit, sie lebten Weisheit.
Es war eine männliche Periode. Damals blühte Kunst und Wissen-
schaft, weil der Mann das Leben idealistisch auffasste, lieber die Zeit auf
der Agora hinbrachte, in ernstem Gespräche über das Staatswohl als in
nichtigem Buhlen und Tändeln mit Weibern. Die Sinnlichkeit mit ihrer
Schwächung von Wille und Intellekt, die ftlr die moderne Zeit so charak-
teristisch ist, das unwürdige Kriechen vor dem Weibe bis zur Ausartung
des Masochimus, das immer mehr aufzukommen scheint, wäre dem Griechen
*) Dau auch Mädchen and Jaogfranen in einigen griechischen Staaten (Sparta, Kyrene,
Elia) Tornübosgen machen mnssten, ist nicht bekannt genug, aber widerlegt die Ansieht,
dasB dort die Frauen stits nnterdrOdct gewesen seien« Bei den Kyrenensem war noch sor
Zeit der römischen Herrschaft eine Frau Claudia Oljmpias lebensl&ngliche Qymnasiarchin.
48
geaiz anbegreiflich und unverständlich gewesen. Heute schftmt sich ein
Mann, wenn er schön genannt wird; denn nnr ein Weib darf schön seizL.
^Das schöne Geschlecht^ ist ja stehende, man könnte sagen offizielle Bedens-
art. Pia ton sagt freilich, der Mann sei schöner als das Weib, weil das
Edle natorgemäss eine vollkommenere Erscheinung zur Schau tragen müsse.
Sie waren damals o£Fenbar beide schön. Denn der Mann hielt sich
in den Grenzen einer guten Zucht: er ass äusserst massig, hauptsächlidi
Früchte und Gemüse, und den Wein trank er stark mit Wasser gemischt.
Das Weib aber vermied noch mehr den schlechten Einfluss von Fleiscdi
und Alkohol. Da es auf das Haus beschränkt war, blieb es sittsam.*)
Das Weib von heute büsst immer mehr Scham und Zurückhaltung ein
und äflt den Mann nach. Sollte es nicht auch von den züchtigen
Griechinnen lernen können? Wäre die Beschäftigung mit griechischem
Geiste, mit griechischer Sprache und Kunst fiir unsere jungen Mädchen
nicht so viel vorteilhafter als das Erlernen des Französischen ? Würde nicht
unser ganzes Leben gewinnen, wenn unsere Frauen etwas von griechischer
Einfachheit und Echtheit annehmen würden? Man lässt jetzt manchmal
mit Erfolg den Homer in Mädchenschulen lesen: warum geht man nicht
weiter? Ich kenne englische Damen, die statt in den bei uns üblichen
Kaffeekränzchen mit Männern zusammen kommen und die Nikomachische
Ethik des Aristoteles im Urtext lesen. Ist dies nicht nachahmenswerter
als oberflächliche Bomane zu lesen, die vergnügungssüchtig, nichtig und
faul machen und daher dem Manne den Spruch m; (pQovrtg 'InoxXe^Sp nahe-
legen. Eine Nausikaa, eine Alkestis, eine Andromache, Penelope waren
Musterfrauen. Eine ganze Anzahl sinniger Dichterinnen femer beweisen,
dass die Frau im alten Hellas nicht so ganz untex^ückt gewesen sein kann.**)
Poesie war überhaupt ausgegossen über das ganze Leben. Homer war
die geistige Nahrung schon der Knaben. Es hiesse wirklich Eulen nach
Athen tragen, wenn ich hier ein Loblied auf die griechische Idtteratur an-
stimmen wollte. Aber sie ist lange nicht genug bekannt bei uns. Man
beschränkt sich meist auf die Erinnerung an das, was man zufällig im
Gymnasium gelesen hat. Aber es wäre wahrscheinlich viel vorteilhafter,
wenn man kursorisch in guten üebersetzungen möglichst viel lesen lassen
*) Man liebt es hente die Griechen in ihren Symposien als S&afer darznstellen, die
Jeden Abend betrunken waren. Aber eine Vergleichang des Alkoholgenasses bei den heutigen
Deutschen und alten Griechen würde jedenfalls zu Ungunsten der Ersteren ausfallen. Die
Flfissigkeitsmasse, die die Deutschen yertilgen, rerhält sich zu der Ton den Griechen ge-
nossenen wie ein Ohmfass zu einem Maasskruge. Auch sollte man stita die besten Vertreter
▼ergleichen, z. B. den keiner Nährung bedOrftigen heiligen Mann Abaris und den seligen
Nikolaus von der Flfle. Es scheint, dass damals schon einzelne Personen das Geheimnis
WQBSten, ohne physische Nahrung aufzukommen, was spftter Torauasichtiich noch eine groue
Bolle spielen wird.
^} Ich Torweise auf Ben6e Yiyien, Les KitharMes (Paris 1904). üeber die litterator
-sehe man Onn6 Les Formes litt^iaires de la pens^e grecque (Paris Alcan).
4S
Würde. Unsere heutigen Philologen sind meist zu gelehrt, nm den nötigen
Sinn fär die Schönheit zu haben ; ihre Ansbildong war eine zu pedantisoh-
grammatisohe und so übertragen sie diesen engen Geist der Schnlfuchserei
auf unsere Jugend. ^Es fehlt in der Philologie an grossen Gedanken (sagt
Nietzsche in seinem Tagebuch) und daher in dem Studium an hinreichen-
dem Schwung. Die Arbeiter sind Fabrikarbeiter geworden. Der Betrieb
des Gtanzen schwindet ihnen aus den Augen. ^ und so kann man auch
sagen, es schwindet ihnen gerade das Wesentliche, der griechische Geist
aus den Augen. Den erfassen sie nicht.
Wenn ein Philologe beweisen will, dass er griechisch versteht, so soll
er im Staatsexamen ganz einfach ein paar fingierte Gespräche auf der Agora
zu Athen in deutscher Sprache aufsetzen, da wird er die Welt überzeugen,
ob er wirklich eingedrungen ist, aber nicht durch die dürftige Weisheit
von ^€ip mit dem Konjunktiv oder €i mit dem Optativ.
Was heute den meisten Menschen in Deutschland fehlt, das ist die
Phantasie. Ohne Phantasie, ohne den Schwung der Seele, ohne Aus-
bildung der höheren Seelenkräfte wird der Mensch zum Philister. Er wird
ein äfMOvaog. Die Gelehrsamkeit, die bei uns förmlich eine Krankheit ge-
worden ist, kann kein Genie erzeugen.*)
Das Genie lebte in Athen auf dem Markte — ohne Bücher und Papier.
„ — Da gab's kein Buch in ganz Athen, o schreckliche
Verworfenheit! Man wurde vom Spazierengehn und von
der Luft gescheut^ singt Herwegh in seinem bekannten Gedicht.
Das sollten wir vor allen Dingen lernen: die Weisheit auf der Gasse zu
finden, im Eontakt mit der Natur, im Gespräche mit guten Freunden.
Dann würde es weniger Bureaukratismus und weniger Gelehrsamkeit geben,
aber mehr praktische Weltweisheit und mehr Leb^isfreude. Der ganze
Unterricht muss hellenisiert werden.**) Das ganze Leben muss
verästhetisiert werden. Wir müssen griechische Ideale vor Augen haben,
Männer wie Epameinondas, Pelopidas und Timoleon, wir müssen die tiefen
Denker studieren und Überdenken, den dunklen Herakleitos und den mysti-
schen Plotin, wir müssen sehen lernen wie Pheidias sah und filhlen wie
Aischylos und Epiktet.
*) Als bei der Belagerung Wiens im Jahre 1848 eine Bombe in die k. k Hofbiblio-
thek einsehlng und das Palais in Brand steckte, sagte der berühmte Anatom Hyrtl zu
einem Freunde, mit dem er zugleich den Löscharbeiten zuschaute : „Es sollte diese und mit
ihr alle Bibliotheken in Flammen au^ehen, damit die Naturwissenschaft endlich einmzl Ton
dem auf der Menschheit lastenden Alp nnnfltser Weisheit befreit werden möge!** Ich ent*
nehme diese Anekdote dem Werke des Ethnologen Dr. F. S. Erauss „Die Anmut des
Franenleibes.^ Leipzig 1904.
^ Herder sagt: ,,Die Bdiulmeister und Plurasendrechsler bilden nicht nur keine
Homere und Cicerone, sondern ihre armen Ge&ngttien haben den Cicero and Homer nie
gesehen, ja sich an ihnen Terekelt.**
44
^Wir werden uns stäts, sagt Sohopenhaner, eben so weit vom gateA
Geschmack und der Schönheit entfernt haben, als wir uns von den Griechen
entfernen.^*) Wollen wir aber eine deutsche Wiedergeburt der hellenisohen
Welt, dann sollten wir einen grossen philhellenischen Verein ins
Leben rufen, der den griechischen Geist bei uns wach erhftlt, der Bilder
antiker Schönheit ins Volk wirft, der gute üebersetzungen griechisoher
Meisterwerke veranstaltet: der Homer könnte dann ein Volksbuch werdoi
und die herrlichsten Statuen könnten in guten Reproduktionen beim Volke
Geschmack verbreiten.
Die Griechen waren ein Volk, stolz auf ihre Basse. Sie hatten eine
Bassenkultur. Wir sind im Vergleich zu ihnen weich und schwammig.
Wir verabsäumen es durch strenge Gesetze im Sinne des Lykurg die
Basse zu erhalten und zu verbessern. Hier könnten wir von den Spar-
tiaten noch viel lernen. Denn wir brauchen eine strenge Menschenzucht,
wenn das Ariertum nicht verG&ulen soll.
Nicht wünschenswert wäre es, die Griechen ein£EU)h zu kopieren^ wie
man früher versucht hat, vielmehr in den hellenischen Geist einzudringen,
sich von ihm durchtränken zu lassen und ihn dann, vermählt mit deutschem
Gemüt, frei wiederzugeben.**) Was uns über die Griechen erhebt, das ist
der weltbürgerliche Gedanke, den das Christentum gebracht hat
Den wollen wir hoch halten.
Die Basse ist nicht das höchste, aber doch etwas hohes. Wir sollten
es fertig bringen den arischen Gedanken zu vermählen mit dem
christlichen der allgemeinen Bruderliebe. Nur wer richtig Uebt, ist gross.
Die Liebe ist das, was dem Leben die Würze und Weihe gibt. Wir sollen
unser Land und Volk lieben, aber auch alles, was der arische G^ist G^rosses
^) Aus Friedrich Sehlegel will ich auch noch einige Stellen Ober das Oriechentom
anfahren« «Jeder hat noch in den Alten gefhnden, was er brauchte oder wünschte; vor-
zOglich sich selbst. — Klassisch tu leben nnd das Altertom in sich in realisieren, ist der
Gipfel nnd das Ziel der Philologie. — Die einseinen Grossen stehen weniger isoliert nnler
den Griechen nnd Bömem. Sie hatten weniger Genies als Genialit&t Alles Antike ist
genialisch. Das ganse Altertom ist ein Genius, der einrige, den man ohne üebertrdbong
absolut gross, einzig und unerreichbar nennen darC*
**) Wie griechischer Geist su yerwerten ist, dafftr liefert uns der grosse Grieche Goethe
ein schönes Beispiel. So schreibt er (an Herder Juli 1772): .Ueber den Worten Pindars
intM^oTtir Svrao&a$ (.Herr sein können, obsiegen") ist mirs aufgegangen. Wenn du kOhn
im Wagen stehst, und rier neue Pferde wild unordentlich sich an deinen ZQgdn bäumen,
du ihre Kraft lenkst, den austretenden herbei, den aufbftumenden hinabpeitschst, und jsgit
und lenkst, und wendest, peitschest, hftltst und wieder ansagst, bis alle sechsaehn FOsse
in einem Takt ans Ziel tragen — das ist Meisterschaft, hr$M^9^r, Virtuosität** * .Alle
Untersuchungen der Altertumsforscher ^ sagt Herder in seinem Denkmal ^^ckelmanns —
bahnen nur Weg dem Genie, das dies Altertum durch 2Sauberkrifte der Medea wieder er
weckt and darsteUt. Die gefahlTollste Theorie des Schönen ist nur "Vl^nk auf den, der
kommen bo11| den neuen Baphael und Angelo der Deutschen, der uns griechische Menschet
und griechische Kunst schaffe."
45
tind dckönes dönstwo geschaffen hat Wir sollen sitzen am Meeresgestade
voller Sehnsucht nach dem Ideal, „das Land der Griechen mit der Seele
snchend^. Es ist besser, wir stellen uns das griechische Leben etwas zu
rosig vor und idealisieren es, als wir zerpflücken es, wie es jetzt üblich
ist, mit kritischem Verstand, so dass fOr uns nichts Gutes mehr übrig bleibt«
Ohne Illusionen ist das Leben schal. Wir stellen uns gerne die Akro-
polis vor im lichten Sonnenglanze, wie die athenischen Jungfrauen im feier-
lichen Schritte herauMehen, um der geliebten Stadtgöttin, der Athene
Polias, den Peplos zu überbringen, und ewiger Nachruhm strahlt über
dem Bild. Wir denken auch heute noch mit Bewunderung an die todes-
mutigen spartanischen Helden, die bei Thermopylae fielen, treu, wie das
Gesetz es befiüil. Wir wollen auch fernerhin unsere Jugend einweihen in
alles, was das Ghriechentum Edles und Schönes hervorgebracht hat.
Es gibt ein schönes Belief, das darstellt, wie Orpheus, der Sänger,
Abschied nimmt von Eurydike, weil sie sich berührt hatten, was verboten
war, und wie Hermes, der Götterbote, die traurige G^ebte hinabfährt in
das Haus des Hades. Es will mir scheinen, als ob hier Eurydike das
arische Volk darstelle, das im griechischen Wesen verkörpert sei als
seiner schönsten Blüte und das trauernd hinabsteigen muss in den Orkus.
Der Dichter aber steht schweigend und beklommen, dass so viel Schönheit
vergehen soU. Die selbe Welunut besohleicht uns, wenn wir sehen, wie
das Grosse und Edle untergeht — und erweckt unendliche Sehn-
sucht.
Der Sänger aber singt, weil ein Qott es ihm gegeben hat, von den
Taten des untergegangenen Volkes und wird singen, so lange die unter-
gehende Sonne die weissen Marmorsäulen der AkropoUs mit rotem Lichte
vergoldet und so lange die schweigenden Jungfirauen, gehorsam dem Meister,
der sie schuf, als Karyatiden das Gebälke des Tempels tragen.
Stuttgart. Harald Qraevell.
4d
Bibel und Yeda«
Es kann immer nur gewagt erscheinen, den Charakter ganzer Zeit-
perioden in einem Schlagwort zusammenzufassen, wollte man aber die
geistigen Znst&nde unserer Zeit, oder der heutigen Gesellschaft, mit einem
solchen kennzeichnen, so würde man gewiss der Wahrheit am nftchsten
kommen, wenn man sie als g&nzlich zerfahren bezeichnen wollte, von den
destruktiven Tendenzen, wie sie sich in Politik, Litteratur und Eunst viel-
fach bemerkbar machen, gax nicht zu reden.
Auch auf wissenschaftlichem Gebiete fehlt das gemeinsame geistige
Band. Es gibt nur noch SpezialWissenschaften, von denen jede ihren
eigenen Weg geht, ohne sich viel um die andern zu kümmern.
Am meisten macht sich aber jene Zerfahrenheit in Beziehung auf die
religiösen Verhältnisse bemerkbar. Hier öder Formalismus und Dogma-
tismus, dort ein nicht minder öder Rationalismus und Materialismus, da-
zwischen ein weites Gebiet, auf dem sich Angehörige aller Gesellschafts-
klassen auf ihre Weise mit der Welt des unsichtbaren abzufinden suchen.
Da treibt der Okkultismus, der Spiritismus, der Symbolismus und wie die
Ismen alle heissen, seine Blüten, oder man hält es mit einer vemunffc-
gemässen Ethik oder man sucht sich im Fantheismus auf honette Weise
mit dem lieben Gott auseinanderzusetzen. * Pantheismus aber ist, wie
Schopenhauer einmal sagt, nur eine höfliche Bezeichnung ftUr AtheiBmus;
man macht diesen so gewissermaassen salonfähig.
Das Göttliche ist ja gewiss auch in der Natur verborgen, es kann aber
aus dieser allein nicht abgeleitet werden, denn was wir hauptsächlich unter
jenem verstehen, ein über Werden, Wechsel und Vergehen erhabenes Wesen,
Freiheit, Moral, das alles ist der Natur nicht zu entnehmen, in welcher
strengste Kausalität und ewiges Werden und Vergehen herrschen. Panthe-
ismus kann also, wiewohl an sich berechtigt, doch nicht als ein ausreichendes
Prinzip betrachtet werden. Was aber den in weitesten Kreisen herrschenden
Atheismus betrifft, so sollten diejenigen, die sich so sehr dagegen ereifern,
doch bedenken, dass er nicht möglich wäre ohne den vorausgegangenen
Theismus, und dass, wer diesen begründet hat, auch für seine notwendige
Folgeerscheinung verantwortlich ist. Oder wollte jemand den Beweis dafilr
erbringen, dass der Theismus der einzig wahre Standpunkt sei?
Das religiöse Empfinden unserer Zeit krankt daran, dass es keine reale
Grundlage mehr hat und sozusagen in der Luft schwebt. Infolge unserer
einseitigen Verstandesbildung sind wir dahin gelangt, den Schwerpunkt des
Bealen ausschliesslich in die unsem Sinnesorganen zugängliche Aussenwelt
zu verlegen. Wir haben keine gemeinsame, auf festem ethischen Gnmd
ruhende Weltanschauung. Soweit man nicht aus alter Gewohnheit oder
aus sonstigen Bücksichten am Hergebrachten festhält, herrscht da nur
4f
subjektiye Willkür. Daneben tröstet man sich wohl anch damit, dass dd
der fortschreitenden Wissenschaft schliesslich doch noch gelingen werde,
den geheimnissvollen Grund der Dinge aufzudecken, so dass man füglich
einstweilen diese heiklen Fragen auf sich beruhen lassen und getrost in
den Tag hinein leben könne. Man wird sich aber hierin getäuscht sehen,
denn die Wissenschaft kann uns wohl die Veränderungen erklären, die mit
den Dingen vorgehen, niemals aber diese selbst. Auch unter ihrer Führung
kommen wir n^ vo^ einem Eateel zum andern.
Wo aber findet sich nun eine Bealiiät, um dem religiösen Bewusstsein
als Stützpunkt zu dienen? Denn irgendwo muss eine solche zu finden
sein, wenn nicht alles, was wir unter dem Göttlichen verstehen, ein leerer
Wahn sein und jeder Verächter dessen in seinem Becht bleiben soll.
Das metaphysische Bedürfiiis der Menschheit hat sich von jeher im
Glauben an götth'che Mächte manifestiert, wie wäre es sonst auch möglich,
dass zu allen Zeiten ein mächtiges Friestertum bestanden und die Ge-
schicke der Völker nach seinem Willen gelenkt hätte. Es schafit nicht
diesen Glauben, gründet aber seine Herrschaft darauf, befestigt ihn und
schlägt sein Kapital daraus. Dieser Glaube ist aber je nach dem mora-
lischen und intellektuellen Bildungsstand und Charakter der Völker dem
Wechsel unterworfen und treibt neue Wurzeln, wenn die alten absterben.
Welche Wandlungen hat er nicht im Laufe der Zeiten schon erfahren!
Beligion berührt das innerste Seelenleben des Menschen, bildet eigent-
lich dessen Kern. Das gilt vom Einzelnen, wie von Volksgemeinschaften.
Nur dasjenige Individuum, dasjenige Volk, welches seine eigene religiöse
Anlage rein erhalten und ausgebildet hat, besitzt Autonomie.
Ich kann meine im Innern wurzelnde Eeligion nicht nach dem Denken
und Empfinden eines anderen gestalten und ebensowenig kann dies das
Volk. Geschieht es dennoch, so ist es einer Heteronomie verfallen. Es hat
seine volle Eigenart und damit seine volle Eraft eingebüsst oder wird sie
infolgedessen einbüssen. Es steckt ein Pfahl in seinem Fleisch.
Auch die Völker germanischer Abkunft bedrohte diese Gefahr, als sie
mehr und mehr unter den Einfiuss der römischen Priesterkirche kamen,
die sich zwar eine christliche nannte, die aber ihrem eigentlichen Wesen
nach aus dem Semitismus hervorgegangen war.
Darüber noch einige Vorbemerkungen. Wie die Semiten die Vorherr-
schaft im alten Orient hatten, so beherrschte der Geist des Semitismus noch
auf lange Zeit hin die alte Welt, auch nachdem die politische Macht der
Babylonier und Assyrer längst gebrochen war. Nacheinander verfällt ihm
das mächtige Perserreich, die griechische Welt und endlich das welt-
beherrschende Bom selbst, wo wir im Cäsarismus die altorientalische
Despotie bis zum Wahnwitz gesteigert sehen. In Bom aber sollte auch
die aus gänzlich heterogenen Elementen zusammengesetzte neue christliche
Staatskirche bald ihren hauptsächlichen Stützpunkt finden. Das junge
48
Christentam hatte besonders als Beligion der Armen nnd Ünt^drüokten
rasch grosse Verbreitung und soziale Bedeutung gewonnen, so dass sich
die weltlichen Machthaber veranlasst sahen, mit diesem unter umständen
recht gefährlichen Faktor zu rechnen, beziehungsweise ihn unschädlich zu
machen. Macht doch der konsequent durchgef^ährte Gedanke des Christen-
tums den Staat und alles, was damit zusammenhängt, eigentlich vollkommen
überflüssig, auch den Pomp und Glanz des Herrschertums. Man besass
aber Staatsklugheit genug, um jenes in der Weise ins Werk zu setzen,
dass man sich selbst zur neuen Beligion bekannte und diese so zu einem
Faktor der eigenen Macht erhob. Eine willkommene Handhabe dazu aber
bot sich in den Beziehungen dar, die sich auf eine mehr oder weniger gewalt-
same Weise zwischen dem Auftreten und der Lehre Christi und den älteren
biblischen Schriften der Israeliten herstellen Hessen. Der alte Stammes-
gott dieser wurde so zum Christengott umgestempelt, nachdem der Jehova-
begriff schon durch die Propheten eine Yertieftmg erfahren hatte, und so
dem jungen Christentum eine neue Theokratie mit zugehörigem Priestertum
aufgepfropft, was beides ihm ursprünglich ganz fem lag. Die römische
Priesterkirche ist in Wahrheit nur eine in antike Formen gehüllte Fort-
setzung des jüdischen Hohenpriestertums in Verbindung mit römischem
Cäsarismus und orientalischem Despotismus, eine durchaus politische In-
stitution, dazu bestimmt, die römische Weltherrschaft in anderer Form
wieder aufleben zu lassen. Von der Metropole dieser aus sollte denn auch
der sozusagen vergeistigte Semitismus bald grosse Verbreitung im Abend-
land finden, um diesem das — Christentum zu verkünden!
Besondere Charaktereigenschaften der Semiten waren von jeher ihre
Härte, Grausamkeit und maasslose Herrschsucht und auch dem alten Stammes-
gott der Israeliten waren sie in reichlichem Maass eigen. Was wir Ethisches
bei den Propheten und Psalmisten finden, hat wenig oder nichts mit ihm
zu tun, viel weniger noch die Lehre Christi selbst. Was aber den viel-
gerühmten Monotheismus der Juden betrifft, gleichviel ob er bei ihnen
zuerst aufgekommen ist, oder nicht, so soll man doch nicht vergessen, dass
sich dieser an die Vorstellung eines Gottes knüpfte, welcher alles Heil
nur dem eigenen Volk, die übrigen Völker der Erde aber diesem zum Eaub
und zur Plünderung zuwies. Was ist denn überhaupt mit dem Mono-
theismus der Juden als solchem so Grosses fiir uns gewonnen? Am Aus-
gang der antiken Welt, als sich das alte Götterleben überlebt hatte, mochte
er seine Bedeutung haben, fttr uns liegt die Frage näher, wo wir denn
nun eigentlich den Gk)tt zu suchen haben, in der Natur, in einem er-
träumten Himmel, oder wo sonst?
Der Gott der Juden schuf die Welt von aussen. Sie ist sein Kunst-
werk, muss also vortrefiTlich, ja vollkommen sein, folglich ist der Optimismus
eine Eigentümlichkeit dieses Volkscharakters, die sich mehr und mehr auch
uns selbst angedrängt hat. Alles ist schön und gut auf Erden und der
4§
Staat, der Repräsentant der göttlichen Ordnung, lenkt alles zum Besten.
Xieider entspricht dem nur der wirkliche Zustand der Dinge durchaus nicht,
weder in alter noch in neuer Zeit, Ist nicht die ganze Geschichte des
Mittelalters seit der Vorherrschaft Borns mit Blut geschrieben ? Betrachten
wir aber die Zustände unserer eigenen Zeit einmal ohne die schönfärbende
Brille des Optimismus, so werden wir finden, dass auch unsere heutige
Kultur nichts weniger als eine vollkommene ist.
Die Geschichte des Mittelalters stellt im Grunde nichts anderes dax
als das fortgesetzte Streben und Bingen des germanischen Geistes nach
Befreiung von dem ihm unerträglichen römischen Joch, und es genügt,
an die grausamen Verfolgungen der Ketzer, meist Angehöriger jener alt-
evangelischen Gemeinden, die, wie Ludwig Keller überzeugend nachgewiesen
hat, durch alle Jahrhundert« hin bestanden haben, zu erinnern, oder an die
Greuel des dreissigjährigen Krieges, um zu erkennen, welche Segnungen
uns die Unterwerfrmg unter das semitisierte geistliche Bom gebracht hat.
Jener deutsche Geist aber strebte in den Besten der Nation nach Ver-
tiefung des Gottesbegriffes, sozusagen nach seiner Vermenschlichung,
wie denn überall der Weg vom Mythischen und Bituellen zum Mensch-
lichen hinfährt — auch Christus, der „Menschensohn^.
Der grosse Befreiungskampf gegen Bom, den Luther auf kirchlichem
Gebiet führte, sollte später erst seine Fortsetzung auf einem ganz anderen
Feld durch den grossen „Zermalmer'' Immanuel Kant linden, den daher
die neuere katholische Litteratur mit gutem Grund in Acht und Bann getan,
hat. Der Kampf ist aber noch lange nicht ausgekämpft und wird es auch
in unserer zahmen Zeit nicht werden, n^ur Helden können mir frommen,^
möchte man da mit Wagners Wotan sagen.
Fremdes Beligionswesen also taugt nicht für tms, wir müssen uns da
auf eigene Füsse stellen. Semitismus und germanische Art sind unversöhn-
liche Gegensätze. Auch mit Hinblick auf den umstand, dass jener in
neuerer Zeit auf allen Lebensgebieten einen so grossen Einfluss gewonnen
hat, müssen wir, eingedenk der ernsten Mahnung, die uns Gobineau in
Beziehung auf die allmähliche Degeneration und den Untergang der edlen
Bässen gegeben hat, endlich anfangen, uns wieder auf uns selbst zu be-
sinnen, um nicht noch im fremden Wesen ganz aufzugehen.
Wollen wir aber eine neue, unserer Eigenart entsprechende Welt-
anschauung gewinnen, so müssen wir uns von den trüben Quellen der
Fremdvölker weg zum lauteren Bom indo-germanischen Geistes wenden,
wie er uns durch die neuere Indologie erschlossen ist. Besonders aber
sind es Faul Deussens Werke*), durch die uns zum erstenmal die ganze
*) Wir Terweisen den Leser besonders auf die ins Deatsche übertragenen, mit ans-
fohrlichen Einleitangen yersehenen „Sechzig Upanishads des Veda** und die ,»Allg. Oe-
schichte d. Philosophie**, 1. Bd., darin uns mm erstenmal eine ausführliche Geschichte der
indischen Philosophie dargeboten wird. Leipzig, Verlag Ton F. A. Brockhaus.
4
i6
Bedentung, der volle philosophische Gehalt, altindischen Benkens nake
gebracht ist. Es ist aber nicht nur Philosophie, was tins hier dargeboten
wird, es klingt wie ein neues, vielfach an die ältere deutsche Mystik er-
innerndes Evangelium aus diesen Werken und die Lehre des Ohristentoms
findet dadurch in einigen wesentlichen Punkten ihre Ergänzung. Deussen
selbst spricht sich in der Vorrede zu seiner üebersetzung der üpanishads
hierüber aus, indem er darauf hinweist, dass, wenn nach der Bibel eine
Erlösung aus den Banden des empirischen Daseins um der Sünde willen
vorgesehen sei, wir jener nach dem Yeda nicht minder bedürftig seien,
weil unsere Auffassung der empirischen Welt eine einseitige sei und ani
Irrtum, auf Täuschung beruhe. Wird dort Umwandlung des Willens ver-
langt, so hier die des Erkennens. Femer findet auch das christliche Gebot
der Nächstenliebe seine volle Erklärung und Begründung erst hier, wenn
wir bedenken, dass nach dem Yed&nta mein Nächster niemand anders ist
als — ich selbst.
Ein edelster Stamm der Arier hatte, nach Indien auf seinen Wande-
rungen gelangt, seine auf das Philosophische und Beligiöse gerichteten An-
lagen fem von der übrigen Welt rein entwickeln können, und es ist eine
überaus merkwürdige Erscheinung, dort ein ganzes Volk oder Yolksklassen
philosophisch beanlagt zu sehen, wie wir dem ähnlich bei den Gbiechen
ein allgemeines Verständnis für das Künstlerische finden. So bietet die
altindische Kultur ein ganz eigenartiges Bild in der Entwicklungsgeschichte
des menschlichen Geistes dar, über das wir von unserem einseitig abendländi-
schen Standpunkte aus nicht so obenhin aburteilen dürfen. Freilich konnte
diese Kultur in ihrer Abgeschiedenheit keine vielseitige Entwicklung nehmen,
aber gerade diesem umstand haben wir es zu verdanken, dass sie in ihrer
Art das denkbar Höchste leistete, und wollte man daraus einen Vorwurf
herleiten, so würde dieser ganz ebenso auch die Griechen treffen müssen,
die mit Ausnahme von Kunst und Wissenschaft gleichfalls nichts Dauerndes
hervorgebracht und hinterlassen haben.
Wie hochbegabt aber diese Arier waren, können wir am besten daraus
ersehen, dass sie in philosophischer wie in ethischer Richtung schon vor
Jahrtausenden zu Erkenntnissen gelangten, welche danach bei anderen
Völkern nur einzelnen besonders erleuchteten Geistern vorbehalten waren.
Erscheint doch bei ihnen nicht nur die ethische Lehre des Christentums
selbst, sondern sogar das Ergebnis modernster Wissenschaft bereits antizipiert.
Das Beste, was uns diese auf dem mühsamen Weg empirischer Forschung
zu bieten vermag, den Nachweis des einheitlichen Zusammenhangs alles
Lebenden, des h xai nav der Griechen, hatte man dort auf intuitivem
Wege bereite vollkommen klar erkannt, so dass unsere Wissenschaft dem
nichts mehr hinzuzufügen hat. Man nahm den Menschen als die verkörperte
Einheit der Natur und erkannte auch in dieser etwas „Menschartiges^.
Der innige Zusammenhang zwischen Psychischem und Kosmischem, die
51
Identität der Einzelseele und der Weltseele wird stftts mit K'aohdmok
betont. Doch man hatte noch mehr als das erkannt, und gerade hierin
haben wir noch manches von den Indem za lernen. Man nahm die Viel-
heit der ans nmgebenden empirischen Welt nicht als die wahre Bealität,
sondern als eine Illusion (Mäy&). Die auffallende üebereinstimmting aber,
welche in dieser Hinsicht zwischen den altindischen Weisen and einem
Parmenides and Piaton, einem Elant and Schopenhauer besteht, sollte unseren
Empirikern und Bealisten doch einiges zu denken geben.
Das wahrhaft Beale erkannte man nur in unserem eigenen innersten
„Selbst^ (Ätman), das als das Subjekt des Erkennens in xms der eigent«
liehe Trftger der Welt und deren metaphysische' Einheit ist. Deussen
gibt im ersten Band seiner Geschichte der Philosophie eine ausführliche
Darstellung der Entwicklung des Ätman-BegrifiEs, der sich erst allmfthlioh
aus den älteren mythischen Vorstellungen loslöst, worauf wir hi^ nicht
näher eingehen wollen.
Nun ist zwar auch die empirische Welt real, jenes „Selbst^ aber ist
die Realität der BeaUtät, der metaphysische Urgrund der Dinge, und kann
selbst niemals erkannt werden, denn das Subjekt des Erkennens kann nicht
wieder Objekt filr uns sein. „Nicht sehen ksomst du den Seher des Sehens,
nicht hören kannst du den Hörer des Hörens^ u. s. w. Das wahrhaft
seiende, reale Wesen kann daher auch nur andeutend und in negativer
Weise bezeichnet werden, „vor dem die Worte tmikehren und das Denken,
nicht findend ihn^. Es ist zwar in den Erscheinungen der Aussenwelt
verborgen, aber doch wieder verschieden von ihnen, und es ist so sehr
das alles beherrschende Prinzip, dass es eine Vielheit der Dinge eigentlich
gar nicht gibt. „An Worte sich klammernd ist die Umwandlung, ein
blosser Name."
Der Atman, ein psychisches Prinzip, im Grunde aber gleichbedeutend
mit dem mehr kosmisch gedachten Br&hman und aus diesem, wie Deussen
ausführt, nur durch schärfere Betonung des subjektiven Momentes hervor-
gegangen, ist also, wiewohl unerkennbar, die alleinige Bealität. Mit seiner
Erkenntnis oder Innewerdung ist aber f&r den, der solches weiss, zugleich
die Erlösung von den Banden wie von den Leiden des Daseins gegeben,
denen nur das auf Illusion beruhende individuelle Dasein unterworfen ist.
Wenn der naive Volksglaube älterer Zeit die Gottheit in mythische
Femen rückt, so geht die fortschreitende philosophische Erkenntnis den
umgekehrten Weg, indem sie das Göttliche im eigenen Innern findet und
dies als identisch mit dem Lebensprinzip des Weltalls nachweist. .
Ist nun das Ziel alles religiösen Strebens die Vereinigung mit dem
Ewigen und finden wir dieses in uns selbst, so bedarf es zu Erlösung nur
eines Erwachens, nicht aber erst eines Hingehens in mythisch erträumte
Femen, xmd auch der Tod braucht zu diesem Zwecke nicht abgewartet zu
werden.
4»
Alle Seelen sind ursprünglich
Frei von Dunkel und fleckenlos,
ürerweckt schon und urerlöst
Erwachen sie .
Es sind das einige der wesentlichen Gedanken, welche hinsiclxtlich
der Ätman-Lehre nach Deussens Darstellung hervorzuheben sind.
Für den Kenner der Platonischen Philosophie bedarf es kaum noch
des Hinweises, dass auch mit Beziehung auf die Ifnsterblichkeitslehrey die
aber nicht nach Analogie unseres empirischen Erkenntnisvermögens auf-
zufassen ist, üebereinstimmung zwischen der altvedischen und derjeni^^en
Piatons besteht. Dem Inder ist Seele gleichbedeutend mit Leben, er ge-
braucht sogar für beides das selbe Wort. Leben aber kann seinem eigenen
Wesen nach nicht dem Tod unterworfen sein, und so ist das Atman- Wissen
jenem nicht nur die Erlösung, sondern auch das Wasser gegen das Feuer
des Todes.
Die moderne Empirie gefällt sich zuweilen darin die Philosophie £ür
überflüssig zu erklären, was hat sie aber von ihrer Seite dem ewig regen
metaphysischen Bedürfnis der Menschheit zu bieten? Da wird doch jene
wieder die Bolle der Trösterin übernehmen müssen, die ihr schon Sokrates
zuerkannte, in dem er zeigte, dass nur sie die Seele vom Jammer des Da-
seins zu befreien vermöge.
Es verdient nebenbei noch bemerkt zu werden, dass die Atman-Lehre,
welcher übrigens auch Schiller sehr nahe kommt, wenn er von dem „absolut
Grossen'' in uns spricht, an welches die Natur in ihrer ganzen Grenzen-
losigkeit nicht hinanreicht, zuerst weniger von Seiten der Priester als viel-
mehr von den Königen Unterstützung und Verbreitung fand, und zwar
aus dem Grunde nicht durch jene, weil sie im Gegensatz zum rituellen,
mit den Interessen des Priestertums verknüpften Opferdienst stand. „Denn,^
so heisst es schon an einer älteren Stelle, „wer die Götter als etwas Ver-
schiedenes von sich verehrt, ist wie ein Haustier von ihrer Herde, das sie
nicht gern verlieren."
Eine Lehre wie diese, welche die Menschenseele in eine so innige
Beziehung zum Kosmos setzt, dass sie sogar das Sonnenlicht als identisch
mit dem BewusstseinsUcht im eigenen Lmem annimmt, musste wohl ge-
eignet sein, den Menschen aus der Niedrigkeit des Daseins zu erheben.
Wenn bei anderen Völkern eine solche Identifizierung nach dem Vorbild
der Könige Aegyptens gewissermaassen zu den Kronrechten der Herrscher
gehörte — le roi soleil — , so stand es in Indien jedem Brahmaschüler
frei, sich zur Majestät der Sonne zu erh eben. Er hatte vollen Anteil daran.
Die indischen Arier, ein ebenso stolzes und schönes als selbstbewusstes
Geschlecht, vermochten mit noch unverbildetem Geist und unverdorbenem
Naturgefhhl tiefer in den metaphysischen Zusammenhang der Dinge zu
blicken als wir aus einem Jahrtausende hindurch fortgesetzten Völker-
gemisch lieryorgegculgenen Neueren. Sie hielten sieh auch nicht f^ stt
gering, den Göttern, anstatt sie in blinder Unterwürfigkeit zn verehren, sich
gleiohznstellen und dementsprechend alles andere gering zu achten. Der
bei uns so stark ausgeprägte historische Sinn fehlte ihnen in dem Grade,
dass wir sogar von den Eönigsgeschlechtem kaum die Namen erfahren,
viel weniger eine Chronologie. Das alles schien, als dem Bereich des
Vergänglichen angehörend, besonderer Beachtung kaum wert. Ja, der
Indier würde kaum Bedenken tragen, manche unserer modernen Wissen-
schaften, soweit sie auf blosser Yerstandeskultur beruhen oder auf solche
gerichtet sind, zur avidyä, zur Nichtwissenschaft zu zählen, den Dämonen
zu ihrem Verderben gelehrt
Ex Oriente lux. Aber nicht aus dem semitischen Babel kann uns das
Licht kommen, dessen wir bedürfen, es leuchtet von weiter her, aus Indien,
und viele unserer Besten haben es schon freudig begrüsst. Goethe schätzte
sich glücklich, die Anfänge der indologischen Forschung noch erlebt zu
haben, und Schopenhauer fand in den üpanishads den Trost seines Lebens,
wie er ihn auch im Tod darin zu finden hoffl^. Gleichwohl fehlt noch
viel, dass bei der gänzlichen Diversität der Anschauungen und der Bildung
ein allgemeineres Verständnis for diese Dinge bei uns vorausgesetzt werden
könnte. Sind doch kaum grössere Gegensätze denkbar als zwischen unserer
modernen Zivilisation und der der Brahmanenzeit. Während die unsrige in
jeder Bichtung auf die Bejahung des Willens zugeschnitten ist, verlangte
man dort die Verneinung, und wenn bei uns die grundfalsche national-
ökonomische Lehre Eingang gefunden hat, dass eine fortwährende Steigerung
der Bedürfiiisse auch eine solche der wahren Volkswohlfahrt zur Folge
habe, übte man dort möglichste Enthaltsamkeit. Es ist klar, dass in beiden
Sichtungen Extreme möglich sind, dass aber auch wir nachgerade bei einem
solchen angelangt sind.
Der bei uns zur Herrschaft gelangte Geist des Lidustrialismus, im
weitesten Sinne des Wortes genommen, hat die heutige Menschheit, soweit
sie nicht an den Sklavendienst der Maschine gefesselt ist, in ein Hasten
und Drängen nach Genuss und Gewinn, in einen so brutalen Massenkampf
ums Dasein gestürzt, hat dem gesamten modernen Leben ein so rasendes
Tempo gegeben, dass darin die Buhe der Betrachtung fast unmöglich ge-
worden ist und ein menschenwürdiger Zustand damit kaum noch verträglich
erscheint. Täuschen wir uns nicht, so wird bei den modernen Industrie-
Völkern die £ulturentwicklung in dem Spirallauf, den man ihr zuzuschreiben
pflegt, schon bald an dem Punkte angelangt sein, wo eine rückläufige Be-
wegung beginnen muss. Sollte es ein blosser Zufall sein, dass das vorige
Jahrhundert, das uns so tief in die Empirie hineingeAihrt hat, uns gleich-
zeitig den Idealismus indogermanischer Vorzeit wieder nahe bringen musste ?
Das grösste Hindernis ffir das Verständnis der altindischen Kultur bei
uns dürfte aber wohl in ihrer asketischen Richtung liegen, wiewohl man
64
sich davon vielfach falsclie oder übertriebene Yorstellmigen niiacht. Anoh
das Christentum kannte Askese und Weltflacht und kennt sie noch| ohne
dass man darum beides als unerlässliche Vorbedingung für einen wahrhaft
christlichen Lebenswandel zu nehmen braucht. Allerdings hat jene BaohtimK
dort eigentümliche Erscheinungen hervorgebracht, aber auch dort begegnen
wir schon der Anschauung, dass die wahre Askese im Leiden des Lebens
bestehe, sowie darin, dass man ducch Studium und Entsagung in die
Brahmanwelt eingehe. Man braucht ja auch nur Gerechtigkeit und Barm-
herzigkeit zu üben und überall der Wahrheit die Ehre zu geben, um, wie
es in dieser Welt zugeht, genugsam Gelegenheit zu asketischer üebung zu
finden. Es bedarf da keiner besonderen Geiselung mehr»
Was aber die Y^neinung des Willens betrifit, so steht es uns ja frei,
diese durch verbesserte, die Täuschung und den Lrtam aufhebende Er-
kenntnis auf den egoistischen Willen zu beschränken, den auf das Ethische
und Künstlerische gerichteten aber davon auszunehmen — womit zugleich
die Eichtung für eine neue Menschenerziehung gegeben wäre.
Die religiöse Kultur der indischen Arier hatte den grossen Vorzug vor
der unsrigen, dass sich bei ihr Denken imd Glauben vollkommen deckte,
während bei uns beides in entgegengesetzter Bichtung auseinander geht.
Und doch könnte auch bei uns die Harmonie wieder hergestellt werden,
wenn wir einerseits aus unserem Beligionswesen all^i jüdischen Aber*
glauben verbannen, anderseits aber unser Denken nicht auf Verstandes-
massige Empirie beschränken und uns daran erinnern woUai, dass auch
die metaphysische Anlage dem Arier angeboren ist. Der Geist des Ohri-
stentums, wie er sich schon in den heiligen Schriften der Jud^i, wie später
in der deutschen Mystik und verwandten Bichtungen ausspricht, wie er
endlich in den Werken eines Kant und eines Schopenhauer, des „allein
christlichsten Philosophen^, seine wissenschaftliche Begründung gefunden
hat, braucht den Widerspruch des Denkens nicht zu fürchten.
Finden wir aber den Gott nur im eigenen Innern, müssen dann nicht
auch die aus ihm geschöpften grossen Werke der Kunst und Dichtung
eine erhöhte Bedeutung gewinnen, und hätte da nicht der Sprachgebrauch
schon längst das Bichtige getrofien, in dem er sie „göttlich^ nennt? Auch
das Kunstwerk unseres Meisters will uns zu einer neuen Glaubensgemein-
schaft hinführen: — „Vom Schauen zum Glauben!^
e. Wittner.
M
PanI Denssen. Der kategorische ImperaÜT«
Kiel und Leipiig 1908. Verlag yon Lipsiiu ä FIsoher.
In dem ersten Hefte der ,»Wartbarg8timinen'' schreibt Professor Henry Thode
Aber das Thema „Schauen und Glauben^ : «Erst den Schülern Kants und Schopen-
hauers ist es verliehen, die unendliche zeitlose Bedeutung des Christentums zu
verstehen und ein Ideal zu verwirklichen, welches der mittelalterlichen, bis heute
in der katholischen Kirche herrschenden Scholastik zu erreichen verwehrt war.
Die Vereinigung von philosophischer und christlicher Weltanschauung, wie sie
dereinst im Mittelalter künstlich erzwungen worden, ergibt sich in unserer Zeit,
in der Zukunft, die wir erwarten, als eine innere Notwendigkeit von selbst. Und
sie ist die Au^abe des geläuterten Protestantismus, denn der Protestantismus hat
in Kant die Lehre von der Idealität von Baum und Zeit hervorgebracht.^ Mit
diesen Worten hat der bekannte Kunstschriftsteller in erster Linie auf Professor
Deussen gezeigt, dessen Lebenswerk in der Tat die vollste Beachtung gerade der
Kreise verdient, die in Wagners Kunst- und Kulturwerk das Heil der Gegenwart
ersehen.
Prof. Deussen hat uns in seinen „Erinnerungen an Friedrich Nietzsche"*)
erzählt, wie er zuerst zu Schopenhauer geführt wurde. Der etwas ältere Jugend-
freund befahl ihm im Jahre 1867 einen Mann zu lesen, der nicht seinesgleichen
habe. Jede Zeile von ihm zu lesen, aber keine Zeile zu lesen, die über ihn ge-
schrieben sei. Dieser Mann war Schopenhauer. Im Anfang war der grosse Denker
dem jungen Studenten, der erst kürzlich von der Theologie in die Philosophie
übergesiedelt war, so wenig sympathisch, dass er sogar Niets»che aufforderte,
eine Widerlegung seiner Philosophie zu schreiben — eine Zumutung, die der
Freund mit berechtigter Ironie ablehnte. Später schlug das Verhältnis in das
Gegenteil um. Nietzsche wandte sich von der Bichtung Schopenhauers ab, ja
ging ihm schnurstracks entgegen — freilich etwa so, wie die Luftwurzel des
Banianbaumes erdsuchend abwärts wächst, der himmelstrebenden Bichtung des
Baumes entgegenstrebend, ohne sich jedoch von dem Gesamtorganismus trennen
zn können, dessen Saft sie in sich trägt Deussen hingegen nahm die Bichtung
Schopenhauers vollkommen in sich auf, wenn er sich auch als ein selbständiger
Ast des Biesenbaumes entwickelte.
In seiner systematischen Darstellung der Kantisch-Schopenhauerschen Philo-
sophie, in den ,,El6menten der Metsphysik^^**) kommt das spezifisch Deussensche
nur noch in abstrakter Weise zur Erscheinung, als eine sich durch das Ganze
verbreitende leise Nuance der Auffassung. Man kann sie bezeichnen als eine
durchgehende Akzentuierung des positiven Elementes des Schopenhauerschen Ge-
dankenkreises , welche einerseits einen engeren Anschluss an die christliche Vor-
stelTung, andererseits eine Vertiefung der All-Eins- Lehre durch die indische
Vedanta-Philosophie erstrebt. Schopenhauer hatte ja recht eigentlich Indien geistig
entdeckt; seinem wundervollen Scharfblick war weder die sonderbare Zweiterhand-
üebersetzung Anquetil Duperrons noch die damals sehr trübe fliessenden buddhisti-
schen Quellen undurchsichtbar, und so war denn auch Deussen durch ihn auf die
indischen Studien verwiesen und einer unserer gelehrtesten Sanscritisten geworden.
*) F. A. Brockhaus. Leipzig 1901. 107 Seiten.
**) F. A. Brockhaus. Leipzig 1903. 3. Auflage mit der später besprochenen Vorbe-
trachtuDg über das Wesen des Idealismus.
S6
Durch seine üebersetzang der Brahmasutras and sein „System des Vedanta^^^)
hatte er zum erstenmal diese mächtige indische Gedankenwelt dem Europäer toU-
kommen erschlossen. Nietzsche teilte ihm brieflich seine freudigste Zustimmung
mit: ,,Wenn sich alles wirklich so verhält, wie Du es darstellst, so verspricht
Dein Leben in seltenem Grade den Charakter des Vernünftigen und Gemeinnfltzigen
anzunehmen. Du glaubst nicht, mit welcher Indignation ich erfüllt wurde, als
ein Sanscrit-Professor mir einige philosophische Handschriften zeigte und dabei
bemerkte : „Sonderbar , diese Inder haben immerfort philosophiert und immer in
die Quere.*' Dieses „In die Quere** erscheint mir typisch für das Verständnis,
welches die Sanscrit-Gelehrten ihrer Aufgabe entgegenbringen. ""Opog np6s Xigav,
musste ich bei mir denken. Aber freilich ist ohne Kant und Schopenhauer ein
tieferes Eindringen hier unmöglich. Du hast eine schöne Art entdeckt, diesen
Deinen Lehrmeistern Deine Dankbarkeit zu beweisen.**
Die eigentümlichste Modifikation der Eint - Schopenhauerschen Gedanken,
welche .diese in dem' solchermaassen indisch getränkten Kopfe Deussens erhalten
sollten, zeigte sich zuerst hier und dort andeutungsweise in seinen Anmerkungen
zur Uebersetzung der Upanishads**) — diesem epochemachenden Riesenwerk —
und kommt dann zum Ausdruck in seiner „Geschichte der Philosophie*****), wo
es (II, 181) überraschenderweise heisst: „Auf anderen Gebieten entspricht dem
kosmischen Intellekt als Träger der Welt der aus dem h emanierende vovg der
Neu-Platoniker, sowie das reine Subjekt des Erkennens (das ewige Weltauge) der
Schopenhauerschen Philosophie. Für das metaphysische Verständnis der Welt
ist diese Vorstellung eine unentbehrliche.** Dieser letzte Satz musste dem Kenner
der älteren Deussenschen Schriften sehr überraschend kommen, weil Deussen eben in
jenen Elementen der Metaphysik zum metaphysischen Verständnis der Welt noch
nicht das Bedürfnis einer solchen Vorstellung gespürt hatte. In der letzten (dritten)
Ausgabe dieses Buches (1902) wird nun aber dieser neue Gedanke in einer Vor-
betrachtung über das Wesen des Idealismus ausführlich begründet und entwickelt.
Der Widerspruch, in welchen sich sowohl der philosophische Idealist wie andererseits
der naturalistische Forscher verwickelt, beruhe auf einer Verwechselung des empiri-
schen Bewusstseins mit dem transcendentalen ; auch hier finde der grosse, alles
beherrschende Gegensatz von Erscheinung und Ding an sich seine Verwendung.
Das empirische Bewusstsein sei die Art, wie das Bewusstsein erscheint, das trans-
cendentale Bewusstsein die Art, wie es an sich ist. G^en diese Distinktion muss
allerdings eingewendet werden, dass es unberechtigt ist, dasjenige, was in dem
empirischen Bewusstsein zur Erscheinung kommt, schon selbst als Bewusstsein zu
bezeichnen* In der Kant'schen Sprache ist und bleibt es x; in der Schopen-
hauerschen ist es eben Wille, nämlich der Wille bewusst zu sein, richtiger aus-
gedrückt,: es ist der Wille auf seinem höchsten Stadium, wo ihm die Aufgabe
erwachse, die durch seine Vervielfältigung auf das höchste komplizierten Verhält-
nisse zu bewältigen, und er nun zu diesem Zweck das bis jetzt nicht nötige, ja
vielmehr hinderliche Licht des Bewusstseins ansteckt. Aber auch der, der sich
von dieser Darstellung nicht überzeugen lässt, wird wenigstens keinen Anstand
'^) .Die Sutras der Vedanta*. F. A Brockhaus, Leipzig 1887. Niemand, der
sich fOr die wichtigen Fragen am Grenzgebiete zwischen Philosophie und Theologie interes-
siert, sollte dies, fast 800 Seiten grosse Werk ungelesen lassen — auch unsere Theologen
könnten viel daraus lernen, unter anderem freilich auch Eraftstücke der Exegese, wenn es
gilt, einander widerstreitende Scbriftstellen zu versöhnen. Das »System des Vedanta*
(Brock haus 1883) ist eine geordnete, übersichtliche Darstellung jenes ungeheueren Materials.
"**) «Sechsig Upanishads des Veda", Brockhaus 1897.
♦♦♦) Brockhaus 1894-99. (I 1-2.)
t1
nehmen, diesen Aofsatz zn dem Yorzttglichsten and Beachtenswertesten zu rechnen,
was Aber den Idealismus geschrieben worden ist, and es ist sehr za bedaaem, dass
der Verfasser nicht Masse genag hatte, diese Betrachtangen in das System selbst
hineinzaftgen and anf alle Gebiete wirken za lassen. Denn der Text der „Ele-
mente der Metaphysik" ist noch gftnzlich anyerändert geblieben, wodarch er bis-
weilen in direkten Gegensatz za der einleitenden Betrachtang tritt; so z. B. in
§ 248, wo er in ganz anderer Weise and darchaas orthodox Eantisch aaf den
Einwand Zellers gegen den „greifbaren Zirkel'' des Idealismas antwortet.*^) Die
Schiassworte jener Yorbetrachtang aber geben ein so schönes Resam6 der Deassen-
Bchen Lebensanschanang , dass wir sie in extenso anfftfaren möchten. „Könnten
wir von dem Wollen die Form der Zeit abstreifen, wie dieses vieUeicht nach Ab-
schflttelang des Intellektes im Tode möglich ist, so wflrden wir noch eine ganz
andere Seite gewahr werden ; wir wflrden dann nicht nar das Volle, sondern anch
das l^olle erkennen, nicht nar die Bejahang des Willens zam Leben, deren Er-
scheinang diese ganze Welt ist, sondern auch die Vemeinang, deren Erscheinang
von den Beligionen als Reich Gottes, Himmelreich a. s. w. mit irdischen Farben
aasgeschmflckt wird, fflr die Philosophie aber ein anbeschreitbares Gebiet bleibt.**)
Damm kann die Philosophie das höchste Ziel alles menschlichen Strebens, dem
alles Reine, Gerechtigkeit, Nächstenliebe and Entsagang, alle Tagend and Gött-
lichkeit enl^egenfAhrt , immer nar negativ als die Vemeinang des Willens zam
Leben and zar ganzen Welt, in der er erscheint, zam Aasdmck bringen, wie wohl
an sich vielmehr die Bejahang des Willens als Sflndhaftigkeit, Feigheit, weich-
liche Genassacht and kleinliches Kleben am eigenen Ich das Negative and Ver-
werfliche, hingegen dasjenige, was wir im Anschlass an einen Aasspmch Jesa
Vemeinang nennen,***) die Qaelle alles Heroismas, aller Tapferkeit, Aasdaaer
and Uneigennfltzigkeit , aller Trene and Lanterkeit der Gesinnang and somit an
sich nichts weniger als negativ, sondem vielmehr das wahrhaft Positive, Göttliche
und Beseligende ist'^
*) Der Einwand, der jedem Scbalfachs bei der ersten Bekanntschaft mit Kant and
Schopenhaner kommt: dass der Raum erst mit dem anschaaenden Subjekt da ist, dieses aber
empirisch nachweisbar eine lange r&amliche Weltentwickelang voraassetzt — ein Einwand,
der ja längst yon beiden Denkern im voraas von ihrem Standpankt aas als nichtig and aaf
Unverständnis bemhend abgewiesen worden ist.
**) Von seiner »Erscheinang'' za sprechen dOrfte Qberbaapt anstatthafi sein.
*^) Es ist eine immer wieder and wieder hervortretende aber ganz entschieden ver-
kehrte Vorstellung Prof. Deossens, dass der Ausdruck «Verneinung" von Christus herrOhrt
Christus sagt zwar: ,er verleugne sich selbst"; aber von dieser Forderung bis cum Begriff
•Verneinung" ist ein gewaltiger Sprung, und zwar ein solcher, den Christas unmöglich tun
konnte; seine ganse jOdisch theistische Vorstellungsbasis — der Stengel dieses Lotes —
machte ihm das unmöglich. Der klare Begriff der Verneinung kann nur da sein, wo der
klare Begriff der Bejahung ist, wie man den Begriff , Nacht" nur haben kann, wenn man
den Begriff «Tag" hat. Die Zwillingsbegriffe Bejahung und Vemeinang kommen in Buddhas
Beden vor; von ihm könnte Schopenhaner sie aber höchstens anf sehr indirekte Weise flber-
kommen haben, insofern sie in der ganzen buddhistischen Anschauungsweise präformiert
lagen. Denn wir können mit Sicherheit annehmen, dass Schopenhauer nicht Stellen wie die
19. Bede des M^jjhimanikayo gekannt hat« Aus dem Weltbild seines tiefsten Schauens
heraus ist ihm jener Doppeltbegriff entgegengespaltet, und hat anch erst bei ihm die klare
Bedeutung einer festgestellten Terminologie bekommen. ,,Die Sache war von jeher bekannt,
„bloss mein Ausdruck , Verneinung des Willens zum Leben* ist neu: weil ich die Sache
scharf bezeichnen musste, um den Vorgang zu analysieren." Also der Ausdruck ist Schopen-
hauers schlechthin, und mit dem »Anschluss an einen Ausdruck Jesu" ist es nichts — trotz-
dem Prof. Deussen in jenen »Erinnerungen" sich sogar zu der Behauptung versteigt, Schopen-
hauer habe dies Prinzip «mit Neuerung (siel) eines von Jesu gebrauditen Ausdrucks «die
Vemeinoiig des Willens zum Lehen" genannt" —
S8
Die obengenannte „Oesohichte der Philosophie** scheint das Hauptwerk Denssent
Werden zn wollen. Dem Werdegang und der ganzen Gesinnung Denssens gemisa
mnsste dieses gross angelegte Werk erheblich von den gewöhnlichen Geleisen der
Philosophiegeschichten abweicheii. Nicht nur, dass der ganze Komplex indischer
Philosophie in ausführlichster Weise berücksichtigt wurde, auch die Lehren der
Religionen wurden viel mehr, als es bisher zu geschehen pflegte, in den Kreis der
Betrachtungen hineingezogen, denn, schreibt der Verfasser zur Begründung dieser
seiner Stellung, „was die Urheber derselben ursprünglich inspirierte, das war, so
konfus und verbrämt es auch in den Dogmen auftritt, ein sehr Reales, innerlich
Erlebtes und Geschautes — war, wenn man so will, eine Offenbarung, welche als
ein und dieselbe in allen Zeiten und Ländern aus den Abgründen unseres Innern
uns entgegenquillt, und wir würden yielfach gerade auf das Beste von dem, was
wir suchen, yerzicbten müssen, wollten wir das religiöse El^nent von unserer
Betrachtung ausschliessen^. Was nun aber die Philosophen im engeren Sinne
betrifft, so wird auch ihnen gegenüber die Deussensche Betrachtungsweise eine
besondere werden müssen, und er ist sich über diese Aufgabe und die ent^
sprechende Methode auch vollkommen klar. In jedem Philosophen ist ein traditio-
nelles Element und ein originelles, und die Aufgabe ist, das letztere aus der Hülle
der Traditionen und Meinungen seiner Zeit und seiner Vorgänger herauszuschälen.
„Es wird sich zeigen, wie viel wir z. B. bei Piaton, bei Jesus, bei Kant ge-
winnen, wenn wir die Tradition als Schale abzulösen wissen, um das originelle
Element als Kern zurückzubehalten. Die Gesichtspunkte sind mehrfoch, aber die
Natur, auf welche sie sich beziehen, ist nur eine, und so kann es nicht fehlen,
dass alle originellen . Gedanken aller Philosophen, von der traditionellen Hülle
befreit, eine wundersame Einstimmigkeit zeigen, welche eine nicht g^nge Gewähr
für die Wahrheit ihrer Lehren ist.«*
Als ein vorausgegriff^nes Kapitel aus dem letzten Teile dieses Werkes er-
scheint uns nun die vorliegende Rede zur Feier des Geburtstages des Kaisers,
über den kategorischen Imperativ, bekanntlich eine Hauptlehre des grossen Philo-
sophen, dessen ausserordentliche Bedeutung Deussen mit folgenden Worten ins
Licht stellt: „und doch ist es nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, dass
seit dem Auftreten des Christentums in der Welt kein Ereignis in dem geistigen
Leben der Menschheit mehr zu verzeichnen ist, welches so völlig umwälzend und
neugestaltend gewirkt hat und noch künftig wirken wird, wie die philosophische
Lehre des Mannes, von dem wir reden, des Weisen von Königsberg, Immanuel
Kant.«
Jene Methode der Ausschälung des bleibenden Kerns aus der Schale, die
durch vorhergehende und zeitgenössige Ströme abgelagert ist, kommt nun auch
diesem Lehrbegriffe gegenüber zur Verwendung. Den ersten zu beseitigenden
Fehler in Kants Darstellung findet Deussen in der Kantischen Deduktion: es
müsse ein allgemein verbindliches Sittengesetz geben, ein solches aber könne nicht
in materieUen Bestimmungsgründen wie Lust und Unlust bestehen, weil diesen
die Allgemeinheit und Notwendigkeit abgeht. Somit komme als Bestimmungsgrmnd
nur die blosse Form der Gesetzmässigkeit in Kraft. Anstatt einer solchen De-
duktion, die eine petitio principii (nämlich, dass es ein allgemein verbindliches
Moralgesetz geben muss) enthält, würde es richtiger gewesen sein, von jenem
Imperativ als von einem Faktum des Gewissens auszugehen. Noch schädlicher
wirkt aber der zweite Fehler Kants, indem er den kategorischen Imperativ der
Vernunft a priori d. h. von Haus aus und vor aller Erfahrung einwohnen lässt
Dies beruht wesentlich auf der falschen Einteilung der intellektuellen Kräfte, bei
welcher Kant im Banne der Vorstellung seiner Zeit stand: die anschaueiide
8»
BiBAlicU&dt, der denkende Yersteüd und die Yernnnft, welche theoreüfiierend ewi^
irrend Aber die Erfahrung hinansgehende Schlfisse bildet, welche als praktische
aber eben jenes moralische Gebot, den kategorischen Imperativ, zum a-prio«
rischen Inhalt hat. In Wahrheit aber •— sagt Denssen — liegt der Ursprung
des kategorischen Imperativs viel tiefer als in den a priorischen Formen des In»
telldtts. «Ich möehte ihn freilich nicht als a poMteriari^ aber auch nicht als
m priori f sondern gewissermaassen als das a priori des a priori bezeichnen. Denn
intimer als die ganze Erfahrungswelt ist uns der Intellekt und seine Formen, aber
noch intimer als der Intellekt ist uns unser Selbst, unser tiefstes an sich seiendes
Wesen, welches nicht im Intellekt, sondern im Well^ und seinen unergründlichen
Yerhftltnissen zu suchmi ist. Hier in den metaphysischen Abgründen unseres
eigenen Wesens S]^ddt der Quell des kategorischen ImperaÜvs; er kann zwar,
mn das Licht der Vernunft emporgezogen, zu einem Yemunftgesetz in Kants Form
sich gestalten, aber er kann eben so gut ohne deutliches Bewusstsein erscheinen
als der sittliche Takt, welcher unser Handeln regiert, als die Entsagung, welche
wir uns auferlegen in dunkele» Gefühl der Sündhaftigkeit unseres natürlichen
Streben«, als die Liebe, welche sich selbst in anderen findet und fühlt, um unsem
NAchsten zu lieben wie uns selbst.^
Und hier kommt nun üe entscheidende und verhängnisvolle Einseitigkeit
Kants an den Tag, dass er eben nur die abstrakte Mazime^Form des kategorischen
ImperatiVB gelten lässt: ,» Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit
zugleich als Prinzip einer aUgemeinen Gesetzgebung gdten kOnne,^ — eine Formel,
die er mit bewunderungswürdigem Sohaifsinn aus jener Bestimmung herleitet, dass
eben nur die blosse Form der Gcsetimftssigkeit als Bestimmungsgrund bei mora*
lischen Handlungen gelten darf. «Hätte Kant — bemerkt Deussen hier — dem
ehristlii^en OeiMe näher gestanden, so würde er vielleicht erkannt haben, dass
der Inhalt des kategorischen Imperativs sieh nicht besser fassen lässt, als in den
Worten, welche Jesus seinen Jüngern als höchste sittliche Forderung zuruft : Wer
mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst Hingegen hat Kant recht in der
inperativischen Form, gegen welche Schopenhauer mit Unrecht opponiert, denn
aadi seine Moral ist im Grunde Imperativisch, sofern er überall der Bejahung
des Willens die Yemeinung als höhere entgegenstellt, wie er sie denn auch in
seinen ersten Entwürfen mit einem schönen Ausdruck bezeichnet als das bessere
Bewusstsein.* O^en die letzte Bemerkung muss allerdings Einspruch erhoben
werden. Schiqienliaulirs Ethik ist in der Tat nicht Imperativisch, nicht einmal
optntivisch sondern indicativisch: — sie legt die Sachlage dar. Solche Hand-
lungen führen in diese Richtung, solche in jene; nun wähle! — Der Unterschied
ewisehen dem indischen und dem alttestamentarischen Geist (der sich in der Form
„du soHf^ bei Kant noch naiv äusseriich verrät, wie Schopenhauer sagt) fällt hier
sehr in die Augen und ist von Wichtigkeit.
Was nun den Ursprung des kategorischen Imperativs betrifft, so stimmt Deussen
völlig mit Kant' darin überein, dass jener das Gesetz ist, welches der Mensch als
Ding «n sich dem Menschen als Erscheinung gibt. Dass die Natur Erscheinung
und nicSit Ding an sich ist, ist ja der Kantische Grundgedanke, dessen Tragweite
am besten daraus erhellt, dass ,alle Religion mit dieser Lehre steht und ftllt,
womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass erst durch Kants Lehre die Religion
mOglidi wird, sondern nur, dass jede religiöse Auffassung des Daseins von jeher
BtiUsohweigend das voraussetzt, was in Kants Lehre deutlich entwickelt und wissen-
schaftlich begründet i&rUegt^. . .
«Diese Auffassung des Moralischen, gleichsam als des Lichtschimmers einer
nndem Welt; welcher in die Nacht unseres Daseins hereinscheint (Ev. Job. 1. 5.),
bewälirt Bich dadurch, dass sie und sie allein den Schlüssel darbietet znrLi^Ban^
einer Frage, die anch den populären Verstand, wie wohl vergehlich, heschftftigt
and welche, um der ausserordentlichen Schwierigkeit willen, mit der sie yer-
knflpft ist, wohl verdient, das grosse Problem der Moralwissenschaft genannt zu
werden.*
In richtigem Bewnsstsein des yorher bertthrten asketischen Moments in jeder
moralischen Handlang lehrt Kant, dass das Sittengesetz anbedingte ünterwerfang
verlange and allen natürlichen Neigungen Abbruch tue. Ja, er ist konsequent
genug, zu behaupten, dass eine Handlung, die aus Neigung geschehe, keinen mo-
ralischen Wert habe. Es ist bekannt, wie Schiller in seinen Epigrammen «Ge-
wissen-Skrupel und Entscheidung*' diese äusserste Eonsequenz der Eantischen
Moral persifliert, mit dem Beifall Schopenhauers, der diese das echte moralische
Gefühl empörende Behauptung eine der christlichen Sittenlehre, welche die Liebe
über alles setzt und ohne sie nichts gelten lässt, gerade entgegengesetzte Apotheose
der Lieblosigkeit, einen taktlosen moralischen Pedantismus nennt.
Auch Deussen führt jenes Epigramm an, will aber die spöttische Entscheidung
Schillers als dem Ernst der Sache wenig angemessen auf sich beruhen lassen und
eine befriedigende Lösung zu finden suchen. Zunächst ist Tatsache, dass eine
ganze Reihe unzweifelhaft moralischer Handlungen aus Neigung geschehen, nämlich
aus Liebe zu unserem Nächsten, und wenn diese Handlungen des Mitleids wirklich
von dem Kantischen Moralprinzip ausgeschlossen wären, so leistet dieses nicht,
was es sollte. Aber noch mehr ; bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass sogar
jede Handlung aus Neigung geschieht; denn Handeln heisst üebergehen durch
eigene Kraftbetätigung aus einem Zustand a zu einem Zustand b, dieses aber ist
nur möglich, wenn der Zustand b lieber gewollt wird, als der Zustand a, d. h.
wenn seine Verwirklichung für unser Bewnsstsein mit grösserer Befriedigung ver-
knüpft ist, folglich aus Neigung. Wir scheinen hier uns in einer unauflösbaren
Antinomie zu befinden. Dennoch aber ist eine Lösung möglich, aber sie liegt
sehr in der Tiefe. Auch hier kommt jene Unterscheidung der Erscheinung und des
Dinges an sich zur Verwendung. „An sich nämlich ist jede moralische Handlang
ein Akt der Selbstverleugnung, d. h. eine freie und darum unbegreifliche Auf-
hebung des Egoismus, welcher im natürlichen Menschen verkörpert ist; in der
Erscheinung hingegen unterliegt sie der Causalität und darum erscheint auch
sie als hervorgehend aus dem Egoismus, weil dieser mit dem Schema der Causalität
untrennbar verbunden ist^ Dies lässt jede menschliche Handlung als das not-
wendige Produkt zweier Faktoren erscheinen, erstens der Motive und zweitens
eines Charakters, d. h. eines bestimmten Willens, auf den sie wirken. «Die
Motive sind jederzeit Lust und Unlust. Diese wirken aber auf den Willen nur
sofern er sie empfindet und dadurch zum Handeln bestimmt wird; die Bestimm-
barkeit aber des Willens zum Handeln durch die Empfindung der Lust, die er
erstrebt, und der Unlust, die er flieht, heisst Egoismus. . . Wenn nun oben gesagt
wurde, der gute Mensch vollbringe das Gute, weil ihm dies mehr Befriedigung
gewähre, als das Gegenteil, sei also im Grunde auch ein Egoist, so kann
man das unbedenklich zugeben, denn wie sehr unterscheidet sich doch für jeden
dieser nur auf das Schema der Causalität gesetzte scheinbare oder mora-
lische Egoismus von dem wirklichen, d. h. von dem individuellen
Egoismus... Bei dem moralischen Egoismus bleibt nur das Causalitäts-Schema
bestehen, ist aber von einem ganz anderen Lihalt erfüllt. Das individuelle Ich,
der natürliche Mensch und sein Grundtrieb, der Egoismus, ist tatsächlich ver-
leugnet und aufgehoben, sei es unmittelbar oder mittelbar. Unmittelbar durch
Unterwerfung des Ich unter das Vemunftgesetz, oder mittelbar durch die Erweite-
6t
tnng des Jük tbet die Aussenwelt Das erste ist die Kantische, das zweite die
(von den Indern flberkommene) Schopenhanersche Anschauungsweise. Beide be-
stehen gleichberechtigt nebeneinander und widersprechen sich nicht, beide bemhen
auf der selben metaphysischen Omndkraft, dem kategorischen Imperativ, der, wie
wir zeigten, von Hans aus noch nicht Yemonftgesetz, sondern ein in den un-
bewossten Kräften des Dinges an sich wurzelnder und von da aus in das Bewusst-
sein dringender Trieb ist, unseren natürlichen Menschen als ein Nichtseinsollendes
aufzuheben.*
So scharfsinnig diese Ausführung ist, und soviel Richtiges sie auch enthält,
so glauben wir doch, dass jenes rein Schematische, jenes rein formelle Scheinleben
des Causalitäts-Schemas, durch welches die moralische Handlung des Mitleidenden
als eine egoistische hingestellt wird, sich noch mehr in ihre Nichtigkeit auflösen
lässt Denn, wenn wir genau betrachten, was bei einer solchen Handlungsweise
erbibrungsgemäss geschieht, so werden wir bemerken, dass der Mitleidende in
seiner Handlung keineswegs von dem Motiv geleitet wird, selbst aus dem Zustand,
in welchem er sich befindet, in einen andern, den er vorzieht, überzugehen, sondern
der Schmerz des andern wird ihm eben unmittelbar zum Motiv. Er handelt, um
den andern von diesem Schmerz zu befreien, nicht aber um sich selbst von dem
Schmerz zu befreien, den anderen leiden zu sehen. Wenn dies behauptet wird,
so ist das keineswegs mehr eine einfache Analyse der Erfahrungstatsache, sondern
im G^enteil eine psychologische Erklärung nach einem zuvor bereits bestehenden
Schema. Dass dies sich so verhält, geht vielleicht am deutlichsten aus der Tat-
sache hervor, dass jenes Zweite auch öfter stattfindet Es geschieht wirklich
manchmal, dass man zur Handlung des Mitleids schreitet, um sich selbst von dem
Znstand des Mitleidens zu befreien. Dies wird aber allemal als etwas von jener
anderen unmittelbar mitleidigen Handlung verschiedenes deutlich gefühlt und als
eine niedrigere, keineswegs lautere moralische Handlung empfunden und gewürdigt.
Es beruht gewissermaassen auf einem mangelhaften Funktionieren des Mitleids.
Dieser Tatbestand hat denn auch Schopenhauer veranlasst, ganz anstandslos, ich
möchte fast sagen, naiv, in der Tafel aller möglichen Triebfedern unmittelbar das
Bestimmtwerden durch Wohl und Wehe sei es des Handelnden selber oder eines
anderen zu verzeichnen. Die kritischen Gegenbemerkungen, welche Becker in
seinem Brief vom 16. Dezember 1844 gegen diesen Punkt der Tafel aufstellt,
sind rein formeller Natur, weshalb auch Schopenhauer nicht weiter auf sie einging,
indem er sie nur als Früchte der Disputierlust ansah. Sie sind aber auch des-
halb hinfällig, weil die Haupteinwendung eigentlich darauf beruht, dass es a priori
gar nicht auszumachen ist, ob einer sein Wohl in etwas Anderem suchen kann
und etwas wollen, was über die Existenz seiner Individualität (über seine Haut)
hinausgeht, sondern nur durch die Erfahrung; während Schopenhauer keineswegs
die Forderung erhebt, die Erfahrung hier aus dem Spiel zu lassen, ja vielmehr
in der folgenden Ausführung, wie das Weh und das Wohl eines andern
unmittelbar mein Motiv werden kann, ausdrücklich schreibt : „Der hier analysierte
Vorgang aber ist kein erträumter, oder aus der Luft gegnrifTener, sondern ein
ganz wirklicher, ja keineswegs seltener: es ist das alltägliche Phänomen des
Mitleids, d. h. der ganz unmittelbaren, von allen anderweitigen Rücksichten
unabhängigen Teilnahme zunächst am Leiden eines anderen und dadurch
an der Verhinderung oder Aufhebung dieses Leidens.^ —
Durch eine solche Betrachtung erscheint uns der Anspruch des Egoismus
auf die moralische Handlung des Mitleidenden noch fadenscheiniger, als nach
der Deussenschen Darstellung. Der einzige Vorwand, der dem Egoismus noch
bleibt, ist die pedantische Erwägung, dass die Handlung, um überhaupt zu
geächelien, lieber gewollt als niclit gewollt sein hivss, also eine Keignng daea
Torhanden ist Ja selbst dies kann als eine falsche Abstraktion bestritten werden ;
denn was lieber gewollt wird ist eben nicht die Handlung sondern ganz an-
mittelbar die Folge der Handlang — für den Anderen.
Die vorliegende schöne Abhandlang Prof* Deassens^ die, wie schon ange-
fahrt, in der Form einer Rede za Kaisers Gebartstag eingekleidet ist — and
jener Lehrbegriff des kategorischen Imperativs Iftsst sich ja anschwer mit den
Gestalten des Hohenzollemhanses verknüpfen — wird wohl niemand ans der
Hand legen, ohne herzlich zu wünschen, dass es dem Verfasser vergönnt werden
möge, recht bald sein so gross angelegtes Hauptwerk za vollenden and das hier
Yoransgeschickte and ex abrupto Gebotene in seinem grossen organisch^a
Zusammenhange uns vorzulegen.
Karl äjell^rap.
Gruppe — Piedestal — Fundament
Zwei Bespredinngen deutscher Schriften»
I.
Der «Bayreuther Gruppe^ gehöre er nicht an, versichert der Verfasser der
Schrift ^Oberflächenkultur^. Gut denn, wenn er nur dem „Piedestal^ angehört. Ei
nennt das seinige : „Weimar" ; und was er darunter versteht, erkennen wir gern
auch als das unsere an. Zwei Fälle gibts, in denen wir sagen dürfen, dass Zu-
gehörigkeit zur „Bayreuther Gruppe*' nicht nötig sei: wenn die Aeusserungen
einer Persönlichkeit nichts taugen, und — wenn sie etwas taugen. Das bessere
ist unser Fall, oder vielmehr: Fritz Lienhard's, der die „Oberflächenkultur''
geschrieben hat.*)
Da die Zeit nun einmal unter dem Begriffe „Bayreuth^ uns nur eben erst
eine „Gruppe", aber längst noch keine «Kultur" verstehen lässt, so haben wir es
als etwas Gutes zu begrüssen, wenn hier und da doch auch schon ausserhalb der
Gruppe etwas Geistesverwandtes sich zeigt und rührt, ja sogar den eigenen Mut hat,
Bayreuth nicht nur als letzten Flucht- Winkel für deutschen Idealismus überhaupt
zu betrachten, wohin Alles einfach sich zurückziehen müsse, wer noch deutsche
ideale hat Eine solche Flucht aber mu$s ein Erlebnis sein ; es gibt kein äusseres
Gebot dafür, und solange es noch Leben gibt, wird niemals jeder das Selbe erleben.
Nur mag es uns mitunter wohl bange werden um die Einzelkämpfer oder auch
nur Einzeldenker 4ort aussen inmitten der modernen Zivilisation. Wir mögen
oft meinen, es täte einem Soljchen doch besser, wenn er sich auch einer Gruppe
anschlösse, die schon festen Boden gewonnen hat. Vor Allem aber werden wir
wünschen, er bleibe oder werde sich der Geistesverwandtschaft und Kampfgenossen-
schaft recht bewusst, welche ihn, den Einzelnen, mit uns als Gruppe auf dem
selben Piedestal verbindet.
Betrachten wir einmal die Gruppe gleichfalls als eine Einzelheit — wie sie
denn auch in der Tat gar vereinzelt in der Welt dasteht — , so haben wir eben
*) Oberflachen-Kultur von Frits Lienhard, Stuttgart, Oreiner A Pfdffer.
inneriialb and ausserhalb mehre ^Einzelne*, die nach verschiedenen fiichtangett
hin fftr ihr Heimatsrecht, ihren Grand and Boden eintreten, wenn nötig: ein-
schreiten. Ist die Heimat gemeinsam — sagen wir: ,» Weimar*' and denken wir
den Geist, der Goethe, Schiller, Herder beseelte — dann wird es eine ganz
natürliche Taktik aller Einzelnen sein, sich wieder zu grösseren Einheiten zn
grnppieren, jedenfalls einen Zwiespalt anter einander zu vermeiden, der nur dem
Heimatgegner zugute käme. Glauben wir ein Jeder ah das Gute unserer Sache,
so dürfen wir auch annehmen, dass in unserer Gegnerschaft nach alter Regel
Herodes und Pilatus gut Freund sein werden. Dies böse Beispiel soll gute Sitten
fördern. Auf dem Berge der Verklärung waren drei Männer beisammen : Petrus,
Johannes und Jakobus; in der Nacht des Verrates und der Not ging nur der
Eine ins Bichthaus, der Andere wärmte sich draussen am Feuer, und der Dritte
lief seitab davon. Man soll aber in der Not die Verklärung nicht vergessen,
wenn man sich als Apostel verklärter d. L idealer Dioge ftthlt Soweit Oberhaupt
der Schein der Verklärung reicht, muss man sich zusammen tun gegen die Not
und den Verrat, die ihn von Aussen — immer von Aussen — zurückzuscheuchen
und auszulöschen drohen. In Deutschland reicht er von Weimar bis Bayreuth.
Auf dieser Strecke geben Thüringen und Franken sich die Hand. Wir, die wir
die ^Oberflächenkultur'' als das Aussen und Draussen empfinden und verstehen,
wollen uns auch die Hand reichen und gute Genossenschaft halten. — Da stecken
die beiden Fähnlein, das alte an der Um, das neue am Main, fest und tief im
deutschen Heimatboden, und wir halten dabei Wacht, so gut wir können ; darüber
aber weht schon in den Wolken die blaue Beichsfkhne des deutschen Idealismus,
der wir Alle folgen, soweit wir die Oberfläche noch keine Kultur heissen. —
Da bemerke ich, dass ich «aus dem Bilde gefallen^ bin! Das tadeln mit
Becht die Stilisten der Ober- und Bildfläche. Nun, ich kehre schon zum Piede-
8tal zurück — die Fahne brauche ich deshalb doch nicht zu verlassen. Also:
Lienhard stellt sein ^Weimar** der « Oberflächenkultur' entg^en, und wir finden
in seinem Weimar unser Bayreuth, das gemeinsame Piedestal, welches sich über
die Oberfläche erhebt Schien nun in Lienhards Augen die verbreitete Zeitschrift
,Der Eunstwart' allzuviel Sorge um die Oberfläche sich zu machen, und war er
demzufolge mit ihrer ästhetischen Tendenz in einen gewissen kritisch-antikritischen
Handel geraten, so wollen aber wir uns darein nicht mischen. Auch eine schöne,
geschmackvolle, feinbehandelte und reinlich gehaltene Oberfläche hat etwas sehr
Gutes, wenn sie nur nicht gerade schon an und für sich eine Kultur bedeuten
wilL So soll es uns freuen, wenn die eifrigen Bemühungen des „Eunstwart^, denen
vfir nie unfreundlich gesinnt waren, mehr und mehr dazu dienen, deutschen
Männern und Frauen die Aogen zu öffnen und den Sinn zu erschliessen für eine
ästhetische Anschauung und Behandlung der Dinge im Leben. Käme man nur
zu einer Aesthetisierung des „Milieu^, einer „Art künstlerischer Zivilisation", so
vfoUten wir das nicht „schlecht und modern*' nennen. Die moderne Welt kann's
jedenfalls gut brauchen, es tut ihr not — aber: heilt es auch ihre Not? —
Es gehört zum Kurieren der Symptome, das von Aussen nach Innen zu wirken
sucht Ich finde, man kann daran gerne teilnehmen, doch aber Lienhard sehr
ernstlich zustimmen, wenn er die viel tiefer greifende Frage aufwirft: ^Sind
Litteraten und Künstler, Kunstwerke und Kunsterziehung an und für sich und
unter allen Umständen wichtig? Oder ist das eigentlich Wichtige das wahrhaft-
Henschsein und die Kraft des Geistes — das „Göttliche" in uns?^
Es kommt darauf an: das ewige Leben in der Menschenseele zu wecken I
Wer dies aus den Edelwerken der Menschheit kennt, der weiss, dass das tönende
Wort keine leere Phrase ist. Dies ewige Leben war nicht bei den Tabulaturen
der Ifeisteninger, sondern in den Predigten der Mystiker; es war nicht bei den
Hnnanisten und lateinischen Poeten der gelehrten Schale, sondern bei Dr. ICtrtin
Lather; es ist nicht bei aller reimenden nnd £abalirenden Nachromantik nnd
Kenmodeme, sondern in der Geisteswelt Solcher, welche, dem Wesen nach Poeten,
das Beste nnd Heilige den Menschen zugänglich machen: «so verstehe man
Carlyle, Baskin, Emerson, so yerstehe man die geistige Welt drei entsprechender
festlandischer Bedner, von denen Einer ansserdem ein neaschöpferischer KOnstler
war: Bichard Wagner, Gobinean, Heinrich von Stein*. — Also schreibt Lienhard
priladirend in dem ersten Abschnitt Yom «Eönigtnm des Geistes*, and dann stellt
er im zweiten «den letzten Idealisten des 19. Jahrhanderts*, ansäen Stein, als
einen edeln Denkstein anf sein Weimarisches PiedestaL —
Dieses Kapitel Aber Stein bezeugt am Schönsten unsere innerliche Zugehörig-
keit Es geht von dem Begriffe der «Heldenverehrung* aus. Möchte man heute
▼on einer solchen nichts mehr wissen, sich yon ihr am Liebsten rasch durch ein
festliches Momentmonument loskaufen, so kann Lienhard dagegen «in einer Wieder-
anknflpfuDg an diese Empfindungsweise nichts Unmodernes finden*, erkennt Tielmehr
darin «ein Heilmittel gegenüber modemer ZerEahrenheit*. Held ist ihm kein
pathetischer Ausdruck, sondern «so gut deutsch wie nur irgend möglich*. «Unsere
letzten Kräfte wurzeln im Drange zur Verehrung, im edlen und tiefem Wunsch,
hohe Ziele und Ideale zu erringen, kurz im Idealismus*. Held ist nur ein
stärkerer Ausdruck fOr das, was unsere Klassiker Persönlichkeit nannten. «Die
letzten Lebensquellen eines Menschen, der Persönlichkeit hat, fliessen aus
religiösen QueUen*. Lienhard hebt hervor, dass es weder Liebhaberei noch
KOnstelei gewesen, wenn Heinrich von Stein «Helden und Heilige* nebeneinander
stellte. «Beide entsagen der unvergeistigten Welt, um sie daftr innerlich zu
erobern. Sie lauschen auf die Stimmen, die aus unbekannten Tiefen in der
eigenen Brust auftauchen; ihnen gehorchend ziehen sie aus zur Weltaufrflttelung
und Weltbeseeligung*^. Sie gewinnen sich das Ideal aus dem höheren Beiche, in
welchem man «Dinge und Menschen mit dem geistigen Auge schaut'', und setzen
dieses ihr inneres Erlebnis in sichtbare Tat um. So strömten unsere Grossen in
Weimar, «scharf unterschieden Yon der landläufigen Art des Dichtens und Bächer-
schreibens*, in ihrem Schaffen ein Besonderes aus: «die Kultur einer bess^*en
und reineren Sphäre, zu der ihnen nachzufolgen die Menschheit noch immer nicht
Zeit und guten Willen gefunden hat*.
In diesem Sinne hat Heinrich yon Stein die Klassiker erfasst, nicht als eine
blosse Erkenntnis, vielmehr als Erlebnis. Dun selbst war dieses ihr Ideal als
seines aufgegangen. Er sah ihr Wesen mit eigenen Augen. So darf ihn Lien-
hard den letzten Idealisten des vorigen Jahrhunderts nennen. Er schrieb in seiner
„Aestbetik unserer Klassiker'^ den Satz : „Das Schöne ist kein formaler Kanon,
etwa ein Geheimnis der Linienfllhrung in der Malerei oder in den Erscheinungen
der Natur eine plötzlich auftauchende Proportionalität. Sondern Schönheit
ist Seele*. Und Lienhard vergleicht damit treffend Herders Worte: «Der Poesie
Grund und Boden ist Einbildungskraft und (jemüt : das Land der Seele. Ein
Ideal der Glflckseligkeit, Schönheit und Wflrde, das in deinem Herzen schlummert,
weckt sie auf durch Worte und Charaktere. Sie ist keine blosse Malerei oder
Statistik; sie ist Bede und hat Absicht. Auf den inneren Sinn vnrkt sie, nicht
auf das äussere Künstlerauge. Die Bede hat etwas Unendliches in sich
nie kann der Dichter blos Maler sein wollen. Er ist KänsÜer vermöge der ein-
dringenden Bede, die das Objekt auf einen geistigen, moralischen, gleichsam un-
endlichen Grund malt: in's Gemflt, in die Seele*. Der innere Mensch also ist
in der Poesie wirksam und bildet in der Kunst sich zur idealen Tatsache heraus.
es
l>a8 ist auch der «Mensch'' Wagners, den er als das Ziel der grossen sozialen
Bewegung hinstellte, als eines «tieferen and edleren Natnrdranges^, «ans dem
Handwerkertnm heraas znm künstlerischen Menschentum, zur freien Menschen-
würde*. Diese «verinnerlichte Auffassung^ oder «zentrale Aesthetik*, wovon auch
Henry Thode spricht in den yon Lienhard angeführten Leitworten : «in die Tiefe —
und aus ihr zur Kultur^, diese echt «klassische^ Eunstanschauung, welche nur
noch auf «kleinen stillen Inseln* (wie Bayreuth I) gehegt und gepflegt wird, zeigt
uns die «innere Linie*, die yon Klopstock und durch Herder zu den grossen
Weimarischen Helden führt und nach ihnen abbrach in dem Ringen des «unerhört
umwälzenden* 19. Jahrhunderts. Da war denn der, Mensch «vor lauter Aussen-
kultur* zu ersticken bedroht. Heinrich von Stein, vom Wagnerischen Geiste
«angeregt* — ja, sagen wir: erfüllt — , drang wieder «in das Herz Altweimars
hinein* und versuchte die Aesthetik der Klassiker, diese «innere YoUendung des
betrachtenden und schaffenden Geistes*, nach Schiller, dies «innerlich bewahrte
höhere Menschentum* Goethe's, zusammenfassend zu erneuern. Freilich bleibt es
zunächst, gegenüber der gänzlich abgewandten, des Widerhalls baren, im Aussen*
werk befangenen «Tageswirklichkeit ^, bei der «Stimmung*, aus welcher «die
zukünftigen Wirklichkeiten sich yon selbst bestimmen*. Diese Stimmung wird,
nach Stein, «in einer Welt für sich zu schaffen und auszubilden sein*. Die
«unberührbare höhere Existenz* der Klassiker mit der «idealisierenden Kraft* im
Mittelpunkte, ffXr welche die andringenden Ereignisse «als eine Art Nährstoff des
inneren Lebens* gelten — wo wäre diese «Welt für sich* zu finden? —
Lienhard erkennt in dieser Stein'schen Welt seine «Oase Weimar* wieder.
Nicht nur das historische Altweimar der klassischen Vergangenheit — die «Fürsten-
gruft*! «Klassisch* hat er ja zuyor als dasjenige bezeichnet, was bleibt Auch
das Weimar, das er meint, ist ihm ein Bleibendes. Wo noch «zentrale Aesthetik*
lebendig ist, wo Kunst noch Ausdruck der grossen Seele, der «Persönlichkeit*
im Heldensinne der Klassiker (nicht im Auslebesinn der Modernen!) ist, wo aus
der «unberührbaren höheren Eristenz* heryor das Erlebnis des Ideales zur Tat
der Kunst werden will : da ist, wie er es nennt : Oase Weimar. Oder auch : Insel
Bayreuth. Das ist im Grunde das Selbe; und doch wäre ein Unterschied zu be-
merken gewesen. In Bayreuth bleibt es nicht nur bei der Stimmung, so gross
und bestimmend diese auch für die ganze künstlerische Sphäre dort ist. Die
Stinmiung hat schon Stimme und ist Tat geworden. Künstlerische Tat. Und
gerade auf dem Boden dieser Tat, also einer idealen* Tatsächlichkeit, sind einst
jene drei «festländischen Redner* zu freiem Worte gekommen : «Richard Wagner,
Gobineau, Stein* — in unseren «Bayrenther Blättern* — , gerade dort hatte yor
Allem einst der «deutsche Jüngling*, Heinrich i^on Stein, der yon jenem heimat-
lichen Boden entfernt im fremden Klima der Tageswirklichkeit sterben musste,
die Kraft des Glaubens und der Hoffnung sich gewonnen, womit er das Gebäude
seiner Aesthetik, seines Idealismus aufrichten konnte. «Er starb darüber. Aber
die seelische Linie, in die er sich eingereiht hat, die Linie des deutschen
Idealismus, ist nicht abgebrochen; sie muss und wird wieder aufgenommen werden.* —
Jenseits yom Gut und Böse in dem uns nicht berührenden Handel mit dem
„Kunstwart^S ^^^ ^^^ dritten Abschnitt anfüllt, finden wir im yierten und letzten
„Das schöpferische Prinzip^' sogleich wieder, was für uns die Bedeutung der Schrift
bestimmt: die Anknüpfung an Stein und den Geist unserer Insel. War es doch
in dem Briefe Wagners an Stein, welcher als Einführung den Dialogen „Helden
und Welt^^ yorgedruckt ward, wo der Meister den selben Ruf des Helden an die
Welt richtete : „Habt Ihr Augen ? !" der hier das Kapitel eröffnet. Und Lienhard
b^n^ügt sich nicht mit dem Schlagworte, er wiederholt jene ganze ergreifende
5
66
tlrzählnng von der trostlosen Scbaar der Pariser SclialzögliDge und der fiineü
armen Lehrschwester, in deren Blicke das Auge des wirklich sehenden Künstlers
„eine unaussprechlich schöne Sorge als die Seele ihres Lebens^^ las. Also schaut,
wer mit der Seele sucht, von der Steins tiefbewunderter Bruno das Motto dieses
Abschnittes gesprochen : „Seele ist das schöpferische Gestaltungsprinzip der Welt
Seele gebietet der Materie/* Da sind wir schon wieder mitten in dem Reiche
jener „zentralen Aesthetik'S welche die Kunst von Weimar und Bayreuth als die
Eine grosse deutsche Menschheitskunst umfasst Mit der Seele — in die Sede:
ein Schauen, welches — wie es Stein einmal sprachphilosophisch gedeutet — ein
Schafien ist! — „Wagner sah durch die Gesichtszüge und durch die Charaktere
(worin die Realisten stecken bleiben, froh ihrer Zergliederung) hindurch in das
,stillere Selbst* (Schiller), in das ,Metazentrum*, in jenen Brennpunkt, worin sich
alle Eigenschaften eines Menschen zu sammeln pflegen zu einem ,EinsS zum
unsterblichen Teil in uns. Diesen heiligen Hain sah er verwüstet und vernach-
lässigt Sein ,Sehen* ging also in ethische und universale Tiefen. Er sah in
das ,schöpferische Gestaltungsprinzip*, das nach Bruno's Wort der Materie ge-
bieten soll, hier aber nicht gebieten konnte, weil von der Materie unterjocht, weil
gekettet und verkümmert**. —
„Was hülfe es dem Menschen, wenn er tausend Kunstausstellungen besuchte
und nähme doch Schaden an seiner Seele V Hätte Wagner nur das ,Charak-
teristische* jedes Jungen betrachtet, es hätte ihm nur künstlerische Befriedigung
gewährt; unsere Naturalisten hätten den Stift hervorgeholt, unsere Realisten hätten
sich's für eine Novelle gemerkt — aber Tränen? Wozu Tränen?** „Wozu
Eerzweh um die Menschheit ? Wozu Erziehung der Nation zu höherer Kulturstufe,
in einer ganzen langen Lebensarbeit? Weil eben für solche Naturen mit dem
ästhetischen Genuss am einzelnen Menschen oder Ereignis das ethische Sehen
in die Tiefen des Menschheit-Ganzen innig verbunden ist** —
Mit diesen Worten, welche beweisen, wie eine Weimarische Seele gut Bayreuthisch
reden kann — reden muss, ist nun nicht nur dies gemeinsam Deutsche zum Aus-
druck gebracht, sondern auch schon das Goethische „Allgemein-Menschliche** be-
zeichnet, worauf Er „das Bestreben der besten Dichter und ästhetischen Schrift-
steller aller Nationen** gerichtet sah. Mag es der deutschen Seele vor allen anderen
vorbehalten sein, so tiefe und warme Blicke in die Menschheitsseele zu tun : wenn
das Schauen zum Schaffen wird, wenn eine Kunst daraus entsteht, so ist diese
schon nicht mehr nur Deutschland allein eigen, sie „gehört der ganzen Menschheit
an**, hat universalen Wert, ist die wahre „internationale** Kunst. Wie recht hat
Lienhard, wenn er es als „erbärmlichen Zug der Zeit** kennzeichnet, dass gerade
„solche Dinge im Zwischenhandel durch die Nationen gejagt** werden, also das
eigentliche „internationale** Kunstmaterial darbieten, welche nur „Sensation und
Mode zu bilden und unsere sittliche und ästhetische Verwirrung zu mehren ge-
eignet** sind! Das Gemeine ist das Gemeinsame, wogegen es eben das Edelste,
„das wahrhaft Verdienstliche** (Goethe), das Heilig -Seelische sein sollte. „Find'
ich einen veredelten und weitsichtigen Menschen in England oder Frankreich, so
nenn' ich ihn, angesichts des gemeinsamen Feindes, der Entartung der Zeit, un-
bedenklich Waffengenossen und Bruder. Er steht meinem Wesen näher als ein
liederlicher Deutscher, der seine Seele verkommen lässt Denn nicht, dass Du
— oder Deine Nation ^ lebest, ist wichtig; dass ihr gut und der Menschheit
nützend lebt, ist allein wertvoll. An die schöpferische Seele der Welt
Anschluss finden, ist notwendig; vivere non nece$$el^ —
Das ist, ethisch gefasst, die „innere Linie**, auf welcher wir gemeinsam uns
von Weimar aus in alle Zukunft fortzubewegen die wahrhaft nationale Pflicht
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hiilen, und auf welcher allein, ästhetisch gefasst, wir alles echte i^Knnstwerk der
Znknnft*, als ein Menschheitsknlturwerk, hervortretend uns denken können. Ich
sage mit unserer ,,Onippe<', dass anf dieser Linie unser Bayreuth den ersten
grossen Schritt, einen fertigen ganzen Schritt bedeutet Manche möchten gerne,
68 wftre der letzte; auch melancholische Freunde sagen wohl so, weil sie darüber
hinaus noch so gar keine Aussicht auf weitere Schritte entdecken können, weil
sie vorziehen, in der grossen Not der Seelen, an dies Eine, nun einmal ganz und
herrlich Sichere sich zu halten, dem sie sich selber durchaus zugehörig fühlen.
Ja, es ist der einzige Schritt, der getan und geglückt ist; es ist der letzte,
fOr den Yoraufblickenden, der noch nichts sieht, der erste für den Zurückblickenden,
der doch Weimar sieht Aber sollte die Seele, diese in das deutsche Wesen ge-
senkte Menschheitsseele, die sowohl dieses Weimar wie unser Bayreuth geschaffen
hat, sich darin wirklich für alle ewigen Zeiten erschöpft haben? SolUe sie, die
selbst Ewige, nicht auch dann noch auf jener wunderbaren inneren Linie wirksam
werden können, wenn auch viele und starke Dinge der Tageswirklichkeit, ja, wenn
das heutige Deutschland selbst, oder gar die heutige moderne Menschheit nimmer
Stand hielten, sich wandelten und vergingen? Wir wollen unser Piedestal, das
solch eine Linie durchzieht, doch nicht zu enge, nur allein nach den Maassen
unserer Gruppe abmessen. Es ist aus Material von Seelen-Stein. Die Seele hat
kein FlAchenmaass, und das Maass ihrer Tiefe ist Unendlichkeit Auch ist es gar
nicht aasgemacht, dass der zweite Schritt nach dem ersten, um welchen unsere
Gruppe bewundernd sich gebildet, durchaus wiederum eine Tat der Kunst sein
müsse and werde. Es ist sehr glaublich, dass unsere Nachfahren einen gewaltigen
religiösen Schritt erleben werden, einen Auferstehungssiegesschritt der Seele
des Christentumes ; und es ist ihnen dies a^f s Innigste zu wünschen. Dann aber
werden sie erkennen, und sich hoffentlich nicht allzusehr darob verwundern : dass
die grossen Erlebnisse der deutschen Vergangenheit, Weimar und Bayreuth, mit
diesem, alsdann wieder „letzten^ Schritte in festester, geradester Verbindung
stehen, der selben Kultur der Seele angehören, kurz, mit all ihren Gruppen auf
dorn selben Piedestale stehen.
Haben wir hier soeben Lienhard gehört und in seinen Worten die Weimarisch-
Bayreuther Seelensprache verstanden, wobei unser Heinrich von Stein der Ver-
mittler gewesen war, so finden wir alles, Weimar, Bayreuth, Stein, Lienhard, den
ganzen Geist der gemeinsamen Kultur, der „Inneren Linie*^ oder des „Meta-
zentrums^ wieder, wenn wir z. B. lesen, was kürzlich ein uns femstehender
Marburger Theologe, Prof. W. Herrmann, in der „Deutschen Monatschrift^
(Nov. 1904) über „die sittlichen Gedanken Jesu und dos Christentums^' mit dem
Blick in die evangelische Zukunft geschrieben hat: „Wir machen die Er-
fahrung, dass Jesus der einzige persönliche Geist ist, den wir kennen
lernen. Wie sehr auch die Ueberliefemng von ihm mit Legenden versetzt sein
mag, das werden doch viele auch mit uns merken, dass uns daraus ein inneres
Leben anspricht, das unvergleichlich klar ist und doch gerade deshalb ein ehr-
furchtgebietendes Geheimnis ist. Denn das innere Leben eines Menschen ist
um so klarer, je mehr es freie Gestaltung des Geistes ist, und je weniger be-
stimmt und belastet durch seine Umgebung. Das ist aber das Unvergleichliche
an der Erscheinung Jesu, dass wir bei ihm den Eindruck haben, als ob Alles,
was sich von Aussen her ihm anheftet, in einen Ausdruck seiner innern
Kraft umgewandelt würde. Wir meinen deshalb klar zu sehen, was allein
in ihm herrscht, und fürchten nicht, dass in seinen Aeusserungen eine uns ver-
borgene Macht ihr Spiel treiben könnte. In dieser Kraft ist er uns geheimnisvoll,
denn es ist uns unbegreiflich, wie ein Mensch so die Welt, die ihn trftgt, be-
6*
«8
herrschen kann. Zugleich aber wird er uns dadurch der einzige Mensch, vor dem
wir uns nicht mehr in uns selbst verschliessen, sondern dem wir uns in reinem
Vertrauen hingeben. In seiner geistigen Nähe werden wir wirklich das Gefühl
los, dass wir schliesslich völlig vereinsamt sind.'*
So ist auch, recht verstanden, die Umwandlung der Welt in innere Kraft
der Seele — gewissermaassen : das wieder Wille- Werden der Yorstellnng — die
eigentlich erlösende Tat. Sie ist vollzogen in der Persönlichkeit des Heilands.
Ihr Abbild haben wir in jeder reinen Erscheinung des schöpferischen Idealismus.
Wie könnten wir vereinsamen, auch inmitten einer noch längst nicht zur Seelen-
kraft umgewandelten, einer unerlösten Welt, wenn wir auf diesem ewigfesten Piede-
Btal uns treulich alle „gruppieren^S ^^^ ^^ ^^^ Einen und selben heiligen
Glaubens sind: des Glaubens an die Göttlichkeit der Seele, welche „der Materie
gebietet'' ? 1
IL
Was aber — so lässt sich nun noch fragen — was hilft das Gruppenbilden,
wenn das Piedestal zerbröckelt, ja, wenn sogar das Fundament erschflttert
wird? Sind wir nicht schon in diesem Falle? Unser gemeinsames Fundament
ist doch wohl das Deutschtum. Unsere Eunst^ und Weltanschauungen, auch
wenn sie sich als hohe Piedestale aus edlem Stoff über den Grund erheben,
lassen sich doch nicht von diesem natürlichen, irdischen Fundamente lösen.
Immer noch heisst es vom Yolkstume mit unseres Schiller Worten: «Hier sind
die starken Wurzeln Deiner Kraft!'' Wie aber steht es mit unserem Yolks-
tume in unserer Zeit eines bis zur Wildheit entfesselten Nationalismus? ja,
Deutschland erfreut sich einer Regierung, welche ihre Pflicht nicht versäumt, in
der schwierigen Lage zwischen neidisch und feindlich gesonnenen Nationalitäten
wenigstens für den genügenden Schutz deutschen Landes und Besitzes soweit zu
sorgen, als es irgend von einer Yolksvertretung zu erreichen, deren Nationalismus
zum Parteihader eingeschrumpft ist. Das zivilisatorische Piedestal für Interessen-
gruppen wird dadurch nach Möglichkeit erhalten; aber genügt das auch für die
Erhaltung des Fundamentes?
„Wir haben zwar ein deutsches Reich gewonnen, aber unser Deutschsein im
geistigen und edlen Begriffe des Wortes beginnen wir zu verlieren.'' So lesen
wir in Friedrich Lange's jüngst neu aufgelegtem Buche „Reines Deutschtum''^
und es spricht sich darin der Geist und die Tendenz des Ganzen kurz und deut-
lich aus.*) Unsere Bayreuther Gruppe auf dem Piedestale deutscher Kunst-
anschauung ist schon von ihrem Meister her an jene fundamentale Frage gewöhnt.
Stellte er doch selbst die Frage in der allgemeinsten Form : „Was ist deutsch ?*
an die Spitze aller unserer Betrachtungen und Besorgnisse. Was ist deutsch?
Unser Reich — oder unsere Zivilisation — oder unser Yolk? — Wie verhalten
diese alle sich zum „reinen Deutschtum?^ Der Politiker wird sich mit seiner
Frage an andere Faktoren wenden als der Künstler. Er prüft zunächst die Zu-
stände im Reich und sorgt sich um die Pflichterfüllung von selten der Regierung.
Da scheint es nun das Allernächste die Regierung daran zu mahnen : sei deutsch l
sorge für das Deutsche in deinem Reiche I Und doch ist dies eine noch so wenig
erkannte Weisheit, dass eben erst Bücher darüber geschrieben werden müssen von
*) Reines Deutschtum. Grundsüge einer nationalen Weltanschauung Mit einem An-
hange: Nationale Arbeit und Erlebnisse. lY. stark vermehrte Auflage. Berlin, Alezander
Duncker.
den Einzelnen, „die was davon erkannt**, unter diesen Bflchem nimmt Langend
Werk eine vorderste Stelle ein. Denn die starke Yemnnft des Verfassers ist ver-
banden mit einem klaren Verstände, der nicht an der Oberfläche haften bleibt,
sondern das Fundament des Volkstums auch wirklich als etwas Fundamentales«
als ein Knlturelement, das Kulturelement deutschen Wesens und Lebens behau-*
delt. Dem Metaphysischen vorsichtig ausweichend, und daher auch dem Kflnst-
lerischen nicht auf den Grund gehend, hat er sich doch den Blick fftr die tat-
Bichlichen Wurzeln unserer Kultur und fftr den unterschied dieser selbst von
dem Oberflächenschein der Zivilisation an dem eigenen gesunden Deutschbewusstsein
derart geschärft, dass er die Dinge, auf die es ankommt, völlig klar erkennt,
insbesondere aber auch die Oefahren sieht, die unser Volkstum bedrohen, jene bösen
Grundwasser, welche am tiefen Fundamente nagen und die Piedestale unter unsem
Ffissen zum Wanken bringen. Eben hierin sind wir, die wir die kleine Gruppe
auf dem Kunstpiedestal bilden, mit ihm, der eine grosse Gruppe auf dem politischen
Piedestal zu bilden eifrig bemflht ist, vollkommen einig. Gleichviel, ob zuftUig
der Kunstsinn des Politikers nicht nach der innerlichen, sagen wir : musikalischen
Seite hin ausgebildet ist, und er daher Bayreuth ferne blieb: er ist doch unser
Genoss im Kampfe wider den selben Feind und ffir die gleichen Gflter. Wer die
nationalen Ideen in die Tageswirklichkeit als Samen für jede nächste Ernte hinein-*
zuwerfen sucht oder wer die nationalen Ideale als reine Kräfte vor den Ver-
wirrungen des Tages in einer Art von geschlossenem Reservoir fftr eine ferne
Zukunft zu bewahren hofit: beide arbeiten schliesslich doch auf ihre Weise fttr
das nationale „Fundament''. —
«Es liesse sich doch versuchen, ob nicht mit einer kräftigen Ausräucherung
der Geist des öden Materialismus zu bannen und mit etwas Gtoist und Gemüt
aus dem deutschen Reich ein deutsches Vaterland zu machen
wäre?'' (S. 90.) Also der „Materialismus" wäre der böse Feind, die grosse
Gefahr. Das klingt zunächst noch immer recht abstrakt und nach der üblichen
Begriffsplirase. Doch wenige Seiten weiter treffen wir schon auf die bestimmte
Forderung einer Ausscheidung der fremden Elemente, „die wir nach dem
allen heutigen Deutschen innewohnenden Bewusstsein als ungleichartig, völlig
wesensverschieden empfinden.'^ (S. 95.) Da steckt die Verallgemeinerung nicht
mehr im Begriff, im Objekt, sondern nur noch in den Personen, im Subjekt.
„Was allen Deutschen bewusst sein könnet e — sollte — müsste", — wenn
de, die nichts ausser Gott fürchten sollen, nicht leider gerade das fürchteten, was
gottlos istl — so nur dürfte es heissen. Aber nichts desto weniger ist es ganz
wahr, dass im deutschen Wesen selbst der Instinkt eingepflanzt ist, der sich sofort
wider das Fremdartige kehrt, wenn er nur einmal zu etwas freiem Atem kommen
kann, was freilich in Jahrhunderten selten genug der Fall gewesen ist! — „Man
muss den Deutschen, wie Bismarck sagte: d^gourdir, entschüchtern" (eine gute
Ergänzung zum obigen Schlagwort!), „ihm das chronische schlechte Gewissen
nehmen, das er sich ehemals in der Schule mit Lessings Nathan u. ä. angelesen
hatte, und ihm Mut machen zu der rechten Weisheit, dass man der Mensch-
heit und ihren Idealen auf keine Art besser dienen kann, als indem man den
natürlichen, geistigen und sittlichen Wuchs seines eigenen Volkes durch keine
törichte Rücksicht auf minderwertige, fremde Volkselemente verkrüppeln und ent-
arten lässt" (S. 109.)
Wer mit einem warmen deutschen Herzen den rechten kühlen und scharfen
Blick fQr das Undeutsche verbindet, wie der Verfasser dieses Buches, der wird
nun aber seinen Patriotismus nicht befriedigen an einem blos oberflächlichen Ab-
scheu vor dem fremden Elemente als solchen, wie es der landläufige Antisemitia-
10
ttus vielfach allein getan hat Die Ba980» die man rein und schroff als Oegen«
satz zur eigenen vor sich sieht, ist die grösste Gefahr nicht. Die wahre Gefahr,
welche nicht nur die eine oder andere Gmppe vom Piedestale stdsst, sondern
dieses seihst bis tief ins Fundament hinein erschüttert oder vom Fundament aus
zerstört, zerfrisst, ist unsere heute allerbedenklichste Gefahr, ist die Mischung
der Bassenelemente.*) Deutsche Kultur wäre erst dann völlig verloren, wenn sie
eine Mischlingskultur werden sollte, wie es unsere äussere Zivilisation bereits
ist. Worauf es ankommt, um unser Deutschtum auf allen Gebieten wirklich zu
schützen, das ist ein unbeirrbarer Blick für die Mischlinge — auf allen Ge-
bieten. Friedrich Lange besitzt ihn ; denn er ist kein Mann der Phrase, sondern
der Wahrhaftigkeit; und dazu gehört mit Notwendigkeit jene Erkenntnis, die sich
u. A. in den klaren Worten ausspricht: «Die Regierung lebt im Dunstkreise dieser
zum grossen Teil entarteten Gesellschaft: jüdische Mischlinge sind an wichtigen
SteUen ihre Ratgeber und ausführende Organe.^ Und weiterhin: «Wenn der
Adel und unsere höheren Stände überhaupt nicht unter allen Umständen ihr
deutsches Blut rein erhalten, wenn sie nicht auch in schweren Zeiten ihren inneren
Stolz gegen alle Versuchung behaupten können, dann wüsste ich nicht, wozu sie
in der Welt nutz wären.^ (S. 193.) Hier ist der Kernpunkt der heute fast schon
zur Mode gewordenen Rassenfrage berührt, der Punkt nämlich, worin sie mit dem
Leben unserer Nation selber zusammenhängt
Anstatt die Misstände, welche aus den immer wieder aufflammenden Gegen-
sätzen entstehen, mit geradezu verruchtem Leichtsinn durch das bequeme Lösdi-
und Lügenmittol der Mischung beseitigen zu wollen, wäre es vielmehr unsere
erste nationale Pflicht, die zu unserer Wehrpflicht selber gehört: sie so scharf
und unerbittlich als solche festzustellen, dass jeder Versuch einer Vermischung
ausgeschlossen bleiben muss. Wenn aber leider Gottes gerade unser Adel und
unsere höher gebildete Gesellschaft, jener aus materieller Not, diese aus ideeller
Schwächlichkeit, jenes elende Mittel besonders bevorzugen, also für die Rettung
unserer Rasse versagen, was verspricht uns dagegen etwa noch das Volk? —
weh I Die grosse Masse des arbeitenden Volkes ist ja bereits unter jüdische
Führung geraten, die ihr mit der ihr eigenen Naturgewalt den „internationalen*
d. i. undeutschen Stempel für unabsehbare Zeit aufgedrückt hat Wäre es noch
irgend möglich, in dieser Masse das wahre reine Rassenbewusstsein zu wecken,
das nicht nur blind sich austobt im brutalen Zuschlagen, sondern vielmehr seine
stärkste Kraft, eben die des wirklichen Bewusstseins, also auch der Besonnenhdt,
in der unzweifelhaften Abwehr des Fremden betätigt, dann könnte man leichter
an eine Zukunft des reinen Deutschtums glauben. Was nicht von oben kommt,
muss von unten kommen: möchte es nicht Umsturz sein, sondern Wiedergeburt I
Umsturz ist Sache des Proleten — darauf setzen sich die Geier nieder; —
Wiedergeburt ist Kraft des Ariers— da fliegen die Aare aufl — Und mit
einem wahrhaft schönen Witz der Sprache fasst Lange selbst jene äusserate Hoff-
nung in den Wunsch zusammen: dass der deutsche Proletarier sich einmal
nicht mehr nur als Prolet, sondern ganz als Arier fühlen lernet —
Aber auch der Arier ist schliesslich nur ein edelstes Mittel des höchsten
Menschentums, sich zu einem bestimmten Lebensausdrucke in der Geschichte der
Menschheit zu bringen. So wendet sich denn auch der Verfasser des «reinen
Deutschtums'' nicht nur den „Mitteln^ zu, welche erst noch so wenig versprechen,
*) Dieses Thema habe ich weiter ausgeführt in Nr. 14 der empfehlenswerten „Deuiad^
WM', Beiblattes der charaktervollen „DmOsehm Zeümg'' Friedrich Lange's, v. W.
7f
londem er bekennt sich sofort zu dem letzten «Zwecke^, welcher nur um Bo'mehf
erfordert. «Das Kationalbewnsstsein* darf den Blick auf das Ewig mensch«
liehe nie verlieren: der letzte Wert einer Nationalität kann nur noch daran ge-
messen werden, was sie znr Förderung der ganzen Menschheit beigetragen hat.^
(& 20.) Wir erinnern uns dabei an Lienhards letztes Wort; ^Nicht dass Da
oder Deine Nation lebest, ist wichtig: dass ihr gnt und der Menschheit nützend
lebt, ist allein wertvoll!^ Die Basse ist eine Urkraft, und wenn auch nur Mittel
zum Zwecke, so doch aber ein so gewaltiges, so die ganze Wirklichkeit des Lebens
von Yolk und Individuum bestimmendes Mittel, dass der Zweck selber nur noch
ausserhalb aller Wirklichkeit seinen Platz finden, nur noch im rein Idealen liegen
kann. Dies aber ist das Allgemein-Menschliche. Es hat keinerlei reale
Gestalt, wie jedes einzelne Volkstum; es ist aber auch kein blosser abgezogener
Begrifil Es ist ein geistiges Sein, eine Idealität, welche jegliches Volkstum erst
znr Kultur erhebt. Daher kann man ein Volkstum garnicht als Eulturwesen be-
trachten, ohne die ideale Seite, das „Jenseits'' seines Lebens zu berücksichtigen,
jene Seite, wo sich das Allgemein- Menschliche in seiner Religion und seiner
Kanst einen besonderen Ausdruck schafft, um innerhalb aller geschichtlichen
Wirklichkeit das Leben des Volkstums selbst immerdar an seinen hohem, seinen
ewigen Zweck zu mahnen. Auch der politische Praktiker Lange ist viel zu sehr
Idealist, idealgläubig, in der ernsten Erfassung der Bedeutung des Volkstumes,
als dass er jener Seite sich nicht immer wieder zuwenden sollte, obwohl er seiner
geistigen Natur nach nichts weniger als Theolog oder Künstler ist Aber er steht
auch hier auf gutem, festem Grunde. Wenn das Deutschtum sein Fundament ist,
so weiss er wohl, dass es kein Kulturpiedestal tragen könnte, wäre es nicht zu-
gleich durch einen unlöslichen religiösen Kitt verbunden, den man natürlich
nicht, wie unsere modernen Naturapostel, in den Urwäldern der wilden Jäger und
Bärenhäuter ante Christum neUum zu suchen hat!
Derjenige Kitt, welchen das deutsche Volkstum braucht zu seiner eigensten
Kultur, und um durch seine Kultur wiederum auf andere Völker zum Heile der
Menschheit einzuwirken, das ist aber der protestantische Geist Christen-
tum, gewiss I weil die Aufgabe allgemein-menschlich ist; aber Protestantismus,
weil sie deutsch ist Von jeher, seit den Zeiten der Goten (Ulfilas), der Sachsen
(Heiland), der Staufer (Walther), der Mystiker und der Städte, hat dieser
Geist des „Wach auf, es nahet gen den Tag!*, der das Deutschtum gegen
das Fremdtum auch in seinem Glauben sich wahren wollte, bis in das Poli-
tische hinein sich in unserer Geschichte lebensvoll betätigt. „Protestant sein
und Deutscher sein und Mensch sein ist im höchsten Sinne dieser drei Worte
das Selbe; der Urquell von allen drei Begriffen ist die freie Persönlichkeit* sagt
Lange gleich zu Anfang (S. 14), und ob sich in der Folge sein Vertrauen auf
die Hilfe des Christentums im Rassenkampfe geschwächt hat: auf diesem Funda-
mente ist er doch stehen geblieben, und da stehen wir mit ihm. „Protestantisches
Bewnsstsein! Wenn man das Wort recht verstünde, könnte es wohl den Unter-
grund bilden für eine grosse, alle wahrhaft Deutschgesinnte umfassende Partei;
denn der wohl verstandene Protestantismus bedeutet die Entwicklung der Autori-
tätsreligion zur Persönlichkeitsreligion im Einklänge mit unserem germanischen
Rassencharakter. Der recht verstandene Protestantismus bedeutet die fortschrei-
tende Steigerung der Sittlichkeitsbegriffe vom Schein in das Sein, vom
Aeussern in das Innerliche, vom Niedrigen ins Adlige.'' (S. 96.)
Was denen zu denken geben sollte, welche den Katholizismus für besonders »vor-
ndun^ halten, weil die Kardinäle den Purpur tragen, und zwar so und so viele
Jahrhunderte alten!
78
In dem dtiertea SaUe finden wir die wnhrhifte Harmonie iwiichea Ckristein-
tnm nnd Dentschtnm kkr T^nommen nnd an^edrflckt. Man dflrfte sie did
prtitabilirte Harmonie der deutschen Kaitor nennen. Einxelne historiscli-politiKlie
Bedenken können g^en diese Gmndwaluiieit nicht mdir daaerad anfkommen.
Wohl mag dem sorgenrollen Frennd des reinen Dentschtnmes mitmter der Zweifel
wieder überüdlen: ^ob unter dem Genchtspnnkte der gransamea Ungerechfig-
keit des Banemkrieges nnd der nationalen Yemichtnng des dreissigjahrigen Krieges
die Beformation Lnthers eher filr einen Stolx des deutschen Namens oder fbr ein
fnrchtbares Unglück zn halten* sei (S. 98.) Aber gerade das Deutsche in ihm
wird sich auch immer wieder zurechtfinden mflssen zu dem, was das Ideal-Deutsche,
n&nlich unsere zur Förderung des Allgemein-Menschlichen uns zugewiesene höhere
Aufgabe ist Wir wissen es nach der eindringlichen Lehre unseres Meisters zu
schätzen, was es fllr für unser Volkstum bedeutet hat, dass ihm, befreit Ton dem
glänzenden Schein einer fremden Benaissancekultor durch einen gewaltsamen Aus-
bruch seines eigensten Cteistes, aus allem daraus folgenden Elend henror d>en
die wahre innere Seele einer echtdeutschen Kultur blutgetauft emporsteigen durfte.
Bach — Kant ~ Goethe — Schiller — Beethoven — Stein — Wagner — Ksmarck •
sind ohne jene protestantische Not- und Nengeburt des idealen Deutschtums nicht
denkbar. Gerade durch das politische Unglttck ward eine Kirchenstreiti^eit zu
einer Nationalsache. Dass damit das kirchliche Werk Luthers in seiner weiteren
Gestaltung der Kritik nicht entzogen wird, vielmehr gerade darin seinen kritmchen
Maassstab behält, woran es jederzeit zn messen ist, das versteht sich fbr uns von
selbst. Wir freuen uns aber, den deutschen Geist bei Lange mit solcher Sicher-
heit auch die Kritik üben zu sehen, dass er zwar unsere arme protestantische
Kirche mit ehrlicher Schärfe ihre Mängel und Fehler ftüüen lässt, dabei aber nicht
etwa in das seichte Fahrwasser des liberalismns gerät, sondern dessen immer nur
abstrakte Versuche abweist, „eine Sache auf rein geistig-kritischem Gebiete ent-
scheiden zu wollen, welche in die Tiefen des Volkswesens greift. '^ (S. 111.)
Da ihm vor allem an diesem Volkswesen gelegen ist, so rühmt er auch Luther
gerade deswegen, dass er das Christentum deutsch gemacht habe. Da wäre
dann freilich im Sinne des höchsten Zweckes hinzuzafQgen : ,JaI Aber damit es
wieder christlich werde!*' Denn eben dazu bedarf es des Kampfes gegen das
Undentsche, welches seiner Seele schadet ; und Luther hat das Deutschtum wieder
kampffähig gemacht zn jenem grössten Geisterkampfe für eine ideale Kultur
von allgemein menschlichem Werte, deren Beligion das „reine Christentum'^ ist —
Fragt man endlich, was denn aber gerade die Deutschen am Christentum an-
gezogen habe, so darf man Lange's Antwort zustimmen: „Der arische Idealismus
fand etwas Verwandtes darin.^ (S. 125.) Aber eben diese Verwandtschaft be-
schränkte sich nicht auf die Oberfläche, wo durch den christlichen Einfiuss eine
ErmilderuDg und Verfeinerung der teutonischen Sitten herbeigeführt, Deutschland
also zivilisiert werden mochte — damit käme man aus den römischen Verdiensten
noch nicht heraus! — Nein, der arische Idealismus geht weiter, dringt „in's
Innere der Natnr^ und auf die Höhen der Geistesfreiheit; er protestiert gegen
die äussere Form nnd ersieht sein Ziel in der Erhebung zum Uebersinnlichen,
Seelischen, Idealen, nicht als ein schönes Bild nnd Gleichnis, sondern als die
höchste Aensserung seines eigensten Herzschlages. Damit erhebt auch das Volks-
tum sich über sich selbst, aber nicht ausser sich selbst; vielmehr nur aus
sich selber und kraft seiner selbst. Indem wir so des Nationalismus pflegen, sind
wir schon Christen; denn wir haben den starken Willen znr Entsagung: die letzte
und grösste Errungenschaft unserer eigenen Kraft widmen wir der ganzen Mensch-
heit. —
yju nun das Mittel des Yolkstams mit dem Zwecke des Menschentums am
Beinsten nnd Freiesten verbindet, sodass auch gerade darin das ^Deutscbtom'^
selber noch am Ehesten die Freiheit hat, als das ^^reine*^ zn erscheinen: das ist
gewiss die Kunst Aber es mnss allerdings wieder nnr die reine, die wahrhaftige
Kunst sein, eine solche, wie sie z. B. unserer „Bayrenther Gruppe^ recht eigent-
lich snm geistigen Piedestale dient. Der praktische Politiker im besten Sinne
sieht nun wohl mit seinem scharfem Auge fftr das Wirkliche das ganze Misswesen
von Schutt und OeröU, das ringshemm den Boden derart bedeckt, dass das edlere
Gestein, welches wieder neue Piedestale bilden könnte, darunter elend ver-
schwindet In diesem Blicke ist er ganz der Unserige, obwohl er auf dem breiten
Fundamente fem von unserem besonderen Piedestale steht Er sagt u. A.: «So
ist denn die Kunst, die wir haben, das schwächliche, blasse, blutarme Geschöpf,
das die Schnürbrast der Wissenschaftlichk^t und die Geringschätzung einer
materialistischen Lebensanschannng aus ihr gemacht haben.'' (Die Kunst, die wir
haben, gehört aber nicht hierzu.) „Wie immer ist auch heute die Konst das
getreue Spiegelbild der Zeit'^ (Freilich gilt dies gerade nicht von aller grösster
Kunst!) ,4>a sie nirgend recht in persönlicher Empfindung wurzelt, muss sie
sich geCeülen lassen, wie ein eigentlich überflfissiges Spielzeug von Hand zu Hand
zn wandem; mit einer fiachtigen Mode muss sie um die Wette laufen und bringt
sich so zuletzt auch bei Einsichtigen um den Kredit. Alexandrinische Wissenschaft
und eklektische Kunst, die beiden gehören immer zu einander/' (S. 56.) Dies ist
schon zu Anfang 1891 geschrieben; nicht nur hat seitdem das Verlangen aus dem
Schutt heraus sich stärker geregt, es hat auch jene Eine Kunst, welche wahrhaft
,4n persönlicher Empfindung wurzelt", welche nicht „mit der Mode wettläuft'S
und anstatt „von Hand zu Hand zu wandern", eben an ihrer Einen festen Stätte
bleibt, auch bei den Einsichtigen an „Kredit" gewonnen. Die „alexandrinische
Nacht, in der Volk und Kunst nichts von einander wissen" (S. 172), hat sich
ttber dieser Stätte, unserem Bayreuth, denn doch allgemach ein wenig gelichtet.
Dass es noch nicht völlig gelingt, woher kommt das ? Was ist es, das Kunst und
Volk von einander hält? Lange kennt die Mächte sehr wohl und hat sie deut-
lich genannt; aber leider hat er noch nicht mit eigenem Auge klar genng er-
sehen, wo die beiden trotz jenen Mächten sich treffen und mehr und mehr sich
treffen können. Da ist jene Idealität verwirklicht, die kein blosses äasserliches
Aesthetentum ist, sondem „zur Tat strebender Wille". (S. 19.) Da spricht zu
seinem Volke, seinem Volkstum, der Dichter, dessen Aufgabe uns Lange einmal
so schön bezeichnet hat : , J)er wahre Dichter ist nicht nur Abbilder und Herzens-
kflndiger, sondern vor allem anch geistiger Führer und Vorempfinder seines
Volkes." (Nibelungenring — Meistersinger — Parsifall) Aber er fährt dort
auch einsichtsvoll fort: „Eine Nation, wie unsere heutige, bietet gar nicht den
üntergrand filr Volkspoesie im gewöhnlichen Sinn des Wortes; wohl aber
können Dichter unserer Nation zu Zeiten einen guten, notwendigen und eines
Tages vielleicht auch mit volkstümlicher Anerkennang belohnten Dienst leisten,
wenn sie die Brücken schlagen helfen zur inneren Verständigung der getrennten
Volksgenossen." (S. 69.) Nun, eine solche „innere Verständigung" findet jedes-
mal statt, wenn sich die aus den verschiedensten Schichten, „EUassen", Konfes-
sionen und Provinzen des Volkes gemischten Mitgenossen des Bayrenther Erleb-
nisses, von den hochgesinnten Fürsten bis zu den armen Stipendiaten aus der
Volksschule, in der tiefinnerlichen Ergriffenheit ihres Wesens durch die Idealität
der Kunst zu einem einzigen grossen, dankbar begeisterten deutschen Herzen zu-
sammenfinden. Da schwindet in schönem Gemeinschaftsgefühle, selbst bei vollem
Bewusstsein der gewaltigen Notlage alles deutschen Idealismus in unserer mate^
u
rialistisch semitisierten Umwelt, doch jener herbe „Pessimismas^S der in diesem
Falle sogar den lebensfreudig vertrauensvollen Reformator noch befangen hält,
wenn er klagt : „Schlimmer noch ist das Los der Einsamen, die still in sich das
Heiligtum des Deutschbewusstseins pflegen, ans dem allein unserer Kunst die
kflnftige Blüte wachsen kann ; denn heute noch will Keiner auf sie hören, an sie
glauben!^ (S. 169.) Dabei denkt man wohl gleich an das „einsame Bayreuth^;
aber man darf sich auch tröstlich sagen: diese Einsamkeit ist denn doch in der
Tat zu einer Stätte des Hörens und Glaubens geworden!
Eben das hat der uns so gesinnungsverwandte Politiker des „reinen Deutsch-
tums*^ noch nicht erlebt, nicht mitgelebt Damit fehlt ihm die kräftigste Be-
stätigung, der lebendigste Beweis für die Wahrheit seiner Ideen und die Gewiss-
heit seiner Hoffnungen. Er steht unserer Kunst fremd gegenüber, und als er
sich einmal hat hinreissen lassen, gerade über sie, die grosse Freundin seines
Willens, ein hartes Urteil zu fällen, fügt er gleich entschuldigend hinzu, dass er
„von der Musik nicht als Kenner, sondern nur nach laienhaftem Empfinden
spreche^. (S. 180.) Diese eine Seite seines Buches zeigt uns den leider so oft
noch bei unseren besten Piedestal- oder Fundamental-Genossen anzutreffenden
schwachen Punkt, an welchem ihr Schauen und Denken sich plötzlich von dem
unsem trennt und gerade von der einzig tröstlichen Hocherscheinung des deutschen
Idealismus, der sie selbst als Sehnsucht beseelt, in das Nebelgrau der Allerwelts-
not abschwenkt. So wird hier auch der vortreffliche Lange blind, weil er glaubt,
betäubt zu sein und nur an einen Vergleich mit der angenommenen „Schlicht-
heit* der Musik „Bachs, Beethovens, Haydns und Mozarts <* denkt; wogegen
ihm dann die Kunst des „feurigen Mannes'', Wagner, „im innersten Grunde ihres
Wesens nicht naiv, sondern voll Absicht, ja, zuweilen als Pose^' erscheint.
Aber e r ist hier der nicht Naive, der verkennt, dass die eine grosse Absicht der
Wagnerischen „Musik^^ das Drama ist. Warum er das verkennen konnte, sagt
uns ziemlich deutlich der mit dem Style unserer Kunst so völlig unvereinbare
romanische Begriff der „Pose". Denn in der Tat ist eine Verwechslung dem
Publikum unserer Opernhäuser sehr nahe gelegt, und es sollte mich nicht wundem,
wenn Lange nicht doch eben da, wo er bisher die Werke gesehen, ganz richtig
gesehen hätte: nämlich anstatt des Bayreuther Dramas die beliebte Opempose.
Er selbst aber, obwohl blind für „Bayreuth'', ist und bleibt immer der Einsichts-
volle, der zum Mindesten über „Weimar" sich mit uns zu verständigen weiss. Goethe
schrieb einmal an Zelter : „Sehr schlimm ist es in unseren Tagen, dass jede Kunst,
die doch eigentlich nur zuerst für die Lebenden wirken soll, insofern sie tüchtig
und der Ewigkeit wert ist, mit der Zeit im Widerspruch (sich) befindet, und dass
der echte Künstler oft einsam in Verzweiflung lebt, indem er überzeugt ist, dass
er das schaffen und mitteilen könnte, was die Menschen suchen." Und Lange
sagt fast 100 Jahre später: „Es kann sein, ja, wird sich in der Regel ereignen,
dass ein Volk zu der Zeit, da ein Künstler höchster Kraft in ihm emporwächst,
sich seinem gesteigerten Denken und Empfinden noch nicht verwandt fühlt, ihn
missachtet, tadelt, ja, befehdet, worin eben das Martyrium hoher Seelen be-
steht; früher oder später aber wird es seinen Irrtum erkennen und sich durch
den Märtyrer bereichert finden, sobald es sieht, dass er doch Fleisch von
seinem Fleisch, Geist von seinem Geiste ist." Und weiterhin: „Der grosse
Künstler bleibt Führer, er muss die neuen Wege der Zukunft finden und kann
dabei nur auf den Rat seiner eigenen Seele hören. Das Volk ist und bleibt
Gefolge. Erst eine spätere Zeit und das unbefangene Ausland können beurteilen,
ob der Künstler sich in seinem Schaffensdrange in kosmopolitische Einsamkeit
verloren, oder, soweit er auch schweifte, so hoch er auch stieg, doch den Zu«
sammenhang mit der Seele seines Volkes nicht verloren bat/^ (S. 86. Tgl. auch
S. 60.)
Ist es nicht, als s&he da unser klager Fnndamentalgenosse durch die Nebel
schon unser Bayreuther Piedestal wie eine ferne Höhe, von der die Hilfe kommen
soll, wenn nicht aufleuchten, so doch aufdunkeln? Ja, es wäre ihm wohl herz-
lich zu gönnen, dass er es auch leuchten sähe, selbst ohne dann unserer allzu
kftnstlerisch isolierten Gruppe beizutreten, da ihn sein Drang und Beruf ins
Weite, in die politisch-soziale Wirklichkeit des leidenden Volkstums treibt, wo
solche Männer höchst dringend nottun. Uns würde es freilich genOgen, wenn
eben ein Solcher nur einmal erkennen möchte, dass — soll das deutsche Reich
zum deutschen Vaterlande werden — und soll dies ein Werk des deutschen
Idealismus sein — Bayreuth als die frei erhaltene Stätte der Beinbewahrung
idealer deutscher Kräfte dazu helfen kann und helfen wird. Dass es kann,
wissen wir; dass es werde, liegt an ihm und seinesgleichen. Wollen sie, die
Treuen und Tapfem, das Fundament des reinen Volkstums wieder stärken und
sichern, auch Ar unsere eigene Sache, so gehört unerlässlich dazu der grosse
und freie Glaube an dieses Volkstums reine Ideale* —
Die Welt feiert in diesem Jahre Schiller, weil er starb. Das Leben rings-
her widerspricht solcher Feier. Nichts dfinkt die Lebendigen von Heute wider-
sinniger, als das urechte Schillerwort unseres heutigen Motto's, auf dessen
wunderbare Wahrheit uns doch soeben unsere Betrachtungen wieder hingeleitet
haben. Muss seine Wahrheit nun wohl ein feierliches Geheimnis unserer „Gruppe^*,
bestenfalls eine mystische Inschrift unseres „Piedestales'^ — Bayreuth — Weimar —
bleiben: — ohne das tiefe Fundament des deutschen Wesens und Geistes wäre
sie doch niemals auch nur in Worte zu fassen gewesen, wie es Schillers kühnem
Idealismus mit dem heroischen Akzente des prophetischen Dichter- Weisen gelang :
„Um das politische Problem in der Erfahrung zu lösen, muss man
„durch das aesthetische den Weg nehmen, weil es die Schönheit ist,
„durch welche man zur Freiheit wandelt^' —
Hans vtn Wtlsogen.
7«
Max Martersteig, das deutsehe Theater
im 19. Jahrhundert
Eäne kaltugefchichtliclie DanteUimg. Leipzig 1904, Breitkopf k Hftrtel XVI S. 735 8.
gr. 8*. .A 15.—.
Die Geschichte jeder Eniuit hat mit der traurigen Heterogonie der Zwecke
za rechnen, die das kflnstlerische Schaffen innerhalb der Menschheit nnn einmal,
wie die Dinge liegen, erfüllen mnss: einerseits der magischen Erh^nng des
Menschen auf jenen höheren Standpunkt, von dem ans ihm Weltenlanf und Schick-
sal in kflnstlerischer Verdichtung erscheinen, andererseits der ganz gemeinen
Unterhaltung; und wenn irgendwo, so mflssen wir hei der Geschichte des Dramas
beide Faktoren in Betracht ziehen, denn das Drama wird erst im Augenblicke
der Aufftihrung fertig und die Bflhne, die diese Aufführung betätigt, steht eben
unter dem unheilvollen Druck des Sensationsbedttrfiiisses einer unterhaltungs-
Iflstemen Menge; nicht jedem Dramatiker wird, der Eompromiss zwischen den
Anforderungen des innerlich wirkenden Gesetzes und denen der ftusserlichen Ver-
hältnisse so schwer, wie dem Theaterdichter im Vorspiel zu Goethes Faust, aber
durchkämpfen muss ihn jeder, der nur einen Tropfen echten Künstlerblutes in
den Adern hat, und wie manches KttsÜerhers hat sich in diesem Kampfe ver-
blutet! Die Geschichte des Dramas, insbesondere während des 19. Jahrhunderts,
ist bisher fast immer nur im Hinblick auf die rein künstlerische Seite der
dramatischen Litteratur betrachtet worden; die Grossmeister der Bühnendichtung
traten hervor und wurden als Entdecker von Problemen und Formen gepriesen
oder getadelt, ihr Missgeschick und ihre Leiden wohl meist auch mit den all-
gemeinen Eulturzuständen, weniger mit den Theaterverhältnissen in Verbindung
gebracht, das Hauptgewicht aber auf die innere, rein künstlerische Entwickelung
des modernen Dramas gel^t, auf die Weitergabe und Fortbildung der letzten
Errungenschaften des einen durch die andern. Blickt man nun auf die Reihe
der Berggipfel, die ihr Haupt von der Fläche zum klaren Himmel erheben, auf
die Kleist, Raimund, Grillparzer, Hebbel, Ludwig und wie sie alle heissen, so
wundert es einen nur, dass sich eben unsere heutige Bühne so darstellt wie sie
ist: war das der Erfolg des blutigen Ringens? Aber auf diesem Gebiete steht
es eben so, dass nicht die Feldherrn die Schlachten entscheiden, sondern die
Massen ; ja, hier fechten Feldherren nicht gegen Feldherren, sondern das Pack
befindet sich in stäter ViTidersetzlichkeit, bald offener Empörung, bald heimlich
schwälender Intrigue gegen die Grossen. Nicht immer gelingt es ihnen, sich
diesen Einwirkungen zu entziehen, und nicht immer, die Einflüsse aus der Tiefe
zu adeln, das Schädliche zum Nutzen umzuwenden; jedenfalls aber behält die
breite, zahlende und für ihr Geld Vergnügen heischende Masse das Uebergewicht
Die Geschichte des deutshen Dramas im 19. Jahrhundert musste geschrieben
werden vom Standpunkt der Bühnengeschichte ans : erst so lernen wir den ganzen
Jammer, die ungeheure Widerstandfähigkeit der Erbärmlichkeit kennen, gegen
die unsere Klassiker und ihre Nachfolger angekämpft haben, aber andererseits
auch ihren Heldenmut, mit dem sie ihren Idealen bis in den Tod getreu blieben.
Es ist kein erhebender und befreiender Eindruck, den das tüchtige und gediegene,
auf gründlicher Kenntnis und reifer Beherrschung des riesigen Stoffes beruhende,
wenn auch durchaus nicht gleichmässig durchgearbeitete, ja in Einzelheiten oft
auch recht anfechtbare Buch von Martersteig hinterlässt \ wie eine grosse Tragödie
19
lesdn sich insb^ondere die ersten Abschnitte der eigentlichen Darstellung, die
nach einer summarischen, aber recht brauchbaren üebersicht über die befolgte
sosiologische Methode und Aber die Vorgeschichte des Theaters die Regenerations-
yersuche Ctoethes und Schillers behandeln, und immer taucht als Verderben
bringendes Element, als rechtes Schosskind und zugleich als Vehikel gedanken-
loser Oberflächenkultur die Missgeburt der Oper auf, die durch ihre ungeheuren
Ansprache an die aufzuwendenden Mittel einerseits, an das Interesse der Masse
andererseits dem eigentlichen Drama alle Lebensluft nimmt und es zeitweilig zu
ersticken droht Dass der Verfasser unseres Buches, der unseren Klassikern als
Bahnenleitern ins Auge, ja ins Herz geschaut und ihren heissen Drang, den Zu-
schauer wirklich als ganzen Menschen zu ergreifen und künstlerisch zu beeinflussen,
in seinem Innern nachempfunden hat, für die Grosstaten unseres Meisters volles
Verständnis, ja die Liebe und Dankbarkeit aufbringt, die wir Germanisten dem
Vollender der Träume eines Schiller vor allem schuldig sind, braucht kaum gesagt
zu werden. Für ihn ist Bayreuth die Erftülung der künstlerischen Sehnsucht der
Besten unserer Nation. Ecdn Wunder, dass er an seiner immer höheren Ver-
▼oUkommnung mitarbeiten möchte und das, was er, sicherlich in gutem Glauben,
an seinen Leistungen auszusetzen hat, offen und männlich ausspricht. Solche
wohlmeinende Aussprache verdient immer Dank und — eine offene Antwort Uns
erscheint nun einerseits darin ein Fehler seiner Ausstellungen zu liegen, dass er
nicht das Bayreuth der Gegenwart, des heutigen Tages, sondern mehr das seit
einem Jahrzehnt überholte zu kennen und zu beurteilen scheint und sich auch
dabei von einigen rein persönlichen, vielleicht ganz zufUligen Enttäuschungen
viel zu stark hat beeinflussen lassen. Nun kann man über subjektive Eindrücke
sehr schwer streiten, man müsste dem Eindruck des Gegners einfach den eigenen
gegenübersetzen. Ich habe den «ParsifaP unter Levis Direktion nicht mehr erlebt ;
ob aber die , Verlangsamung der Tempi^ unter dem neuen Dirigenten notwendig eine
«Verschleppung^ sei, ist doch sehr fraglich, und dass „dadurch^ das „Moralische
unter das Aesthetische geordnet wurde^, zum mindesten ebenso ; muss denn alles Ge-
haltvolle, Getragene notwendigerweise rein moralisch wirken ? Kann es sich nicht
um eine stärkere Hervorhebung des associativen Faktors im äthetischen Eindruck
g^enüber dem unmittelbar Sinnlichen handeln? Ich weiss nicht, ob sich jemand
durch die neue Direktionsweise so ,, verletzt gefühlt^ hat, wie Martersteig; ich
bin nicht Musiker, sondern kann nur vom Standpunkt des geniessenden Zuhörers
urteilen; mir ist im Jahre 1902, als ich zum ersten Male das Festspielhaus
besuchte, eine Offenbarung über die andere aufgegangen und die 6 Vorstellungen
des letzen Zyklus haben in ihrem Zusammenhange einen Eindruck auf mich ge-
macht, der einem sittlichen Ruck, einem Bruch mit einem früheren Leben gleich
kam ; vielleicht wird Martersteig nun behaupten, da sei eben das Moralische über
das Aesthetische gestellt; aber das rein Aesthetische des Eindrucks mit Worten
zu analysieren oder zu umschreiben, widersteht mir; ich kann hier nur sagen,
dass ich durch diese Aufführung, wie es ihre geniale Leiterin mir verhiess,
wirklich musikalisch, zum wenigsten für die Wagnerische Kunst und auch für
die eines Bach und eines Beethoven in weitem Maasse empfänglich geworden bin ;
andererseits aber zeigt eine so starke Wirkung doch, dass es mit dem von
Martersteig angedeuteten Verfall ins „Prätentiös-Geistreiche^ nicht so schlimm
sein könne ; hier wi^gt wohl auch die Stimme des einzelnen Mannes, mag er eine
noch so bescheidene Rolle spielen, wenn nur sein Zeugnis ehrlich ist. Ueberhaupt
ist mit so allgemein gehaltenen Vorwürfen gar nichts gesagt; damit liefert man
nur den Lästerzungen neue Phrasen, die sie mit ekler Geschwätzigkeit weiter
verbreiten; wer es gut meint, weise UnvoUkommenheiten im einzelnen nach:
—
läclilagworte brachten nicht viel, denn sie berichtigen nicht die Schwierigkeit Aet
Sache. Was soll der Vorwurf des „Star-Systems*' besagen? Werden denn iH
Bayreuth die Sänger nach dem Klange ihres Namens berufen? Ich dachte, die
wahrhaft glänzenden Erfolge, die man mit blutjungen Anfilngem erzielt hat, sollten
das Gegenteil beweisen; freilich stehen dem auch Misserfolge gegenüber, und da
die alte Garde allmählich ins Hintertreffen rückt (von systematischer Undankbarkeit
ist wohl bei Neubesetzungen keine Rede; falsche Pietät ist auch eine Yersflndignng
gegen den heiligen Geist der Kunst), so muss eben nach Ersatz gesucht werden,
und wo eigene Erfahrungen bei bestem Willen nicht in genügendem Maasse ge-
sammelt sind, muss man sich mit denen anderer begnügen; dass man bei dem
Engagement der berühmten Vertreter einzelner Rollen daneben greifen kann, ist
eine Binsenwahrheit, die man nicht erst wieder auftischen sollte, ebenso wie die
andere, dass die „Stars** gewöhnlich sich schlecht ins Ensemble fügen, falls sie
eben nicht wahre, grosse Genies sind; Martersteig aber wtu^e selbst nicht das
Mittel anzugeben wissen, mit dessen Hilfe man den Träger eines berühmten
Namens sofort auf den Grad seiner Genialität prüfen könnte. Was hat man dem
breiten Publikum nicht für Torheiten über das Auftreten einer Isadora Dnncan im
„Tannhäuser** vorzuschwatzen gewusst! Und wie alberne Urteile musste man,
leider! selbst im und am Festspielhause vernehmen; man sah auch da wieder,
dass echte, gottbegnadete Dummheit, in eigene oder fremde Vorurteile verbissen,
auch dem hellen, klaren Auge gegenüber Stand hält; ich meine, auf Knieen hätten
sie dafür danken sollen, dass es ihnen vergönnt war, einmal in ihrem Leben eine
wirkliche und lebendige, geborene und gebildete Grazie vor sich zu sehen, die
Grazie, die dem visionären Blicke des Meisters vorschwebte, deren Bewegungen
in Musik übertrug, die mit der ganzen heroischen Entsagung, der seelischen
Keuschheit des echten Genies sich schlicht und rein in den Rahmen des Kunst-
werks einfügte I Aber Philister bleiben eben Philister 1 Auch in Bayreuth I Dennoch
merkt derjenige, der, wenn auch aus der Ferne nur, dem Pilgerzuge zuschaut,
der den Festspielhügel besteigt (ich hatte vom Jahre 1891 an dazu reichliche
Gelegenheit), dass einerseits das ernste, andererseits das deutsche Element von
Jahr zu Jahr stärker hervortritt, und dem gegenüber hätte Martersteig nicht
mehr vom „Rendezvous-Ort der Globetrotters^ reden sollen; das entspricht den
Tatsach jBn nicht mehr und gibt den Verleumdern neuen Stoff; und was wird nicht
alles getan, insbesondere in Deutschland, um die Festspielbesucher auf einen
reinen Genuss vorzubereiten 1 Man lese die Vortragsschau in den Bayrenther
Blättern und wird seine Freude daran haben! Und wie wacker tut die Richi^-
Wagner-Stipendien-Stiftung ihre Schuldigkeit, um auch den Unbemittelten den
Besuch der Festspiele zu ermöglichen; was sich an derartigen Vergünstigungen
alles noch hinter den Kulissen abspielt und wieviel edler, dem Empfangenden gegenüber
keuscher Wohlthätigkeitssinn sich da bewährt, darf hier nur angedeutet werden;
wahrlich, des Meisters Erbe wird von reinen Händen verwaltet allenthalben und
reine Herzen schlagen der Verwirklichung seiner Träume entgegen! Das böse
Wort vom „merkantilen System^^ hätte ein Buch wie das vorliegende am aller-
wenigsten verunzieren dürfen; arbeitet man denn immer noch in den Wind?
Genügen alle Aufklärungen der letzten Zeit nicht, um solche Vorwürfe zu ent-
kräften? Hat Martersteig sich nie ehrlich gefragt gegenüber der gern wieder-
holten Verleumdung der „Geldmacherei^* : Wer macht denn in Bayreuth Geld ?
Wer bereichert sich da und füllt die Taschen? Femer aber: „kommen die Aus-
länder wirklich bloss aus Neugier nach Bayreuth ?^ Hat nicht der Besuch seitens
der Amerikaner nach dem Gralsranb von New York eher zugenommen als nach-
gelassen ? Aber man hat bei diesen Ausführungen Martersteigs oft das Getthl, als
fteien sie vor langer 2eit in einer Stunde der Verbitterang geschrieben and er habe
nicht Last and Stimmung gefunden, sie zu revidieren ; er komme und sehe mit offenen
Augen, ob man entschlossen und imstande ist, in Bayreuth auf den Bahnen des
Meisters fortzuschreiten and sein Werk aasbauen zu helfen. Dass das gut und
nötig ist, gibt ja M. selber zu ; und ohne Geist darf doch nicht gearbeitet werden ;
wo aber das Prätentiös-Geistreiche anfängt, das zu sagen, ist er uns schuldig
geblieben. Und warum etwaige kleine Unebenheiten zu so allgemeinen und zum
Teil zu so ungeheuerlichen Beschuldigungen aufbauschen, wenn man selbst die
üoberzeugung hat, „dass Bayreuth, wenn es irgendwie kränkelt, an sich selbst
gesunde und immer mehr erstarke!*'
Freilich sieht Martersteig auch Schwierigkeiten, die ewig unüberwindlich
bleiben sollen; so wirft er dem Meister vor, sich selbst bei der Produktion in
Hinsicht auf die Aufftthrbarkeit zu yiel zugemutet zu haben: „den Prozess der
Phantasie, der die Naturerscheinungen dem Gefühl, der Seele zum Naturmythus
wandelt, zu wiederholen, lässt die Maschinerie des Theaters nicht zu.*^ Ganz
abgesehen von der schiefen Formulierung, müssen wir sagen: Gewiss kann die
Theatermaschinerie die Phantasie niemals direkt beeinflussen; das kann sie auch
bei den Wortdichtem nicht, das konnte sie ebenso wenig in Wagners früheren
Werken; der fliegende Holländer bot insofern mindestens ebensolche Schwierig-
keiten dar, wie die Regenbogenbrücke, der Walkürenritt u. s. w.; gewiss wird
hier die Technik mit der Zeit immer Vollkommeneres leisten; aber ob die „erweckte
Vision' wirklich durch unser Bewusstsein um die „Bedeutung** dieser Dinge ge-
fährdet werde, weiss ich nicht ; denn nicht um eine klare Vorstellung im einzelnen,
am ein Ausdeuten Punkt für Punkt handelt es sich doch, sondern um ein gefühl-
mässiges Anklingen unermesslicher Zusammenhänge auf Grund des Gehörten und
Erschauten; und hier arbeitet die Phantasie meines Wissens gerade so, ob ich
einen Wotan über die Bühne schreiten oder die Walküren daherstürmen sehe;
man muss nur eine reine, künstlerisch empfängliche und triebkräftige Phantasie
mitbringen. Freilich stellt Martersteig den fast unglaublichen Satz auf: „Die i^ir
als göttliche Erscheinungen glauben sollen, bleiben Menschen, bleiben sogar be-
kleidete Opernsänger' . Gewiss! Goethes Faust, wie seinen ersten Teil 1808 die
Menschheit las, ist im Grunde genommen nichts weiter als eine ziemlich krause
Kombination aus den 24 Buchstaben des Alhpabets, gedruckt auf ein nicht einmal
schönes Papier u. s w.; Raphaels Sixtinische Madonna ist doch im Grunde nur
eine Tafel mit aufgelegten Farben u. s. w. Wenn wir so verfahren, dann können
wir gleich alle Kunstwerke einpacken, und wer im Bayreuther Festspielhause
über den nächsten banausischen Sinneseindruck nicht hinauskommt, sollte gleich
umkehren. Gerade hier wird ja der Zuschauer durch die Einwirkung des
Orchesters „hellsichtig^^ nicht blos für das, was ganz visionär ist, sondern auch
für die höhere Wahrheit, die hinter und über der sinnlich wahrnehmbaren Wirk-
lichkeit steht, wie sie auf der Bühne vor uns auftritt Das Beste muss hier
immer die eigene, durch den Künstler befruchtete Phantasie tun, und wenn uns
schon die genaueste Detailkenntuis der Technik, auch der Unebenheiten in der
Ausführung des „Faust^^ nicht daran hindert, im gegebenen Augenblick von dem
Dichter hingerissen zu werden und all den Kram zu vergessen (wir müssten denn
echte Philister-Philologen sein), so wird es wohl unserer Illusion auf die Dauer
nicht schaden, wenn wirklich der Walkürenritt bis zu dem Grade technisch erst
noch zu vervollkommnen sein sollte, wie es der Feuerzauber im letzten Jahre
tatsächlich war, sodass man ihn nur noch wie ein Naturereignis betrachteta
Diese Einwände und Widersprüche mögen dem Verfasser zeigen, dass und wie wir
ihn ernst nehmen; denn mit der platten Verständnislosigkeit oder dem blosse
ÜöbdlwoUen zu kämpfen, haben wir in** diesen Blättern keinen Baum und keine
Zeit Möge er nur in einer zweiten Auflage, die wir seiner toefflichen Arbeit
von Herzen wünschen, auch seine Anschaaangen und seine Aeusserangen über
das Bayreuth der Gegenwart noch einmal gründlich re?idieren, am besten nach
Einsichtnahme an Ort und Stelle.
Schlimmer aber als die Einwände gegen die Bayreuther Bühnentechnik oder
gegen die Technik des Meisters erscheinen uns jene gegen seine Auffassung des
Lebens selbst, wie sie sich insbesondere in seinen letzten Werken darstellt; *es
ist wunderbar, mit welcher Zähigkeit jede schiefe Meinung über den „Parsifial'^
haftet, während der wahre Sinn des Werks in Wort und Musik für den Wollen-
den klar und deutlich vor Augen liegt Martersteig verkündet uns plattweg, dass
Parsifal kein tragischer Held sei. Die alten Vorwürfe der asketischen Richtung,
des Pessimismus u. s. w., wie sie insbesondere seit den viel berufenen Ausfüh-
rungen des im übrigen so verehrungswürdigen Friedrich Naumann nicht mehr
verstummen zu wollen scheinen, werden wieder aufgefrischt. „Wagner braucht
eine mit der Erbsünde behaftete Menschheit, der er Erlösung bringen will. Mit
dieser dogmatischen Annahme bleibt er aber jenseits des ethischen Monismus,
dem der Entwickelung tragende Geist in Kunst und Religion seit mehr als hundert
Jahren zustrebt.^ Für eine „Erbsünde'' im dogmatischen Sinne „Erlösung''
bringen wollen mit irdischen Mitteln, seien es auch die der Kunst, ist unseres
Wissens eine contradictio in sich selbst; es handelt sich auch für Wagner um
keine Erbsünde, sondern um einen ererbten und in jedem Individuum wieder
durchbrechenden Konflikt zwischen individualistischen und universalistischen In-
stinkten, den jede grosse Natur von neuem durchzukämpfen hat und über den
kein „ethischer Monismus'' hinwegtäuschen kann; das dualistische Prinzip des
moralischen Lebens, das Wagner überall da vertritt, wo er eben er selbst ist,
die Doppelheit von Lebens- und Liebestrieb, entspricht nicht bloss, wie uns Wil-
helm Dilthey nachgewiesen hat, der reifen Weisheit des klassischen Altertums
und der Philosophie eines Shaftesbury, sie lebt auch, wie ich ein ander Mal zu
zeigen gedenke, in Luthers genialer Schrift „von der Freiheit eines Ghristen-
menschen", sie kehrt in Kants Jugendperiode wieder und hat ihre wissenschaft-
liche Begründung in Wundts klassischer „Ethik" erfahren. Und diese Ethik,
deren Uebereinstimmung mit der im besten Sinne modernen Wissenschaft sich noch
Satz für Satz nachweisen Hesse, soll „reaktionär, ja scholastisch" sein? Das wird
dann durch eine rasche, nur zu rasche Uebersicht über die Werke der Reifezeit
(abgesehen von den Meistersingern, wo augenscheinlich die scholastische Ethik
nicht hinpassen will, obwohl für den Kundigen das Problem des komischen Werkes
von dem des „Parsifal" gamicht so weit absteht I) zu stützen gesucht. Wenn da
freilich gesagt wird, dass in der Katastrophe des „Tristan" die „Welt bejaht"
und der Pessimismus überwunden werde, so weiss man wahrhaftig nicht, was man
zu solcher, die Dinge geradezu auf den Kopf stellenden Interpretation sagen
soll. So etwas sollte mau schon nach dem trefflichen Buche von Louis nicht
mehr schreiben dürfen, und sind denn, als unwiderlegliches, klassisches Zeugnis
ersten Ranges, die Briefe an Mathilde Wesendonk für nichts und wieder nichts
herausgegeben worden ? Die Erlösung erfolgt eben durch die Umkehr des Willens
zum Leben, durch den grundsätzlichen Verzicht Tristans, der beim Herannahen
der Geliebten den Verband von der Wunde reisst und sich selbst den Tod gibt
In ähnlichem Sinne vollzieht auch Brünnhilde eine „erlösende Weltentat", nach-
dem sie „wissend" geworden ist Wie kann Martersteig die naive Behauptung
aufstellen, dass mit der Zurückgabe des Ringes an die Rheintöchter der „ganze
Prozess wieder von vom beginnen muss?^' Welcher Prozess? Um zwei mit
einander engstens verschmolzene handelt es sich: nm Wotans Versündigung aü
seiner Liebesnatnr, aber Wotan geht ja nnter; und um den Baub des Rheingolds
durch den Nibelungen, aber er und seine Nachkommenschaft sind vernichtet, und
wer soll nun die grause Tat prinzipieller Lieblosigkeit von neuem tun? Vielleicht
die Überlebenden Menschen? Aber hat Martersteig nicht aus dem Drama ge-
lernt, dass Menschen wie Götter nach dem Verzicht auf die Liebe nicht leben
können, dass hierzu nur das finstere Wesen der Unterwelt imstande ist? Frei-
lich, die Menschen waren verdorben, aber durch die Gesetze, die Wotan
gegeben und Fricka gehütet haben; jetzt sind sie frei: wodurch? Das hat Mar-
tersteig leider nicht verstanden, trotzdem er doch sicher den „Ring^* oft genug
„gesehen und gehört^* hat. Hat er sich denn nicht einen Augenblick mit den
Menschenkindem identifizieren können, die gleichsam wie ein halb sichtbarer, halb
unsichtbarer Chor den Scheiterhaufen des Recken umstehen, und ist ihm nichts
aufgegangen von dem „Wunder^^ (in Ibsens Sinne), das dort geschieht? Von der
grundsätzlichen Ueberwindung aller Lieblosigkeit und Selbstigkeit durch die Rein-
heit der eingeborenen Natur, die sich bis zum Tode getreu bleibt? Durch ihren
Tod besiegeln die Wälsungen die Wahrheit ihres Strebens, und nach dieser Be-
si^elung ist die Menschheit frei von dem Druck, der auf ihr gelastet hat; die
Rückwirkung im einzelnen zu zeigen, lag jenseits der Grenzen des Kunstwerks.
Freilich^ im «Tristan*^ erreicht der Pessimismus des Meisters seinen Höhepunkt,
und in ähnlichem Sinne entwirft er die Grundlinien des „Parsifal''; aber ich
denke an anderem Orte zu zeigen, wie während der Arbeit an diesem Werke so
starke innere Wandlungen in dem „Schüler Schopenhauers** sich vollziehen, dass
er, zur Vollendung von dessen Lehren entschlossen, Neuland entdeckt oder viel-
mehr in gereiftem Sinne zu der Weisheit seiner Jugend, zu sich selbst und seiner
eignen Natur zurückkehrt, und wie dementsprechend der „Parsifal** sich zu dem
Bekenntnis der vornehmsten Weltbejahung, ja sagen wir es offen gegenüber den
oft wiederholten Vorwürfen katholisierend-mystischer Schwärmereien, zu einem
eminent protestantischen Werke ausbildet. Oder ist das Weltflucht, was
die Ritter in der guten Zeit des Ordens (nicht während des augenblichen Ver-
falls, wie er im Anfang des Dramas geschildert wird) getan und getrieben haben ?
Ausziehen in die weite Welt und allenthalben für Recht und Wahrheit kämpfen,
den Wälsungen gleich, die für das sittliche Ideal, das in ihrer Brust glüht, das
Leben in die Schanze schlagen? Ist das Verzicht auf jede Lebensfreude, wenn
ParsiCal der nackten, gemeinen Sinnlichkeit entsagt, die mit teuflischen Buhl-
künsten sich an ihn drängt? Wäre es vielleicht „protestantisch^^ wenn er in
diesem Augenblicke sich von der rein physischen Schönheit des wildfremden Weibes
fangen liesse? Dann danken wir für diese protestantische Ethik. Ich habe mein
Wort über die Frage der Lebensbejahung im „Parsifal*^ zweimal gesagt: in der
Beilage z. allg. Zeitung, 1903, Nr. 226 und 227 (Wagners Stellung zum Christen-
tum) und in dem 4. Wagner-Hefte der „Musik^^ (Ournemanz) 1904, und muss darauf
verwesen. Aber dass Parsifal kein dramatischer Held sei, dass man vergebens von
ihm Taten zu sehen verlange, dass wir „glauben sollen, wo wir sehen möchten^S
das darf nicht unwidersprochen bleiben: freilich sehen wir auch, denn das Kunst-
werk Wagners macht uns hellsichtig: wir sehen auch da, wo der Held nicht auf
der Bühne ist, wir „sehen", wir „schauen" auch tief in seine Kämpfe hinein
in jener grossartigen Einleitung zum 3. Aufzuge; aber das müssen wir sofort
zugeben, nicht um einzelne Kampftaten, nicht um die Ueberwindung von Biesen
und Ungeheuern handelt es sich da im letzten Sinne ; was wäre damit gewonnen ?
Alle physischen Geschehnisse im Drama haben nur insofern Wert, als sie Vehikel
oder Symbole für Vorgänge in der Psyche des Helden sind^ und das eigentlich
6
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ttioderne Drama, das yielmebr mit diesen Vorgäflgen rechnet, als mit ftusserfie^em,
doch immer mehr fttofflich wirkendem Geschehen, hat schon Lessing gefordert;
das nene Drama ans der Mnsik erst yermochte es zn leisten. Und Parsifal
handelt nnd k&mpft wie nur einer! Wie kann man bei ihm von „Unempfind*
Hchkeit*' reden, dnrch die Klingsor überwunden werde I Im Gegenteil ist er
flbercmpfindsam, und das macht ihn zum musikalisch-dramatischen Helden
par excellence. Ist das „nnempfindsam^S wenn er beim Anblick des toten Schwans
den Bogen zerbricht? Er wird nie mehr ein Tier oder sollst ein Wesen
wissentlich kränken; er ist auch beim Mahle des Grals nicht nnempfindsam und
am allerwenigsten gegenflber Kundry; Martersteig lese doch ruhig und ohne
Voreingenommenheit noch einmal den Text und lasse die Tdne dazu auf sich
wirken: kann er einen dramatischen Helden nennen, in dem in einer prägnanten
Situation wirklich mehr und Tieferes, Gewaltigeres yor sich geht; bei dem mit
aberzeugender Notwendigkeit auf Grund einer flbermächtigen Empfindung eine
neue Welt sich losringt? Das sind Parsifals Taten I Und in der Weitab^-
Windung, nicht in der Weltflucht, in der Regeneration der Menschheit, in der
Herstellung der entschwundenen sittlichen Ideale, in der Bestellung reiner
Menschen zu Yerwaltem der überkommenen Güter, darin besteht das Positiye
des „Parsifal^S nicht, wie S. 575 f doch allzu philiströs ausgefilhrt wird, in der
Anpreisung des Vegetarismus oder in der Gleichstellung der Tierwelt! Und wie
schal die Auffassung, als sei Parsif&l nicht durch „Taten^^ zum Gralskönig gereift;
jeder Schritt ist da noch eine Heldentat; die Abkehr von Kundry, die Ueb^v
Windung nicht bloss der Sinnlichkeit, sondern, was viel schwerer ist, des falschen
Mitleids, das Durchringen des gutmütigen, einfältigen Jungen zu jener Härte der
Liebe, „die wie Hass aussieht^S ^^^^ ^^^ Vertiefung des einmaligen Eindrucks
in einer freilich bis ans Ungeheuerliche grenzenden geistigen „Askese^*, die Rein-
erhaltung und Befestiguüg des Ideals unter Kämpfen, die Wunden jeder Art
eintragen, das Erwachen des sehnsflchtigen Mitleids mit dem Gralskönig, endlich
die Ueberwindttng der asketischen Stimmung angesichts des Charfreitagszanbers
und nun das siegreiche Emporwachsen über den greisen Freund und Berater, das
erwachende und erstarkende, tiefe, innei^e Verständnis fär die sündige Menschheit,
das angesichts der Blumen auf der Charfreitagsaue ihn auch der gefallenen
Blumen in Klingsors Garten gedenken lässt Das ist doch eine Heldenlaufbahn,
von deren Durchmessen der Beruf zum Regenerator abhängig ist. Nicht i^
wollte Wagner die durch den legendarischen Stoff bedingte ganz spezielle Einkleidung
seiner Figuren zur Hauptsache und, wie man törichterweise behauptet hat, seine
Zuschauer zu Gralsrittern machen; nicht als sollte jeder Einzelne innerhalb der
regenerierten Menschheit nun das Gleiche in sich erleben, wie Parsifal; er ist
der „Held^, der Führer in Wagners Sinne, und was innerhalb der Regenerations-
lehre der „Held^* bei Wagner bedeutet, wie dieser psychologische Begriff auf den
ästhetischen des dramatischen Helden hinüberwirkt, das hätte M. auseinander
setzen sollen. Verzichtet aber dieser Held, der yon nun ab im gerein^gtmi
Gralskönigstum schalten und die Ritter anfs neue zu kühnen Taten aussenden
wird, wirklich auf alle Freude des Lebens? Für den, der nur zwischen Irein
sinnlichen und höheren Genüssen zu scheiden weiss, liegt hier eine allerstärkte
Lebensbejahung yor: erst jetzt gelangt der Held dazu, sich im yollen und
deutschen Sinne des Wortes „auszulebend^: Liebes- und Lebenstrieb sind hiw
zur Einheit yerschmolzen, in ähnlichem Sinne, wie sich in Ibsens Jugenddramen
das „Lebe dir selbst*^ in ein zukunftfreudiges, nur scheinbar pessimistisches, yor
allem des Dienstes an der Gemeinsamkeit sich erfreuendes „Lebe dich selbst*^
wandelt. Ob nun „Parsifal*^ das „Drama der Dramen^^ sei und den Vortang y<nr
8a
6#6llie't »yFa^i^^ 2a behaaptep habe odar mngekekrt, darauf g^ ich uicht ein;
d0A& ieh halte das Feilsehen und Marktes, das Ausspielen eines Meisterwerks
gegen das andere für geschmaeklos.
Wir können snm Sehluss der etwas breit gewordenen Rezension nnr mit
Be£riedigang konstatieren, wie besonnen und feinsinnig Martersteig das Einwirken
der Wagnerischen Bestrebungen und ihrer Verwirklichung in Bayreuth auf die
Praxis der deutsehen Bohne zu schildern, freilich auch die Grenzen abzustecken
weiss, an denen dieser Einfluss notwendig Halt machen muss, denn jene unseligen,
eingangs dieser Besprechung gestreiften Tatsadien und YerUUtnisse bestehen noch.
Durch das ganse Buch weht ein gut Bayreuther Geist künstlerisohen Ernstes.
Hoffen wir, dass in Zukunft auch Bayreuth selbst darin etwas besser und
gerechter wegkomme. fiebert Petsch.
6fermaiii8che Heldensage in Bild und Wort*)
In den Blättern 1901 S. 267 ff. durfte ein prächtiges Buch Aber Göttersage,
Walhall Ton Doepler und Banisch, angezeigt werden. Im selben Verlage erschien
jetzt ein durch Inhält und Ausstattung gleich ausgezeichnetes Werk Aber die
Heldensage. Andreas Heusler gab eine klare kurzgefasste, auf streng wissen-
schaftlicher Grundlage beruhende Darstellung, die auch dem Kenner sehr viel
neues bietet, da der Verfasser die Ergebnisse selbständiger Forschungen verwertet
Eine meisterhafte Einleitung schildert in wenig Worten das Wesen der germanischen
Heldensage und die Formen ihrer Ueberlieferung, dann beginnt die Erzählung,
am Schlüsse folgen noch einige Anmerkungen. Nicht nur die übliche Auswahl
aus deutsch-englischer Sage ist getroffen, sondern auch die dänische und lange-
bardische Sage wird nach Saxo und Paulus Diaconus herangezogen. So hören
wir von Wieland, Beowulf, Ortnid, Hetel und Hilde, Gudrun, Helgi und Sigrun,
Hagbard und Signe, von König Rother, Herbort, Uffo, SkjOld und seinen Kach-
kommen, den HalfdansOhnen, Rolf Kraki, Starkad, Harald Kampfzahn, Ingjald dem
Yngling, Ermenrich, Dietrich von Bern, Alphart, den Etzelsöhnen, Hildebrand,
Walther und Hildegund, der Hunnenschlacht, von jung Siegfried, Siegfried und
Brfinhild, vom Untergang der Burgunden, von Alboin, Wolfdietrich und Iring.
Also eine Ffllle der verschiedenartigsten Sagen tut sich vor uns auf. Sie stammen
aus keiner einheitlichen Zeit und Ueberlieferung : hier liegt das Eddalied zu
Grund, dort die isländische Sage, hier das englische Stabreimepos um 700, dort
das deutsche ritterliche Epos um 1200, hier das lateinische gelehrte Mönchs-
gedicht, dort die lateinische Geschichtsquelle. Die verschiedenen Zeiten, Ver-
hältnisflie und Ueberliefemngsformen haben also die Sagen stark beeinflusst, man
denke nur an die Si^friedsage der Edda und des Nibelungenliedes oder an
Eckehards Waltharius im Stile Vergils. Die Wissenschaft sucht die späteren
Zutaten der einzelnen Quellen festzustellen und daraus den uralten Kern der
Ueberlieferung abzuklären. Das erfordert mtlhsame und natürlich stäts bis zu
einem gewissen Grad unsichere Untersuchungen. Heusler stellt sich nun zur
Aufgabe, Überall womöglich die Ursage zu geben, also nicht den Inhalt der zu-
fiUligen Ueberlieferung nachzuerzählen. Bei der Sage von Siegfried und den
^) Urväterhort die Heldensagen der QemiaDen von Max Kooh und Andreas Heusler
BerHn, Martin Oldenbourg Cl^Oi) 64 S. Folio. Preis: gd>nttdfn W Mark.
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KibeloDgen erüahren wir z. B. nicht den Inhalt des Liedes und der Edda, i ondem
die fränkische Ursage, die hinter der späteren österreichischen nnd norwegisch-
isländischen Ueberliefemng steht and vorsichtig erschlossen werden moss. Die
Oermanen der Yölkerwanderang besassen kein langes and amfassendes Epos in
Stabreimen, sondern nur karze stabreimende Lieder wie z. B. das Hildebrandslied
oder die Eddalieder. Erst viel später entstand das englische nnd mittelhoch-
deutsche Epos, das den Inhalt und Umfang des nrsprOnglichen kurzen Helden-
liedes auf das sechs- bis dreissigfache anschwellen liess. Die altfränkische Sage
▼on Siegfried und den Nibelungen z. 6. wurde wahrscheinlich in drei kurzen Liedern,
vom jungen Siegfried, von Siegfried und Brünhild, von der Nibelunge Not vor-
getragen, die in der Edda noch in der selben stofBichen Abgrenzung begegnen
und auch in Deutschland im httrnen Siegfried und in den zwei Teilen des
Nibelungenlieds deutlich hindurchschimmern. Der Beowulf bestand aus zwei
Liedern, aus dem Orendelkampf und aus dem Kampf mit dem Lindwurm. Auch
Hilde und Gudrun sind zwei deutlich verschiedene Sagen. Andere Sagen z. B.
die von Walther und Hildegund kamen immer mit einem einzigen Lied aus. Die
kurzen Stabreimlieder lassen sich nicht mehr herstellen, wohl aber ist ihr Inhalt
einigermaassen aus der späteren umfangreicheren Ueberliefemng wieder zu gewinnen.
Und gerade das versucht Heusler. Er erzählt in schlichter Prosa, was etwa in
jenen verlorenen ursprünglichen Liedern stand, die in dieser gleichmässigen Fassung
nun auch stileinheitlich zu einander passen. Manchem wird freilich die von
Heusler gefundene Urform einer allbekannten Sage neu und befremdlich vor-
kommen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt wird man gegen Einzelheiten Ein-
wendungen erheben können. Ich denke mir in der fränkischen Siegfriedsage
einiges anders, in der Hauptsache aber stimme ich Heusler zu. Er versteht es
auch, mit wenigen Worten seine Ansichten zu begründen, so dass der Leser
immer erfährt, wo eine besondere neue Auffassung vorgetragen wird, die Heusler
andern Orts in gründlichen fachwissenschaftlichen Untersuchungen bewiesen hat.
Diese germanische Heldensage ist also in jeder Hinsicht neu und eigenartig,
ebenso genussreich wie lehrreich zu lesen.
Und dazu kommt der künstlerische Bilderschmuck. Schon der Einband mit
dem Odinsschwert im Baumstamm wirkt trefflich. Max Koch hat alles, Einband,
Vorsatzpapier, Buchschmuck und Bilder selber entworfen, so dass eine einheit-
liche Wirkung sich ergibt. Fünfzig farbige Bilder begleiten die Heldensagen, in
genauer Anpassung an die Erzählung. Der Maler hat mit Geschick inhaltsreiche
Augenblicke ausgewählt und durch feinsinnig wechselnden Farbenton, durch Ver-
schiedenheit von Waffen und Gewändern jedem Heldenbild zu besonderem Aus-
druck verhelfen. Die Anordnung im Textdruck und die Umrahmung ist wohl ge-
lungen. Mit gutem Blick ist die Landschaft erfasst und wiedergegeben, wobei die
Seebilder hervorzuheben sind. Die Wielandsage erschauen wir z. B. in ihren zwei
Hauptmomenten: Wieland in der Schmiede und im Flug zur Freiheit. Beowulf
erscheint vor dem wilden Strudel, durch den er zu Grendel hinabtauchen muss;
am Schluss steht das Erinnerungsmal auf hoher Düne, den Seefahrern weithin
sichtbar. Gudrun am Meere und die Normannenburg im Märzenschnee geben
stimmungsvolle Bilder. Sehr schön in der Beleuchtung ist der blinde König, der
dem Zweikampf seines Sohnes Uffo zuhört. Im steuerlosen Schiff fährt Skjöld als
Kind ans dänische Ufer und auf brennendem Totenschiff wird der verstorbene
König wieder den Fluten übergeben. Die Siegfriedsage bringt jung Siegfried beim
Schmied, den Kampf mit dem Lindwurm, die Erweckung der Walküre, den Zank
der Königinnen, Brünhilds Tod, die Versenkung des Hortes im Rhein, einige
Vorgänge aus der Nibelunge Not und Grimhilds Tod, Der Maler bewährt gute
8S
geschichtliche EenntniSBe der Waffen und Oewänder, bo dass wir möglichst treue
Bilder aus der germanischen Heldenzeit erhalten. Er vermeidet auch Wieder-
holung und Eintönigkeit und gestaltet seine Bilderreiho so wechselreich als mög-
lich. ,,Walhall*^ bot ja zweifellos dem Maler reichere und dankbarere Vorwürfe
dar als der „TJrvaterhort^S Aber Max Koch ist seiner Aufgabe im vollen Umfang
gerecht geworden, so dass die Heldensage der Göttersage ebenbürtig zur Seite tritt.
Wir b^rüssen mit Freuden den so wohl gelungenen Versuch, den germani-
schen Götter- und Heldenglauben, in gedrängter Fassung und doch voUst&ndig,
gemein£uslich und doch streng wissenschaftlich, in Wort und Bild uns vorzu-
fUiren und wünschen den Büchern viele Leser und Beschauer, die daraus Genuss
und Belehrung schöpfen können. Es ist die schönste, kürzeste und gründlichste
Darstellung, die wir besitzen. Die Heldensage tritt uns hier erweitert und ver-
tieft und wahrheitsgetreu entgegen.
Bestock, November 1904. W. Golther.
Bayreuth und Dranssen.
Der Nationaldank für Richard Wagner.
Im Jahre 1913 werden es hundert Jahre, dass unserem deutseben Volke ein Genius
geschenkt wurde, um den uns alle Nationen beoeiden. Dnrcb Bichard Wagner ist der
kflastlerischen Sehnsucht unserer Zeit eine ungeiJmt herrliche ErfflUung geworden. Unter
anerhörten E&mpfen, mit einer Willenskraft ohne gleichen, hat er sein ÄifretUh geschaffen
nnd uns Dentidien geschenkt, ein nationales Heiligtam nnd sogleich das Wallfahrtssiel
▼ieler Tausende aus Mler Herren Lftndem, den Sieg deutscher Kunst und Knltor der gansen
Welt verkflndend. Beschämend wäre es f&r unser deutsdies Volk, wollte es ihm, dem ge-
waltigen Reformator unseres kflnstierischen Lebens, nicht auch seine Dankbarkeit und Ver-
ekrong mit der Tat beweisen. Em Dmüemai soll dem grossen Meister errichtet werden,
aber keines aus Stein oder Ers, sondern eines nach $emem Shme* Die Segnnugen und die
Quellen reinster Erhebung fUr Geist und Hers, die von den Festspielen in Bayreuth aus-
ttrömen, sollen nicht nur den B;eichen, sondern auch den mit den Sorgen des täglichen
Lebens Itämpfenden und oft konstbedUrftigsten Männern und Frauen unseres Volkes su «ute
kommen. iHoch kurs Tor seinem Tode hat Bichard Wagner die Gründung einer Stipendim^
iÜfUmg Tcranlasst Aus ihren Zinsen sollen minderbemittelten Kunstfreunden je nach Be-
dflrfiDis Freiplätse, Reise- und Aufenthaltskosten in Bayreuth gewährt, durch sie erst soll
Bayreuth su einem wahrhaft nationalen Gute gemacht werden , das seine segensreiche yer-
edelnde Wirkung auf Alle ausüben kann, die darnach Verlangen tragen. Die Pflege dieser
Stiftung ist das letste Vermächtnis, das Richard Wagner seinen Freunden ans Hers ge-
legt hat.
Unentgeltlich sollte ja der Zutritt su den Festspielen fllr alle sein, so war es der ur-
sprüngliche Wunsch ihres SchOofers. Leider konnte bei den ausserordenUichen Kosten der
dortig Aufführungen dieser ideale Gedanke nicht yerwirklicht werden. Alle Einnahmen
werden aber ausnahmslos fSr die Festspiele selbst verwendet, und die Familie Wagner sieht
aus ihnen nicht den geringsten materiellen Nutsen. Soll also der letzte Wunsch des Meisters,
dass kein Bedürftiger von der Teilnahme an seinem Werke ausgeschlossen bleiben solle,
snr Tat werden, so müssen wir selbst die Hände Oflhen und die noch immer über un-
genügende Mittel ferfügende Stiftung mit allen Kräften fördern und mehren. Eine allgemeine
Naiionaliammhmg soll vom heutigen Tage an eröffnet werden, um bis sum 100. Geburtstag
Riehard Wagners (22. Mai 1818) den Grundstock der Stiftung auf mindestens eine Million
Marii SU erhöhen und damit dem Meister, wie auch unserem eigenen Volke ein dauerndes
nnd würdiges Denkmal su schaffen. In fast allen deutschen Bundesstaaten und in Oester-
reich haben sieh su diesem Zwecke besondere Landes- und Ortsausschüsse begründet oder
sind bereits in der Bildung begriffen.
Nicht bloss an Musikfireunde, sondern an alle, die den Wert einer eigenartigen nationalen,
aus dem Sehnen und Verlangen der neuen Zeit geborenen Kunst su würdigen wissen, wenden
wir uns daher mit der warmen Bitte: Gebt und spendet, so nel ein jider kann — auch
86
kleine Gaben sind willkmamfiB ^ ood litlft das edl« hohe ZM eaeit^ett nun Bclma
deutscher Knnst und znm Helle uoseret Volkes!
Stattgart, den 16. NoTember 1904.
Im Namen d^r Zentralleitnns des Oesamtaasschnsses :
Hoftheaterintendant Baron zu FutlitE Stuttgart, Vorsitzender.
Dr. Siegmund Benedict in Stuttgart, Schriftführer.
Der ODterzeichDPte wOrttembergische Laodesansschnss, der unter dem hohen DroUiktorate
Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Herzogin Wera steht, nimmt Jahresbeiträge bis lum
Jahre l913 (einschliessUch) oder einzelne Spenden fQr die StiftoDg Kerne entgegen:
Dr. 8, Benedict, Geh. Eommerzienrat C. Dörtenbach, Fr&nlein M. Hardt, Max Bmar, Pro-
fessor am K. KonserYatorium, Freifrau v. Tcsam, geb. Freiin ▼. Schnnrbein, Geh. Hofrat
Leo Vetter (Vorstandsmitglieder); K, Allmendinger p Lehrer und Schriftsteller, K Bar^
Hofbnchbftndler, Professor Dr. M. Dies, Ernst Ege, Hnsikschriftsteller, Theodor Fischer,
Professor an der Technisc^n Bochschale, Freiherr K. v. O emm in gen Guttenberg, Kabiaetla-
Chef Sr, Migest&t des Königs , LandgerichUrat Dr. J. OmeUn, Fran Direktor A. Otmsrm,
Dr. K- Chnmshg, Mnsikschriftsteller, Fran Dr. 3f. Ortunsk^, Frau v. Hinderibrng, geb. May,
Bofrat Arihwr ItaiMa, Frau Rittmeister KeOer, «. KÖM, Eabinettsrat Ihrer Migest&t der
Königin, Redakteur 0. Kühn, Frau Baurat Lambert, Oberstudienrat Dr. K. Lampert,
Legationsrat K. v, Moser, Geh. Eommerzienrat und Generalkonsul A. v. Pflaum, flof*
kapellmeister K. JPohlig, Freifrau K v, Beitzenstein, Exzellenz, Pr&zeptor 0. Sdnamrer, Vor-
stand des Liederkranzes, Frau Hauptmann M. Schröder^ KaroUne Schmk, Grafin t^. Stmtffitn-
berg, geb. Grafin t. Oxkoll-Oyllenband, Oberstudienrat Dr, L. Straub, Konzertmeister
K, WendUng, Frftulein Elisa Wiborg, E. Eammersangerin, Hofkammerrat A, Wiedershekn
(s&mtlich in Stuttgart),
Oberbflrgenneister Dr. MüHberger (Esslingen), E, Bohmaiger, Hauptmann z, D. (Geislingen),
Dr. E. Qeds (Gmflnd), Apotheker Müller (Göppingen), Dr. E. Jäckh, Chefredakteur der
Neckarzeitung (Heilbronn), Bankprokurist P. Dirlewanger (Ulm).
Uebersicht
fiber den Stand der Landesansschfisse fflr die Bayrenther Stipendienstiftnns
am 1. Dezember 1904.
Anhalt. Vorsitzender: Prof. Dr. Arthur Seidl, Dessau, Wilhelm Mallerstraase 3.
Protektor: Herzog Friedrich Ton Anhalt.
Baden. Vorsitzender: Geh. Eabinettsrat B, «. Gkdius: stell?. Vorsitzender: Reditsanvalt
Böekh; SchriftfAbrer: Prof. Dr. Drews, samtlich m Earlsruhe.
Protektor: Prinz Max tou Baden.
Bayern. Vorsitzender des in Bildung begriffenen Ausschusses: Graf A. 8u Fompenksim.
Elsass- Lothringen. Vorsitzender: Geh. Regierungsrat A. v. Puükamer; s'dlT. Vor-
sitzender: Prof. Dr. Ledderhose; Schriftführer: Prof. Dr. Oskar Meyer, Oberbiblio-
thekar; samtlich in Strassburg.
Hamburg. Vorsitzender: Eonsul Wühdm Kempif, Hamburg, am Langensug 21.
Hessen. Vorsitzender: Hauptmann H v, Hahn; stelW. Vorsitzender: Prof. Arnold Menids-
söhn; Schriftführer: Oberkonsistorial-Sekretftr H. Sotme, Hartinsstr. 13, s&mUich
in Darmstadt.
Protektor: Grossherzog Ernst Ludwig von Hessen.
Lflbeck. Vorsitzender des in Bildung begriffenen Ausschusses: Reehtsanwalt S. FMing;
SchriftfQhrer: Hosikschriftsteller J, Hennings, Gr. Burgstrasse 2(X
Mecklenburg. Vorsitzender des in Bildung begriffenen Ausschusses: Dr. F. C.Yfitte, Rostock.
Preussen. Berlin. Vorsitzender: Prof. Dr. B. Stemfeld; stelW. Vorsitzender: Eönigl.
Eammerherr M, v, Bosenberg; Scbriftführer: Dr. B, Münnich, Berlin W., Goebenstr. 20.
Hessen-Nassau. Vorsitzender: BOrgc^rmeister Geh. Regierungsrat Dr. A. Varrenirapp;
stelW. Vorsitzender: Bankier Karl v, OruneUus, beide in Frankfurt a./M.; 1. Schrift-
führer: WHU Gloedmer, Musikschriftsteller, Oberursel a./T. (bei Frankfurt), Alt-
königstr. 4; 3. SchriftfAbrer: Lic. Prof. Dr. E. Krettser, Frankfurt
Pommern. Die Darergesellschaft in Stettin ist im Betriff einen Ausschnss an Uldea.
Schriftführer: Geriohtsastessor AHmenroder, Stettin, Pölitzerstr. 1.
Schlesien. Vorsitzender: Geheimrat v. MtbUUee-Badecki; stell?. Vorsitzender: Prot Dr.
Max Koch; Schriftführer: Dr. Max WiskoU, Gharlottenstr. 24, sftmtlich in Breslan.
Fürstentümer Renss (und Herzogtum Sachsen -Altenburg). Vorsitzender: Rechtsanwalt
und Notar H HaMer; stelly. Vorsitzender: Hofinarschall Dr. jor. Bernhard Freiherr
V. d. Heyden-Bynseh; Schriftführer: Regisseur H. Ernst, sftmtlioh in Gera.
Protektor: Erbprinz Heinrich XXVU. Reuss j L.
8?
dacliBen. l^roT. Vorsitzender ond Schriftihhrer: Kurt Mef, PriVaigelf'lirter, feresdeü-
Striesen, Hflblerstr. 4. Ortsansschass Dresden konstituiert sich Ende Desember.
Ortsansschnss Leipsig ist bereits konstituiert; Schiiftfahrer: O. Herrmafin, Parkstr. 8
und Prof. Dr. A, Drüftr, Schwftflrichenstr. 6.
Thüringen (attsser Reuss and Altenbnrg). Yorsitsender: Prof. Dr. R. Schlösser, Jena,
Sch&fferstr. 10.
Wflrttemberg. Vorsitzender: Hoftheaterintendaot Baron su JMlUs; stellv. Vorsitzender:
Geh. Kommersienrat C. Börtetfdxuh; Schriftführer: Dr. 8. Benedict, Reinsbnrgstr. 8,
s&mtlich in Stattgart.
Protektorin: Fran Herzogin Wera', Kais. Höh.
Die BegrOndang weiterer LandesausschOsse und die Gewinnung von mehren forstlichen
Protektoren sind im Lauf des nächsten Jahres mit Sicherheit za erwarten. Aas Oesterreich
ist zu melden, dass in Wien noch diesen Winter Tom Akademischen B. Wagner- Verein
ein Aasschnss gebildet werden soU^ in Prag hat Dr. B. BaÜcä bereits aas dem dortigen
Dfirerbond eine unserem Zwecke dienende ,,Bayreuther Sektion*' begrQndet
Von Veranstaltungen, die diesen Winter zum Besten der Stiftung stattfinden, wurden
bisher der Zentralleituog angekündigt:
Ans Berlin : Grosses Konzert in der Philharmonie.
Aus Darmstadt: eine Aufführung im Hoftheater, sowie sechs Konzerte des dortigen
Wagner- Vereins.
Aus Hamburg: eine Aufführung im Stadtheater.
Aus Stuttgart: ein Konzert des Hoforchesters und Vortrag Ton Geh. Hofrat H, Thode,
Ans den Vereinen.
Im Sommer- Semester 1904 setzte sich der Vorstand des Vereins zusammen aus: stud.
jur. Otio Stade, als Vorsitzendem und Kassenwart, stud. jnr. Qeorg Sperlmg, als Schrift-
iind BOcherwan Auf ihren Antrag hin wurden zu alten Herren ernannt die o. M. o. M.
Herr Referendar Walter Lttjeune und Herr Dr. phil. Frtte Brüchner. — Während des Se-
mesters fanden 1 ausserordentliche und 12 ordentliche Sitzungen statt, die sich eines regen
Besuches erfreuten. Die 10 gehaltenen Vorträge s. in der Vortragsschau der , statistischen
Beilage.* — Zur Erleichterung des Besuches der dieiyährigen Bayreuther Festspiele stiftete
Herr Dr. PemiI Sohtöeser-EXherfeld M) Jk Der Verband „alter Herren** und die Richard
Wagner -Stipendienstiftuug zu Bayreuth ermöglichten allen o. M. o. M. den Besuch des
BTannhäuser" und des «Parsifal; drei Mitgliedern war es sogar ?ergOnnt, den «Ring* zu
schauen. Von dem Vermächtnis der am 1. Juli 1903 verschiedenen Frau Frieda Sartarius
wurden 100 Jk zu Reisezwecken nach Bayreuth unter die o. M. o. M. verteilte
Bareeloia. Im Oktober fand eine Vereinigung statt, in welcher D. Joaquin Pena
eine Rede zum Andenken an Dr. Letamendi hielt und der I. Akt der .WalkAre" durch
HUe. Charc6 und die Herren Colom6 und Boadella zum Vortrage kam.
Damstadt« 82. Ver.-A. 81. X. Kammermusik BeethoYen, Brahms Schumann, Tschai-
kowsky, Vieuxtemps und das Stuttgarter Steidelquartett. — 83. Ver.-A. 9. XL Moderne
Tondiäiter Blech, Bossi, Chopin, Dworak, Hausegger, Uszt, A. Mendelssohn, Reger,
Rennes, Strauss, Thuille: Hm. Friedberg, Rebner, Hegar, Frl. Harriet Majrjes. — 84. Ver.-A.
29. XI. KoTititen t. Blech, Biackner, Kaskel, Strauss, Thuille, Weingartner: Frau S.
Deatoir-Berlin, Hr. K. Kaskel-Mfinchen. 0. Brückner- Wiesbaden, H. Hayu und A. Mendels-
sohn. — 85. Ver.-A. 7. XII. LisztpRitter-Strauss: Hm. Bnff-Giessen Dresden, Fr. Häckel-
Mannheim, A. Mendelssohn. Zum Besten der Stipendien-Stiftung. ^ 86. Ver.-A.
19. XU. BeethoTon: Frln. Olga Klupp-Berlin, Hr. Max Pauer- Stuttgart. Zum Besten
der Stipendienstiftung. — 87. Ver.-A. 29. XII. A. Mendelssohn: Frln. Agnes LoTd-
l»cker- Berlin. Zum Besten der Stipendienstiftung. — Der Verein zählt 490 Mit-
glieder; Zuwachs im Jalve 1904: 149 Personen. ^ Det Lesezirkel des W.-V.'s enthält
56 Zeitschriften; Tierte^. Bezugspreis Jk 1,50. —
Hambirc. 1. Ver.-A. 31. A. Beethoven- Wagner (Parsifal-Heintz, Wer Lieder, Preis-
lied- Wilhelng) : Frln. Helene Schaul, Hr. M. Menge. — 2. Ver.-A. 12. XL Mozart-Wagner
MeistersiDger- Phantasie (Cl. Meyer), Friedensbote, Siegfried -Phantasie: Frau J. Nagel,
FrL Marie Tensfeldt, Hr. Claus-Meyer. A. Müller, Arthur Ram, Edm. Schröter. ^ 3. Ver.-A.
2a XI. Vortrag des Herrn M. Schadendorf aber die Gestalt der Elisabeth; Gebet
der Elisabeth (Frl M. Sträts); Lissta «Pr^ludes" (Fr. Blom-Arends, Frl. Margarete Wehr«
dd
stecit; Stocke Ton Saint-Safins, Lisst, Chopin, Ph« za Ealenbni^. Begleitimg: Br. Obe^
lehrer Feddersen. — 4. Yer.-A. 19. XII. Parsifal I. 1. (Hr. Erwin Matääi, Luise Behrensg
Hrn. Dr. M. Wagner, W. Lewalter). Fl. Holländer II. 2. (Frl. M. Matthfti, Hr. Dr. M.
Wagner). GOtterdftmmemng IH. 1. Frl. M. Matth&i, Emmy Andree, Luise Behrens, Hr. Dr«
M. Wagner). Siegfried Waldweben (Hr. Dr. Wagner). Meistersinger -QointeU (Frl. M.
Matth&i, L. Behrens ^ Hm. Dr. Wagner, Erwin Matth&i, W. Lewalter). —
Prag« Ein Ton Freunden des hier in GrOndung begriffeneu akad. Wagner-Yereics Ter-
anstalteter Abend brachte eine Vorlesung Ton ,, Was itt dmUch'*, Vortrag der Triftanstudiea
und des Huldigungsmarsches. ^
Plamen. l. Eonz. 12. X. Werke von Beethoyen, Bizet, Chopin. Lisst, (Maseppa), ta
Saint -Sadns: Frl. Johanne Thamm- Dresden (Klavier). — 8. Kons. 2. XI Werke Ton
Brahms , Chopin, Löwe, Schubert, Schumann, Strauss, Wolf: Hr. Dr. L. Wflllner u. Pianist^^i
H. Ziicher-Berlin. —8. Konz. 21. XI. Werke Ton Blumer, Lisst, Pfizner, Roth, Schubert,
Schumann, Strauss, Wolf: Frl. Katharina Hiller-Dresden, Hr. M. Troitssch-Plauen (Gesang),
H. Kellner -MOnchen (Klavier). — 4. Konz. 6. XII. Werke tob Bach, Beethoven, liszt^
Blnsky-Korsakow, Tschaikowskir, und| das Sie|^ed- Idyll: Hr. Edouard Risler-Psris und
die st&dt. Kapelle von Chemnitz (Max Pöble). Mitgliederzahl des Vereins 660. Eine grössere
Anzahl Exemplare der .Gesammelten Schriften* kamen zur Weihnachts- Verlosung. ^ jj^
Wien. In der am 27. Oktober abgehaltenen General -Versammlung des Akademischen
Wagner- Vereins in Wien wurden in die Vereinsleitung neu oder wieder gewählt : die Herren
Theodor Köcheri als Obmann, Dr. Wölfgang Bigler als I., WalUr Bockmayer als II. Obmann- ^
Stellvertreter, Dr. Max Vaneea als I., Emet Korschan als II. und Ernst Sdhcmmann als ha
III. Schriflfahrer, Karl Jwrüseh als Kassierer, Emü Hdlauska als Archivar, Prof. Ferdmumd •^
FoU als artistischer Leiter, Univ.-Prof. Dr. Alois Höfler, Frans SchaumanHf Prof. Dr. Karl ,t»^
PicMer, Dr. Wühelm Dlauhy und Albert Ernst als Beir&te. Der scbeidende Obmann, Her ^7
Luddesgerichtsrat Frans Schamnann, der Ober zolin Jahre den Verein geleitet, wurde unter A^c
lebhaftster Zustimmung der ganaen Versammlung cum Ehrenmitglied ernannt. ri
Ansserhalb der Vereine. .^r
Die .ausserhalb der Vereine gehaltenen Vortrftge findet man in der Statistischen
Beilage so vollständig, als es die bei uns eingelaufenen Nachrichten gestatteten, aufgeführt; >^;
insbesondere hervorzuheben als von der allereindrucksvollsten und förderlichsten Wirk*
samkeit sind die in den verachiedensteo Teilen Deutschlands unter reger Eieteiligung und ^
oft ganz flberraschend stark hervortretendem Interesse des Publikums gehaltenen Vorträge
des Herrn Geheimrats Prof. Dr. Henry Thode aus Heidelberg Ober die tragische BQhne
von Bayreuth und Ober Richard Wagner und das Kunstwerk von Bayreuth. Von ihnen geht
sicherlich ein mit hoher Freude zu begrossender Fortschritt des Verständnisses fAr den ?:
innersten Kern und Gedanken von Bayreuth aus.
Unsere Leser möchten wir am Jahresschlüsse doch auch noch einmal lu möglichster
Förderung eines uns geistverwandten und bedeutungsvollen Unternehmens auffordern, das
seinen Ausgang recht eigentlich aus unserer geistigen Mitte genommen hatte: die Gobinean-
Vereinigung unter der Leitung unseres verehrten Freundes Prof. Dr. Ludwig Schemann
in Freiburg i. B. (Maximiliansstrasse 23). Durch einen Jahresbeitrag von Jk 10 kann ein
Jeder sich an dem sicherlich wünschenswerten und verdienstlichen Werke beteiligen: die
Geistesschfttze aus dem Nachlasse Gobineaus zu heben und seine älteren Schriften, insbe-
sondere das Bassenbnch, durch Neudrucke, Neuauflagen und deutsche Ausgaben su erhalten
und su verbreiten. —
Bei dieser Gelegenheit sei aber auch recht dringend aufmerksam gemacht auf die längst
noch nicht genug gewürdigte und verbreitete Schrift: ,fMmm Ermner%mgen an Siekard
Wagner** von Ludwig Schemann. (Stuttgart, Frommann.) Jk 1,50.
Caritas.
Seit unserer Weihnachtsbitte im Oktoberstfkcke sind uns 12 fireundliehe Gaben im Ge-
samtbetrage von Jk 133.— Eugegangen, wofär wir den gfltigen Ctebem heralicb danken, in
der Hoffnung, dass im Laufe des neuen Jahres die hilfreiche Quelle der Bayreuther .Caritas**
nicht versiegen werde. —
Im Baohhandel wa bedehen dnroh C. P. Loede, Lsipdff.
i>r«Dlr T. Loren s Bllvangrer, Tom. Th Bargtr, Baymtk.
cixag c; £tuui xt • TX.ObUi^tt. uci yyOaj x x> u. t. u \, ». ^«w.«
Verzeichniss
derjenigen
'9
welche noch (bezw. wieder) im Buchhandel käuflich sind.
I. FraozÖBische Ausgaben«
Dssai BüT rin6galit6 des races hamaines. 2* Edition. 2 Tolames. Paris, Firmin-
j Didot et Cie. 7 frcs. 50 c.
Histoire des Perses. 2 yolomes. Paris, Plön. 16 frcs.
La Eenaissance. Seines historiqnes. 2« Edition. Paris, Plön. 6 frcs.
Amadis. (CEuvre posthnme.) Paris, Plön. 10 frcs.
Les P16iades. Paris, Plön. 4 frcs.
C^phalonie, Kaxie et Terre-Neave. Souvenirs de voyages. Paris, Plön. 2 frcs. 50 c.
Konyelles asiatiqaes.. Paris, Didier et Cie. 3 frcs. 50 c.
Histoire d'Ottar Jarl. Paris, Didier et Cie. 4 frcs.
Les religions et les philosophies dans TAsie centrale. 3* Edition. Paris,
E. Leroüx. 7 frcs. 50 c.
Trois ans en Asie. Nonvelle Edition. Paris, E. Leronx. 7 frcs. 50 c.
Alexandre le Mac6donien. Tragödie. 2* Edition. Strassburg, Trübner. 2 Mk.
IL Deutsche Ausgaben.
Yersnch über die Ungleichheit der Menschenrassen. Deutsch von L. Schemann.
Zweite Auflaga 4 Bde. Stuttgart, Frommanns Verlag. 17 Mk., geb. 21 Mk.
Die Renaissance. Deutsch yon L. Schemann. Nene durchgesehene und verbesserte
Ausgabe. 3 — 4. Auflage. Strassburg, Trübner. 5 Mk., geb. 6Vt bezw. 8 Mk.
— Dasselbe in Reclams Universal-Bibliothek. 1 bezw. IV9 Mk.
Asiatische NoTOllen. Deutsch von L. Schemann. (Reclams Universal-Bibliothek).
40 Pfg., geb. 80 Pfg.
Die Tänzerin von Schemacha. Deutsch von R. Schlösser. (Ebendaselbst.) 20 Pfg.,
geb. 60 Pfg.
Alexander. Tragödie. Zweite Auflage. Strassburg, Trübner. 2 Mk.
Die Mitglieder der Oobineau-Yereihigung erhalten die bei E. Leroux er-
schienenen beiden Werke über Centralasien zum Vorzugspreise von 5 Mk., ausser-
dem die französische Ausgabe des Alexander und sämtliche deutsche Ausgaben (mit
Ausnahme der bei Reclam erschienenen) zu zwei Drittel des Ladenpreises.
/
^ AiMHU T iu ni BLlmi. tV./Vl
IV.— VL
Schiller erscheint immer im absoluten Besitz seiner erhabenen
Natur; nichts engt ihn ein, nichts zieht den Flug seiner Gedanken herab;
was in ihm von grossen Ansichten lebt, geht immer frei heraus ohne
Rücksicht und ohne Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so
sollte man auch sein. (Goethe.)
Wie jedes der hehren Dramen, vom Wallenstein bis zum Teil, eine
Eroberung auf dem Gebiete des ungekannten Ideales bezeichnete, stehen
sie nun als die Säulen der einzigen wahrhaftesten Ruhmeshalle des
deutschen Geistes da. (Richard Wagner.)
Schiller hatte sich beispiellos entwickelt : der leidenschaftlich Stret>ende
hatte vom lärmenden Erfolge weg und nur auf sich selbst zurückgewiesen,
in sich selbst das Unaussprechliche gefunden; von da an vermochte er
mit Milde nach aussen zu blicken, nicht mehr begehrend, sondern des
edelsten Besitzes gewiss. (Heinrich von Stein.)
Schiller.
Uns armen Deutschen ist es arg ergangen,
seit wir hervor ans unserm Waldgezelt
wie halbverträumte Eönder angefangen
Umschau zu halten in der fremden Welt!
Da waren's uns're Besten, uns're Helden,
die nach den goldnen Weiten kühn begehrt —
Spielleute mochten ihre Fahrten melden
dem rückgeblieb'nen Volk am Winterherd.
Man sah uns gern am Waldesrande haften,
und wenn die Völker sich die Welt geteilt,
wir, dass wir Eanm für uns're Kinder schafften,
den Wald zu roden waren wir beeilt.
An Helden glaubten wir nur in den Femen,
dahin der Uebermut der Ahnen drang;
doch unter uns sie heut erkennen lernen —
das war die Kunst, die selten uns gelang!
(K>
Nichts hat uns femer in der Welt gestandetii
als wa8 erhaben blühV ans nnserm Blnt;
bewnndem liessen wir's in wfilschen Landen
nnd wärmten uns an karger Herdesglnt.
So sind noch immer nnsres Stammes Ghrösste
zu neuer Welt Erobrung ausgereist,
die leuchtend sie von deutschen Elngen löste
und freie Heimat würde deutschem Geist«
Ein Heldenreioh der Seele ward gewonnen:
zeitloser Zukunft lebend Ideal;
wenn Tag auf Tag die Gegenwart zerronnen,
von drüben grüsst des Wunders gleicher StrahL
Nicht dem, was fern ist, braucht Ihr nachzutrauern,
das, was da bleibt, soll Euch die Kraft verleih'n:
in heldenlosen Zeiten auszudauem
mit starkem Glauben an das Helden-Sein.
Sie stehen hell im Schimmer ew'ger Sterne,
der Hundertjahre Hochgestalten da:
habt nur die Augen offen ftlr das Feme,
so bleibt das Eigenste dem Herzen nah!
Auch Euch ist jene Welt erobert worden,
Traumbrücken zaubert schon die Kunst hinein;
da gibt es keinen Süden, keinen Norden,
und Eure Heimat endet nicht am Main.
Doch würden all' die heU'gen Stimmen stiller,
traumlos umdüstert' uns die tiefste Nacht:
an seines Reiches Grenzen schreitet Schiller
in ruhiger Hoheit seine Geisterwacht.
Weit ist in jenen Landen wohl die Bunde,
doch immer wiederkehrt er, gross und frei:
dann nutzt den Augenblick und holt Euch Kunde,
was — bei den Sternen — deutsch und ewig sei! —
H. V. W.
dl
Richard Wagner ttber Schiller.
Aus den Briefen
als Nachtrag zur „Wagner-Enzyklopädie''.
Ein Zeitalter von Schiller and Ooethel Nun, glücklicher kann
man yon der Yorsehang allerdings nicht aasgestattet werden I
(An H. Wesendonck 8. 12. 58.)
Goethe in Rom ist eine sehr erfreuliche und höchst bedeutende Erscheinung:
nas er da ausbeutete, kam allen zu gute, und Schilleren ersparte er dadurch
entschieden das Selbstsehen ; dieser konnte sich nun vortrefflich bohelfen und Beine
edelsten Werke schaffen.
(An M. W. 1. 1. 60.)
Lesen Sie «Schiller's Leben und Werke'' von Palleske. Solch eine
Lektüre, die intime liObens- und Entwickelungsgeschichte eines grossen Dichters,
ist doch das sympathischeste auf der Welt Mich hat es ungemein angesprochen.
Den P. muss man sich dann und wann wegdenken und nur sich an die unmittel-
baren Mitteilungen von Schillers Freunden und Freundinnen halten. Es wird Sie
ungemein fesseln; ja, Sie werden an einigen Orten ganz erstaunt sein. Schiller
stand in seiner Jugend, als er in Mannheim beim Theater war, an einer Klippe,
Yon der er durch eine herrliche, glaeldich so früh in sein Leben tretende Er-
seheinung zurückgezogen wurde.
(An M. W. 19. 1. 69.)
Dass Sie mir die Schill er 'sehen Briefe noch schickten, war ein sehr guter
Gedanke von Ihnen. Unterhaltung mit solchen Leuten ist mir doch das Liebste
und geht mir selbst über die Politik. Ich lese auch die kleinsten Billets mit
Interesse; sie erst machen mich mit dem lieben Menschen leben. Und darauf
kommt's Einem immer an; man will ganz intim mit solchen Leuten werden.
(An M. W. 30. 4. 69.)
Ich musste noch viel über Schiller lachen; er hat diesen ganz einzigen
Humor, den ich in dieser Liebenswürdigkeit doch an Goethe nicht kenne. Der
«Lorbeerkranz'' (ich glaube, seine Hauseigentümerin), dessen Zimmer im Herzen
ungleich wohlfeiler sind, als im Hause, ^ wiewohl auch davon eher etwas zu
verderben wäre, — ist vortrefflich. Ich danke Ihnen für diese Briefe sehr, ich
möchte gar nichts weiter lesen, als solche Intimitäten.
(An M. W. 9. 5. 69.)
Gestern sah ich die Bistori als Maria Stuart Was ich im Voraus ver-
mieste, da es übrigens der Medea fremd zu bleiben hatte, das erkannte ich nun
als Hauptmangel ihrer Kunst, da es in Maria Stuart unerlässlich gefordert wird.
Hier ist Idealit&t, Enthusiasmus^ tiefe, s^hwft^pa^che W&rme ndtig. ]5s w^
7*
, T I ^
demütigend, wie die Eflnstlerin hier erlag, and ich fühlte mit innigem Stolze die
Bedeutung und Höhe der deutschen Kunst, da ich mich entsann, dass ich schon
Ton mehreren deutschen Schauspielerinnen gerade diese Aufgabe sehr erwärmend,
ja hinreissend hatte ausführen sehen, während die Ristori im jähen Abspringen
Ton raffinierter Prosa zu fast animalisch plastischem Affekte zeigte, dass sie die
Aufgabe nicht entfernt nur ahnte, geschweige denn ihr gewachsen war. Dieser
ideale Nerv der deutschen Kunst ist es eben, der meine Musik, und durch sie
meine Dichtung, möglich macht. — — Worin besteht nun eben der Unterschied
zwischen der gemeinten Idealität und jenem realistischen Spiele des Affektes?
Sieh die Scene im 3. Akt der Maria Stuart, wo sie im Garten die Freiheit be-
grüsst, und denke, dass die R. hier das meiste, ja fast alles ausliess, was nicht,
als Ausgang zu einer Pointe des Hassgefühles gegen Elisabeth, ihr Anlass zur
Entwickelung ihres rapid wechselnden Affektenspieles gab.
(Yenetianisches Tagebuch. 6. 9. 58.)
Mit Plutarch*s grossen Männern geht mir's recht, wie Schiller (nicht ganz
richtiger Weise) es mit Winkelried ging. Da lässt sich noch eher sagen, ich
danke Gott, nicht mit diesen zusanmien zu gehören. Hässliche, kleine, gewaltsame
Naturen, unersättlich — weil sie so gar nichts in sich haben, und deshalb immer
nur Ton aussen in sich hineinfressen müssen. Gehe man mir mit diesen grossen
Männemi Da lobe ich mir Schopenhauers Wort: nicht der Welteroberer, sondern
der Wdtüberwinder ist der Bewunderung wert!
(An M. W. 10. 10. 59.)
Was über Raum, Zeit und Kausalität erhaben ist, und dieser Hilfsmittel
seiner Erkenntnis nicht bedarf, also das you diesen Beziehungen der Endlichkeit
Losgelöste, von dem Schiller so schön sagt, dass es einzig wahr sei, weil es
nie war, dieses der gemeinen Weltanschauung gänzlich Unfassbare erkennt nur
der Dichter mit der selben, seine ganze Gestaltung bedingenden, in ihm liegenden
Yorgebildetheit, dass er es mit unfehlbarer Gewissheit darzustellen vermag.
(An M. W. 19. 1. 59.)
Aus meinen Büchern griff ich meinen lieben Schiller heraus. Ich las gestern
die Jungfrau und war so musikalisch gestimmt, dass ich namentlich das Still-
schweigen Johanna's, als sie öffentlich angeklagt wird, vortrefflich mit Tönen
ausführen konnte : ihre Schuld — die wunderbare. — Heute hat mich eine Rede
des P s a (am Schlüsse des 2. Aktes) über die Unschuld und Tugend wirklich in
Erstaunen gesetzt wegen der unglaublichen Schönheit der poetischen Diction.
Wie leid tat es mir, einer Aufforderung, die mir kürzlich vom Komitee der
Schillerfeier in Berlin zuging (einen Gesang dazu zu schreiben) nicht entsprechen
konnte.
(An M. W. 29. 10. 59.)
Ich habe mich so sehr alles Urteils, im objektiven Sinne, entwöhnt, dass ich
ganz entschieden in allem nur nach meiner Neigung gehe, nur mit dem mich
befasse, was mir durchaus Sympathie erweckt, dann aber nur geniesse, nie aber
eine irgend welche kritische Rechenschaft von den empfangenen Genüssen gebe.
Denke dir nun, welche Widersprüche du in mir wecken musstest, gerade schon
98
durch die Wahl des Oedichtes (Schiller, an die EdnBtler). Dieses ist mehr
oder weniger ein didaktisches Gedicht." der Philosoph, der endlich sich wieder
der Kunst zuwendet, spricht zu uns. Schiller, wie er leibt und lebt — Mein
musikalisches Verhalten zum Sprachverse hat sich jetzt gegen frflher ganz ungeheuer
geändert; ich könnte auf Schiller'sche Verse, die gewiss nur für die Lektflre
gemacht sind, um keinen Preis mehr eine Melodie hervorbringen. Man kann mit
diesen Zeilen nur nach einer gewissen musikalischen Willkür verfahren, und
diese WillkOr treibt uns, da die Melodie doch nicht recht zum Flusse kommen
will, zu harmonischen Ausschweifungen, Ungeheuern Anstrengungen, dem un-
melodischen Quell kanstlische Wallungen zu gebeiL — Du hast ganz recht getan,
die Schiller'schen Verse aus ihrer litterarischen Existenz herauszuziehen und sie
im Posaunentone hell und laut der Welt zuzurufen. Und wie du es getan hast,
das war eben deine Sache. Du musstest wissen, wie du diese Verse der Welt
zurufen wolltest, denn Niemand als dir war die Not aufgegangen, den Buf aus-
zusiossen.
(An Liszt 4. 3. 54.)
Mit Schiller beschäftige ich mich jetzt ungemein gern. Wie hier
alles nur Erkenntnis-Eifer isti Man glaubt, dieser Mensch habe gar nicht existirt,
sondern immer nur nach Geistes Licht und Wärme ausgeschaut Seine leidende
Gesundheit stand ihm hier scheinbar gar nicht im Wegel Zur Zeit der Reife
scheint er doch auch von bewältigenden moralischen Leiden ganz frei gewesen zu
sein. Es scheint da alles erträglich mit ihm gestanden zu haben. Und dann gab
es fdr ihn so viel zu wissen, was damals, wo Kant noch so wichtiges im Unklaren
gelassen hatte, schwierig zu erwerben war, namentlich fOr den Dichter, der sich
auch im Begriffe recht klar werden will. Eines fehlt diesen Allen: die Musiki
Aber sie hatten sie schon im Bedürfnis, in der Ahnung. Deutlich drückt sich
das oft aus, namentlich in der höchst glücklichen Substituirung des Gegensatzes
von „plastischer'' und „musikalischer*' Poesie, für den von „epischer* und „lyrischer/
Mit der Musik ist nun aber eine Allmacht gewonnen, gegen welche die Dichter
jener so wundervoll suchenden, strebsamen Entwickelungsepoche mit ihren Arbeiten
sich doch nur wie Skizzenzeichner verhielten. Deshalb gehören sie mir aber so
innig an : sie sind mein leibhaftiges Erbstück. Aber glücklich waren sie — glück-
licher ohne die Musik! Der Begriff gibt kein Leiden; aber in der Musik wird
aller Begriff Gefühl ; das zehrt und brennt, bis es zur hellen Flamme kommt, und
das neue wunderbare Licht aufleuchten kanni —
(An M. W. 2. 3. 59.)
H
Goethe fiber Schiller«
(Znsaaimeogettellt ans Oeeyie's Werken, den Briefen in den Anegaben fea Stein ond
▼. d. Udlen, Eckermwn's .Gesprichen mit Goethe* (£), »Goethe's Gesprichen* Ton W. Frkr.
▼. Biedermann)
Denn er war nnserl Hag das stolze Wort
den lauten Schmerz gewaltig übertönen I
Er mochte sicli bei ans, im sichern Port,
nach wildem Stnrm znm Dauernden gewöhnen,
indessen schritt sein Oeist gewaltig fort
ins Ewige des Wabren, Guten, Schönen,
ond hinter ihm, im wesenlosen Scheine
lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
Ich werde durch einen Vorwurf angehalten, den ich mir mache, dass ich
unter jenen yortrefflichen Männern, die mich geistig gefördert, meinen unersetz-
lichen Schiller nicht genannt habe. Dort aber empfand ich eine Art yon
Scheu, dem besonderen Denkmal, welches ich unserer Freundschaft schuldig bin,
durch ein voreiliges Gedenken Abbruch zu tun. Nun will ich aber doch aufis
kürzeste bekennen, wie er an meinem Bestreben lebhaften Anteil genommen, sich
mit den Phänomenen bekannt zu machen gesucht, ja sogar mit einigen Yorrich-
tungen umgeben, um sich an denselben yergnflglich zu belehren. Durch die grosse
Katflrlichkeit seines Genies ergriff er nicht nur schnell die Hauptpunkte, worauf
es ankam, sondern wenn ich manchmal auf meinem beschaulichen Wege zögerte,
nötigte er mich durch seine reflektierende Kraft, vorwärts zu eilen, und riss mich
gleichsam an das Ziel, wohin ich strebta Und so wünschte ich nur, dass mir
das Besondere dieser Verhältnisse, die mich noch in der Erinnerung glacklich
machen, bald auszusprechen vergönnt sein möge.
Ein Glflck Air mich war es, dass ich Schillern hatte; denn so verschieden
unsere beiderseitigen Naturen auch waren, so gingen doch unsere Richtungen auf
Eins, welches dann unser Verhältnis so innig machte, dass im Grunde keiner ohne
den andern leben konnte. (E.)
Selten ist ee, dass Personen gleichsam die Hälfte von einander ausmachen,
sich nicht abstossen, sondern sich anschliessen und einander ergänzen.
Hein Verhältnis zu Schiller gründete sich auf die entschiedene Richtung
beider auf einen Zweck, unsere gemeinsame Tätigkeit auf die Verschiedenheit der
Mittel, wodurch wir jenen zu erreichen strebten.
Schillers idealer Tendenz konnte ich meine reelle gar wohl nähern, und
weil beide vereinzelt doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, so traten beide zuletzt
in einem lebendigen Sinne zusammen.
Es waltete bei meiner Bekanntschaft mit Schiller durchaus etwas Dämonisches
ob; wir konnten früher, wir konnten später zusammengeführt werden, aber dass
wir es gerade in der Epoche wurden, , wo ich die italienische Reise hinter mir
hatte, und Schiller der philosophischen Studien müde zu werden anfing, war von
Bedeutung und für beide von grösstem Erfolg.
Nach meinear Rückkehr ans Italien, wo ich mich zu grösserer Beaiimmtiieit
and Reinhdt in alloi Eanstfhchem aoBzabilden gesucht hatte, fand ich neuere
Dichtwerke in grossem Ansehen, die mich äusserst anwiderten: Heinse*s ^Ardin-
ghello'^ und Schillers ,,Ranber^. Jener war mir yerhasst, weil er Sinnlichkeit
uid abstruse Denkweisen durch bildende Kunst zu yeredeln und aufzustützen unter-
A^irn, dieser, weil ein kraftvolles, aber unreifes Talent gerade die ethischen und
theatralischen Paradoxen, yon denen ich mich zu reinigen gestrebt, recht im
ToUen hinreissenden Strome aber das Vaterland ausgegossen hatte. Beiden
Männern yon Talent verargte ich nicht, was sie unternommen und geleistet; denn
der Mensch kann sich nicht versagen, nach seiner Art wirken zu wollen. Das
Bomoren aber, das im Vaterland dadurch erregt, der Beifall, der jenen wunder-
lichen Ausgeburten allgemein, so vom wilden Studenten als von der gebildeten
Hofdame gezollt ward, das erschreckte mich; denn ich glaubte all mein Bemühen
völlig verloren zu sehen, die Art und Weise, wie ich mich gebildet hatte, schien
mir beseitigt und gelähmt —
Nun ist aber zu bedenken, dass ich so wenig als Schiller eine vollendete
Beife genoss, wie sie der Mann wohl wünschen sollte ; deshalb denn zu der Diffe-
renz unserer Individualitäten die Oährung sich gesellte, die ein jeder mit sich
selbst zu verarbeiten hatte, Weswegen grosse Liebe und Zutrauen, Bedürfnis und
Treue im hohen Grad gefördert wurden, um ein freundschaftliches Verhältnis ohne
Störong immerfort zusammenwirken zu lassen.
Noch war der Zwiespalt, den das wissenschaftliche Bemühen in mein Dasein
gebracht, keineswegs ausgeglichen; denn die Art, wie ich die Naturerfahrungen
behandrite, schien die übrigen Seelenkräfte sämtlich für sich zu fordern. In
diesem Drange des Widerstreits übertraf all meine Wünsche und Hoffiiungen das
auf einmal sich entwickelnde Verhältnis zu Schiller, das ich zu den höchsten
zählen kann, die mir das Glück in späteren Jahren bereitete.
Zehn Jahre waren verflossen, und mehr, als meine Verbindung mit Schiller
mich aus diesem wissenschaftlichen Beinhaus in den freien Gktrten des Lebens rief. —
Und zwar hatte ich dieses günstige Ereignis meinen Bemühungen um die
Metamorphose der Pflanzen zu verdanken, wodurch ein Umstand herbeigeführt
vrarde, der die Missverständnisse beseitigte, die mich lange Zeit von ihm entfernt
hielten. —
Ich trug die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor und Hess eine symbolische
Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute alles mit grosser
Teilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als ich aber geendet, schüttelte er
den Kopf und sagte: Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee! Ich stutzte,
verdriessiich dnigermaassen, nahm mich aber zusammen und versetzte: Das kann
mir sehr lieb sein, dass ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit
Augen sehe. SchUier, der viel mehr Lebensklugheit und Lebensart hatte als ich,
erwiderte darauf als ein gebildeter Kantianer; und als aus meinem hartnäckigen
Realismus mancher Anlass zu lebhaftem Widerspruch entstand, so ward viel ge-
kämpft und dann Stillstand gemacht: keiner von beiden konnte sich für den
Sieger halten, beide hielten sich für unüberwindlich. D^ erste Schritt war jedoch
getaiL Schillers Anziehungskraft war gross, er hielt alle fest, die sich ihm
näherten ; ich mdtm Teil an seinen Absichten und versprach zu den Hören manches,
d6
Was bei mir verborgen lag, herzugeben. Und so besiegelten wir durch den grössien,
vielleicht nie ganz za schlichtenden Wottkampf zwischen Objekt and Snbjekt einen
Band, der ununterbrochen gedauert und für uns und andere manches Oute ge-
wirkt hat Far mich insbesondere war es ein neuer Frühling, in welchem alles
froh nebeneinander keimte, und aus aufgeschlossenen Samen und Zweigen hervor-
ging. Unsere beiderseitigen Briefe geben davon das unmittelbarste, reinste und
vollständigste Zeugnis.
,,Reiner Genuss und wahrer Nutzen kann nur wechselseitig sein, und ich
freue mich, Ihnen (Schiller) gelegentlich zu entwickeln, was mir Ihre Unter-
haltung gewährt hat, wie ich von jenen Tagen an eine Epoche rechne und wie
zufrieden ich bin, ohne sonderliche Aufmunterung auf meinem Wege fortgegangen
zu sein, da es nun scheint, als wenn wir, nach einem so unvermuteten Begegnen,
mit einander fortwandem müssten. Ich habe den redlichen und so seltenen Ernst,
der in allem erscheint, was Sie geschrieben und getan haben, immer zu schätzen
gewusst, und ich darf nunmehr Anspruch machen, durch Sie selbst mit dem Gange
Ihres Geistes, besonders in den letzten Jahren, bekannt zu werden. Haben wir
uns wechselseitig die Punkte klar gemacht, wohin wir gegenwärtig gelangt sind,
so werden wir desto ununterbrochener gemeinschaftlich arbeiten können.''
„Alles, was an und in mir ist, werde ich mit Freuden mitteilen. Denn da
ich sehr lebhaft fühle, dass mein Unternehmen das Maass der menschlichen Kräfte
und ihrer irdischen Dauer weit übersteigt, so möchte ich manches bei Ihnen
deponieren und dadurch nicht allein erhalten, sondern auch beleben.^^
„Wie gross der Vorteil Ihrer Teilnehmung für mich sein wird, werden Sie
bald selbst sehen, wenn Sie, bei näherer Bekanntschaft, eine Art Dunkelheit und
Zaudern bei mir entdecken werden, über die ich nicht Herr werden kann, wenn
ich mir ihrer gleich sehr deutlich bewusst bin.''
Unser Grespräch war durchaus produktiv oder theoretisch, gewöhnlich beides
zugleich; er predigte das Evangelium der Freiheit; ich wollte die Rechte der
Natur nicht gekürzt wissen. Aus freundschaftlicher Neigung gegen mich, vielleicht
mehr als aus eigener Ueberzeugnng, behandelte er in den „ästhetischen Briefen"
die gute Mutter nicht mit jenen harten Ausdrücken, die mir den Aufsatz über
Anmut und Würde so verhasst gemacht hatten. Weil ich aber, von einer Seite
hartnäckig und eigensinnig, die Vorzüge der griechischen Dichtungsart, der darauf
gegründeten und von dort herkömmlichen Poesie nicht allein hervorhob, sondern
sogar ausschliesslich diese Weise für die einzig rechte und wünschenswerte gelten
liess, so wurde er zu schärferem Nachdenken genötigt, und eben diesem Konflikt
verdanken wir den Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung. Beide
Diehtungsweisen sollten sich bequemen, einander gegenüberstehend, sich wechsels-
weise gleichen Rang zu vergönnen. Er legte hierdurch den ersten Grund zur
ganzen neuen Aesthetik ; denn Hellenisch und Romantisch, und was sonst noch für
Synonymen mochten aufgefunden werden, lassen sich alle dorthin zurückführen,
wo vom Uebergewicht reeller und ideeller Behandlung zuerst die Rede war.
„Als Schiller sich in Weimar befand, verschloss er sich oft 8 Tage lang und
liess sich von keiner Menschenseele sprechen. Abends um 8 stand noch sein
Mittagessen vor seinem Studierpult. Nie glaubte er die strengen Forderungen
der Kunst befriedigt zu haben; denn seine Begriffe von dem Ideal, nach dem er
67
hinaufarbeitete, waren zuweilen etwas ttberapannt Deshalb hält es auch ebenso^*
schwer die Psychologie ans seinen Stücken als ans seinem Gesicht herauszufinden.
— — Der Kampf, den Schwärmerei, Yemunft und Einbildungskraft in der
Seele des Dichters gekämpft, ist mit unverkennbaren Zflgen seinem Gesicht ein-
gegraben, und daraus entsteht die sonderbare Mischung von Schwermut, Freundlich-
keit, Ernst und Zerstreuung. Auf ihn passt ganz, was er einst zur Charakterisierung
eines Andren gesagt: In seiner Phantasiewelt verschlossen, ist er ein Fremdling in
der wirklichen. Sein Körper, mitten aus der Zerrflttung hervor, verrät einen
hoben männlichen Geist gleich den Ruinen eines ehrwürdigen Tempelgebäudes : Ihr
ahnt aus dem Schauer der Ehrfurcht, der Eure Seele ergreift, dass eine Gottheit
hier wohnte, aber erkennen könnt Ihr es jetzt nur ans den Trümmern, die der
Zahn der alles zerstörenden Zeit verschonte.^ (Zu J. D. Falk 1794.)
Es ist betrübend, wenn man sieht, wie ein so ausserordentlich begabter
Mensch sich mit philosophischer Denkweise herumquält, die ihm nichts helfen
konnte. Man sieht aus seinen Briefen an Humboldt, wie er sich in der unseligen
Zeit jener Spekulationen mit der Intention plagte, die sentimentale Poesie von
der naiven ganz frei zu machen. Aber nun konnte er für jene Dichtart keinen
Boden finden, und dies brachte ihn in unsägliche Verwirrung. Und als ob die
sentimentale Poesie ohne einen naiven Grund, aus welchem sie gleichsam hervor-
wichst, nur irgend bestehen könnte I Aber es war nicht Schillers Sache, mit
einer gewissen Bewusstlosigkeit, und gleichsam instinktmässig zu verfahren, vielmehr
muaste er über jedes, was er tat, reflektieren, woher es auch kam, dass er über
seine poetischen Vorsätze nicht unterlassen konnte sehr viel hin und her zu
reden, sodass er alle seine späteren Stücke Szene für Szene mit mir durch-
gesprochen hat. (E.)
Der Begriff von klassischer und romantischer Poesie, der jetzt über die
ganze Welt geht, und so viel Streit und Spaltungen verursacht, ist ursprünglich
von mir und Schiller ausgegangen. Ich hatte in der Poesie die Maxime des ob-
jektiven Verfahrens und wollte nur dieses gelten lassen. Schiller aber, der ganz
subjektiv wirkte, hielt seine Art für die rechte, und um sich gegen mich zu
wehren, schrieb er den Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung. Er
bewies mir, dass ich selber, wider Willen, romantisch sei und meine Iphigenie,
durch das Vorwalten der Empfindung, keineswegs so klassisch und im antiken
Sinne sei, als man vielleicht glauben möchte. (E.)
Die Kantische Philosophie, welche das Subjekt so hoch erhebt, indem sie es
einzuengen scheint, hatte er mit Freuden in sich aufgenommen; sie entwickelte
das Ausserordentliche, was die Natur in sein Wesen gelegt, und er, im höchsten
Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung, war undankbar gegen die grosse Mutter,
die ihn gewiss nicht stiefmütterlich behandelte. Anstatt sie als selbständig,
lebendig, vom tiefsten bis zum höchsten gesetzlich hervorbringend zu betrachten,
nahm er sie von der Seite einiger menschlicher Natürlichkeiten.
Kant kann man nicht genug lesen, er gibt Antwort auf alle Fragen der
Menschheit Er war Schillers Religion. (Nach Karoline von Wolzogen.)
Mir pflegte Schiller immer das Studium der Kantischen Philosophie zu wider-
raten. Er sagte gewöhnlich: Kant könne mir nichts geben. —
Erwarben aaf diese Weise die Weimarischen Ennstfireonde sich eiliges Zs-
tranen der Anssenwelt, so war anch Schiller aufgeregt, unablässig die Betrachtung
Aber Natnr, Kunst und Sitten gemeinschaftlich anzustellen und hier fühlten wir
immer mehr die Notwendigkeit Yon tabellarischer und symbolischer Behandlnag;
auch der nützliche und schädliche Einfluss des Dilettantismus auf alle Kttnste
ward tabellarisch weiter ausgearbeitet Uebwbaupt wurden solche methodisehe
Entwürfe durch Schillers philosophischen Ordnungsgeist, zu welchem ich aidi
symbolisierend hinneigte, zur angenehmsten Unterhaltung.
„Sie (W. V. Humboldt) haben gewiss mit vielem Anteil gesehen, welche
Fortschritte Schiller auch in seinen kritischen Arbeitmi macht Er hat sehr
glückliche Ideen, die, wenn sie nur einmal gesagt sind, nach und nach Eingang
finden, so sehr man ihnen auch anfangs widersteht Man wird ihm, ftrchte ich,
erst lebhaft widersprechen, und ihn in einigen Jahren ausschreiben, ohne ihn za
zitieren.'
„Ihre (Schill er's) Distichen [Yotivtafeln] sind ausserordentlich schön,
und sie werden gewiss einen trefflichen Effekt machen. Wenn es möglich ist,
dass die Deutschen begreifen, dass man ein guter tüchtiger Kerl sein kann, ohne
gerade ein Philister und ein Matz zu sein, so müssen Ihre schönen Sprüche das
gute Werk yollbringen, indem die grossen Verhältnisse der menschlichen Natur
mit so viel Adel, Freiheit und Kühnheit dargestellt sind. — Ich hoffe, wir wollen
diesmal wieder zusammen eine gute Strecke vorwärts kommen.'
Schillers «Xenien' waren scharf und schlagend, dagegen meine unschuldig
und gering. Den „Tierkreis', welcher von Schiller ist, lese ich stäts mit Be-
wunderung. (E.)
Freunde wie Schiller und ich, jahrelang verbunden, mit gleichen Interessen,
in täglicher Berührung und gegenseitigem Austausch, lebten sich so sehr in ein-
ander hinein, dass bei einzelnen Gedanken gar nicht die Rede und Frage sein
konnte, ob sie dem einen gehörten oder dem andern. Wir haben viele Distichen
gemeinschaftlich gemacht, oft hatte ich den Oedanken und Schiller machte die
Verse, oft war das Umgekehrte der Fall, und oft machte Schiller den einen Vers
und ich den andern. Wie kann nun da von Mein und Dein die Rede sein ! Man
müsste wirklich selbst noch tief in der Philisterei stecken, wenn man auf die
Entscheidung solcher Zweifel nur die mindeste Wichtigkeit legen wollte. (K)
„Das günstige Zusammentreffen unserer beiden Naturen hat uns schon manchen
Vorteil verschafft, und ich hoffe, das Verhältniss wird immer gleich fortwirken.
Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objekte diente, so haben Sie mich
von der allzustrengen Beobachtung der äusseren Dinge und ihrer Verhältnisse auf
mich selbst zurückgeführt ; Sie haben mich die Vielseitigkeit des innem Menschen
mit mehr Billigkeit anzuschauen gelehrt, Sie haben mir eine zweite Jugend ver-
schafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als
aufgehört hatte.' (An Schiller)
Schillers Teihiahme (an Wilhelm Meister) war die innigste und bödiste; da
jedoch seine Briefe hierüber noch vorhanden sind, so darf ich weiter nichts sagen,
als dass die Bekanntmachung dendben wohl eines der schönsten Geschenke sein
möchte, die man einem gebildeten Pablikum bringen kann.
Schiller tadelte die Einfleohtang des Tragischen, welches nicht in den
Boman gehöre. Er hatte jedoch unrecht, wie wir alle wissen. In seinen Briefen
an mich sind aber deren Wert die bedeutendsten Ansichten und Aensserungen. (E.)
Man muss ein alter Praktikus sein, um das Streichen zu yerstehen. Schiller
war hierin besonders gross. Ich sah ihn einmal bei Gelegenheit seines „Musen-
almanachs* ein pompöses Oedicht yon 22 Strophen auf 7 reduzieren, und zwar
hatte das Produkt durch diese furchtbare Operation keineswegs verloren, vielmehr
enthidten diese sieben Verse noch alle guten und wirksamen Oedanken jener
zweiundzwanzig. (E.)
a
Als der verewigte Schiller durch die Huld des Hofs, die Ounst der Gesell-
schaft, die Neigung der Freunde bewogen ward, seinen Jenaischen Aufenthalt mit
dem Weimarischen zu vertauschen, und der Eingezogenheit zu entsagen, der er
sich bisher ausschliesslich gewidn^t hatte : da war ihm besonders die Weimarisdie
Bohne vor Augen, und er beschloss, seine Aufmerksamkeit auf die Vorstellungen
derselben scharf und entschieden zu richten. Und eine solche Schranke bedurfte
der Dichter ; sein ausserordentlicher Geist suchte von Jugend auf die Höhen und
Tiefen, seine Einbildungskraft, seine dichterische Tätigkeit führte ihn in*s Weite
und Breite; and so leidenschaftlich er auch hierbei verfuhr, konnte doch bei
längerer Erihhrung seinem Scharfblick nicht entgehen, dass ihn diese Eigenschaften
auf der Theaterbahn notwendig irre fahren mflssten.
Nun glühte seine Wange rot und röter
von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
von jenem Mut, der, früher oder später,
den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Ton jenem Glauben, der sich stäts erhöhter
bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,
damit das Gute wirke, wachse, fromme,
damit der Tag dem Edlen endlich komme.
Schiller hatte zu viel auf dem Herzen und zu viel zu sagen, als dass er es
hätte beherrschen können. Später, als er sich dieses Fehlers bewusst war, gab
er sich unendliche Mühe und suchte ihn durch Studium und Arbeit zu überwinden,
aber es hat ihm damit nie recht gelingen wollen. Seinen Gegenstand gehörig zu
beherrschen und sich vom Leibe zu halten, und sich nur auf das durchaus Not-
wendige zu konzentrieren, erford^t freilich die Kräfte eines poetischen Riesen
und ist schwerer, als man denkt. (E.)
Es ist wiAr, Schiller war recht jung, als er seine Räuber, seine Cabale und
Liebe und seinen Fiesko schrieb; allein wenn wir aufrichtig sein wollen, so sind
doch alle diese Stücke mehr Aeusserungen eines aussergewöhnlichen Talentes, als
dass sie von grosser Bildungsreife des Autors zeugten. Daran ist aber nicht
Schiller schuld, sondern der Eulturzustand seiner Nation und die grosse Schwierig-
keit, die wir alle erfahren, uns auf einsamem Wege durchzuhelfen. (E.)
«Der Fieiko ist ^n wildes Stück, das den Todeskeim gleich in sich trug.
Die Verschw^teimgsgeschiohten alle, die den frühere Dichtern im Kragen staken,
sind im Grunde nichts als revolutionäre Schwärmereien, gewöhnlich ist der Er-
mordete gerade der Beste und Unentbehrlichste.*' (Zu. v. Müller.)
100
,, Schüler masste sich nach Beinern Don Garlos ganz umwenden; denn anf
diesem Wege wäre es nicht fortgegangen, ohwohl noch jetzt die Leute gern seine
fiRäuber** seh'n, weil viele davon noch auf dieser tollen Stufe stehen. So baten
mich, als ich in Lauchst&dt Theaterdirektor war, die Studenten um die Räuber;
ich wollt* es nicht, wegen möglichen Skandals, indes da sie ihr Wort gaben, ruhig
zu sein, so sagte ich: ihr seid hflbsche Leute, charmante Menschen, wenn ihr
also recht still sein wollt, will ich's geben. Da war es dann sehr voll, das
Publikum mäuschenstill, „Ein freies Leben^ wurde sogar mit Feierlichkeit ge-
sungen, und da sie nun so artig gewesen waren, wurden sie am folgenden Tag
gelobt> (Nach Felix Mendelssohn.)
Die Räuber, Gabale und Liebe, Fiesko, Produktionen genialer jugendlicher
Ungeduld und Unwillens Ober einen schweren Erziehungsdruck, hatten bei der
Vorstellung, die besonders von JangUngen und der Menge heftig verlangt wurde,
manche Veränderung erleiden mflssen. Ueber alle dachte er nach, ob es nicht
möglich würde, sie einen mehr geläuterten Geschmack, zu welchem er sich
herangebildet hatte, anzuähnlichen. Er pflog hierüber mit sich selbst in langen
schlaflosen Nächten, dann aber auch an heitern Abenden mit Freunden einen
liberalen und umständlichen Rat. Hätte jene Beratungen ein Oeschwindschreiber
aufbewahrt, so würde man ein merkwürdiges Beispiel produktiver Eritik besitzen.
Jene oben benannten drei Stücke jedoch wollte man nicht anrühren, weil das
daran Missfällige sich zu innig mit Gehalt und Form verwachsen befand, und man
sie daher auf gut Glück der Folgezeit, wie sie einmal aus einem gewaltsamen
Geist entsprungen waren, überliefern musste.
Wir durften manches versuchen, uns selbst und unsere Zuschauer in einen
hohem Sinn auszubilden. Hier kam uns nun Schiller vorzüglich zu Hilfe und er
stand im Begriffe sich zu beschränken, dem Rohen, Uebertriebenen, Gigantischen
zu entsagen; schon gelang ihm das wahrhaft Grosse und dessen natürlicher Aus*
druck. Wir verlebten keinen Tag in der Nähe, ohne uns mündlich, keine Woche
in der Nachbarschaft, ohne uns schriftlich zu unterhalten.
„Wenn man Schillers und meinen Briefwechsel liest, da findet man wohl,
dass diese Kerls es sich ganz anders sauer werden, ganz höllisch wohl sein liessen.
Und man wundert sich, dass sie sich so viele Mühe geben mochten; die alten
Burschen dachten noch, sachten sich Alles klar zu machen, Theorien von dem,
was sie geschaffen hatten, zu ergrübein; hätten es sich leichter machen können
und lieber was Frisches schaffen l*' (Zu v. Müller.)
^Meine Briefe kommen an innerem und selbständigem Wert den Schiller*schen
nicht bei; er war geneigter zur Reflektion über Personen und Schriften als ich,
und seine höchst freien brieflichen Aeusserungen sind als unbedingter augen-
blicklicher Erguss ganz unschätzbar. Unser beiderseitiges munteres Leben und
redliches Streben stimmt zu freudiger Heiterkeit, die freilich auch durch Leiden
und Quängeleien des Tages dem Beschauer oft verkümmert wird, doch dadurch
wird es ja ein wahres Bild des beschatteten, buntgrauen Erdenlebens. Die ersten
Jahre höchst reich und prägnant, weil wir uns erst begreifen mussten, und an
verschiedenen Orten lebend, briefliche Unterhaltung ernstlich zu pflegen genötigt
wurden. Späterhin hatte sich die Gesinnung schon ausgeglichen, wir wohnten an
einem Ort, und so ist wenig Schriftliches übrig geblieben. Was kann heiterer
sein, dass es beinahe komisch wird, die Briefe mit der pompösen Ankündigung
loi
Aet Hören anfangen zn sehen, and gleich daranf Redaktion und ^Teilnehmeif
Ängstlich nm Manuskript verlegen I Und doch, wäre damals der Trieb nnd Drang
nicht gewesen, den Augenblick aufs Papier zu bringen, so sähe in der deutschen
litteratur alles anders aus. Schiller's Geist musste sich manifestieren. Ich
weiss wirklich nicht, was ohne die Schiller'sche Anregung aus mir geworden wäre.
Hätte es ihm nicht an Manuskript zu den Hören und Musenalmanachen gefehlt,
ich hätte die Unterhaltungen der Ausgewanderten nicht geschrieben, den Gellini
nicht übersetzt, ich hätte die sämtlichen Balladen und Lieder, wie sie die Musen-
almanache geben, nicht verfasst, die Elegien wären, wenigstens damals, nicht ge-
druckt worden, die Xenien hätten nicht gesummt, und im allgemeinen wie im
besondem wäre gar manches anders geblieben.*' (An Staatsrat Schultz.)
„Unser Briefwechsel wird eine grosse Oabe sein, die den Deutschen, ja ich
darf wohl sagen den Menschen, geboten wird.'' (An Zelter.)
Doch hat er, so gefibt, so yoUgehaltig,
dies bretteme Oerflste nicht yerschmäht;
hier schildert' er das Schicksal, das gewaltig
von Tag zu Nacht die Erdenachse dreht,
und manches tiefe .Werk hat, reichgestaltig,
den Wert der Kunst, des Künstlers Wert erhöht; %
er wendete die Blüte höchsten Strebens,
dies Leben selbst, an dieses Bild des Lebens.
Dass ich immerfort, besonders durch Schillers Einwirkung, unsere Bühne
im Ganzen und in den Teilen nach Kräften, Verhältnissen und Möglichkeiten zu
heben gesucht hatte, davon war das Resultat, dass sie seit mehreren Jahren für
eine der vorzüglichsten Deutschlands geachtet wurde.
Schiller hatte nicht lange, in so reifen Jahren, einer Reihe von theatralischen
Yorstellungen beigewohnt, als sein tätiger, die Umstände erwägender Geist, ins
Ganze arbeitend, den (bedanken fasste, dass man dasjenige, was man an eigenen
Werken getan, wohl auch an fremden tun könne, und so entwarf er den Plan,
wie dem deutschen Ifheater, indem die lebenden Autoren für den Augenblick fort-
arbeiteten, auch dasjenige zu erhalten wäre, was früher geleistet worden. Der
einnehmende Stoff, der anerkannte Gehalt solcher Werke sollte einer Form an-
genähert werden, die teils der Bühne überhaupt, teils dem Sinn und Geist der
Gegenwart gemäss war.
Damit nun aber das deutsche Theater auf echt deutschem Boden gegründet
sein möge, war Schillers Absicht, zuerst die Hermannschlacht von Klopstock zu
bearbeiten. Das Stück wurde vorgenommen, und erregte schon bei dem ersten
Anblick manches Bedenken. Schillers Urteil war überhaupt sehr liberal, aber
zugleich frei und streng. Die ideellen Forderungen, welche Schiller seiner Natur
nach machen musste, fand er hier nicht befriedigt, und das Stück ward bald
zurückgelegt —
Schiller verkehrte mit den Schauspielern und Schauspielerinnen sehr viel.
Er war gleich mir bei allen Proben gegenwärtig, und nach jeder gelungenen Yor-
Btellung von einem seiner Stücke pflegte er sie zu sich einzuladen und sich mit
ihnen einen guten Tag zu machen. Man freute sich gemeinsam an dem, was
m
gelasgeii, und besprach sich Aber das, was etwa das näcbste Mal bess^ tu tau
sei. Aber schon als Schiller bei uns eintrat, fand er Schauspieler wie Publikum
im hohen Grad gebildet vor, und es ist nicht zu leugnen, dass es dem raschen
Erfolg seiner Stacke zugute kam. (K)
Schiller hatte den guten Gedanken, ein eigenes Haus f&r die Tragödie m
bauen, auch jede Woche ein Stück bloss fllr M&nner zu geben. Allein dies setzte
eine sehr grosse Besidenz voraus und war in unsem kleinen Verhältnissen nicht
zu realisieren. (E.)
Gegen Lessings Arbeiten hatte Schiller ein ganz besonderes Terhftltnis: er
liebte sie eigentlich nicht, ja, Emilia Galotti war ihm zuwider; doch wurde diese
Tragödie sowohl als Minna von Barnhelm in das Repertorium aufgenommen. Er
wandte sich darauf zu Nathan dem Weisen, und nach seiner Redaktion, wobei er
die Kunstfreunde gern einwirken Hess, erscheint das Stack noch gegenwärtig. —
Schiller wäre Calderon gefährlich geworden, er wäre an ihm irre geworden,
und es ist daher ein Glflck, dass Calderon erst nach seinem Tode in Deutschland
in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist unendlich gross im Technischen
und Theatralischen; Schiller dagegen weit tüchtiger, ernster und grösser im
Wollen, und es wäre daher schade gewesen, von solchen Tugenden vielleicht etwas
einzubflssen, ohne doch die Grösse Calderons in anderer Hinsicht zu erreichen. (EL)
Er war so, wie alle Menschen, die zu sehr von der Idee ausgehen. Auch
hatte er keine Ruhe und konnte nie fertig werden, me Sie an den Briefen Ober
den Wilhelm Meister sehen, den er bald so und bald anders haben will. Ich
hatte nur immer zu tun, dass ich feststand und seine wie meine Kunst von
solchen Einflüssen freihielt (E.)
SchiUer hatte in seiner Natur etwas Gewaltsames; er handelte oft zu sehr
nach einer vorgefassten Idee, ohne hinlängliche Achtung vor dem Gegenstand, der
zu behandeln war. (E.)
Alles an Schiller war stolz und grossartig, aber seine Augen waren sanft
Und wie sein Körper, war sein Talent Er griff in einen grossen Gegenstand kühn
hinein und betrachtete und wendete ihn hin und her, und sah ihn so an und so,
und handhabte ihn so und so. Er sah seinen Gegenstand gleichsam nur von
aussen an, eine stille Entwicklung aus dem Innern war nicht seine Sache. Sein
Talent war mehr desul torisch. Deshalb war er auch nie entschieden und konnte
nie fertig werden. Er wechselte oft noch eine Rolle kurz vor der Probe. Und
wie er überall kühn zu Werke ging, so war er auch nicht für vieles Motivieren.
Sein Talent war recht für's Theater geschaffen. Mit jedem Stücke schritt er vor
und ward er vollendeter; doch war es wunderlich, dass ihm noch von den „Räubern*
her ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst ihn in seiner
schönsten Zeit nie ganz verlassen wollte. So wollte er im „Egmont^ den Alba,
in eine Maske und in einen Mantel gehüllt, im Hintergrund erscheinen lassen,
um sich an dem Effekt zu weiden, den das Todesurteil auf Egmont haben würde.
Hierdurch sollte sich der Alba als unersättlich in Rache und Schadenfreude dar-
stellen. Ich protestierte jedoch, und die Figur blieb weg. — Er war ein wunder-
licher, grosser Mensch 1 (E.)
108
tJiiB zmB Entaaneit wollte Schiller drängeil)
der SiBüMide, der alles durchgeprobt.
Oleich «nsern Geist gebietet's anzustrengen,
das Werk, das herrlich seinen Meister lobt.
Wenn Felsenriffe Bahn und Fahrt verengen,
Hm den Oeftngsteten die W^e tobt,
alsdann vernimmt ein so bedrängtes Flehmi
Aeligion allein von ew'gen Höhen.
Unsere Zeit ist so schlecht, dass dem Dichter im umgebenden menschlichen
Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet. Um sich nun aufeubauen, greift
Schiller zu zwei grossen Dingen: zur Philosophie und Geschichte. Schillers
Wallenstein ist so gross, dass in seiner Art zum zweiten Male nicht etwas Aehn-
Hches vorhanden ist; aber Sie werden finden, dass eben diese beiden gewaltigen
Httlfen dem Werke an verschiedenen Teilen im Wege sind und seinen reinen
poetischen Succees hindern. (K)
Was hat sich nicht Schiller f&r Schaden getan, als er so vaste Conceptionen
dramatisch und theatralisch behandeln wollte. Seine meisten Stocke,* wie sie zu-
sammengeschnitten werden mussten, sehen jetzt rhapsodisch aus, und die kostbaren
Einzelheiten, die nur schroff neben einander stehen, machen uns zwar immer
erstaunen, aber sie verfehlen den reinen ästhetischen Effekt, der nur aus dem
QeAhl des Ganzen entspringt (An Kömer.)
Schiller, der schon in seinem Don Garlos sich einer gewissen Mässigung
beflisB, und durch Redaktion dieses Stückes fürs Theater zu einer beschränktem
Form gewöhnte, sollte nun den Gegenstand von Wallenstein au%efasst und den
gränzenlosen Stoff in der Geschichte des dreissigjährigen Krieges dergestalt be-
handelt, dass er sich als Hemu der Masse gar wohl empfinden mochte. Aber
eben durch diese FtQle ward eine strengere Behandlung peinlich, wovon ich Zeuge
sein konnte, weil er sich ttber alles, was er dichterisch vor hatte, mit andem
gvn besprach, und was zu tun sein mochte, hin und vrieder überlegte.
SchiUer hat zu seinem Wallenstein sehr grosse Vorarbeiten gemacht. Wenn
die alten Dichter ganz bekannte Mythen in ihren Dramen vortrugen, so hat ein
neoerer Dichter, wie die Sachen stehen, immer den Nachteil, dass er erst die
Exposition, die doch eigentlich nicht allein aufit Faktum, sondem auf die ganze
Breite der Existenz und auf Stimmung geht, mit vortragen muss. Schiller hat
dagegen einen sehr guten Gedanken gehabt, dass er ein kleines Stück, die Wallen-
Steuer, ab Exposition voraufschickt, wo die Masse der Armee, gleichsam wie
der Chor der Alten, sich mit Gewalt und Gewicht darstellt, weil am Ende des
Hauptstückes doch alles darauf ankommt, dass die Masse nicht mehr bei ihm
iMht, sobald er die Formel des Dienstes verändert. Es ist in einer viel pesan-
teren, also für die Kunst bedeutenderen Manier als die Geschichte von Dumouriez. —
Während der Arbeit an dies^ höchst bedeutenden Trilogie kam ich dem
Terfosser nicht von der Seite. Er hatte die Gabe, über das, was er vorhatte,
Ja soeben arbeitete, sieh mit Freunden besprechen zu können. Ein wunderbares
Kaohgeben und Verharren lag in der Natur seines ewig reflektierenden Geistes;
ee störte seine Produkte keineswegs, sondem regelte sie und gab ihr Gestalt
lo4
tm Oronde ist bei Wallensteins Lager alles Schillers eigeiie Arbeit t)a wir
jedoch in solchem Verhältnis mit einander lebten, und Schiller mir nicht allein
den Plan mitteilte, sondern auch die Aosfflhmng, so wie sie tftglich heranwuchs,
mit mir kommunizierte und meine Bemerkungen hörte und nutzte, so mag ich
auch wohl daran einigen Teil haben. Zu der Kapuzinerpredigt schickte ich ihm
die Reden des Abraham a Sancta Clara, woraus er dann sogleich jene Predigt
mit grossem Geiste zusammenstellte. Dass einzelne Stellen von mir herrflhren,
erinnere ich mich kaum, ausser jenen zwei Versen:
„Ein Hauptmann, den ein andrer erstach,
Liess mir ein paar glackliche Würfel nocL''
Denn da ich gern motiviert wissen wollte, wie der Bauer zu den Habchen
Würfeln gekommen, so schrieb ich diese Verse eigenhändig in das Manuskript
hinein. Schiller hatte daran nicht gedacht, sondern in seiner kühnen Art dem
Bauer geradezu die Würfel gegeben, ohne viel zu firagen, wie er dazu gekommen.
Ein sorgfältiges Motivieren war nicht seine Sache, woher denn auch die grössere
Theaterwirkung seiner Stücke kommen mag. (K)
Suchen wir ein Bild und Gleichnis (trilogischer Dichtung) zu unseren Zeiten.
Die deutsche Bühne besitzt ein Beispiel an Schillers Wallenstein, und zwar ohne
dass der Dichter hier eine Nachahmung der Alten beabsichtigt hätte; der StoflT
war nicht zu übersehen, und zerfiel dem wirkenden und schaffenden Geiste nach
und nach, selbst gegen seinen Willen, in mehrere Teile. Der Empfindungsweise
neuerer Tage gemäss, bringt er das lustige, heitere Satyrstück, das Lager, voraus.
In den Piccolomini ehren wir die fortschreitende Handlung; sie ist noch durch
Pedanterie, Irrtum, wüste Leidenschaft niedergehalten, indes zarte, himmlische
Liebe das Rohe zu mildem, das Wilde zu besänftigen, das Strenge zu lösen
trachtet Im dritten Stücke misslingen alle Versuche der Vermittelung; man
muss es im tiefsten Sinne hochtragisch nennen, und zugeben, dass für Sinn und
Gefühl hierauf nichts weiter folgen könne. —
„Man hat auch bei diesem Unternehmen (Wallenstein) gesehen, dass man
eigentlich alles wagen kann, sobald man mit Genie, Greist und Überlegung wirkt.
Das erste Stück, Wallensteins Lager, hat die Menschen nicht allein sogleich mit
dem Reim ausgesöhnt, sondern sogar dessen Bedürfnis erweckt und durch seine
Lebhaftigkeit eine gute Sensation gemacht Das zweite, die Piccolomini, hat den
Beifall aller erhalten, welche es ganz hören konnten oder mochten; diejenigen
aber, denen es entweder an dem Grade der nötigen Aufmerksamkeit gebrach, oder
die durch äussere Umstände teilweise zerstreut und gehindert waren, oder wer
sonst etwa nicht den besten Willen hatte, beschwerte sich über die Länge und
den Mangel an Handlung. Alle aber mussten der einzelnen Ausführung und dem
reichen Gehalt des Stückes Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wallenstein zuletzt
hat alle Stimmen vereinigt, indem er aus den vorbereitenden Kelchblättern wie
eine Wunderblume unversehens hervorstieg und alle Erwartungen übertrat Ich
freue mich in Ihre Seele zum voraus auf die Stunden, in den^ auch Sie (W. v.
Humboldt) dieses Genusses teilhaftig werden.^^ —
„Es ist mit diesem Stücke (Wallenstein) wie mit einem ansgelegenen Weine.
Je älter sie werden, je mehr Geschmack gewinnt man ihnen ab. Ich nehme mir
die Freiheit, Schills für einen Dichter und sogar fär einen grossen zu halten«
wiewohl die neuesten Imperatoren und Diktatoren unserer Litteratur versichert
ballen, et sei Keiner. Es fragt sieb nur, wer dann gelten soU?^ (Bei Johanna
Schopenhaner.)
Indem das Bild einer mit furchtbarer Konsequenz und doch zwecklos handelnden
Macht, Ton entschiedener Meisterhand, sich uns grauenvoll entg^enstellt (Braut
Ton Messina), sind wir zum düstersten Punkt des Ganzen gelangt, nur aus höheren
Begionen zu erhellen.
Ich hatte mit Schiller den «TelP oft besprochen, und ihn mit meiner leb-
haften Schilderung jener Fehw&nde und gedrängten Zust&nde oft genug unter-
halten, dergestalt dass sich bei ihm dieses Thema nach seiner Weise zurechtstellen
und formen mnssta Auch er machte mich mit seinen Ansichten bekannt, und
ich entbehrte nichts an einem Stoff, der bei mir den Reiz der Neuheit und des
unmittelbaren Anspannens verloren hatte, und aberliess ihm daher denselben gern
und f&rmlich, wie ich schon früher mit den £[ranichen des Ibjcus und manchem
anderen Thema getan hatte. Da sich denn deutlich ergibt, dass ihm alles voll-
kommen angehört, und dass er mir nichts als die Anregung und eine lebendigere
Anschauung schuldig sein mag, als ihm die einfache L^ende hätte gewähren
können. Ich war zufrieden, dass er den Hauptbegriff eines selbständigen, von den
übrigen Verschworenen unabhängigen Teil, benutzte in der Ausführung aber musste
er, der Richtung seines Talentes zufolge, sowie nach den deutschen Theater-
bedürfnissen, einen ganz andern Weg nehmen. —
yAls er mir sein vortreffliches Werk, Wilhelm Teil, brachte, machte ich ihn
aufmerksam, wie es komme, dass der Landvogt Gessler auf den Einfall gerate,
Teil solle den Apfel von des Knaben Kopf schiesseu, und bemerkte, dass das nicht
gehörig motiviert sei. Schiller war hierüber etwas unwillig; allein ungefähr den
dritten Tag brachte er die Szene mit dem Knaben des Teil, der behauptete, sein
Vater könne mit dem Pfeile jeden Apfel vom Baume schiessen. Sehen Sie, jetzt
ist eine Veranlassung dazu, so macht es sich herrlich.^ (Zu Grüner.)
Es ist kaum begreiflich (dass Schiller den Teil zu dem harten Gericht über
den Parricida herabsinken lassen konnte); allein Schiller war dem Einfluss von
Frauen unterworfen wie andere auch, und wenn er in diesem Falle fehlen konnte,
80 geschah es mehr aus solchen Einwirkungen, als aus seiner eigenen guten
Natur. (K)
Denn er war unser I Wie bequem gesellig
den hohen Mann der gute Tag gezeigt,
wie bald sein Ernst, anschliessend, wohlgefällig,
zur Wechselrede heiter sich geneigt,
bald rasch gewandt, geistreich und sicherstellig,
der Lebensplane tiefen Sinn erzeugt,
und fruchtbar sich in Rat und Tat ergossen:
das haben wir erfahren und genossen.
Selbst Schiller, der ein wahrhaft poetisches Naturell hatte, dessen Geist sich
aber zur Reflexion stark hinneigte und manches, was beim Dichten unbewusst und
freiwillig entspringen soll, durch die Gewalt des Nachdenkens zwang, zog viele
junge Leute auf seinem Wege mit fort, die aber eigentlich nur seine Sprache
ihm nachlemen konnten«
8
106
Der grosse Zwiespalt, der sich in der deatschen Litteratiir heryortat, wirkte
auf nnsem Theaterkreis. Ich hielt mich mit Schiller auf der einen Seite: wir
bekannten uns zn der neneren strebenden Philosophie and einer darans herzu-
leitenden Aesthetik, ohne viel anf Persönlichkeiten zu achten, die nebenher im
Besonderen ein mutwilliges und freches Spiel trieben. Wir wollten ein Air alle-
mal den Klatsch des Tages auf unserer Bühne nicht dulden, indess der andern
Partei gerade daran gelegen war, sie zum Tempel ihres MisswoUens zu erniedrigen.
Deshalb gab es einen grossen Kampf, als ich aus den yKleinst&dtem*' (yon
Kotzebue) alles ausstrich, was gegen die Personen gerichtet war, die mit mir in
der Hauptsache ftbereinstimmten. Man r^^ sich ton der Gegenseite gewaltig,
und behauptete, dass, wenn der Autor gegenwärtig sei, man mit ihm Rat in
pflegen habe. Das sei mit Schiller geschehen, und ein anderer könne das
Gleiche fordern. Diese wunderliche Schlussfolge konnte bei mir aber nidit gelten :
Schiller brachte nur edel Aufregendes, zum Höheren Strebendes auf die Bahne,
jene aber Niederziehendes, das problematische Gute Entstellendes und Vernichten*
des herbei; und das ist das Kunststack solcher Gesellen, dass sie, jedes wahre,
reine Verhältnis missachtend, ihre Schlechtigkeiten in die lässige Nachsicht einer
geselligen Conniyenz einzuschwärzen wissen.
Der entschiedene Riss ereignete sich wegen eines Festes in der Weimarischen
Societät, an welchem zu Ehren Schillers eine grosse Exhibition ton mancherlei
auf ihn und seine Werke bezüglichen Darstellungen Platz finden sollte. Die
Absicht war offenbar, Schillers Wohlwollen zu erschleichen, mich durch ihn zu
gewinnen, oder, wenn das nicht gelingen sollte, ihn von mir abzuziehen. Schillern
war nicht wohl zu Mute bei der Sache : die Rolle, die man ihn spielen liess, war
immer verfänglich, unerträglich für einen Mann seiner Art, wie für jeden Wohl-
denkenden, so als eine Zielscheibe fratzenhafter Verehrungen in Person vor
grosser Gesellschaft dazustehen. Er hatte Lust, sich krank zu melden ; doch war
er, geselliger als ich, durch Frauen- und Familienverhältnisse mehr in die Societät
verflochten, fast genötigt, diesen bittem Kelch auszuschlürfen. Wir setzten vor-
aus, dass es vor sich gehen würde, und scherzten manchen Abend darüber; er
hätte krank werden mögen, wenn er an solche Zudringlichkeiten dachte.
Nichts glich dem Erstaunen, dem Befremden, dem Ingrimme der Verbündeten, als
die Zimmerleuto, die mit Stollen, Latten und Brettern angezogen kamen, um das
dramatische Gerüst aufzuschlagen, den (Stadthaus-) Saal verschlossen fanden und
die Erklärung vernehmen mussten, er sei erst ganz neu eingerichtet und dekoriert;
man könne ihn daher zu solchem tumultuarischen Beginnen nicht einräumen, da
sich niemand des zu befürchtenden Schadens verbürgen könne. — Unsere höchsten
Herrschaften hatten von ihrem erhabenen Standort, bei grossartigem, freiem Um-
blick, diesen Privathändeln keine Aufmerksamkeit zugewendet; der Zufall aber,
der, wie Schiller sagt, oft naiv ist, sollte dem ganzen Ereignis die Krone auf-
setzen, indem gerade in dem Moment der verpflichtende Bürgermeister, als ver-
dienter Geschäftsmann, durch ein Dekret die Auszeichnung als Rat erhielt
Schiller war, wie sich bei seinem grossartigen Charakter denken lässt, dn
entschiedener Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden Vergötterung,
die man mit ihm trieb oder treiben wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffent-
liche Demonstration zu seinem Ruhme zu veranstalten, war es ihm so zuwider,
dass er vor innerem Ekel darüber fast krank wurde. (K)
«Schiller war ein ganz anderer Geselle als ich und wusste in der OeseOschaft
immer bedeutend und anziehend zu sprechen. Ich hingegen hatte immer die
\0l
ftlberae Abneigang von dem, was mieh gerade am mebten iaieresslerte, tu
iprechen. (Zn t. MflUer.)
Ee war ihm snwider, wenn ein Fremder sich bei ihm melden Hess; wenn
er aogenblicklieh briiindert war, ihn zo sehen, und er ihn etwa anf den Nach«
mittag tier Uhr bestelltCi so war in der Regel anzunehmen, dass er nm die be-
stimmte Stunde vor lauter Appr^ension krank war. Auch konnte er in solchen
Fällen gelegentlich sehr ungeduldig und auch wohl grob werden. Ich war Zeuge,
wie er einst einen fremden Ohimrgus, der, um ihm seinen Besuch zu machen,
bei ihm unangemeldet eintrat, sehr heftig «iftihr, sodass der arme Mensch, ganz
Torblnfit, nicht wnaete, wie schnell er sich zurndtzleben sollte. (K)
Schiller mochte sich stellen, wie er wollte, er konnte gav nichts machen,
was nicht immer bei weitem grösser herauskam als das Beste dieser Neuerer.
Ja, wenn Schiller sich die NAgel beeehnttt, war er grAsser als diese Herren I (E.)
Schiller erscheint immer im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur; er ist
so grees am Theetiseh, wie «r es im Staatsrat gewesen sein wttrde. Nichts geniert
Um, niehti engt ihn ein; nichto zieht den Flug seiner Oedankmi herab; was in
ihm Ton grossmi Ansichten lebt, geht immer frei heraus ohne Radesicht und ohne
Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so sollte man auch sein! (B.)
Ihr seid alle viel zu armselig und irdisch ftr ihn!
Schiller, der, unter uns, weit mehr Aristokrat war als ich, der aber weit
mehr bedachte, was er sagte, ab ich^ hatte das merkwürdige Olftek, ak besonderer
Freund des Volkes zu gelten. (K)
,iSohiUer war der letzte Edelmann, asdchte man sagen, unter den deutschen
SekriftsteUem : sans tAche et saas reprodke.* (Zu Boisserte.)
In Schiller lag das Naturbetrachten nicht. Was in seinem Teil von Schweizer
Lokalitit ist, hab' ich ihm alles erzahlt Aber er war ein so bewundemswnrdiger
Seist, dass er selbst nach solchen Erzählungen etwas machen konnte, was Reaütit
hatte. (E.)
Sie sehen, wie Schiller ein grosser Kflnstler war, und wie er auch das
Objektive zu fassen wusste, wenn es ihm als Ueberliefemng Tor Angen kam.
Oewiss, die ^Nadowessische Totenklage' gehört zu seinen allerbesten Gedichten,
und ich wollte nur, dass er ein Dutz^d dieser Art gemacht hätte. Aber können
Sie denken, dass seine nächsten Freunde ihn dieses Gedichtes wegen tadelten,
indem sie meinten, es trage nicht genug von sdner Idealität? — (E.)
Schillers eigentliche Produktivität lag im Idealen, und es lässt sich sagen,
dass er so wenig in der deutschen Litteratur als in einer anderen seinesgleichen
hat Von Lord Byron hat er noch das Meiste; doch dieser ist ihm an Welt
ttberlegen. Ich hätte gern gesehen, dass SchiUer den Lord Bjrron erlebt hätten
und da hätt' es mich wundem sollen, was er zu einem so verwandten Geiste
wttrde gesagt haben«
Durch aUe Werke Schillers geht die Idee der Freiheit ; und diese Idee nahm
eine andere Gestalt an^ sowie Schiller in seiner Kultur weiter ging und selbst
ein anderer worde. In seiner Jagend war es die physische Freiheit, die ihm 2ti
schaffen machte; dies lag zwar teils in der Natnr seines Geistes, grössemteils
aber schrieb es sich von dem Drucke her, den er in der Militärschale hatte leiden
müssen. Dann aber in seinem reiferen Leben, wo er der physischen Freiheit
genug hatte, ging er zur ideellen ttber, und ich möchte &st sagen, dass diese
Idee ihn getötet hat-, denn er machte dadnrch Anforderangen an seine physische
Natnr, die fflr seine Kräfte za gewaltsam waren. (E.)
Ihr kanntet ihn, wie er mit Riesenschritte
den Kreis des Wollens, des Vollbringens mass,
durch Zeit und Land, der Völker Sinn and Sitte,
das dunkle Buch mit heitrem Blicke las;
doch wie er, atemlos, in unsrer Mitte,
im Leiden bangte, kümmerlich genas,
das haben wir in traurig schönen Jahren,
denn er war unser, leidend miterüahren.
Schiller lehnte das Anerbieten des Grossherzogs ab, sein Gehalt zm ver-
doppeln, und machte nie davon Gebrauch. „Ich habe das Talent*', sagte er, „and
muss mir selber helfen können.' Nun aber, bei seiner vergrösserten Familie in
den letzten Jahren, musste er der Existenz wegen jährlich zwei Stücke schreiben,
und um dieses zu vollbringen, trieb er sich, auch an solchen Tagen und Wochen
zu arbeiten, in denen er nicht wohl war ; sein Talent sollte ihm zu jeder Stunde
gehorchen und zu Gebote stehen. Schiller hat nie viel getrunken, er war sehr
massig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine
Kräfte darch etwas Spirituoses zu steigern. Dies aber zehrte an seiner Gesundheit
und war auch den Produktionen selbst schädlich. Denn was gescheite Köpfe an
seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her. Alle solche Stellen,
von denen sie sagen, dass sie nicht just sind, möchte ich pathologische Stellen
nennen, indem sie an solchen Tagen geschrieben sind, wo es ihm an Kräften
fehlte, um die rechten und wahren Motive zu finden. (£.)
„Schiller konnte, was ich gamicht kann, etwas Unmittelbares in seine Arbeiten
hineinnehmen : wie er „Teil*' schrieb, schweizerische Gedichte lesen, Topographien
in seinem Zimmer aufhängen, u. dgl. Er hatte ein furchtbares Fortschreiten:
wenn man ihn nach acht Tagen wiedersah, so fand man ihn anders und staunte
und wnsste nicht, wo man ihn anfassen könnte. So gings immer vorwärts bis
46 Jahr, da war's denn weit genug.'' (Nach Felix Mendelssohn.)
Alle acht Tage war er ein Anderer und Vollendeterer, jedesmal wenn Ich ihn
wiedersah, erschien er mir vorgeschritten in Belesenheit, Gelehrsamkeit und Urteil.
Seine Briefe sind das schönste Andenken, das ich von ihm besitze, und sie ge-
hören mit zu dem Vortrefflichsten, was er geschrieben hat. Seine letzten Briefe
bewahre ich aber wie Heiligtümer unter meinen Schätzen. Sie sehen, wie sein
Urteil treffend und beisammen ist, und wie die Handschrift durchaus keine Spur
irgend einer Schwäche verrät. Er war ein prächtiger Mensch, und bei völligen
Kräften ist er von uns gegangen. Dieser Brief ist vom 27. April 1805 — Schiller
starb am 5. Mai. (£.)
„Ich dachte mich selbst zu verlieren und verliere nun einen Freund, nnd in
dem selben die Hälfte meines Daseins. Eigentlich sollte ich eine neue Lebens-
m
weise anfangen ; aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg meU. Ich sehe
also jetzt nnn jeden Tag unmittelbar yor mich hin nnd tne das Nächste, ohne
an eine weitere Folge zu denken.'' (An Zelter.)
Mein erster Oedanke (nach Schillers Tode) war, den Demetrins zu vollenden.
Von dem Vorsatz an bis in die letzte Zeit haben wir den Plan öfters durch-
gesprochen. Schiller mochte gern anter dem Arbeiten mit sich selbst and anderen
Itlr nnd wider streiten, ^e es zn machen wäre; er ward eben so wenig mttde,
fremde Heinnngen zn vernehmen, wie seine eigenen hin und her zn wenden. Und
so hatte ich alle seine Stacke, vom Wallenstein an, zur Seite begleitet, meisten-
teils friedlich nnd frenndlich, ob ich gleich manchmal, zuletzt wenn es zur Auf-
fühmng kam, gewisse Dinge mit Heftigkeit bestritt, wobei denn endlich einer oder
der andere nachzugeben ftlr gut fand. So hatte sein aus- und aufBtrebender Geeist
auch die Darstellung des Demetrins in viel zu grosser Breite gedacht: ich war
Zeuge, wie er die Exposition zu einem Vorspiel bald dem Wallensteinschen, bald
dem Orleansschen ähnlich ausbilden wollte, wie er nach und nach sich ins Engere
zog, die Hauptmomente zusammenfasste, und hie und da zu arbeiten anüng. In-
dem ihn ein Ereignis vor dem andern anzog, hatte ich beirätig und mittätig mit-
gewirkt; das Sttlck war mir so lebendig als ihm. Nun brannte ich vor Begierde,
unsere Unterhaltung, dem Tode zum Trotze, fortzusetzen, seine Gedanken, An-
sichten und Absichten bis ins einzelne zu bewahren, und ein herkömmliches Zu-
sammenarbeiten bei Redaktion eigener und fremder Stttcke hier zum letztenmal
auf ihrem höchsten Gipfel zu zeigen. Sein Verlust erschien mir ersetzt, indem
ich sein Dasein fortgesetzt Das deutsche Theater, für welches wir bisher gemein-
schaftlich, er dichtend und bestimmend, ich belehrend, ttbend und ausfahrend,
gearbeitet hatten, sollte, bis zur Herankunft eines frischen ähnlichen Geistes,
durch seinen Abschied iiicht ganz verwaist sein. Genug, aller Enthusiasmus, den
die Verzweiflung bei einem grossen Verlust in uns aufregt, hatte mich ergriffen.
Frei war ich 7on aller Arbeit, in wenigen Monaten hätte ich das Stttck vollendet;
es auf allen Theatern zugleich gespielt zu sehen, wäre die herrlichste Totenfeier
gewesen, die er sich selbst und den Freunden bereitet hätte. Ich schien mir
g^ond, ich schien mir getröstet. Nun aber setzten sich der Ausführung mancherlei
Hindemisse entgegen, mit einiger Besonnenheit und Klugheit vielleicht zu be-
seitigen, die ich aber durch leidenschaftlichen Sturm und Verworrenheit nur noch
vermehrte ; eigensinnig und übereilt gab ich den Vorsatz auf, und ich darf noch jetzt
nicht an den Zustand denken, in welchem ich mich versetzt fählte. Nun war mir
Schiller eigentlich erst entrissen, sein Umgang erst versagt. Meiner kttnsüerischen
Einbildungskraft war verboten, sich mit dem Katafalk zu beschäftigen, den ich
ihm aufzurichten gedachte, der länger als jener zu Messina das Begräbnis über-
dauern sollte; sie wendete sich um und folgte dem Leichnam in die Gruft, die
ihn gepränglos umschlossen hatte. Nun fing er mir erst an zu verwesen, un-
leidlicher Schmerz ergriff mich, und da mich körperliche Leiden von jeglicher
Gesellschaft trennten, so war ich in traurigster Einsamkeit befangen. Wie oft
mnsste ich nachher im Laufe der Zeit still bei mir lächeln, wenn teilnehmende
Freunde Schillers Monument in Weimar vermissten; mich wollte fort und fort
bedünken, als hätte ich ihm und unserem Zusammensein das erfreulichste stiften
können« —
«Man setzt in die (Frankfurter) Zeitung, Schiller sei nicht reich gestorben,
habe vier Kinder hinterlassen, und gewährt dem lieben Publikum einen freien
Eintritt zu einer Totenfeier! Pfiffen und Mönche wissen die Totenfeier ihrer
Beiligen beeser zum Vorteile der liebeuden zu beaoUea. Das tiefe Qefiüd dei
YerluBtee gehört den Freanden ab ein Yorrecbt. Die Herren Franbfmrter, die
tonst nichts als ihr Oeld zu schätzen wissen, h&tten besser getan, ihren Antdl
realiter auszudrücken, da sie, unter uns gesagt, dem lebenden Trefflichen, der es
sich sauer genug werden liess, niemals ein Manuskript honoris haben, sondern
immer warteten, bis sie das gedruckte Stück fQr 12 Oroschen haben konnten. -*
Iffland hat auf jede Weise Recht, den pathologischen Anteil des (Berliner) Pub-
likums zu benutzen. Wenn die Deutschen nicht real gerührt sind, so sind sie
ideal schwer zu rühren. Setzt er seine Reihe der Vorstellungen durch, und ffthrt
er sie am Ende zu einer tüchtigen Benefizrorstellung für die hinterlassenen Kinder,
so soll er gerühmt werden.'' (An Zelter.)
Die Mitlebenden werden am Torzüglichen Menschen gar leicht irre; das Be-
sondere der Person stört sie, das laufende, bewegliche Leben verrückt ihre Stand-
punkte, hindert das Kennen und Anerkennen eines solchen Mannes. Schiller aber
war von so ausserordentlicher Art, dass sein Biograph (Carlyle) die Idee eines
Torzüglidien Mannes vor Augen hatte, und sie durch individuelle Schicksale und
Leistungen durchführen konnte und sein Tagewerk dergestalt vollbracht sah. —
Was nun den Verehrern Schillers, und also einem jeden Deutschen, wie man
kühnlich sagen darf, höchst erfreulich sein muss, ist: unmittelbar zu erfahren,
wie ein zartfühlender, strebsamer, einsichtiger Mann, durch Schillers Produktionen
berührt, bewegt, erregt, diese Werke, denen wir so manigfache Kultur verdanken,
auch als Quelle der seinigen sch&tzt, verehrt, und dadurch zum weiteren Stadium
der deutschen Litteratur angetrieben worden.
Mir wenigstens war es rührend zu sehen, wie dieser rein und ruhig denkende
Fremde selbst in jenen ersten, oft harten, fast rohen Produktionen unseres ver-
ewigten Freundes immer den edlen, wohldenkenden, wohlwollenden Mann gewahr
ward, und sich ein Ideal des vortrefflichsten Sterblichen an ihm auferbauen konnte.
Ich halte dafür, dass dieses Werk, als von einem Jüngling geschrieben, der deutschem
Jugend zu empfehlen sein möchte: denn wenn ein muntres Lebensalter einen
Wunsch haben darf und soll, so ist es das, in allem Geleisteten das Löbliche,
Gute, Bildsame, Hochstrebende, genug das Ideale, und selbst in dem nicht Muster-
haften das allgemeine Musterbild der Menschheit zu erblicken. —
Goethe's Piet&t für Schiller war eine so innerlich tiefe, dass man davon wahrhalt er-
griffen werden umsste. Ich hatte, als über ^Egmont^ gesprochen wurde, einst die Bearbettung
Schillers su tadehi gewagt — den Blick des Alten werd' ich nie vergessen, ndt dem er
mich aablilite und fiMt grimmig sagte:
„Was wiest Ihr, Kinder! Das hat unser grosser Freund
besser yerstanden, als wir.^ (E. von Holtei 1828.)
Auch manche €toister, die mit ihm gerungen,
sein gross Verdienst unwillig anerkannt,
sie fühlen sich von seiner Kraft durchdrungen,
in seinem Kreise willig festgebannt:
zum Höchsten hat er sich emporgeschwungen,
mit Allem, was wir schätzen, eng verwandt
So feiert ihnl Denn, was dem Mann das Leben
nur halb erteilt, soll ganz die Nachwelt geben.
111
Schiller und der deutsche Idealismus.
Von Alexander Weriieke.
Nor dat Leichtere trftgt auf leichten Schaltern der Sch&ngeist.
Aber der schöne Gelet trftgt dai Gewichtige leicht 1
Schiller.
Wie sollen wir unserer Toten gedenken? Goethe sagt dazu: „Wir
leiden alle am Leben. Wer will uns, ausser Gott, zur Eechenschaft ziehen?
Nicht, was sie gefehlt und gelitten, sondern was sie geleistet und getan,
beschäftige die Hinterbliebenen!^
Dieses Wort passt auch auf den „Lebenswürdigen, den der Tod so
rasch erbeutete", als er sich „nach wildem Sturm zum Dauernden gewöhnt
hatte^. Wir gedenken seiner, indem wir uns mit ihm in sein Seich des
Ideales flüchten, in dem „des Jammers trüber Sturm nicht mehr rauscht".
^Hier darf Schmen die Seele nicht durchschneiden,
Keine Tr&d^ flieset hier mehr dem Leiden,
Nor des Geistes tapferer Gegenwehr.^
Darum bannen wir die Tränen der Wehmuth, wenn wir daran denken,
wie er als Mensch gegen ein widriges Geschick und mit seinem siechen
Körper zu kämpfen hatte, aber wir zollen ihm die Tränen freudiger
Sfihrung, ihm als Heros, der sich trotz alledem zu hochgemuter Heiter-
keit hindurchrang und bis zum letzten Atemzug ein Schaffender war.
„Er hatte früh das strenge Wort gelesen, dem Leiden war er, war dem
Tod vertraut." Dabei aber befestigte sich ihm mehr und mehr die tröst-
liche Erkenntnis:
„Kar der Körper eignet jenen Machten,
Die das dunkle Schicksal flechten.^
So „warf er die Angst des Irdischen von sich" und auch, während er
„atemlos im Leiden bangte und nur kümmerlich genass", galt von ihm das
Freundeswort :
„Indessen schritt sein Geist gewaltig fort
In's Ewige des Wahren, Guten, Schönen,
Und hinter ihm in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns Alle b&ndigt, das Gemeine.*'
So ging er als Sieger dahin, als ihm „des Erdenlebens schweres Traum-
bild sank^, er starb, wie er es selbst vorahnend geschaut hatte, als er den
vollendeten Menschen pries:
„Mit dem Geschick in hoher Einigkeit,
Gelassen hingestfltst auf Grazien und Musen,
Empf&Dgt er das Geschoss, das ihn bedr&ut,
Mit freundlich dargebotnem Busen,
Tom sanften Bogen der Notwendigkeit.^
unser Schiller gehört zu den Grossen, die ihre Weltanschauung in
ihrem Lebrai ganz verwirklichten.
112
Nach dem letzten ^furchtbar angreifenden Winter*^, den er dorchcn«
machen hatte, schreibt er nach einer langen Panse noch einmal (2. April
1805) an seinen alten Freund W. v. Hmnboldt in Bom und bekennt dabei :
„Und am Ende sind wir ja beide Idealisten und würden nns schftmen, nns
nachsagen zu lassen, dass die Dinge nns formten nnd nicht wir die Dinge.^
In dem selben Brief heisst es weiter: „Die spekulative Philosophiei
wenn sie mich je gehabt hat, hat mich durch ihre hohlen Formen verscheucht|
ich habe auf diesem kahlen Gefilde keine lebendige Quelle und keine
Nahrung ftir mich geAmden; aber die tiefen Grundideen der Idealphilo-
sophie bleiben ein ewiger Schatz und schon allein um ihretwillen muss
man sich glücklich preisen in dieser Zeit gelebt zu haben^.
So scdireibt Schiller dem Freunde etwa einen Monat vor seinem Tode,
voll von neuen Hoffiiungen und Entwürfen, und berichtet zugleich in
köstlicher Frische über alle deutschen litterarischen Angelegenheiten von
Bedeutung.
Wir aber vernehmen aus diesem Briefe noch einmal die stäte Mahnung
des Dichters, die er auch kurz vorher in dei* „Huldigung der Künste^
ausgesprochen.
„Wisset, ein erhabener Sinn
Legt das Grosse in das Leben,
Und er sucht es nicht darin**.
So vermag der grosse Mensch aus sich heraus das Leben zu formen,
und die Mittel dazu können ihm die tiefen Grundideen der Idealphilosophie
geben, d. h. der Philosophie, welche ihre reinste Gestaltung im System
£ant's gefunden hat.
Mit der Forderung dieser Formung des Lebens ist die Aufgabe be-
zeichnet, welche sich Schiller gestellt hat, und Alles, was er „geleistet und
getan^ hat, lässt sich in Kürze als eine auf dem Grunde der Idealphilosophie
erwachsene Lösung dieser Au%abe ansehen.
Als eine Lösung, denn Schiller löste diese Aufgabe als EünsÜer: er
sah in der Kunst die grosse Erzieherin jedes einzelnen Menschen und damit
der gesamten Menschheit, und so ward ihm die Kunst zur gestaltenden
Lebensmacht. Die Art dieser Wirkung hat uns der Dichter auf der Höhe
seines Schaffens mit wenigen Worten deutlich gemacht. Um der Sache
zu dienen, die Goethe und ihm „gemeinsam wichtig^ ist (vgl. Brief an
Goethe vom 24. Mai 1803), schreibt er als Vorrede zur Braut von Messina
die Abhandlung über den Gebrauch des Chores in der Tragödie. Dort
lesen wir, dass die Kunst den Menschen erziehen soll, indem sie ihm „den
höchsten Genuss^ verschafiEt, nämlich „die Freiheit des Gemütes in dem
lebendigen Spiele aller seiner Ejräfle^. Um diese Freiheit verständlich zu
machen, weist der Dichter zunächst darauf hin, dass jeder von der Kunst
S5um mindesten eine vorübergehende Befreiung erwartet, eine Lösung aus
den Banden des Alltagslebens durch den Flug in ein Beioh der Phantasie.
HS
Befreinng ist nur eine vorübergehende, wenn der Mensch im Ennsi-
gennsse nioht ein Anderer wird, und yieles, was unter dem Namen Ennst
einhergeht, vermag auch nur einen „gefälligen Wahn des Augenblicks*^ zu
erzeugen. „Die wahre Kunst aber hat es nicht bloss auf ein vorüber-
gehendes Spiel abgesehen ; es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloss
in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn
wirklich und ihn der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, dass sie
eine Ejraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst
nur als ein roher Sto£f auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt,
in eine objektive Feme zu rücken, in ein freies Werk unseres (Geistes zu
verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen.^
Auf der Höhe seines Scha£fens ist also die Kunst fbr Schiller die grosse
Befreierin des Menschen, die diesen aus dem erdrückenden Zusammenhange
des Naturgesetzlichen löst und ihn damit seiner Freiheit gewiss macht, so
gewiss, dass er diese Freiheit nun gebrauchen kann um sein Leben und
das Leben Anderer zu gestalten.
Wodurch die wahre Kunst diese Wirkung erzielt, sagt uns Schiller an
der selben Stelle, zugleich auch damit, in welche Bichtung sie das freie
(Gestalten des Menschen weist.
Ein grosses Kunstwerk stellt ein in sich abgeschlossenes Stück der
Natur dar, nicht der gemeinen Natur, welche wir Wirklichkeit nennen,
sondern einer höheren Natur. Letztere ist „nur eine Idee des Geistes, die
nie in die Sinne ftllt; unter der Decke der Erscheinungen liegt sie, aber
sie selbst kommt niemals zur Erscheinung. Bloss der Kunst des Ideales
ist es verliehen, oder vielmehr, es ist ihr au%egeben, diesen Geist des Alls
zu ergreifen und in einer körperlichen Form zu binden^.
Nicht eine Idealwelt irgend eines Phantasten wird im grossen Kunst-
werk lebendig, sondern die Idealwelt, welche, wie Goethe einmal sagt,
dem „Wesen der Dinge^ entspricht, welche also im Gegensatze zur Ober-
fläche der Wirklichkeit das Tiefste und Innerste alles Seins zur Anschauung
bringt. Darum ist die echte Kunst „wahrer als alle Wirklichkeit und realer
tlH alle Erfahrung^ (Vorrede zur Braut von Messina).
Deutlich zeigen die Xenien (1796), welche jetzt (seit der Ausgabe von
1800) unter dem Titel „Shakespeare's Schatten'' zusammengestellt sind, den
Ghegensatz der beiden Naturen, der gemeinen und der höheren, und deren
Werte. Seine Sleit ironisierend unterh< sich der Dichter in der Unter-
welt mit dem Geiste seines grossen Vorgängers:
«0, die Natur, die seigt anf nnseren Bahnen dcb wieder
SpHtteniackend, dass man jegliche Kippe ihr i&hlt*
»9 Also eure Nalor, die erbärmliche, trifft man auf euren
Bohnen, die grosse nur nicht, nicht die unendliche an?****
Da fehlt freilich „das grosse gigantische Schicksal| welches den Menschen
erhebt| wenn es den Menschen zermalmt'', aber was schadet das?
114
„Dm tisd GriUaal Uns Mlbst und miKre gutta BekttuteSi
ÜDsen Jamoier imd Not saehen und finden wir bier.**
„„Aber du babt ibr ja alles beqnem nnd besser in Hanse;
Warum entfliebet ibr encb, wenn ibr eucb selber nor sncbt?****
Das ist die vorübergehende Befreiung dnroh sogenannte Ennst, bei
welcher fiür den Menschen vor und nach dem Gennsse alles das selbe bleibt,
während echte Ennstwerke, wie z. B. die Peterskirche in Born, zu uns sagen :
„Sncbst dn das ünennessUebe bier, dn bast dicb geirret ;
Meine Grösse ist die, grösser ra macben dicb selbst^
Grösser machen will das echte Kunstwerk den Menschen, der sich
ihm hingibt, aber diese Grösse fliesst nicht aus dem Kunstwerke in den
Menschen hinein, sie liegt schon in diesem, nur gebunden und darum
wirkungslos. Das Kunstwerk kann nur den Menschen befireien, indem es
ihn aus der gemeinen Wirklichkeit löst und ihn zu sich selbst fiihrt, und,
um dies zu vermögen, muss das Ktmstwerk selbst (Grösse haben. Diese
Grösse hat es, wenn es von der Idealwelt zeugt, welche dem Wesen der
Dinge entspricht, dann ist es imstande, dem Menschen, den es in seinen
Bannkreis ^eht, die üebereeugung zu geben, dass er in seinem innersten
Kerne auch ein Glied jener Idealwelt ist, und ihm die Kraft zu verieihsn,
deren Anforderungen gemäss sich selbst zu gestalten.
Damit aber ein Kunstwerk erwächst, welches von jener Idealwelt zeugen
kann, muss diese in der Seele des Künstlers als Weltanschauung leben,
und darum muss der Künstler an sich selbst die höchsten Anforderungen
stellen.
„Seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, zur reinsten,
herrlichsten Menschheit hinanfeuläutem," ist des Künstlers „erstes und
wichtigstes Geschäft^ (Über Bürgers Gedichte, 1791).
Eine Seele, in welcher die reinste Menschlichkeit lebt, bezeichnet
Schiller als eine „schöne Seele^, sie strahlt „Anmut^ aus gemäss ihtet
inneren Hannonie*). In ihr ist die Gebundenheit der Sinnlichkeit
und die Freiheit der Vernunft zum Gleichgewichte gekommen, und
^ BegriiF nnd Beseiebnong der scbönen Seele stammen ton Ronssean. Dieser hatte
nrsprOnglicb mit der Knltnr alle Ennst Terworfen, bielt aber sp&ter eine Knnst fftr berecbtigti
weicbe der Bildung scböner Seelen dient. Seine „Julie** in „La NouTelle H^loise** (1759)
wurde ancb filr Scbiller (Julius) ein Ideal Nocb 1806 erscbeinen „Bekenntnisse ^er
fcbönen Seele, Ton ibr selbst geschrieben**, welcbe ancb Goetbe in der Jenaiscben au*
gsmeinen litteratuneitnng bespricht
Die scböne Seele (Belle-Ame) stebt in scbarfem Gegensatae lum Schöngeiile (Bei*
Esprit), dem Vertreter seicbter Scbönrederei, wie es etwa Fontenelle ist
Dem Yerse su liebe braucbt Scbiller gelegentlicb aucb „Scböner Geist** fOr „Soböne
Seele**.
Spiter Tcrwendet er statt der Bezeicbnnng „Scböne Seele**, Kant folgend, fast immer
den Ausdruck „Ganser Mensch**, gem&ss der ursprünglichen Definition in „Anmut nnd
Würde**: .... „wdehe das Siegel der tollendeten Menschheit nnd da^enige ist,
was matt unter einer Bchönea Seele tersleht**.
11»
dieses GHeidigewioht ist eben das Geprflge reiner Mensohliohkeiiy im welcher
auch der Stampf zwischen Pflicht und Neigung schweigt. Die schöne Seele
Boigt „Freiheit in der Erscheinung'' d. h. Freiheit der Vemnnft
in der smnlich- gebundenen Erscheinung. Der EtUistler moss darnach
siareben, seine Serie znr schönen Seele zu gestalten, ans dieser schönen
Seele heraas zu schaffen und sie in seinen Werken lebendig werden zu
lassen, dsan ist andx das Etinstwerk der Spiegel einer schönen Seele und
damit „sdite'*, es zeigt gleich&lls „Freiheit in der iksoheinang'' d. h. kein
Ueberwiegen der Sinnlichkeit and kein Ueberwiegen der Vemanft, sondern
die Harmonie von beiden.
Diese „Freiheit in der Erscheinung'' ist überhaupt das Senn-
Zeichen aller i^Schönheit", auch eine Landschaft wird für uns schön,
wenn sie zu uns spricht, als wenn sie eine schöne Seele hätte.
Nach dieser Schönheit und allein nach ihr muss der Künstler bei
seinem Schaffen streben, die Kunst hat nicht den Zweck zu ,belehren' oder
zu ,erbauen', ihr Ideal ist das ästhetische Ideal des menschlichen Fühlens,
das Sdiöne, welches dem Innewerden jener Harmonie von Sinnlichkeit und
Vernunft entspricht, und dem Menschen den höchsten Genuas darbietet:
„die Freiheit des Gemütes in dem lebendigen Spiele aller seiner Kräfte."
Mittelbar wirkt die Kunst allerdings auch für die anderen beiden Ideale
des Menschen, fOt das theoretische Ideal menschlichen Erkennens, das
Wahre, und für das ethische Ideal menschlichen Handelns, das Ghite.
In dem ästhetischen Zustande des Gleichgewichtes zwischen sinnlicher
Gebundenheit und yemünftiger Freiheit wird sich der Mensch seiner selbst
bewusst und damit gewinnt er eine neue Einsicht in sein Erkennen und
in sein Handeln.
Er sieht einerseits seine Empfindungen, seine Anschauung^i und
seine Begriffe in der Sinnen weit d. h. er gewinnt die üeberzeugung, dass
er selbst der Baumeister dieser Sinnenwelt ist, deren strenge Gesetzlichkeit
er so oft als Zwang und Druck empftmden hat, sie wird ihm zu einem
„Werke seines Geistes".
„Fttrehte niclit, sagte der Meister, des Himmels Bogen; leb stelle
Dieh imendlicb wie ihn in die ünendlicbkeit hin.** (1796.)
Er sieht andererseit in seiner Yemunft die freie Gesetzgeberin ftlr
das ethische Gebiet d. h. er erkennt in seiner Freiheit die Möglichkeit,
sich selbst gemftss seiner Vernunft Gesetze zu geben und diesen gemäss
zu handeln.
mDss Ctosetses strenge Fessel bindet
Nnr den SklsTensinn, der es tenehm&ht^
Freilich, wfire das ästhetische Ideal in seiner ganzen FtQle verwirklicht,
so würde das theoretische Ideal und das ethische Ideal jede Bedeutung
yerliereni denn ftlr den Menschen ist die reine Menschlichkeit das Höchste,
nach dem er streben kann. Sie ist zugleich das Gk)ttliche in ihm, im vollen
m
Besitze reiner Menschlichkeit würde der Mensch das Währe sdhanen nnd
selbst gut sein.
Das rein menschliche oder göttliche Leben im Menschen weckt der
Künstler, aber jede neue Erkenntnis und jede gate Tat fördert dieses Ijeben.
9, Wirke Gates, da n&hrest der Menschheit göttliche Pfluue,
Bilde Schönes, da streast Keime der göttlichen aas." (1796.)
Da aber das Ideal der schönen S^le, in welcher auch Pflicht und
Neigung versöhnt sind, in keinem Menschen völlig verwirklicht ist, und
da in jedem Kreise von Menschen nur einzelne diesem Ideale mehr oder
minder nahe kommen, so behalten die anderen beiden Ideale des Menschen
tatsächlich selbständige Werte. Darum tritt neben das Ideal der schönen
Seele, welche Anmut zeigt, auch das Ideal der erhabenen Seele, welche
sich in Würde äussert, und das Ideal der Wahrheit schauenden Seele.
„Kannst da nicht schön empfinden, dir hleiht doch, Temünftig sa woUen
Und als ein Geist za tan, wu da als Mensch nicht Tormagst.** (1796.)
„Aas der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken,
Bei dem Sch&nen allein macht das Oefftss den Gehalt^ (1796.)
Darum hat auch der sinnende Weise im stillen Gemache seine Be-
deutung, er
„Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen nnd lieben,
Folgt doreh die Lflfte dem Klang, folgt darch den Aether dem Strahl,
Sacht das Tcrtraate Gesets in des Zufalls graasenden Wandern^
Sacht den rahenden Pol in der Erscheinangen Flacht/'
Darum behält auch das Bingen nach dem Guten seinen hohen Wert:
„Und die Tagend, sie ist kein leerer Schall;
Der Mensch kann sie Qben im Leben,
Und sollt* er anch straucheln Qberall,
Er kann nach der göttlichen streben.** (1798.)
Dabei gilt aber für die Moralisten:
„Borger ersieht ihr der sittlichen Welt; wir wollten euch loben.
Stricht ihr sie nnr nicht sagleich aas der empfindenden aas/* (1796.)
und
„Bis in die Geisterwelt müssen sie fliehn, dem Tier sa entlaufen.
Menschlich können sie selbst anch nicht das Menschlichste tan.** (1796.)
Das letzte Ideal bleibt doch immer das Schöne.
„Ein Unendliches ahnt, ein Höchstes erschafft die Vemanft sich,
In der schönen Gestalt lebt es dem Hersen, dem Blick.** (1796.)
Schillers Eigenstes ist es, in der Kunst die grosse Befreierin zu
sehen, welche den Menschen zu sich selbst führt, und darauf
ihre erzieherische Wirkung zu gründen.
So dachte der Dichter der Freiheit auf der Höhe seines SchaffSsns
über die Kunst!
Damit brachte er eine bestimmte geschichtliche Entwicklung zu ihrem
Abschlüsse. Seit den Tagen des Minnesanges *), in welchen das Gefühl ftür
*) Vgl. „Germanische Jogendträome** in diesen Blittem, 1904.
11»
das Schöne auf alleii Gebieten des Lebens von neuem erwaobte^ liattet
die Knltnrvölker langsam gelernt, die Welt wieder als ^Kosmos^ zu be-
trachten d. h. als ein harmonisches Ganzes. Die grosse Beihe der
Naturphilosophen und Naturforscher, welche zunächst mit Newton
endete, wies, von der Idee piner solchen Harmonie ausgehend,*) diese
in stäter und strenger Arbeit fär die Sinnenwelt wirklich nach, indem sie
deren beherrschende Gesetze feststellte. Gott erschien nun als der in sich
vollendete Gesetzgeber der Natur, dessen innere Harmonie sich in dem
Gttnzen der Naturgesetze spiegelte.
Die grosse Beihe der Mystiker, welche mit Meister Ekkehard be^nt,
sachte ebenso die Harmonie der Menschenseele mit ihrem Gott
lebendig zu gestalten, indem sie das Göttliche im Menschen erfasste und
ab dessen Kern erkannte. Nur die Liebe zu Gott ist wahre Selbstliebe.
Beide Entwickelungen stehen in enger Beziehung : je mehr die Sinnenwelt
»Is ein in sich gwchlossenes Ganze erechien, nm so mehr rnnsste der Mensch
als sinnlich vernünftiges Gebilde auch sein vernünftiges Wesen zu dem
QueUptmkte aller Harmonie in enge Beziehung setzen. Newton, der grosse
Naturforscher, ist darum ein überzeugter Mystiker!
Beide Enwickelungen feuiden ihren Zusammenschluss in dem philo,
sophischen System von Leibniz. Er, der mit Newton die Mittel für die
Beherrschung der Sinnenwelt ^idgiltig schuf, bekannte sich auch zu dem
Grundgedanken der Mystik.**) Die Seele jedes Menschen ist ihm frei tätig
und doch ein Spiegel des gottgeschaffenen und gottgeleiteten Universums,
welches von Anfang an durch die innere Harmonie Gottes bestimmt erscheint.
Im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts werden diese Anschauungen
auch für die £unst von Bedeutung. Die Welt wird als göttliches Kunst-
werk angesehen, das in sich voll^idet ist, und darum bildet dieses Kunst-
werk das Muster für alles menschliche Kunstschaffen. Auf seiner Harmonie,
welche im Gebiete der Sinnenwelt als die Anziehungskraft der Newtonianer
erscheint und sich auf seelischem Gebiete als Liebe und Freundschaft dar-
stellt, beruht alle Schönheit Diese Harmonie muss der Künstler zum
Ausdruck bringen, wenn &c etwas Grosses leisten will, nicht als blosser
Nachahmer, sondern als Schöpfer im Kleinen, um dies aber zu können,
muss er sich in das Muster versenken, er muss die Welt als göttliches
Kunstwerk erkennen, und von dieser Erkenntnis in seinem Schaffen
Zeugnis ablegen. Dann wirkt er auch erzieherisch, denn göttliche
Harmonie veredelt so sein eigenes Leben und das Leben Anderer, sie macht
den Menschen möglichst vollkommen und damit möglichst glücklich.
Die alte Lehre, dass wahre Erkenntnis auch gutes Handeln nach sich
ziehe, erscheint hier verbunden mit der Anschauung, dass alle Schönheit
*) Am deotlichsten seigt dies die Geistesarbeit Ton Keppler.
*^) m'Vos der wahren Tbeologia mystica^ in den dentsdien Schriften (Aasgabe Gubraner
I, 410 n. L)
m
auf der fiannome bernkt, welche der erkennesde Geist in der Welt findet.
Damm flieseen die drei Ideale des Menschen, das Wahre, das Gute nnd
das Schöne, welche seinem Erkennen, seinem Handeln nnd seinem Fühlen
entsprechen, hier in ein Ideal znsammen, nnd dies ist mn so natOrUcher,
als man sidi ja in Gbtt allen menschlichen Widerstreit in ToUer Harmonie
gelöst dachte.
Lrrtam, moralische Yerfehlimg nnd alles Hftssliche im Maischenleben
erscheinen so als Stömngen der gottgewollten Hannonie, Wahrheit| mo-
ralische Ghrösse and alles Schöne als ihr Abglame nnd ihre Bestfttignng.
Diese Anschaunngen ixeten snnäohst nm die Wende des 17. nnd
18. Jahrhunderts in England anf, das sich, der politisch^i nnd religiösen
E&mpfe müde, nach äusserer und innerer Harmonie sehnte» Ihr Herold
ist Shaftesbury (1671—1718), der von Platon's Ideddbre ausgehend
für das Bewusstsein seiner Zeit einen Ausdruck suchte und f$sad. Er
gewann einen rührigen Apostel in Ferguson, dessen „GrimdsMee der
Moral^ die üebersetsung Garve's auch in Deutschland rasch und weit ver^
breitete.
So wurde auch Schiller, und swar schon als Zögling der Earlssohulei
in diesen Anschauungen heimisdi, die er mit tiefem Verständnis und inniger
Begeisterung au&ahm. Sie beherrschen ihn im Verein mit Bousseau'sdien
Gedanken in seinen Lehr* und Wanderjahren, an deren Schlüsse „die
Künstler^ stehen. Davon zeugen zunächst seine Beden und Dissertationen
aus der Zeit der Karlssohule, deren Mittelpunkt die Ansicht bildet, dass
die Nachahmung Gt)ttes auf Grundlage der Einsicht in sein harmcmischet
Meisterwerk der Zweck des Menschen sei.
Weitere Zeugniese bilden fast alle Veröffentlichungen der nächsten
Folgezeit, im besonderen die „Theosophie des Julius'', welche in die
„Philosophischen Briefe'' aufgenommen wurde. Noch in den €K)ttem
Ghiechenlands (1788) kehrt d^ Grundgedanke Ton der Welt als göttlichem
Kunstwerke wieder:
„FQhUos uAhti Ibr ihres Känstiera ISire,
Gleich den lotaa Schlag der Pendeluhr,
Dient sie knechtisch dem Oeseto der Sehweire,
Die entgötterte Nator.^
Die Harmonie des Alls grüssen die Laura-Iieder begeistert als Liebe:
„Sonnenit&Qbchen paart mit Sonnenst&abchen
Sich in traoter Harmonie,
Sphären ioeinaader lenkt die Uebe,
Weksyskeme daoem nnr durch de.
Tilge aie Tom Uhrwerk der Natmea —
Trümmemd auseinander springt das All,
In das Chaos donnern eure Welten,
Weial» Newtone, ihim BiesenfUll**
Als Freundschaft erscheint die Harmonie desAUsiadenSohafienstein*
Gedichten, von denen uns ja nur eins (die Freundschaft) erhalten ist
nCMsterreich mid Eörperwdtsgewttlile
Wilset ein es Rades Schwimg sam Ziele,
Hier sah es mein Newton geh'n."
^^Frenndlos war der grosse Weltenmeister,
Fohlte Mangel — dämm schnf er Geister,
Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit**
Die Freude am Dasein, welche ans Liebe nnd Frenndschaft qnillt,
fttlirt wie diese selbst den Mensohen zu Gott.
Im „Triumph der Liebe^ heisst es z. B.:
„Liebe, Liebe leitet nnr
Zn dem Vater der Natsr.*^
„Sachten auch die Geister
Ohne sie den Meister?'*
In der „Freundsohaft^ lesen wir:
„Baphael, an deinem Arm ^ o Wonne!
Wag' auch ich sur grossen Geistersonne
Freadigmnüg den VoUendnngsgang.**
Das „lied an die Freude'^ jubelt:
„Seid umschlangen, Millionen!
Diesen Eass der ganien Weltl
BrOder — » Qberm Stemenielt
Mass ein lieber Vater wohnen.**
Schiller war sich wohl bewusst, dass für den Verfechter d^ göttlichen
Harmonie des Weltalls die Angabe erwächst, die scheinbar vorhandenen
Störungen dieser Harmonie zu erklären, namentlich das Uebel und das
Böse. Schon in seiner Magister-Dissertation (1780) sucht er zu zeigen,
dass diese scheinbaren Störungen einem weisen Weltenplane dienen, dasa
z. B. „die Pest unsere grossen Aerzte gebildet hat.^ Sogar noch im Jahre
1798 (Brief an Eömer vom 28. Febr. 1793) beabsichtigt der Dichter eine
Theodicee, wie sie auch Leibniz versucht hatte, d. h. eine Bechtfertigung
Qottes in Bezug auf die scheinbaren Mängel seines Kunstwerkes, und zwar
angeregt durch Eant's Abhandlungen über ,,die Beligion innerhalb der
Ghrensen der blossen Vernunft** (1793),
Innerste Neigung wies den jugendlichen Schiller zur Theologie, aber
äussere Verhältnisse zwangen ihn erst zum Studium der Juristerei und
dann zu dem der Medizin. Wie er die Theologie aufgenommen hätte, zeigt
uns neben seiner Auffassung der göttlichen Harmonie eine Stelle aus seiner
Bede fiber die Freundschaft : Um ein Volk zu erziehen, muss man „seinen
Himmel verfeinem.**
Sieht man die Aufgabe des Theologen darin, die höchste Wahrheit zu
suchen, und gemäss dieser Erkenntnis zu ftthlen und zu handeln und auf
Andere einzuwirken, so ist Schiller sein ganzes Leben hindurch seiner
Jugendneigung treu geblieben, er war immer bestrebt seinem Volke seinen
Himmel zu verfeinem und damit auch anderen Völkern und so der
Menschheit.
äohon den jngendliolien Sohiller beherrschte neben der Idee der Har-
monie der Gedanke an eine Erziehung des Menschengeschlechtes, be-
dingt durch den Glauben an dessen höhere Ent Wickelung. Auf dem
Gebiete der Naturwissenschaften hatte Wolff in seiner ,,Theoria generationis^
(1759) den modernen BegrifiF der Entwickelung eingeftüirt, während Lessing
ihm in seiner ,,Erziehung des Menschengeschlechtes^ (1780) auf dem Gebiete
der Geisteswissenschaften den Boden bereitete, den Herder dann so fruchtbar
bebaute. Der selbe BegrifiE wird schon in Schiller's Magister-Dissertation
(1780) lebendig, besonders in den beiden Abschnitten „Aus der Geschichte
des Individuums^ und „Aus der Geschichte des Menschengeschlechtes.^
Schon hier heisst es, unter Betonung der erzieherischen Wirkung der
Kunst: „Schönheit und Harmonie veredeln Sitten und Geschmack, und
die Kirnst geleitet zur Wissenschaft und Tugend hinüber.*' Der selbe
Gedanke wird bald darauf für das Schauspiel im besonderen ausgeftüirt,
und zwar in den beiden Aufsätzen über das Theater (1782 und 1784).
Während deren erster „Ueber das gegenwärtige deutsche Theater^ han-
delt und dessen wirkliche Verhältnisse gegenüber einem Ideale von Publi-
kum, Dichter und Schauspieler kennzeichnet, betrachtet der zweite „die
Schaubühne als eine moralische Anstalt^ In dem ersten finden wir f&r den
Dichter die Mahnung: „er bereite uns von der Harmonie des Kleinen
auf die Harmonie des Grossen, von der Symmetrie des Teils auf die
Symmetrie des Ganzen und lasse uns letztere in der ersteren bewundem.
Ein Versehen in diesem Punkte ist eine Ungerechtigkeit gegen das ewige
Wesen, das nach dem unendlichen Umriss der Welt, nicht nach einzelnen
herausgehobenen Fragmenten beurteilt sein will^. So stellte sich die
Idealisierung der Natur im Kunstwerke dem Dichter damals dar; er soll
nicht aus dem Gesichtspunkte „der Ameise*' schaffen, die nur das Nächste
erblickt, sondern im Kleinen wie der Schöpfer selbst im Grossen.
Bei Würdigung des zweiten Aufsatzes hat man, seiner ITeberschrift
entsprechend, vielfach betont, dass Schiller hier im Gegensatze zu seinen
späteren Ansichten die Kunst in den Dienst der Ethik stelle. Das ist
richtig, aber der Schluss des Aufsatzes weist bereits in die Zukunft, dort
heisst es: „Welch ein Triumph ftir dich, Natur — so oft zu Boden ge-
tretene, so oft wieder auferstehende Natur — wenn Menschen aus allen
Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei
imd der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch eine
all webende Sympathie verbrüdert, in ein Geschlecht wieder au%elöst, ihrer
selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern.
Jeder einzelne geniesst die Entzückungen Aller, die verstärkt und ver-
schönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, und seine Brust gibt
jetzt einer Empfindung Raum — es ist diese: ein Mensch zu sein.^
Man sieht hieraus, dass Schiller bei aller Verehrung für Bousseau
schon bei Beginn seiner Laufbahn dessen Mahnruf „Zurück isur Natur !^
1^1
eigenartig aa%e£u8t hat; die Natur am An&nge und die Natur am Ende
der Menschheits-Geschiohte ist ihm nicht das selbe. ^Hanger und Blosse"
haben den Menschen vorwärts getrieben, bis ,,die Elfinstler der Natur ihre
Werke ablernten", und schliesslich gibt es für den Menschen kein höheres
Ziel, als wirklich ein Mensch zu sein. So leitete unsem Dichter vom An-
fang an ein gesunder geschichtlicher Sinn, dessen voUe Bedeutung sich
sp&ter in der Antrittsrede der Jenaer Professur offenbarte, wo er seinen
begeisterten Sudenten zuruft: „Unser menschliches Jahrhundert heir-
beizuftüiren, haben sich — ohne es zu wissen oder zu erzielen — alle
vorhergehenden Zicitalter angestrengt." „Ein edles Verlangen muss in uns
entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und
Freiheit, das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die
Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unseren Mitteln einen Beitrag
zu legen und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschea-
geschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen.*'
Für die Beurteilung von Schiller's Werdegang ist endlich noch ein
Grundgedanke von Wichtigkeit, den er in seiner Magister-Dissertation (1780)
entwickelt, gemäss ihrem Titel „üeber den Zusammenhang der
tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen." Hier
wird zum ersten Male die Aufgabe bezeichnet, die richtige Beziehung zwischen
„Sinnlichkeit und Vernunft" festzustellen. Nicht als Kerker der
Seele erscheint dem Dichter der Körper, aber auch nicht als wertvoll an
und fClr sich, sondern als ein notwendiges Mittel jeder seelischen Ent-
wickelung. „Der Mensch musste Tier sein, ehe er wusste, dass er ein Geist
war; er musste am Staube kleben ehe er den Newton'schen Flug durch
das Universum wagte. Der Körper also der erste Sporn zur
Tätigkeit; Sinnlichkeit die erste Leiter zur Vollkommenheit"
(§11). In jedem Zustande der geschichtlichen Entwicklung bleibt ftir den
Menschen und für die Menschheit der Körper dieser Sporn und die Sinn-
lichkeit diese Leiter, und daraus ergibt sich, „dass die tierische Natur mit
der geistigen sich durchaus vermischt, und dass diese Vermischung Voll-
kommenheit ist, natürlich ßXr den Menschen und nicht für Wesen von
anderer Anlage. Diese Ansicht wird in dem Aufsatze über die Schaubühne
als moralische Anstalt (1784) zu der Kunst in enge Beziehung gesetzt.
Dort heisst es: „Unsere Natur, gleich unfllhig, länger im Zustande des
Tieres fortzudauern, als die feineren Arbeiten des Verstandes fortzusetzen,
verlangte einen mittleren Zustand, der beide widersprechenden
Enden vereinigte, die harte Spannung zu sanfter Harmonie herabstimmte
und den Wechsel weisen Uebergang eines Zustandes in den anderen erleichterte.
Diesen Nutzen leistet überhaupt nur der ästhetische Sinn
oder das Gefühl für das Schöne."
Hiermit ist der Ansatz gegeben fär die schliessliche Lösung, welche
der Bousseau'sche Begriff der schönen Seele darbot| üüs man deren Har-
9
122
monie als ein Gleichgewicht von Sinnlichkeit nnd Yemnnfb bestimmte.
Der Künstier, welcher sinnliche Mittel fCtr sem Werk nicht entbehren kann,
wird stäts fOr die Bechte der Sinnlichkeit eintreten müssen, falb diese zu
Oonsten der Vernunft geschmälert werden sollen.
Für die weitere Entwickelung, welche sich bei Schiller in" den nächsten
Jahren vollzieht, sind zwei Momente von Wichtigkeit: Das ästhetische
Ideal rückt für ihn, von den anderen beiden Idealen gelöst,
tin die erste Stelle, nnd die Welt der Wirklichkeit verliert
für ihn das Gepräge eines göttlichen Kunstwerkes, während
sich ihm hinter dieser Welt eine neue Welt Toll göttlicher
Harmonie enthüllt.
Die Ursache der ersten Wandlung ist in dem mehr 'und mehr zur
Geltung kommenden Einflüsse der Antike zu suchen, wobei schliesslich
^e Stolberg'sche, vom christlichen Standpunkte ausgehende Besprechung
der „Götter Griechenlands*' die letzte Klariieit brachte. Die Ursache d^
arweiten Wandlung liegt in Schiller's eigenen bitteren Lebenserfahrungen,
welche durch das Studium der Geschichte erweitert und värtieft wurden.
Die Wirklichkeit hatte ihn überall enttäuscht, und nur die hellenische Welt
schien dem Ideale der Menschheit einigermassen nahe gestanden zu haben,
hatten doch die Hellenen, wie Goethe einmal sagt, „den Traum des Lebens
am schönsten geträumt^. Diese hellenische Welt schien dem Natursiuistande
Bousseau's bis zu einem gewissen Grade zu entsprechen, daför war sie aber
auch für immer verloren, und statt ihrer musste eine neue Welt geschaffen
werden.
In diese Zeit der Wanderjahre ftllt auch der Beginn der so bedeutsamefi
Freundschaft mit Kömer, der genau so, wie es die „Philosophischen Briefe^*
zwischen ihm (Baphael) und Schiller (Julius) schildern, den Dichtet zunächst
eur kritischen Besinnung über seine Weltanschauung führt, und zwar m
dem festen Vertrauen, dass dieser aus sich selbst heraus zu einer neuen
Weltanschauung gelangen werde, um dann wieder ein Schöpfer zu werden.
Für dieses Neue war es von Wichtigkeit, dass sich fUr Schüler das ästhe-
tische Ideal des Schönen von den anderen Idealen löste.
Den Anfang dieses Vorganges zeigt uns der „Brief eines reisenden
Dänen'' in der Bheinischen Thalia, in welchem Schiller bekennt, wie der
Antik^isaal von Mannheim auf ihn gewirkt hat. Hier sieht er die „ver-
einigte Harmonie aller Teile zu einem unnachahmlichen Ganzen'* gestaltet,
das zu leben sdtieint, und er „fühlt sich edler und besser", denn in diesen
Göttern atmet ein hohes Menschentum, und das alles spornt zu „einer schönen
Tat". Das Jlkide dieses Vorganges bezeichnet Schillers Brief an K5mer vom
26. Dezember 1788, in welchem er den Handel mit StoUberg abschliesst
und dabei zu dem Ergebnisse kommt: „Kurz ich bin überzeugt, dass jedes
Kunstwerk nur sich selbst d. h. seiner eigenen Sbhönheitsregel Bechen-
aehaft geben darf imd keiner anderen Forderung unterworfen ist.** Gerade
12^
bei dieser Besohränkmig werden auch alle Übrigen Forderungen, die man
an ein Kunstwerk zu stellen pflegt, mitbefriedigt, denn „der Dichter, der
sich nur Schönheit zum Zwecke setzt, aber dies^ heilig folgt, wird am
Ende alle anderen Bücksichten, die er zu vernachlässigen schien, ohne dass
er's will und weiss, gleichsam zur Zugabe mit erreicht haben. Da im
Gegenteil dw, der zwischen Schönheit und Moralität oder, was er sonst
sei, imstftt flattert, oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt^. Der
Brief sohliesst mit einer Beihe von Versen aus dem noch im Werden be-
griffenen Gedichte „die Künstler^, welche die selben Gedanken darstellen.
Die Künstler sollen nur nach der Schönheit streben und nicht um andere
Kronen buhlen, aber
„Wu Behtae Seelen schön empfanden,
Mass trefilich and Tollkommen sein^.
Das vollendete Gedicht, welches in hoher Begeisterung die kultur-
geschichtliche Bedeutung der Kunst feiert, beruht auf der Hauptidee, dass
„Schönheit eine Verhüllung von Wahrheit und Sittlichkeit^ ist (vgl. Brief
an Kömer vom 9. Febr. 1788).
Schon in den Göttern Griechenlands heisst es in Bezug auf die
hellenische Welt, für welche „der Dichtung zauberische Hülle sich noch
lieblich um die Wahrheit wand,^
„Damals war nichts heilig als das Schöne^.
Jetzt erscheinen diese Gedanken im schärferen Umrisse. Die göttUche
Harmonie des Wahren und Guten könnte der schwache Mensch nicht
ertragen, wenn sie sich ihm in ihrer reinen Fülle ofienbarte.*) Für ihn
als sinnlich -geistiges Wesen muss sich diese rein -geistige Harmonie
sinnlich darstellen, und in dieser Darstellung fühlt er sie als Schönheit.
Darum ist das Schöne nur für sinnlich-geistige Wesen ein Ideal, und nur
für diese hat auch dessen edle Dienerin, die Kunst, eine Bedeutung, nicht
für tierische Wesen, die nur in der Sinnlichkeit gebunden sind, und nicht
für rein-geistige Wesen, die aller Sinnlichkeit entrückt sind.
„Die Kanst, o Mensch, hast da aUein."
Dieser objektiven Bestinmiung entspricht die subjektive, die Kunst soll
zwischen „der Sinnlichkeit und Geistigkeit des Menschen das Bindungsglied
ausmachen^ (vgl. Brief an Kömer vom 12. Jan. 1789), entsprechend der
„Vollkommenheit** der Magister-Dissertation und dem „mittleren Zustand**
des Aufsatzes über die Schaubühne. In dem Gedichte wird die göttliche
Harmonie durch die Gestalt der fdrohtbar- herrlichen Urania dargestellt,
welche aus Mitleid mit dem hülf losen Menschen verkörpert zur Erde steigt,
um ihn als Cypria (Schönheit) zu erziehen und zu leiten.
„Als der Ersehaffeode Ton seinem Angesichte
Den Menschen in die Sterblichkeit Terwies
*j Vgl. das Terschleierte Bild txx Sais,
124
und eine spUe Wiederkehr nun lichte
Auf schwerem Sinnenpfad ihn finden hiess.
Als alle Himmlischen ihr Antlitz ?on ihm wandteilf
Schloss sie, die Menschliche, allein
Mit dem Terlassenen Yerhannten
Qrossmatig in die Sterblichkeit sich ein**«
Um die Menschheit, welche ursprünglich in seliger Unschuld eins war
mit der Natur, zu bewusster Kultur zu flähren, wählt sie sich unter den
Menschen ^aus Millionen die Beinsten aus^ als ihr Werkzeug, die Künstler.
Sie sind die Glückseligen „vor deren Aug' allein sie hüllenlos erscheint^,
sie dürfen und müssen von ihr zeugen, indem sie ihre Harmonie |,in die
Welt bringen'', „die schöne Seele der Natur'' deutend und ihr gemäss
Kunstwerke gestaltend.
So schufen die Künstler erst die hellenische Kultur und dann die Kultur
der Renaissance und so sollen sie weiter schaffen, bis endlich die ganze
Menschheit durch künstlerische Kultur zu ihrer höchsten Vollendung ge-
fiELhrt ist.
„Sie selbst, die sanfite Cypria,
ümlenchtet Ton der Fenerkrone,
Steht dann Tor ihrem mOnd'gen Sohne
Entschleiert — als Urania.'*
Die künstlerische Kultur ist für den Menschen allein wahre Kultur»
sie führt ihn auch zum Wahren und Guten ... so zeigt es auch die
Geschichte !
„Was erst, nachdem Jahrtausende Terflossen,
Die alternde Yeninnft erfand.
Lag im Symbol des SchOnen and des Orossen
Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.
Ihr holdes BUd hiess uns die Tagend lieben,
Ein zarter Sinn hat ?or dem Laster sich gestr&abt,
Eh' noch ein Selon das Geseti geschrieben,
Das matte BlQthen langsam treibt
Eh' vor des Denkers Oeist der kahne
Begriff des ew'gen Baumes stand.
Wer sah hinauf aar StemenbOhne,
Der ihn nicht ahnend schon empfknd?"
Dieses ahnende Yorempfinden der Wahrheit und Sittlichkeit kennzeichnet
die echten Künstler. ^In ihrem Spiegel dämmert schon das kommende
Jahrhundert auf, denn sie sind die „vertrauten Lieblinge der sel'gen
Harmonie^, und darum gilt fOi sie:
„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben;
Bewahret siel
Sie sinkt mit euchl Mit euch wird sie sich heben!
Der Dichtung heilige Magie
Dient einem weisen Weltenplane,
Still lenke de inm Oseane
Der grossen Harmoniel^
Ueber dieses Gedicht, welohes an der Ghrenze der Wanderjahre und
Meisterjahre Schillers steht, schreibt der Dichter am 27, Mai 1793 an Körner:
„Von der Durchsicht der Künstler ist mir am meisten bange. Meine Ideen
über Kunst haben sich seit der Zeit unendlich erweitert, meine Gesichts-
punkte sich verändert, manche Meinungen sind ganz und gar widerlegt.
Doch muss ich gestehen, dass ich iioch sehr viel philosophisch -richtiges
in den KünsÜem finde und darüber ordentlich verwundert bin.^
Zwischen der Vollendung des Gedichtes (1788) und diesem Briefe (1793)
liegt für Schiller eine Welt innerer und äusserer Erlebnisse. Im Juni 1788
war Gk>ethe aus Italien nach Weimar zurückgekehrt, als ein neuer Mensch,
aller „Sturm und Drang'' lag hinter ihm. Er fand Schiller, den Dichter
der Bäuber, sozusagen am eigenen Herde, gefeiert im Kreise seiner Freunde.
„Wovon ich mich glücklich befreit hatte, das sollte ich nun mit ihnen
wiederum ernst nehmen und anstaunen'', so klagt Goethe und fühlt sich
unverstanden. Die erste Begegnung zwischen ihm und Schiller (7. Sep-
tember 1788 in Budolstadt) war eine Enttäuschung für die gemeinsamen
Freunde, aber sie führte doch dazu, dass Schiller, dessen „G^ohichte des
Abfalls der vereinigten Niederlande" eben erschienen war, zum unbesoldeten
Professor in Jena ernannt wurde. Er trat sein Amt im Mai 1789 an und
konnte nun bei dem Erfolge, den er als akademischer Lehrer hatte, daran
denken, sich einen eigenen Herd zu gründen. Im Herbst (2. August 1789)
v^lobte er sich mit der treuen und verständnisvollen Freundin aus Budol-
Stadt, und als der Herzog ihm ein wenn auch kleines Gehalt zugesichert
hatte, durfte er seine geliebte Lotte (22. Februar 1790) wirklich heimführen.
So schienen sich die hochgehenden Wogen seines Lebens freundlich zu
glätten. Da trat
„auf dnmal in die Kreise
der Freade, mit Oigantenschritt^
ein ungeheures Schicksal ; im Jmiuar 1791 verfiel Schiller zum ersten Male
der töüichen Krankheit, die ihm von da ab eine stäte Begleiterin werden
sollte. £r musste seine Vorlesungen aufgeben und sah mit seinem jungen
Weibe der bittersten Not entgegen, innerlicher und äusserlicher. Der
äusseren Not entriss ihn Ende 1791 die hochherzige Gabe seiner dänischen
Verehrer, des Erbprinzen von Holstein- Augustenburg und des Ministers von
Schimmelmann, die ihm auf Veranlassung des dänischen Dichters Baggesen >
für drei volle Jahre alle Sorgen um das leibliche Leben abnahmen. Die }
innere Not der Seinen aber bannte Schiller durch die „Kraft seines Geistes",
wie seine Schwägerin Karoline bewundernd erzählt, „alle leidensfreien Tage ^
war er heiter; er arbeitete und suchte die Gefahr, die er selbst in den
ersten Zeiten für dringend hielt, den Seinen zu verbergen." Das „Uebel"
&8ste ihn im Januar 1792 von neuem, dann wieder im Frühjahre 1793
mit grosser Heftigkeit, aber heroisch zwang er das Leiden nieder und
suchte „das Erhaltenswerte aus dem Brande zu flüchten.^ Er vollendete
m
Aie „Geschichte des dreissigjährigen Krieges^ (Herbst 1792) und suchte
in regem Briefw^echsel mit seinem alten Freunde Kömer, den er im Früh*
jahr 1792 in Dresden besuchen konnte, seine Anschauungen über dlis
Schöne und die Kunst endgültig zu formen. Dem wiederholten Dxtog^n
Kömer's folgend, vertiefte er sich dazu endlich in das Studium des Kantisehen
Systems, dessen Einfluss auch in Jena mehr und mehr im Waehsen wan
Dieser Klärung entspricht der Bückblick auf „die Künstler^ im Briefe
an Kömer, vom Mai 1793, dem die Abhandlung „üeber Anmut und WiQrde^
unmittelbar folgt, das erste äussere Zeugnis für das Neue, welches sich
Schiller in ästhetischer Einsicht erarbeitet hatte.*] Bald brachte die Er-
holungsreise in die alte Heimat (vom Herbst 1793 bis Frühjahr 1794) dem
Dichter und seiner Gattin eine Fülle freundlicher Eindrücke, sie schenkte
ihm einen Sohn und er sah, „die erlöschende Fackel seines Lebens neu
angezündet.^ In Stuttgart fand er einen angeregten Kreis von Künstlern
der verschiedensten Gattungen (Dannecker, Zumsteg u. A.), hier fasste er
auch mit dem Buchhändler Cotta den Plan für die neue Zeitschrift, die
Hören, welche ihn endlich mit Goethe vereinigen sollte. Mit seinen „Briefian
über die ästhetische Erziehung des Menschen^ beginnt er (1795) „den Tanz
der Hören*'} sie zeigen, wie sich Kant's kritische Arbeit in Schiller's Gtoiste
lebensvoll spiegelt.
Das Verhältnis von Schiller zu Kant entspricht etwa dem Verhältnisse
Bichard Wagners zu Schopenhauer. Schon vor seiner Bekanntschaft mit
dem Systeme Kants war Schiller ein Kantianer d. h. die philosophischen
Ideen der Zeit, welche in Kant am reinsten zu Tage traten, erfüllten auch
Schiller, bevor er sie durch jenen kennen gelernt hatte. Schon in der
„Theosophie des Julius^ gelangt Schiller schliesslich zu den Grundlagen
der theoretischen und der praktischen Philosophie Kants, allerdings ohne
sie als feste Stützen fiXr einen weiteren Aufbau zu benützen, während er
in dem Aufsatze über die Schaubühne (1784) mit dem mittleren Zu-
stand der Menschenseele zwischen Sinnlichkeit und Vernunft dem
Quellpunkte der Kantischen Lehre von dem Schönen (1790) schon sehr
nahe kommt.
Letzteres ist für Schillers Eigenart durchaus bezeichnend, während in
Bezug auf seine theoretische und praktische Philosophie schwer zu ent-
scheiden ist, in wie weit dabei eine mittelbare Wirkung von Kant zu
berücksichtigen ist, zumal sich die Entstehungszeit der „Theosophie des
Julius'' nicht feststellen lässt. Während Schopenhauer ursprünglich nur
eine sehr kleine Gemeinde fand, flössen ja die Kantischen Gedanken nach
dem Erscheinen seiner Prolegomena (1783) rasch in weite Kreise.
*) Vorbereitet ist es durch die ßegprechong der Bflrger'BCheii Gedichte und die beiden
Aofs&tte tber das Tragische, welche umgearbeitete Abschnitte ans dner entsprechenden
Jenaer Vorlesung sind«
127
* Die Wendimg von den Dingea snm Mensohen , welche ihr B!an6
chjorakteristisch ist, zeigt ja schon Sohfllers „mittlerer Zustand der Menschen«*
seele^, nnd darum könnten auch die folgenden Stellen aus dem Abschnitte
i,GotV' in der „Theosophie des Julius'' auf völlig selbstfindige üeberlegungen
Schillers . ;znrückweisep. Dort heisst es : „Unsere reinsten Begriffe sind
keineswegs Bilder der Dinge, sondern blos ihre notwendig bestinunten
und oprrespondierenden Zeichen. Weder Gbtt, noch die menschliche Seele,
noch die Welt sind das, was wir davon halten.'' „Aber die Erait der
Seele ist eigentümlich, notwendig und immer sich selbst gleich". „Wahr-
heit ist also . • . nicht die Aehnlichkeit des Zeichens mit dem Bezeichneteui
des Begriffs mit dem Gegenstande, sondern die üebereinstimmung dieses
Begrifb mit den Gesetzen der Denkkraft."
Der letzte, mit „also" an die ersten Betrachtungen angeschlossene
Satz ist, abgesehen vom Ausdrucke, durchaus Eantisch. ^
Fflr die praktische Philosophie des jugendlichen Schiller ist namentlich
seine Bede über die Tugend bezeichnend, mit deren Auffassung ein spftterer
Brief an Eömer (10. S^. 1787) übereinstimmt, wo es heisst: „Ich habe
nur einen Maasstab filr M<^alitftt, und ich glaube den strengsten: Ist die
Tat^ die ich begehe, von guten oder schlimmen Folgen für die Welt, wenn
sie allgemein ist?" In dem Abschnitte „Aufopferung" der „Theosophie'^
heisst es femer: „Es muss eine Tugend geben, die auch ohne den Glauben
an Unsterblichkeit auslangt, die auch, auf Gefahr der Vernichtung, das
nfimliche Opfer wirkt"*) Auch die übrigen Werke aus den Lehr- und
Wandeljahren bieten vielfach üeberlegungen dar, welche mindestens eine
nahe Yerwandtsdiaft Schillers mit Eant auf diesem Gebiete bezeugen.
Kömer, der ursprünglich wie Schiller von Garve's philosophischen
Schriften ausgegangen war, dann aber Kant eifrig studiert hatte, beiirteilt
in seinem leisten Baphael-Briefe (4. April 1788) die Theosophie des Julius
und weist ihrer Metaphysik gegenüber auf die Notw^idigkeit einer
„etwas trockenen Untersuchung über die Natur der menschlichen Erkennt-
nis" hin und auf „die demütigenden Wahrheiten von den Grenzen des
menschlichen Wissens." Schiller antwortet bald darauf^ dass er den Hin-
weis auf Kant sehr wohl verstehe, er kenne den Wolf am Heulen, aber
seine Zeit f^r diese Kantstudien c^ei noch nicht gekommen.
Zwei geschichtsphilosophische Arbeiten Kants hatte der Dichter bereits
im August 1787 »«mit ausserordentlicher Befriedigung" gelesen, sie klingen
am^h in seiner akademischen Antrittsrede in Jena wieder. Für die Kritik
der reinen Vernunft (1781) und für die anderen kritischen Schriften Kants
h^tte er jedoch bisher keine Müsse erübrigen können. Als dann die Kritik
der praktischen Yßrnunft ^1788) erschienen war, wies Kömer (Briefe an
Soh^^er vom 1& Februar und 24. Oktober 1789) darauf hin, dass auch eine
^) Yergl dasn die .RetigiMUion* (176i) und BehiUen ipitee (1794) Bri&atanuig 4asa.
128
Kritik des Schönen nötig sei, nnd nntemalun es selbst, eine „Theorie der
Ideale" auszuarbeiten (28. Mai 1790). Da kam von Kant, der die Hoffiiting
lydie kritische Benrteilong des Schönen unter Yemunftprinzipien zn bringen^
nnd die Segeln derselben zur Wissenschaft zu erheben" gelegentlidi*)
als verfehlt bezeichnet hatte, doch die ersehnte Kritik des Schönen heraus,
und zwar in seiner „Kritik der Urteilskraft" (1790).
Dieses Werk las Schiller, und es übte durch seinen „neuen, lichtvoUen,
geistreichen Inhalt'' eine hinreissende Wirkung auf ihn aus. (YergL Brief
an Kömer am 5. Mai 1791.) Aber auch jetzt fehlte ihm die Müsse, diese
Studien zu erweitem und zu vertiefen. Erst am 1. Januar 1792, als ihn
die unerwartete Spende aus Dänemark ftlr drei volle Jahre seiner arm-
seligen äusseren Lage entrückt hatte, schreibt er an Kömer: „Mein E2nt-
schluss ist unwiderruflich gefasst, die Kantische Philosophie nicht eher zu
verlassen, als bis ich sie ergründet habe, wenn mich dieses auch drei Jahre
kosten könnte.^ Diesem Entsohluss ist SchiUer treu geblieben. Nachdem
er im Herbst 1792 die „Geschichte des dreissigjährigen Krieges" glücklich
beendet hatte, wendet er etwa drei volle Jahre auf das Studium der
Philosophie, im Besondem auf das der Kantisohen Kritiken.
Kant selbst hat seine philosophische Leistung mit der Tat des Koper-
nicuB verglichen, welcher die Sonne in Buhe verharren liess und deren
scheinbare Bewegung aus der tatsächlichen Bewegung des, an
die bewegliche Erde gefesselten Beobachters erklärte. So
will sich auch die kritische Philosophie zur Erklärung des Alls an den
Beobachter wenden, d. h. an den Menschen, nicht an Qt)tt und nidbt
an die Dinge. Sie nimmt also das alte Problem des Protagoras wieder
auf, wonach der Mensch das Maass aller Dinge ist.
Dabei wendet sie sich aber im Gegensatz isu allen ihren Yorläuferinnen
nicht an den einzelnen Menschen in seiner gegebenen ZufiQligkeit, sie
sucht vielmehr das Notwendige in einzelnen Menschen auf, welches
fär alle Menschen das Selbe ist. Sie sucht die Menschheit im
Menschen, wie es auch Schiller gelegentiich ausdrückt.
Die drei Ideale des Menschen, das Wahre, das Gute und das Schöne
entsprechen dem Erkennen, Handeln und Fühlen der Menschenseele, und
jedes dieser Gebiete fordert seine Kritik in positiver und negativer Hinsicht.
Bezeichnet man das Notwendige im einzelnen Menschen, welches für alle
Menschen das Selbe ist, als menschliche Yemunit, so muss demnach die
Leistungsfähigkeit dieser Vernunft auf dem theoretischen Gebiete des Er*
kennens, auf dem praktischen (ethischen) Gebiete des Handelns und auf dem
ästhetischen Gebiete des Fühlens bestimmt und begrenzt werden. Diesen
drei Aufgaben dienen die drei Kritiken Kant's, die der reinen Vernunft
(1781), die der praktischen Vemunft (1788) und die der Urteilskraft (1790).
*) Yergl Aiimerknog sn S 1 der transtceiideDtAltti AesHietik«
Die erste Kritik kommt za dem Ergebnis: nur die ränmlioh-zeitliohe
Sixmenwelt ist der Erkenntnis des Menschen zngftnglioh, nnd zwar, weil der
Mensch sich seine Sinnenwelt ans seinen ihm gegebenen Empfindungen
(licht, Wärme, n. s. w.) in seinen Anschaunngsformen nnd nach seinen
Begriffen erbaut. Das Notwendige in der Sinnen weit jedes einzelnen Menschen,
welches wegen seiner inneren Notwendigkeit allgemeine Gültigkeit hat und
darum in den Sinnenwelten aller Menschen wiederkehrt, erscheint in
objektiver Hinsicht als das Ganze der Naturgesetze, in subjektiver Hinsicht
als das Ganze der anschaulidb-logischen Gesetze der Menschenseele. Darum
giebt es trotz des ZufUligen im einzelnen Menschen eine allen Menschen
gemeinsame Sinnenwelt, deren Erkenntnis der mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Forschung obliegt. Bezeichnet man den gesetzgebenden
Faktor der Menschenseele f(ir das Gebiet der Sinnenwelt als Verstand, so
kann man mit Eant sagen: „Die Natur steht unter dem Yerstandes-
gesetze.''
Mit der Erkenntnis der Sinnenwelt ist aber das Bedür&is des Menschen
nicht befiiedigt, er verlangt auch nach innerlich notwendigen und darum all-
gemein giltigen Begeln der Lebensführung und Lebensgestaltung. Diesem
Verlangen dient die zweite Kritik Eant's, welche allerdings in der ersten
bereits sorgsam vorbereitet ist Neben die Gesetze der Natur treten
die Gebote der Sittlichkeit, erstere sagen uns, was da ist, letztere
sagen uns, was sein soll.
Wenn wir den Menschen gemäss sittlichen Geboten beurteilen, so
finden wir sehr oft, dass er in einem gegebenen Falle hätte anders handeln
sollen, als er tatsächlich gehandelt hat. Diese Forderung hat nur Bedeutung
unter der Voraussetzung, dass er auch hätte anders handeln können d. h.
wir denken den Menschen, insofern er handelt, nicht naturgesetzlich bestimmt,
sondern frei.
Denutige Forderungen sind innerhalb der Gteschichte der Menschen
tatsächlich stäts an den einzelnen Menschen und an eine Mehrheit von
Maischen gestellt worden, während es nur ein Spielen mit Worten wäre,
wenn man solche Forderungen (ausserhalb einer ästhetischen Auffassung)
an Naturerscheinungen stellen wollte.
Nun gehören aber die Handlungen des Menschen, soweit sie als
körperliche Bewegungen zu Tage treten, in das grosse Ganze der Natur-
ersdbeinungen, während ihre inneren Ursprünge dem freien Kerne des
Menschen angehören. Es erhebt sich demnach die Frage: Wie kann der
Mensch frei sein, wenn doch seine Handlungen in das grosse Ganze der
Naturerscheinungen hineingreifen? Hier hat die Kritik der theoretischen
Vernunft für die Kritik der praktischen Vemunfl die Bahn frei gemacht.
Wenn der Mensch sich seine Sixmenwelt, in der er auch selbst als Körper
leine Stelle hat, nach seinen logisch- anschaulichen Gesetzen aus seinen
ihm gegebenen Empfindungen formt, so liegt wenigstens die Möglichkeit
VQr, dass der Mansch m Grunde ein ipefßB We^n iit, rwpl^^ea^der Sqonen-
welt erst ihre Q^esetjdiohkeit gibt, indem er fide, gestaltet.. , , ,, ,
Diese Mögliehkeit erheben die Tatsachen des sittlioh(^n< Betirtu^ateeiji^
2sar Wirkliohkeity denn diese Tatsachen {ordern einen f^eiern /tfeosdhieliv
Woher aber die Gebote der Sittiiefakeit? Ihre Qaelk tttuss fttr ebien
freien Mensohen in diesem sdbst liegen. Sie sind Gidbote« die" steh' d(it
freie Mensch selbst gfibt; nm ihnen zu Mgetij tiüd zw«r' gibt ^ ^sie
lÜch gemäss dem Notwendigen, was in jedem Menschen ^Is Meiifedsen liegt;
nnd dämm ein Ailgeniein'-Menschlibhes ist. DemgeibM9 gut dtf^Ghmdsatsi
aller sitfliohen Gtefoote : „fiandle so, ' dam Al6 Maxime deineis Willens* jeder^
zeit zugleich ids Prinzi]p einer allgemeinen G^setegel^tlng ^Iten iiönne.^
Kantus Eigenstes ist es, das Ganze der sittlichen Gebote, welches tci
den Menschen ein Ganzes von unbedingt zu erftülenden Pffichten bedeutet^
als Selbstbestimmung (Autonomie) des Menschen ^u&no&ssen/ * "^
. Ein , religiöses GeprSge erhalten diese laichten, indem, man sie als
göttliche Gebote ansehen lernt, und 4^^ drängt sowohl dia thisoretische
Philosophie, welche die I(^ee Gottes als Abschluss alles ^'yT^issens verlangt^
als auch die praktische Philosophie, welche , diese Idee mit der Leben^
führung des Menschen in notwendige Verbindung bringt. ' \
Diese Geistes-Arbeit der beiden Kritiken Kai^t's erkennte Sphiller ;v^Uig
au, wenn er am 18. Februar 1793 an Kömer schreibt r^lQs.isi^ gßwiss ,yon
einem sterblichen Menschen . kein grösseres Woiii nojßh gesprochen worden,
als dieses Kantisohe, was zugleich der Inhalt seiner gwzen^ Ph^oso|>hie
ist; bestimm dich aus -dir aelbst; sowie das in der thisQretisQhen
Phik>sophie: die Katur steht nnter dem^Yerstandejag^setze«'' ;
Damit' steht nicht im Widerspruebe, wenn er sich bald 'daHauf ik sBinier
Abhandlung „üeber Anmut und Würde^ (1793) gegen die ethische Strtog«
Kant's am Wendeln Bchemt. Nach dessen Lehre ist eine Handlung des
Menschen nur dann moralisch, wenn sie lediglieh durch das inordlisdbe
Gesetz, in ihin bestimmt wird d. h. allein „ans Pflicbf^ geschieht^ entspringt
sie y,au0 Neigung^, so hs^ sie, am ethischen Maassstab^ g|emesSen, ^^koiiien
Wert, obwohl sie in anderer Hinsicht dnoh wertvoll .sein; kanku Mit dfeaec
Lehre stimmt Schills völlig überein^ aber, et findet^ dass Kaadt sein^ Dar-
stellung nur fttr ^Knechte^ berechnet habe tmd nicht für die i^^EIinder deii
Hauses^, denn bei ihm sei „die Idee der Pflicht mit einer Hirte« Tor^
getragen, die alle Grazien davon zurOcksehreckt'^. Was SohiUer ito di6
„vertrauten Lieblinge der sel'gen Harmonie^ vermissi^ ist der Gedankär,
dasB die „aus Pflicht^ entsprungene Hondking „mit Neigung^
ausg^lhrt werden. kann und« dass die damit; gegebene Haräionid zwiseheii
PfliohlJ and Ndgungi die Hannonie dec' schönen Seele, hötter ku bewerten
ist als eine entspreehende Di^haim/Onie, bei* welcherndiePAicdit zait Ab«
neigtmg getan wi^ /
181
Kant antwortete in einer ansffthrliohen Anmerkimg der zweiten Axifli^
seiner ^^Seligion innerhalb, der Grenzen der blossen Yemunft^' (1794) und
stellte dabei in Bezog auf Schillers „mit Meisterhand verfasste Abhandlung'*
ihre Einigkeit „in den wichtigsten Prinzipien^' fest. Zu der von Schiller
angeworfenen Frage bemerkt er im besondem: „Das fröhliche Herz in
Befblgmig seiner Pflicht ... ist ein Zeichen der Eohthak togendhafler
Gesinnung'' und ohne diese ,|fröhliche Gemtltsstimmiuig'' ist man nie gewiss,
„das Ghite auch lieb gewonnen, d. i. es in seine Maxime angenommen zu
haben/'
Schiller dankte dem verehrten Meister bald darauf in seinem Briefe
vom 13. Juni 1794, wo es u. A. heisst: „bloss die Lebhaftigkeit meines
Verlangens, die Besultate der von Ihnen gegründeten Sittenlehre einem
Teile des Publikums annehmlich zu machen, das bis jetzt noch davor zu
fliehen scheint, und der eifrige Wunsch, einen nicht unwürdigen Teil der
Menschheit mit der Strenge Ihres Systems auszusöhnen, konnte mir auf
emen Augenblick das Ansehen Ihres Gegners geben, wozu ich in der Tat
sdir wenig Geschicklichkeit und noch weniger Neigung habe."
So steht diese Sache zwischen Kant und Schiller ! Mit gewissen
Eantianem befand sich Schiller allerdings nicht im Einklänge. An sie
richtete er später (1797) die irom'sche Anfrage:
„Sollte Kantische Worte der hohle Sch&del nicht fassen?
Hast da in hohler Nasa nicht auch Detisen gesehen?^
Ihrer Verwechslung der Begriffe „aus Neigung** und „mit Neigung**
und den daraus entspringenden, unnützen ^Gtewissensskrupeln* gelten die
Spottverse (1797):
,,Geme dien^ ich den FVennden, doch ta' ich es leider mit lleigang,
Und so wnrmt es mir oft, dass idi nicht tugendhaft hin.
Da ist kein anderer Bat, du mosst suchen, sie sa Terachtea,
Und mit Ahschea alsdann tan, wie die Pflicht dir geheat**
Schillers Studium der Eantisohen Philosophie vollendete natürlich
aodi die Auflösung seiner metaphysischen Ansichten, welche bereits in der
„Theosophie des Julius** beginnt. Die Metaphysik geht von Dingen aus,
welche sich im (dl eiste des Maischen mehr oder minder getreu spiegeln,
die kantische Philosophie geht von den Gesetzen des MensdiengeisteB aus,
gemäss welchen dieser sich seine Gegenstände formt. Beides finden vnx
in jener „Theosophie**, sie stellt im allgemeinen die Metaphysik des
jugendlichen Schiller dar, aber schliesslich findet ihr Verfasser die Wahr-
heit nnr in der üdbereinstimmung der Begriffe mit den Gesetz^i der Denkkraft»
Nun tritt ihm die Welt der Erscheinungen mit ihrer strengen Natur-
geachichtlidikeit, welche sich der Mensch gemäss den Gesetzen seines
Qeistes erbaut, in scharfen Gegensatz zu ihrem unerkennbaren Hinter^
gnmde, der Welt der Kantisohen Dinge * an - sich, für welche Zeit und
Baum und Natorgesetzlichkeit keine Bedeutung haben. Aus diesem Jenseits
18^
schöpft der EünsÜer die Kraft zu seinen G^staltangen, die als fertige Werke
natürlich Erscheinungen unter Erscheinungen sind. Noch in den „Gk^ttem
Ghiechenlands^' heisst es:
i,Wa8 nnsterblich im Gesang soll leben,
Mass im Leben ontergehn.^
Dagegen sagt das Lied „An die Freunde''
„AQes wiederholt sich nar im Leben,
Ewig joog ist nur die Phantasie: '
Was sich nie nnd nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie.*'
Dass dieses Jenseits nicht das Himgespinnst eines Phantasten ist,
beweist uns nach Kant unsere Freiheit, welche innerhalb der Welt der
Erscheinungen keine Stelle hat, weil sie eben hinter ihnen steht als deren
formendes Prinzip.
Von diesem formenden Prinzipe wissen wir nur, dass es im einzelnen
Menschen den tiefsten Kern seines Wesens bildet, aus dem einerseits in
theoretischer Hinsicht die Gesetze fliessen, nach denen er sich seine Er-
scheinungswelt erbaut, und andererseits in praktischer Hinsicht das Gesetz
seiner Selbstbestimmung filr ein ethisches Handeln.
Nun erhebt sich aber eine weitere Frage, und diese führte Kant zu
einer dritten kritischen Untersuchung. Aus den anschaulich -logischen
Gesetzen des Menschen lässt sich nur die allgemeine Gesetzlichkeit der
Erscheinungswelt ableiten, nicht ihre überreiche Fülle, die wir in ihrer
gesetzlichen Sondergeetaltung als Natur bezeichnen. Diese Fülle entspricht
den Empfindungen (Licht, Wärme u. s. w.), welche jedem Menschen als
Material für den Bau seiner Erscheinungswelt zufliessen. Dieses Material
muss der Mensch als „gegeben^ hinnehmen, und so ist ihm auch die Natur,
abgesehen von ihrer allgemeinen Gesetzlichkeit, ein „Gegebenes.^ Er kann
sie wissenschaftlich untersuchen und technisch verwenden u. s. w., aber
alle weiteren Fragen nach ihrem Ursprünge führen höchstens in die Meta-
physik zurück. Solche Fragen kann die kritische Philosophie nur insofern
anerkennen, als sie darin das Bestreben sieht, zu allem Besonderen der
Natur ein Allgemeines zu suchen, durch welches alles Besondere bedingt
ist. Die Beziehungen des Allgemeinen zum Besonderen stellt die „Urteils-
kraft^ fest, sie ist bestimmend, wenn sie das Besondere als Fall eines
Allgemeinen nachweist, wie es die Logik lehrt, sie ist refleotierend,
wenn sie zum Besonderen das Allgemeine sucht. Die refleotierende Urteils-
kraft kann nun in Bezug auf obige Frage nur den Buhepunkt für den
suchenden Menschengeist angeben, indem sie ihn auffordert, sich einen
unendlichen Geist als den Gesetzgeber der Natur zu denken, aber sie ver-
mag über diesen nichts auszusagen, wie es die Metaphysik wollte. Wohl
aber vermag sie diese Gesetzgebung in der Natur als Zweckmässigkeit
darzustellen, und zwar in doppelter Weise, indem sie einerseits die Bezieh-
188
r
ting des einsBelnen Dinges zu unserem Geiste und andererseits die fiezieliimg
der einseinen Dinge untereinander auf ihre Zweckmässigkeit prüft. Diese
Prüfimg fiüirt zu einer ästhetischen nnd zn einer teleologischen Betrachtang
der Erscheinungen, bei welcher die Natur also vorgestellt wird, „als ob ein
Verstand den Grund der Einheit des Manigfaltigen ihrer empirischen
Gesetze enthalte.^ Mit dieser ästhetischen und teleologischen Betatchtung
der Natur beschäftigt sich Eant's dritte Kritik, die „Kritik der Urteils-
kraft E^t's Stärke lag nicht in einem lebhaften Geftlhle filr Schön-
heiti xmd darum waren auch seine ästhetischen Bedür&isse nur gering.
Wenn er trotzdem auch ftlr die Aesthetik, im Gegensatze zu seiner ur-
sprünglichen Erwartung, grundlegende Bestimmungen treffen konnte, so
ist dies lediglich eine Folge seiner Methode und deren strenger Befolgung.
Man fühlt von vornherein, in welcher Hinsicht ihn der Dichter Schiller
hier ergänzen konnte und musste.
Ein Gegenstand wird nun nach Kant als schön bezeichnet, wenn er
uns notwendig als zweckmässig erscheint, ohne auf einen bestimmten
Zweck bezogen zu werden.
Was ist das ftür eine Zweckmässigkeit? Sie entspricht einem reinen
d. h. völlig interesselosen Wohlgefallen in uns. Jede Beziehung auf einen
bestinmiten Zweck würde in das Verhältnis zwischen dem schönen Gegen-
stande und uns selbst etwas Fremdes hineintragen und damit das reine
Wohlgefallen des ästhetischen Genusses trüben. Sinnliche Bedürfiiisse,
üeberlegungen der Nützlichkeit, ethische Betrachtungen sind solche Trüb-
ungen« Wir sind beim reinen ästhetischen Genüsse mit dem schönen Gegen-
stande ganz allein, er tritt unserer Individualität als Individualität gegen-
über, aber wir merken nichts von seiner Wirkung auf uns und von unserer
Hingabe an ihn, wir sind leidend und tätig, ohne es zu wissen und zu
wollen. So ruft der schöne Gegenstand in uns „das G^fElhl einer Einhellig-
keit im Spiele der Gemütskräfte ^ hervor (§ 15) und stiftet so eüie Harmonie
zwischen unserer SinnUchkeit und unserer Vernunft, welche sich als reines
Wohlgefallen anzeigt, .... das ist seine Zweckmässigkeit.
Diese Zweckmässigkeit findet sich in der Natur und in Kunstwerk^i
aller Gattungen, sie ist unabhängig von dem Inhalte des als schön Gefühlten,
und 2nvar, weil sie nur auf der Beziehung des Gegenstandes zum Allgemein-
Menschlichen im einzelnen Menschen beruht. Kant bezeichnet sie deshalb
als formelle Zweckmässigkeit und gibt diesem Gedanken den Ausdruck,
der Gegenstand wirke allein durch seine Form.
Wenn diese Wirkung vorhanden ist, föhlen wir selbst ein reines Wohl-
gefollen und bezeichnen den ihm entsprechenden Gegenstand als schön,
in der Voraussetzung, damit etwas Allgemeingiltiges auszusagen. Das
ästhetiBche urteil wiU also, wie ein logisches urteil, notwendig sein und
darum fttr alle gelten, es ist aber eüi Urteil des Geftüüs und diurf sich des-
halb keiner Begriffe bedienen. Durch Zusammenfiässung aller dieser Er-
>
m
wägangen gelaugt man 2ti der Erklärang: Ein Gegenstand ist sckön,
wenn er ohne Beziehung auf Begriffe» allein durch seine
Form ein interesseloses Wohlgefallen hervorruft.
Da die Schönheit der Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft ent-
spriohty 80 gibt es nur für sinnlich-vernünftige Wesen d. h. für Menschen
einen reinen ästhetischen Genuss.
Die Schönheit in der Natur ist keine andere als die Schönheit in den
Werken echter Kunst, sie zeigt sich überall an durch die Erweckung eines
reinen, jener inneren Harmonie entsprechenden Wohlgefallens. Darum sieht
ein schöner Gegenstand der Natur aus wie ein Kunstwerk, während ein
Kunstwerk uns anmuten soll wie ein schöner Gegenstand der Natur.
Um ein Kunstwerk schaffen zu können, muss man jene innere Harmonie
in sich tittgen, und dies ist das Kennzeichen des Genies; der Künstler
wird geboren und hat das Gesetz seines Schaffens unbewusst in sich.
In den reinen ästhetischen Genuss mischen sich tatsächlich oft andere
Gefühle, unter diesen ist eines von besonderer Bedeutung, nämlich das
intellektuelle Wohlgefallen an einem an und far sich schönen Gegenstande,
welcher ausserdem noch durch Vollkommenheit (innere Zweckmässigkeit)
ausgezeichnet ist d. h. seinem Begriffe entspricht, bezw. das intellektuelle
Missfallen, wenn letzteres nicht zutriöt. Im ersten Falle wird der ästhetische
Genuss vermehrt, im letzteren Falle vermindert. Eine schtoe Landschaft
vermittelt uns einen reinen ästhetischen Genuss, ebenso eine schöne musi-
kalische Komposition, die sich auf keinen Text bezieht, 46sgleichen schöne
Muster. Dagegen missfällt uns eine Kirche, wenn eie wie ein vergrössertes,
an und für sich schönes Gartenhaus aussieht, während uns ein entsprechendes
Gartenhaus gefallen würde, ebenso missfällt uns ein Neuseeländer mit einer
an sich schönen Tätowierung, weil es ein Mensch ist, während die Ver*
einigung von Schönheit und Vollkommenheit, wie sie z. B. bei den besten
griechischen Statuen vorhanden ist, unseren Genuss steigert.
Die Verbindung von Schönheit und Vollkommenheit bezeichnet Kant
im Gegensatz zur freien Schönheit als bedingte Schönheit (pulchiitudo
adhaerens), sie steht als Schönheit tiefer als die reine Schönheit, hat aber
in kultureller Beziehung einen höheren Wert, weil sie uns auch etwas zu
denken gibt. Neben die freie Schönheit und neben die bedingte Schönheit
stellt Kant endlich noch das Erhabene, weil auch ihm ein eigentümliches
ästhetisches Gefühl entspricht. Der Mensch, welcher dem Erhaben^i
gegenübertritt, fühlt sich zunächst grenzenlos klein, dann aber wahrhaft
erhoben. Die Gewalt des Eindrucks beugt seinen sinnlichen Teil nieder,
befreit dadurch aber seinen Geist, der sich so seiner eigenen ünendlichkdt
bewusst wird«
An diese Begriffsbestimmungen knüpft Kant eine Beihe von grund-
legenden, durch feine und treffende Bemerkungen unterstützten Unter-
suchungen, welche schliesslich dazu ftlhren, die Schönheit als „Symbol des
'Güten* anzuerkenndn. Sie ruft die Harmonie von Sinnliolikeit und Vernunft
in ans hervor, welche die ethischen Gebote von uns fördern, und so macht
"der Oeschmacl: „glbidhsam deh üebergang ^oxä Sinnenreiz zum habituellen
inoralisclien Interesse ohne einen zu gewaltsamen Sprung möglich, indem
ei^ £e ISinbildungdkräft auch in ihrer Freiheit als zweckmässig fbr den
Verstand bestimmbar vorstellt und sogar an Gegenständen der Sinne auch
ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt** (§ 59).
Dieser ästhetische Teil von Eänt's dritter Kritik machte in den
"künstlerisch' gestinmiteh Elreisen Deutschlands mit einem Schlage grosse
Eroberungen. Man fand in i^ die lange gesuchten, möglichst scharfen
'Begriffsbestunmungen fUr eigene Ahnungen und Anschauungen, und ausser-
^deni die stäts gewünschte Eingliederung der Aesthetik in das Ganze eines
phüosophisphen Systems.
Auch Eör^ier, welcher in seinem letzten Baphael-Briefe seine eigenen
Ai^sichten über die Schönheit der Natur und der Kunst angedeutet hatte
and jiemg^paäss an einer ^,T^eorie der Ideale** arbeitete, 'berichtigte diese
Ansichten auf Grund der Kantisch^n Kritik.
AU i^ Schiller, K^.MJ^? 1791} b^eistert über das Werk geschrieben,
.axitwoj^tete er (13.. Jdärz: 1791) ebenso begeistetrt, berührte aber ausserdejpi
ßine weitei:e Frage, a^of w;elche er bereits früher unbestimmt hingedeutet
hatte : er vermisst bc^ Kant noch eine Untersuchung über die Verschieden-
ht^ schöner und häsfi^Uober Ol\jekte, die in den Objekten selbst liegt .
Bei ihrem Zusammensein in Dresden, im Frühjahr 1792, verabredeten
«dann. Kömer und Schiller statt der geplanten Fortsetzung der philosophischen
BaphaelfJoUns-Brieie einen ästhetischen Briefwechsel, in dem die von
-Kömer jmgeregte Frage eine eingehende Behandlung finden sollte. Gegen
JBnda des Jahres (21. Dez. 1792) teilt Schiller dem Freunde mit, dass er
.glaube, den „objektiven Begriff des Schön^i" und damit zugleich ein
objektives Prinzip des Geschmacks gefunden zu haben ; er plant infolge*
dessen ein grösseres Werk, welches den Titel führen sollte „Kallias
odertlber die Schönheit'^
Dieses Werk ist niemals erschienen, aber seine Grundlage ist in dem
• Briefwechsel von Kömer und Schiller deutlich zu sehen, namentlich in den
Briefen Schillers vom 8., 18., 19. und 23. Febraar 1793. Den Mittelpunkt
dieser Briefe bildet die von Kömer geforderte und von Schiller versuchte
Definition „S^h^nheit ist Freiheit in der Erscheinung'^, sie
*8oU die Kantische Erklärung der Schönheit als formeller Zweckmässigkeit
beriditigen und ersetzen.
Schillers eigene Bemühungen gelten also dem Gegenstande, der in
'ästhetischer Hinsicht beurteilt werden soll.
Dagegen stimmt er mit Kant völlig überein in der AuflTassung des
-ästhetischen Zustandes im Subjekte, hatte er diesen doch bereits in seine'
m
Aufsatz üW die ächanbühne als einen mittleren Znstand sanfter Harmonie
zwischen SinnUchkeit und Vernunft bezeichnet.
Mit Kant ist Schiller auch der üeberzeugung, dass ein ästhetisches
urteil ein Gefühlsurteil ist, dass künstlerisches Geniessen und künstlerisches
Schaffen darum schliesslich im Gefühle wurzeln und dass Gtofbhle nie als
wissenschaftliche Erkenntnis oder ethische Gebote dargestellt werden können.
Kant hatte daraus geschlossen, dass eine, für ein objektives Prinzip des
Geschmackes geeignete Definition der Schönheit unmöglich sei, d. L dass
es keine logischen Begeln für die ästhetische Beurteilung der Natur und
der Kunstwei^e geben könne.
Tatsächlich ist Kant's Definition der Schönheit negativ, sie sagt nicht,
welche Beschaffenheit der schönen Gegenstände dem reinen Wohlgefallen
im Subjekte entspricht, sie drückt nur deren, von allem Inhalte unabhängige
Beziehung zu der inneren Harmonie des Subjektes durch das Wortgebilde
„formelle Zweckmässigkeit'' aus. Schiller suchte, abgesehen von der An-
regung durch Kömer, nach einer anderen Definition der Schönheit, weil
er an einer wichtigen Folgerung Kant's Anstoss nahm. Nach Kant's
Theorie ist ein schönes Tapetenmuster in ästhetischer Hinsicht höher zn
bewerten, als eine edle Statue hellenischer Kunst, denn ersteres gehört in
das Gebiet der reinen, letzteres in das Gebiet der bedingten Schönheit
Schiller, der in dem Allgemein-Menschlichen im Menschen das Höchste für
den Menschen sah, musste eine Definition der Schönheit suchen, bei welcher
der schöne Mensch im Gebiete der Schönheit den ersten Platz erhielt
(Brief an Kömer vom 18. Febr. 1793.)
Schillers neue Definition der Schönheit beruht im Grunde darauf, dass
er die innere Harmonie des Subjektes auf den schönen Gegenstand über-
trägt. Damit belebt sich einerseits Kant's Begriff der formellen Zweck-
mässigkeit, insofern die innere Harmonie des schönen Gegenstandes nun
der inneren Harmonie des ihn ästhetisch geniessenden Subjekts entspricht,
während andererseits diese innere Harmonie des G^enstandes zugleich
dessen innere Zweckmässigkeit gewährleistet.
Die innere Harmonie des ästhetisch geniessenden Subjekts ist Harmonie
zwischen dessen Sinnlichkeit und dessen Vernunft. Als sinnliches Wesen
gehört es dem naturgeschiohüich bestimmten Gebiete der {Erscheinungen an,
als vernünftiges Wesen hat es eine übersinnliche Freiheit, und denmach
beruht jene Harmonie darauf, dass es in seiner Erscheinung auch Freiheit
zeigt. Die XJebertragung auf das schöne Objekt ftLhrt unmittelbar zu der
Definition der Schönheit als Freiheit in der Erscheinung. Damit
rückten die Gegenstände, welche Kant's bedingter Schönheit entsprachen,
an die erste Stelle. Diesen Platz hatte ihnen Kant versagt, weil bei ihrer
Betrachtung das ästhetische Wohlgefallen mit dem intellektuellen Wohlge-
fallen an ihrer inneren Zweckmässigkeit zusammenfloss. Infolgedessen musste
Schiller zeigen, dass auch das Wohlgefallen an der inneren Zweckmässigkeit
Ist
6m ftsihetisc^es Wohlgefallen, d. h. auf dem GefWile beruhen kann und
nioht durch den Intellekt vermittelt zu sein braucht Dieser Aufgabe löst
der Dichter durch den Hinweis, dass diese innere Zweckmässigkeit auch im
Gefähle unmittelbar «rfiust wird, ganz abgesehen davon, dass sie ausserdem
begri£Plich daigestellt werden kann, d^in die „ästhetische Form eines Ob-
jektes ist eine andere als die Form desselben Objektes qua Organismus^
(Brief an Kömer vom 18. Februar 1793),
Eant hat die bedingte Schönheit treffend von der reinen geschieden,
aber die Gegenstände, welche ihm nur Gegenstände einer bedingten Schön-
heit sind» können auch Gegenstände einer reinen Schönheit sein, weil die
iimere Zweckmässigkeit zwar intellektuell, aber auch ganz im Gefiüile
esrüast werden kann. Ist letzteres der Fall, so lässt sich nachträglich auch
die innere Zweckmässigkeit bejgrifflich fdststellen, und dann kann dieser
Begriff natürlich auch ein intellektuelles Wohlgefallen hervorrufen, welches
sich zu dem ästhetischen Wohlgefallen gesellt und dieses erhöht; dabei
geht die reine Schönheit allerdings tatsächlich in eine bedingte über.
Schillers Definition der Schönheit passt zunächst nur auf den schönen
Menschen als Gegenstand des ästhetisch^oi Wohlgefisdlens, weil nur der
Mensch als sinnlich-vernünftiges Wes^i „Freiheit in der Erscheinung^
zeigen kann. Allen anderen G^enständen der Sinnenwelt maa» die
ästhetische Betrachtung erst Freiheit verleih^i.
Eömer bemerkte sofort (Brief vom 16. Februar 1798), dass auch die
neue Definition nicht geeignet ist, ein objektives Prinzip des Geschmackes
zu geben. Die Frage ist nur zurückgeschoben, da es sich nun darum handelt,
festzustellen, welche Beschaffenheit der Gegenstände uns zwingt, ihnen
Freiheit zu verleihen und> sie demgemäss schön zu finden.
Schiller schenkte Eömer's Bemerkung grosse Beachtung und fasste
BohUeesIich mit Bücksicht auf sie die Ergebnisse der filiheren Briefe noch
einmal in eingehender Betrachtung systematisch zusammen (Brief vom
28. Februar 1798). Die Voraussetzung dieser Betrachtung lautet : „Es gibt
eine solche Yorstellungsart der Dinge, wobei von allem Uebrigen abstrahiert
und bloss daraufgesehen wird, ob sie frei, das ist durch sich selbst
bestimmt scheinen.^ Daran sohlieest sich die Doppel- Aufgabe zu zeigen,
,ida8s dasjenige Objektive an den Dingen, wodurch sie in den Stand gesetzt
werden, frei zu erscheinen, gerade auch dasjenige sei, welches ihnen, wenn
es da ist, Schönheit verleiht, und weim es nicht da ist, ihre Schönheit ver-
xiiehtei'' und darzulegen, „dass Freiheit in der Erscheinung eine solche
Wirkung auf das G^ef&hlsvermögen notwendig mit sich fllhre, die derjenigen
völlig gleich ist, die wir mit der Vorstellung des Schönen verbunden finden.^
Das firagliche Olgektive an den Dingen hatte Schiller bereits in seinem
Briefe vom 18. Februar durch den Satz bezeichnet: „Das schöne Produkt
darf und muss sogar regelmässig s^, aber es muss regelfrei erscheinen/'
Jetzt fahrt er dazu aus, dass unser Verstand stäts bestrebt ist, fiir die
10
tS8
^gensifüoke der Sinnenwelt Gesetze zu bestimmen, dass er aber niobt
immer imstande ist, die Gesetzmässigkeit eines Gegenstandes auf etwas
Aeusseres znrüokzofhhren. Ist dieses der Fall, so moss diese Gesetzmässig-
keit innerhalb des Gegenstandes selbst gesucht w^xlen, und demgemäss
erscheint der Gegenstand als sich selbst bestimmend d. h. als frei.
Für die Charakteristik des regelmässigen, aber regelfrei erscheinenden
Gegenstandes hat Schiller später, in den ästhetischen Briefen, den Begriff
„lebende G est alt'' geprägt; hier bezeichnet er einen solchen Gegen-
stand als kanstmässig oder technisch, and antwortet demnach Kömer, dass
Technik die gesuchte notwendige Bedingung unserer Vorstellung von der
Freiheit sei d. h. die Bedingung, unter der wir den Gegenständen Freiheit
leihen müssen.
Diese und andere Erörterungen jenes Briefes, welchen eine Fülle von
gut gewählten Beispielen zur Seite tritt, sind an und fiir sich sehr wertvc^
sie ftüiren aber nicht hinaus über den Grundgedanken, den Schiller vielleicht
am besten in dem Briefe vom 18. Februar ausgesprochen hat, unmittelbar
im Anschlüsse an die Anerkennung der beiden ersten Kritiken Ejmt's.
Dort heisst es : Die „grosse Idee der Selbstbestimmung strahlt uns aus ge*
wissen Erscheinungen der Natur zurück, und dies nennen wir Schönheit.''
Schliesslich hört auch hier das Fragen auf:
„Wenn ihr^i nicht fühlt, ihr werdet^ nkht eijagen.'*
Ein objektives Prinzip des Geschmackes, welches mit wissenschaftlichen
Prinzipien auf einer Stufe stände, kann es nicht geben, weil es sich im
Grunde um Gefühle handelt. Wohl kann es aber fbr die Beurteilung
ästhetischer Geftlhle einen Leitsatz geben, welcher bei der Betrachtung des
Schönen als Maxime dient. Einen solchen hat Kant durch seine Begriffe
der formellen und der inneren Zweckmässigkeit gegeben, aber er blieb fttr
die reine Schönheit negativ. Indem Schiller die beiden Begriffe Kants in
seinem Begriffe „Freiheit in der Erscheinung'' zusammenfossie, schui er
für die ästhetische Betrachtung einen positiven Leitsatz, denn seine Freiheit
ist als Selbstbestimmung durchaus positiv. Freilich wendet sich dieser
Leitsatz an das Gefühl, in der Voraussetzung, dass auch in diesem Gebiete
etwas Allgemein-Menschliches vorhanden ist Sucht man ihn für
den Verstand zu formen, so wird er sofort wieder negativ, da nur fest-
gestellt werden kann, dass dieser eine Begel tOi den Gegenstand sucht,
sie aber ausserhalb dessen zu finden nicht imstande ist.
Li der Kant-Schiller'sohen Aesthestik ist das Schöne von dem wissen-
schaftlichen und von dem ethischen Ideale völlig gelöst. Gleichwohl war
das Schöne für Kant ein Symbol des Guten, und auch für Schiller ist es
ein ,Analogon' dazu. Selbstbestimmung waltet im Beiche des Schönen,
Sdbstbestimmung soll auch im Beiche des Ghiten die Herrschaft haben.
Die Selbstbestimmung im Beiche des Schönen ist aber keine Selbstbestim-
mung durch ethische Gebote, sie ist hier gedacht als eine Urkraft, durch
■
WeloKe sioli ein Gegenstand der Sinnenwelt das Gesetz seines ganzen Da-
seins selbst zn geben scheint. Das Gemeinsame liegt für beide Reiche in
dem Gegensatze zn der änsserlich gegebenen naturgesetzlichen Notwendig-
keit der Erscheinungen, ihr gegenüber weist das Beioh des Schönen auf
das ßeich des Guten hin, und umgekehrt, denn beider Lebensodem ist:
„Selbstbestimmung/'
Die „grosse Idee der Selbstbestimmung^' beherrscht von nun an alle
ästbeÜBohen Betrachtungen Schillers, die so sorgsam vorbereitete Ab-
hondlmig „Eallias'' selbst ist allerdings niemals b\s Ganzes zustande ge-
kommen. Mancherlei Arbeit und vor allem „das alte üebel" hinderten
zunächst ihre Vollendung, und später folgte Schiller der Mahnung, welche
ihm Kömer bereits im letzten Baphaelbriefe gegeben, er besann sich auf
seine dichterische Sendung. Im Mai und Juni des Jahres 1793, bei dessen
Beginn die £allias-Briefe entstanden, rang Schiller seinem kranken Körper
wenigstens eine kleine ästhetische Arbeit ab, in welcher er die Prinzipien
jener Briefe auf den Menschen anwandte. Sie erschien unter dem Titel
„Anmut und Würde." •
Schon in dem Briefe vom 18. Februar hatte er dem Menschen „mo-
ralische Schönheit*' zugesprochen, wenn ihm die Pflicht gewissermassen zur
Natur geworden ist. Dieser Gedanke wird jetzt ausgeprägt in dem Be-
griffe der schönen Seele, fibr welche Pflicht und Neigung in voller
Harmonie stehen; eine schöne Seele strahlt Anmut aus.
Goethe hat uns diesen Begriff in „Wilhelm Meister's Lehrjahren" ver-
anschaulicht. Am Schlüsse der „Bekenntnisse" heisst es dort: „Ich erinnere
mich kaum eines Gebotes; nichts erscheint mir in Gestalt eines Gesetzes;
es ist ein Trieb, der mich leitet und mich immer recht führt; ich folge
mit Freiheit meinen Gesinnungen und weiss so wenig von Einschränkung
als von Beue." Als Goethe diese Bekenntnisse an Schiller geschickt hatte,
antwortete dieser (17. Aug. 1795) mit freudiger Zustimmung und fand
namentlich in der Entwicklung der schönen Seele den „üebergang von
der Beligion überhaupt zu der christlichen'' „meisterhaft gedacht'^, deim:
„Hält man sich an den eigentümlichen Charakterzug des Christentums, der
es von aUen monotheistischen Religionen unterscheidet, so liegt er in nichts
anderem als in der Aufhebung des Gesetzes, des Kantischen Imperativs,
an dessen Stelle das Christentum eine freie Neigung gesetzt haben will.
Es ist also, in seiner reinen Form, Darstellung schöner Sittlichkeit oder
der Menschwerdung des Heiligen , und in diesem Sinne die einzige
ästhetische Religion.'^
Da der Begriff der schönen Seele aber ein Ideal bezeichnet, welches
der Mensch tatsächlich nur in einer gewissen Annäherung und jedenfalls
in den Stürmen des Lebens nicht dauernd erreichen kann, so tritt neben
dieses Ideal ein zweites, der erhabene Charakter, dessen Erscheinung
Würde ist. Für die schöne Seele ist das Gesetz als fremde, gebietende
10*
140
Maokt anfgekoben, weil es in ihrem Willen lebt, sie stellt das Gleiolx«
gewicht von Sinnlichkeit und Yemunft dar, welches der Menschheit im
Menschen entspricht, der erhabene Charakter bezeichnet die Herrschaft der
Yemnnft über die Sinnlichkeit, welche bei Störung jenes Gleichgewichtes
notwendig wird.
Was für den einzelnen Menschen gilt, hat auch Bedentang für eine
Gesamtheit von Menschen und damit fär die geschichtliche Entwicklung
des Menschengeschlechtes. Das Ideal der schönen Seele hat sich bish»
am vollkommensten in der hellenischen Kultur dargestellt, und damit ist
anch f&r die Zukunft eine bestimmte Aufgabe gesteUt, nämlich, dieses Ideal
unter veränderten Umständen von neuem möglichst vollkommen zu ge-
stalten, wie es auch im Grunde das Christentum will. Diese GManken
wurden von Schiller weiter ausgeführt in den „Briefen über die ästhetische
Erziehung des Menschen'^ welche 1796 in den Hören erschienen. Sie sind
hervorgegangen aus Briefen, welche Schiller an seinen hochherzigen G<)nner,
den Herzog von Augustenburg, geschrieben hatte; deren erster f&llt schon
in die Zeit der Kallias-Üntersuchungen.
Vorbereitet wurden diese Briefe durch Sohiller's Besprechung der Ge-
dichte Matthisons. Sie beschäftigen sich zwar mit der Schönheit der Land-
schaft, kommen aber zu dem Ergebnis, dass diese nur vorhanden ist, wenn
die Landschaft uns anspricht wie eine schöne Seele. Es gibt für den
Menschen keine andere Schönheit als menschliche Schönheit, auch die
Musik muss „Seelengemälde^^ geben, und diese menschliche Schönheit ent-
spricht stäts dem Gleichgewichte von Sinnlichkeit und Vernunft
Von diesem Gleichgewichte im einzelnen Menschen und in einer Ge-
samtheit von Menschen handeln die Briefe über die ästhetische Erziehung,
sie sind ein Werk über den Idealstaat und stehen in der Beihe der
grossen Werke, welche für unsere abendländische Kultur mit Platon's
„Staat^^ und Platon's „Gesetzen^' beginnt. Bei Schiller handelt es sich
dabei um eine ästhetische Erziehung d. h. um eine Erziehung zu schönen
Seelen oder, wie er jetzt lieber sagt, zu ganzen Menschen. Im
benachbarten Frankreich hatte man versucht, einen Vernunftstaat ein-
zufahren, aber der Versuch war kläglich gescheitert, statt der Vernunft
hatte die Sinnlichkeit die Zügel der Herrschaft ergriffen und sowohl Anmut
als Würde verjagt.
Gleichwohl stellt diese geschichtliche Erfahrung eine Au%abe, nämlich
„sich mit dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem
Bau einer wahren politischen Freiheit, zu beschäftigen.^'
um dieses „politische Problem in der Erfahrung zu lösen'', muss man „den
Weg durch das Aesthetische nehmen'', „weil es die Schönheit ist, durch
welche man zur Freiheit wandert." Darum ist eine ästhetische Erziehnng
„weit weniger dem Bedür&isse, als dem G^chmack des Zeitalters fremd*'
(Brief 2).
141
Ein Yemonftstaat sollte in Frankreich geschaffen werden. Was heiöst
das? Eine Gemeinschaft von freien Mensdien, deren Selbstbestimmung
mit den G^etzen ihrer Gemeinschaft in voller Harmonie ist, so dass der
,iStaat nur die deutUohere Formel der innem Gesetzgebung^' der einzelnen
ist (Brief 4).
Für diese Schöpftmg standen aber nur Menschen zur Verfügung, die
dem geschichtlich gegebenen Notstaate angehörten, sinnlich-vernünftige
Wesen, denen das Allgemein-Menschliche noch nicht zu vollem Bewusstsein
gekommen war. Drum musste der Versuch scheitern, er war verfrüht.
Eine grosie Epoche hat das Jahrhondert geboren;
Aber der grosse Moment findet ein kleines Oeschlechtl
Auch in Zukunft hat man mit den Menschen zu rechnen, wie sie nun
einmal sind, nicht mit erträumten Idealen von Menschen, d. h. mit sinnlich-
vernünftigen Wesen, aber man wird dafür sorgen können, dass sich immer
grössere Kreise und in ihnen die einzelnen immer mehr zum Allgemein-
Menschlichen hindurchringen.
Das soll die ästhetische Erziehung bewirken, itidem sie in dem sinn-
lich-vernünftigen Menschen das Gleichgewicht zwischen Sinnlichkeit und
Vernunft herstellt und ihn damit zu einen ganzen Menschen macht, während
die Zeitgenossen zwischen Boh^it und Erschlaffung hin und her schwanken.
Wenn jeder einzelne mit allen Kräften versucht, ein ganzer Mensch
zu werden, so wird sich die Gemeinschaft der ganzen Menschen d. h. der
Vemunftstaat mit der Zeit von selbst bilden.
„Werde ein ganzer Mensch !'* heisst „Werde zur schönen Seele !^', denn
in der Anschauung der Schönheit ftthlen wir, was es heisst, ein ganzer
Mensch zu sein.
Bezeichnet man das tätige Element der Sinnlichkeit, welche das Aeussere
aufnimmt, als „Stofflaieb^ und die Tätigkeit der Vernunft, insofern sie das
Aeussere gestaltet, als „Formtrieb'', so macht das Gleichgewicht beider
Triebe im Menschen diesen zum ganzen Menschen d. h. zur schönen Seele.
Bezeichnet man femer den ästhetischen Trieb, dieses Gleichgewicht
herzustellen, als Spieltrieb, so gilt : „Der Mensch spielt nxur, wo er in voller
Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo
er spielt.''
Der Spieltrieb fordert, alles Innere zu veräussem und alles Aeussere
zu gestalten, d. h. das Innere nicht als leere Form und das Aeussere nicht
als blossen Stoff zu besitzen, sondern das Empfitngene schon im Empfangen
zu gestalten.
Dieser Einheit von Empfangen und Gestalten entspricht das reine
ästhetische Wohlgefallen, welches auf Schönheit deutet
So erzengt der Spieltrieb den schönen Gegenstand, indem er den
lebendig flutenden Stoff im Au&ehmen gestaltet, und so erscheint der
148
ft(^foe Oegenstaad selbst als „lebende Gestalt^ d. L als gestaltetes
Leben oder lebendig gewordene Form^ nicht als roher Emdmok und nicht
als tote Abstraction.
Die Schönheit hat das Gleichgewicht zwischen Stofffarieb nnd Formtrieb
wiederherznstellen, wenn es gestört ist. Dies tat sie, indem sie nns, bald
den einen und bald den anderen Trieb verstärkend oder abschwächend, von
dem einseitigen Drucke befreit, welcher dem üebergewichte des einoi oder
des anderen Triebes entspricht. Sie zeigt uns das Leben, wenn wir xma
in Abstractionen verlieren, und lehrt uns Gestaltung, wenn wir in rohen
EindrAcken verkommen.
So wirkt die Schönheit einerseits „anspannend^, indem sie die Triebe
verstärkt^ und andererseits „auflösend^, indem sie die Triebe begrenzt, dabei
aber einen kraftvollen Zustand des Gleichgewichtes herstellt. Das gilt
von dem Ideale der Schönheit für den idealen Menschen, während die
Wirkung der schönen Dinge auf den gegebenen Menschen diesen idealen
Verhältnissen nur angenähert entspricht.
In der Erfahrung haben wir nicht den idealen Menschen gegeben, in
dem ein kraftvoller Zustand des Gleichgewichtes zwischen Sinnlichkeit nnd
Yemunfl herrscht, sondern Menschen mancherlei Art. In dem Drama der
französischen Bevolution zeigten sich „hier Verwilderung, dort Erschlafiung:
die zwei Aeussersten des menschlichen Verfalls^ (Brief 6). Menschen voll
Kraft, aber ohne jede Harmonie stehen an dem einen Ende, am anderen
Menschen ohne Kraft, aber mit einer gewissen, etwa der Buhe eines Kirch-
hofes entsprechenden, Harmonie. ^Die Schalen einer Wage stehen gleich,
wenn sie leer sind, sie stehen aber auch gleich, wenn sie gleiche Ge-
wichte enthalten^ (Brief 20) d. h. neben dem kraftvollen Gleichgewicht
gibt es auch eine kraftlose Buhe.
In der Erfahrung haben wir auch nicht die eine Schönheit des Ideals
gegeben, sondern schöne Dinge voll Harmonie, aber ohne die allerhöchste
Kraftentfaltung, und schöne Dinge mit hoher Kraftentfaltung, aber mit leise
gestörter Harmonie. Das liegt an der ünvoUkommenheit alles Menschlich-
Vollkommenen, wenn man es am Ideale misst.
Die schönen Dinge erster Art zeigen eine „schmelzende^ Schönheit
mit auflösender Wirkung, die zweiter Art, bei denen das üebergewicht
natürlich auf der Seite des Geistigen sein muss, zeigen eine „energische^
Schönheit mit anspannender Wirkung, man denke etwa an die Werke
Baphaels und Michel Angelo's.
Für die Verwilderten ist die schmelzende Schönheit das Heilmittel, fbr
die Erschlafiten die energische, welche im Grande auf einer Verbindung
des Schönen und des Erhabenen beruht.*)
•) Yergl. den AnftaU »Ueber das Erhabene,* welcher ala ForUetsung der »Briefe Ober
die ftfih« tische Eniehoog u. s. w.* ansasehen ist
148
Da jeder Mensch innerlialb gewisser Grenzen Zuständen der Terwilder^
ting und Zuständen der Erschlaihing ausgesetzt ist, so sind auch beide
Schönheiten Heihnittel ftlr jeden Menschen. Zeigt uns die eine die Harmonie,
welche bei höchster Kraftentßdtong das Ideal wäre, so lehrt uns die andere,
namentlich in der Tragödie, „gegenüber der untreue alles Sinnlichen nach
dem Beharrlichen in unserem Busen zu greifen.^
Darum sollen beide Schönheiten fär uns „die Führer des Lebens^ sein,
seine beiden GenieiL*)
mMH srheitenidem Spiel TerkOrst dir der eine die Reise,
Leiehter an seinem Arm werden dir Schicksal and Pflicht
Unter Sehen und Oespr&ch begleitet er bis an die Klaft dich,
Wo an der Ewigkeit Meer schaudernd der Sterbliche steht
Hier empAngt dich entschlossen nnd ernst und schweigend der andre,
Trftf^t mit gigantischem Arm Ober die Tiefs dich hin.
Kimmer widme didi einem allein! Vertrane dem ersten
Deine Wflrde nicht an, nimmer dem andern dein Glack.**
Freilich, die ästhetische Wirkung beider Schönheiten ist in allen
Fällen nur eine: jener mittlere Zustand, in welchem der Kampf zwischen
Stofitrieb und Fonntrieb aufgehört hat, nicht weil beide bis zur Vernichtung
geschwächt sind, sondern weil sie in kraftvollem Gleichgewichte stehen,
um dem Spieltrieb das Feld zu überlassen.
„Durch die ästhetische Kultur*' wird also weiter nichts erreicht, als
dass dem Menschen „die Freiheit, zu sein, was er sein soll, vollkommen
zurfickgegeben ist. Eben dadurch aber ist unendliches erreicht. Denn,
sobald wir uns erinnern, dass eben durch die einseitige Nötigung der Natur
beim Empfinden und durch die ausschliessende Gesetzgebung der Vernunft
beim Denken gerade diese Freiheit entzogen wurde, so mtlssen wir das
Vermögen, welches ihm in der ästhetischen Stimmung zurückgegeben wird,
als die höchste aller Schenkrmgen, als die Schenkung der Menschheit
betrachten«^ (Brief 21).
Diese Freiheit soll dei' Mensch benützen, um sich gemäss seiner Ver-
nunft selbst zu bestimmen, aber dazu muss er sich erst dieser Freiheit
bewusst werden und sie gebrauchen lernen. „Durch die ästhetische Ge-
mütsstimmung wird [also] die Selbsttätigkeit der Vernunft schon auf dem
Felde der Sinnlichkeit eröffiiet, die Macht der Empfindung schon innerhalb
ihrer eignen Grenzen gebrochen, und der physische Mensch so weit ver-
edelt, dass nunmehr der geistige sich nach Gesetzen der Freiheit aus der-
selben bloss zu entwickeln braucht
^Mit einem Wort: es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen
vernünftig zu machen, als dass man denselben zuvor ästhetisch macht''
(Brief 23).
*) Das betr. Gedicht aof den Hören (1795) katte dort die üebenchrift .SehAn ond
144
i,t)6r Mensch in seinem pliysiselien Znstand erleidet bloss die Haobt
derNatnr; er entledigt sich dieser Madit in dem ästhetischen Zustand,
nnd er beherrscht sie in dem moralischen'' (Brief 24).
Das gilt f&r den einzehien Menschen nnd auch ftbr die G^eschichte des
m^ischlichen Geschlechtes.
Als Ziel der Entwicklung aber winkt das Ideal einer dauernden Harmonie
zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, d^in der Genuss des Schönen beseugt
uns ja ,,die Vereinbarkeit beider Naturen, die AusMirbarkeit des un-
endlichen in der Endlichkeit, mithin die Möglichkeit der erhabensten Mensch-
heit'' (Brief 25).
An diesem Ideale hat das menschliche Geschlecht gearbeitet, seit sioh
in ihm ^die Freude am Schein, die Neigung zum Putz und zum Spiele"
gezeigt hat (Brief 26), denn diese Freude und diese Neigung ist das erste
Zeichen eiaes ästhetischen Bedürfiiisses und einer ästhetischen Gestaltung.
Damit wird eine neue Welt angetan, die im Gegensätze steht zu der
realen Welt der Naturgesetze und zu der realen Welt der religiös-ethischen
Gebote, „das wesenlose Beich der Einbildungskraft" (Brief 26).
„Mitten in dem furchtbaren Beiche der Kräfte und mitten in dem
heiligen Bdche der Gesetze baut der ästhetische Bfldungstrieb unvermerkt
an einem dritten fröhlichen Beiche des Spiels und des Scheins, worin er
dem Menschen die Fessel aller Verhältnisse abnimmt und ihn von Allem,
was Zwang heisst, sowohl im Physischen als im Moralischen entbindet."
„Freiheit zu geben durch Freiheit, ist das Gh-undgesetz dieses
Beichs."
In diesem Beiche werden keine Aufgaben der Wissenschaft gelöst,
keine Gebote der Sittlichkeit erfüllt und auch keine anderen Bedürfiusse
des Lebens befriedigt, abgesehen von dem einen, Harmonie zu zeigen und
damit auch zu geben.
Darum ist das Beich des Scheins doch von höchst realer Wirkung:
„Es bringt Harmonie in die Oesellschafl, weil es Harmonie in den Individuen
stiftet."
So bereitet das Beich des Scheins langsam einen idealen Staat vor,
wie ihn die französische Bevolution zu früh zu schaffen unternahm, eine
harmonische Vereinigung von ganzen Menschen d. h. eine schöne Menschheit
„Dem Bedürfnisse nach" ist ein solcher Idealstaat „in jeder feingestinmiten
Seele; der Tat nach möchte man ihn wohl nur, wie die reine Elirche und
die reine Bepublik, in einigen wenigen auserlesenen Cirkeln finden, wo
nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigene schöne Nator
das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Verhältnisse mit
kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht und weder nötig hat, fremde
Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg-
zuwerfen, um Anmut zu zeigen." (Brief 27.)
14S
Hit dieser kritisolien Begrenzung sdüiesst die grossaridg angelegte nnd
geistvoll dnrohgeftlhrte üntersnohong über den Idealstaat Beohnet man
die Abhandlung ,,üeber das Erhab^ie^ mit sn dieser Untersnchong, so
bleibt nun nnr noch eine Hauptfrage zu erledigen, nachdem einmal der
Kallias-Plan auf den Menschen eingeschränkt worden war: die Stellung
des Künstlers und des Dichters im besonderen musste noch genauer be-
stimmt werden.
Diese weitere Au%abe löst Schiller in der Abhandlung ^üeber naive
und sentimentaUsche Dichtung.'' Es gibt hoch begnadete Menschen, welche
die Harmonie von Sinnlichkeit und Yemunfb in hohem Maasse in sich be-
siteen und sie auch in der Welt überall schauen. Haben solche Menschep
auch die erforderliche Kunst der Gestaltung, so werden sie zu „naiven'^
Künstlern. Diesen stehen andere hoch begnadete Menschen gegenüber,
welche das Bedürfius nach jener Harmonie deutlich fCÜüen, sie aber weder
in sich vorfinden noch in der Welt schauen. Gelingt es ihnen, diese Ebr-
monie in sich herzustellen, so übertragen sie sie nun auch auf die Welt,
aber die Welt entt&uscht ihre Erwartungen, und so messen sie die Wirklich-
keit stäts an ihrem Ideale.
Haben solche Menschen auch die erforderliche Kraft der Gestaltung,
so werden sie zu „sentimentali sehen'' Künstlern. Diese sind Sa-
tiriker, wenn sie die Wirklichkeit im Vergleiche mit ihrem Ideale bewerten,
hinter der scherzhaften Satire steht die Heiterkeit einer schönen Seele,
hinter der strafenden Satire die üeberlegenheit eines erhabenen Charakters.
Sie schaffen Idyllen, wenn sie die Verwirklichung des Ideales preisen, sie
schaffen Elegien, wenn sie darüber klagen, dass es nicht verwirklicht ist.
Sieht der sentimentalische Künstler überdies in der Geschidite des
Menschengeschlechtes einen Gang aus der Natur durch die Kultur zu
einer höheren Natur und findet er diese höhere Natur in der hellenischen
Welt und im Zeitalt^ der Eenaissance angenähert verwirklicht, so wird
ihm die Elegie zu einer Klage um ein verlorenes Ideal und die Idylle zur
Darstellung einer Zukunft, für welche die Vergangenheit wenigstens einzelne
Bestimmungen darbietet.
Ln gemeinen Leben entspricht dem naiven Künstler der Bealist,
dessen Zerrbild der platte Empiriker ist, dem sentimentalischen Künstler
der Idealist, dessen Zerrbild der überspannte Phantast ist. Der Bealist
sieht zunächst auf die Notwendigkeit in den Dingen, und dann erst auf
die Notwendigkeit in sich selbst, der Idealist macht den umgekehrten
Gang. In der Anerkennung der Notwendigkeit, die den Menschen und
seine Welt um&sst, begegnen sich beide, von ihr zeugt auch der naive
und der sentimentalische Künstler. Diese Notwendigkeit ist auch für
den naiven Künstler nicht die äussere Notwendigkeit der Wirklichkeit,
sondern die innere Notwendigkeit der Selbstbestimmung; auch das Stück
146
Welt, wolohee er in seinem Kunstwerke als Ganzes darstdlt, ist kein Ans-
sofanitt der Wirklichkeit, sondern ein Gebilde des schönen Scheins.
Eine „innere Notwendigkeit des Daseins^ spricht zu nns ans den
grossen Kunstwerken, mögen ihre Schöpfer nun naiv oder sentimentalisch
veranlagt sein, nicht zügellose Freiheit und nicht ein toter Zwang.
Mit dieser abschliessenden*) Untersuchung, durch welche der Begriff
der ästhetischen Kultur erst seine volle Yeranschaulichung erhält, hat
Schiller zugleich die Art seines eigenen Schaffens vor sich selbst gerecht-
fertigt und das Verständnis für anderes Schaffen gewonnen. Ehrst jetzt
konnte er der Mahnung Kömer's folgen, wieder ein „Schöj^r^ zu sdn.
„um der Ausübung selbst wegen philosophiere ich gern über die
Theorie, die Kritik muss mir selbst den Schaden ersetzen, den sie mir
zugefägt hat, . . . und geschadet hat sie mir in der Tat^ — so hatte
Schiller einst an Kömer (25. Mai 1792) geschrieben, jetzt war der Schilden
wirklich ersetzt.
Nicht ein unbegreiflicher Irrweg des Dichters ist also sein Gang zur
Aesthetik, sondern ein fflr ihn notwendiger Umweg, um zur Höhe zu ge-
langen. Der naive Dichter flihlt kaum das Bedürfiris, sich über die Art seines
Schaffens klar zu werden, ihm „stürmen des Gesanges Wellen hervor aus
nie entdeckten Quellen^. Anders der sentimentalische Künstler in seinem
Ringen um das Ideal! Man denke neben Schiller an Lionardo da Vind
oder an Sichard Wagner!
Auf diesem Umwege zur Höhe hat aber Schiller nicht nur sich selbst
gerechtfertigt und das Verständnis tür Andere erschlossen, er hat vielmehr
überdies für alle Zeiten den Begriff der ästhetischen Kultur festgestellt
und ihn in seiner Fülle veranschaulicht. Dabei gilt für ihn das Wort
Palleske's, seines begeisterten Biographen : „Vielleicht kein Mensch hat sich
so umgeschaffen, wie Schiller, und wenige sind sidi so treu geblieben.^
Er ist davon ausgegangen, den Menschen als ein sinnlich-ver-
nünftiges Wesen au&ufiissen, dem Sinnh'chkeit bei aller Entwickelung
ebenso notwendig bleibt wie Vernunft. Er hat damit geendet, gerade im
Gleichgewichte von Sinnlichkeit und Vernunft das Kennzeichen des idealen
Menschen zu sehen, der a]s schöne Seele Erscheinung bleibt, aber in dieser
seine Freiheit zeigt
In diesem inneren Gleichgewichte fand er die Harmonie, welche
er ursprünglich mit seinen älteren Zeitgenossen ausserhalb gesucht
hatte, in der Welt als göttlichem Kunstwerke.
Nicht die ganze Welt spiegelt diese innere Harmonie wieder, sondern
nur das Schöne in der Welt, und so wird Freiheit in der Erscheinung
auch der Ghrund alles Schönen.
*) Abgeiehen ton kleinen Aafsitien, welche noch diesen oder jenen Punkt der itthe-
tiichen Theorie weiter aosüUirten.
147
Dabei trennt sich freilioli ttr den Meneohen, wie er zurzeit ist, das
Ideal des Sdiönen von seinen anderen beiden Idealen, aber diese Trennung
gilt nicht itkr den Menschen, wie er werden soll, für die schöne Seele, bei
der Pflicht und Neigong eins geworden sind aof dem Grunde der Wahrheit
um den Menschen, wie er ist, zur schönen Seele zu machen, muss
man das Allgemein-Menschliche in ihm, seine Menschheit, befreien, und
dazu dient die ftsthetische Kultur. Darin liegt die Bedeutung der Erziehung
durch die Kunst, und so kommt es dem Künstler zu, eine Welt des schönen
Scheins za gestalten, welche die Menschheit im einzelnen Menschen frei
zu machen imstande ist.
Die Wandlung der ursprünglichen Ansichten Schillers, welche bei
aller Treue gegen jene stattgefunden hat, lässt sich aus ein^n Punkte be-
greifen: er fismd im Wesen des Menschen das Mittel, alles Zerstreute
miter Umbildung zum Ganzen zu formen.
Dieses Mittel boten ihm die Kantischen Kritiken dar, als er selbst
schon nahe daran war, es zu ergreifen, erschien ihm doch die Kritik der
praktischen Vernunft sogar nxu: als wissenschaftliche Darstellung der „ver-
jährten Ansprüche der gemeinen Vernunft und der Tatsachen des moralischen
Instmkts, den die weise Natur dem Menschen zum Vormund setzte, bis
die helle Einsicht ihn mündig macht^ (üeber die ästhet. Erz., Brief 1).
Was Schiller der Aesthetik Kant's hinzufügte, lässt sich mit einem
Worte sagen: indem er den Kantischen Begriff der Schönheit einer leichten
TJmwandluoig unterzog, vermochte er das Becht der Sinnlichkeit auf dem
Ästhetischen Gebiete voll zu wahren.
So gleicht er den Göttern der Edda, die den leblosen Bäumen Seele
und sinnige Bede gaben, und Blut und blühende Farbe, damit sie zu
Menschen würden.
Schiller blieb eben auch der begeisterte und begeisternde Dichter, als
er vorübergehend zum Aesthetiker wurde, denn er brauchte diese Aesthetik
als Dichter.
Kein Wunder, dass die ersten Schöpfungen des Dichters nach dieser
Zeit der Selbstbestimmung den grossen Kulturgedanken galten, die er als
Aesthetiker entwickelt hatte. Von ihnen, unter denen „Ideal und Leben^
und „Der Spaziergang^ die erste Stelle einnehmen, geht der Dichter vor-
wärts zu den Balladen, um dann zum Drama ssurückzukehren. Dazwischen
&llt das Stra%ericht der Xenien, durch welches er mit seinem neuen
IVeunde Goethe in engstem Bunde die Ansprüche echter Kunst gegenüber
aller Mittelmässigkeit und Niedrigkeit kraftvoll wahrt Wie die Freund-
schaft mit Kömer fär Schiller in der Zeit der Selbstbesinnung von
höchster Bedeutung war, so wurde es die Freundschaft mit Goethe in der
Zeit seiner neuen Schöpfungen.
Nach mannigfistchen Missverständnissen hatten sich die beiden Grossen
gefunden, Beide vom Leide dee Lebens berührt. Nadi Goethe's Zusage,
148
an Sohiller's nener Zeitsohiifk, den Hören mitenwirken (Jnni 1794), knüpft
ein Gespräoh in Jena über natorwiBsenBohafUiolie Methoden ein erstes
inneres Band zwischen Beiden (Juli 1794), und bald (Angnst 1794) folgt
der entscheidende Brief Schiller's, in welchem er die „Summe Yon Gbethe's
Existenz'' zieht, xmd Gt)ethe bekennt, dass er „noch nie so verstanden''
worden sei.
Die Sohiller'sohe Abhandlung „üeber Anmut und WOrde" (1798) hatte
Gh>ethe noch entschieden abgelehnt, er £EUid hier, dass „eine ungeheare
Eluft zwischen ihren Denkweisen" l&ge (Annalen 1794), den „Briefen über
die ästhetische Erziehung des Mensch^i" (1794/5) stimmte er dagegen freudig
zu, und doch standen die grundlegenden G^edanken beider Arbeiten in
voller Harmonie. Gt>ethe hatte inzwischen Schiller wirklich kennen gelernt,
ihn selbst als Menschen und das, was er erstrebte.
Was Goethe für Schiller geworden, lässt sich auf eine kurze Formel
bringen: er führte ihn vom Notwendigen im Menschen zum Notwendigen
in der Natur.
Dieser Einfluss Qt)ethe's lässt sich schon fiür die 2ieit nachweisen,
welche vor der Freundschaft der Beiden liegt.*) Was er bedeutet, zeigt
uns z. B. die Aenderung, welche Schiller in seiner Ballade „Die Eraniche
des Ibycus" auf Gk)ethe's Bat vornahm. Im ersten Entwürfe waren die
Kraniche, der Sage entsprechend, eingeführt wie ein Wunder, aber Goethe
schrieb dazu „Die Eraniche sollen, als Zugvögel, ein ganzer Schwärm sein,
die sowohl über den Ibycus als über das Theater wegfliegen. Sie kommen
als Naturphänomen und stellen sich so neben die Sonne und andere regel-
mässige Erscheinungen u. s. w." und später „Sie sehen, dass es mir darom
zu tun ist, aus diesen Kranichen ein langes und breites Phänomen zu
machen, welches sich wieder mit dem langen verstrickenden Faden der
Eumeniden nach meiner Vorstellung gut verbinden würde." Dieser, sich
mehr und mehr steigernde Einfluss Goethe's lässt sich auch in den Meister-
dramen Schiller's getan verfolgen, vom Wallenstein (1796 bis 1799) an,
in welchem auf Goethe's Veranlassung der Einfluss der Gestirne zu einem
wesentlichen Bestandteil wurde, bis zum Teil (1804), in welchem ein ganzes
Volk gewissermaassen aus seinem heimatlichen Boden herauswächst, einig
mit seiner grossen Natur und unbekannt mit dem Widerstreite zwischen
Pflicht und Neigung, aber bereit und tüchtig zum Kampf mit den fremden
Gewalten, die seinen Frieden frevelhaft zu stören wagen.
In den Dichtungen der Lehr- und Wandeijahre Schillers ist die Nator
für den Menschen nur ein Aeusserliches (Staffage), trotz allen theoretischen
Ansichten über die Harmonie der Welt, in den Werken der Meisteijahre
wird die Verbindung zwischen dem Notwendigen im Menschen und dem
Notwendigen in der Natur immer inniger.
^) Vgl %. B. den Brief Kernen an SdüUer Tom 6. Oktober 1790.
14ft
Biesen AlbschlaBB zeigen neben dem Teil besonders anck die Wunder-^
baren Marfin-Sz^ien ans dem zweiten Akte des nnvollendeten „Demetrins'',
mit dessen Ausgestaltung sich Schiller bis zum letzten Atemzug unausgesetzt
besohftftigte. In die winterUoh erstarrten Gefilde, welohe das entlegene
Kloster am öden Belosero-See umschliessen, dringt der erste Hauch des
Frühlings, aber Marfa, die gebannte Zarin- Witwe, die einst mit ihrem
jungen Sohne Alles verloren, bleibt „versenkt im ew'gen Schmerz". Der
Lenzesfreude d^ Ellosterschwestem steht sie fremd und ohne Teilnahme
gegenüber, sie will keine „Heilung von der Zeit'' annehmen, keinen „Ersatz
fyfa Menschliche'' suchen und finden, sie weiss nur das Eine:
pWie des Himinali Gewölbe ewig mit dem Waodrer geht,
Ihn immer, imermeMlieh, gans nmftngt,
Wohin ich fliehend auch die Schritte wende;
So geht mein Schmen mit mir, wohin ich wandle;
Er sehlietst mich ein, wie ein nnendUch Meer;
Nie ansgetchöpft hat ihn mein ewig Weinen.**
Da dringt mit dem neuen Leben der Natur auch neues Leben in
Marf a's erstarrte Seele ; dem Gerüchte, dass ihr Sohn nicht tot sei und nun
mit Heeresmacht sein altes Erbe fordere, folgt die Botschaft des Zaren,
ond seine „Furcht" bestätigt ihr das Wunder. Sie erkennt ihn an:
„Er iit mein Sohn; ich glaub' an ihn, ich will's«
Ich teste mit lebendigem Yertranen
Die Bettang an, die mir der Himmel sendet!'*
Das Dasein hat wieder eine Bedeutung ftlr sie bekommen.
Bei Alledem handelt es sich aber im Grunde nicht um noch so wichtige
Einzelheiten, sondern um eine weitere Ausgestaltung der Weltanschauung.
Schiller's Abhandlung „üeber Anmut und Würde" hatte Goethe abge-
stossen, weU ihr Verfasser „im höchsten Gefilhle der Freiheit und Selbst-
bestimmung" die grosse Mutter Natur nicht als „selbständig, lebendig, vom
Tiefsten bis zum Höchsten gesetzlich hervorbringend" betrachtet hatte —
darum war die Begegnung in Jena (Juni 1794) mit der Unterhaltung über
die naturwissenschaftliche Methode so klärend fClr das Verhältnis der beiden
Ghx)ssen, denn Goethe £and dabei Schiller durchaus nicht unzugänglich für
jene Betrachtung. Nun konnte Goethe die „Briefe über die aesthetische
Erziehung des Menschen", obwohl sie mit jener Abhandlung in den Grund-
gedanken durchaus übereinstimmten, freudig gemessen und begeistert an-
erkennen, denn die „Eluft" von damals war überbrückt.
Dafür blieb dem Dichter Goethe die Aufgabe, auch den Dichter Schiller
unausgesetzt auf die grosse Mutter hinzuweisen.
Schiller lernte in der Tat, ohne seine Eigenart au&ugeben, hier mit
Goeihe's Augen sehen. Daher die sich immer steigernde Anerkennung, mit
der dieser den Meisterdramen des Freundes folgt. Als endlich der „Tdl"
im Werden ist, schreibt er ihm: „Schicken Sie mir noch einen Akt Teil,
80 kann midi nichts Böses mehr anwehen." Diesw Rinfluss Gtoethe's
m
kommt deatHck zum Ausdruck, als Schiller in der Vorrede zur ,3^^^^ ^^^
Messina" seine ganze Aesthetik noch einmal kurz zusammenfassi.
In den „Briefen über die ftsthetische Erziehung des Menschen^ zeigt
das Beich des schönen Scheines, welches der Künstler 8cha£ft, noch eine
gewisse Unbestimmtheit. Jetzt wird dieses Beich als eine höhere Natur
bezeichnet, die unter der Decke der Erscheinungen liegt, aber selbst niemals
zur Erscheinung kommt. „Bloss der Kunst des Ideales ist es verliehen,
oder vielmehr, es ist ihr aufgegeben, diesen Oeist des AUs zu ergreifen
und in einer körperlichen Form zu binden.^
Damit endet. Schiller bei der Anerkennung der Harmonie, mit der er
begonnen hatte, nur dass sie nicht in der Welt der Erscheinungen liegt,
sondern hinter dieser, im tie&ten Wesen alles Seienden.
Damit brachte Schiller seine eigene Entwicklung zum Abschluss, und
zugleich einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Aesthetik.
Was Schiller andererseits für Goethe geworden, sagt uns das eine
Wort „Sie haben mich wieder zum Dichter gemacht.^
Durch die bfldende Kunst wollte Goethe sein Volk erziehen, als er
aus Italien zurückkehrte, voll von reichen Anschauungen, aber sein Wille
erlahmte rasch, bei der Ungunst der Verhältnisse.
Schiller's hohes „Geftlhl der Freiheit und Selbstbestimmung^, das Not-
wendige im Menschen, weckte ihn von neuem, und lehrte ihn, das Not-
wendige in der Natur auch wieder dichterisch gestalten, um endlich, im
Faust, sogar einen freien Boden für ein freies Volk zu fordern.
Als Schiller ihm die ersten „Briefe über die ästhetische Erziehung
der Menschen'' in Handschrift schickte, schrieb er (26. Oktober 1794):
„Wie uns ein köstlicher unserer Natur analoger Trank willig hinunter-
schleicht und auf der Zunge schon durch gute Stimmung des Nervensjrstems
seine heilsame Wirkung zeigt, so waren mir diese Briefe angenehm und
wohltätig, und wie sollte es anders sein, da ich das, was ich für Beoht
seit langer Zeit erkannte, was ich teils lebte, teils zu leben wünschte, auf
eine so zusammenhängende und edle Weise vorgetragen fcmd.^ So be-
zeichnen diese Briefe, welche auch Elant „vortrefflich^ fand (Brief an Schiller
vom 30. März 1794), die gemeinsame Au%abe der beiden Grossen.
Nach dem Strafgerichte der Xenien sahen Goethe und Schiller tatsächlich
ihre Werke nur als Teile e i n e s gemeinsamen Werkes an, fdr welches
jene, auf dem Grunde der Kantischen Philosophie erwachsene, Betrachtangen
über die ästhetische Erziehung den Plan genau bezeichnet hatten.
So erscheinen uns E^ant, Goethe und Schiller in enger Verbindung
als die grossen Vertreter des deutschen Idealismus im Zeitalter
der französischen Eevolution.
„Sich nicht von den Ding^i formen zu lassen, sondern aus motk selbst
die Dinge zu formen^ ist ihre gemeinsame Mahnung.
ist
tTm die Era^ zu dies^ Formung frei zu machen, soheint Sckiller und
Gk)ethe eine ftsthetische Erziehung notwendig, und Kant findet dies vor-
trefflich. Die Eunst ist ihnen die grosse Befreierin, die den Menschen zu
sich selbst führt, sie steht aber nur im Dienste der Schönheit. Dies gilt
zunfichst für die Zeit des gemeinsamen Scha£fens der beiden Dichter, aber
noch im Jahre 1826 sagt Goethe : „Die Musik aber so wenig als irgend eine
andere Kunst vermag auf Moralität zu wirken, und immer ist es falsch, wenn
man solche Leistungen von ihnen verlangt'' (Nachlese zu Aristoteles Poetik).
Die ftsthetische Erziehung erftkllt demnach nur ihre Angabe, wenn
der Befreiung auch wirklich eine Selbstbestimmung folgt,
die den Befreiten vorwärts bringt
Dass dem so sein müsse, ist die allgemeine Voraussetzung fast aller
filhrenden Geister im Zeitalter der französischen Sevolution. Es ist nicht
nur ein geschichtlich gegebener Zufall, dass Schiller an die politischen
Ereignisse der Zeit anknüpft, um ftr seinen ästhetischen Staat Verständnis
zu erwecken.
Die französische Bevolution wurde durch einen Grundgedanken ge-
tragen, man setzte voraus, dass nach Beseitigung der geschichtlich gegebenen
], Gesetze und Bechte,'' die sich „wie eine ewige Krankheit'' fortgeschleppt
hatten, das Vernünftige von selbst kommen müsse gemäss dem „Rechte,
das mit uns geboren" wird.
So hingen auch im Bewusstsein der Zeit die leitenden Ideen „Frei-
heit, Gleichheit und Brüderlichkeit" wirklich zusammen, denn
mit der Befreiung scheinen ja alle unterschiede der einzelnen Menschen
fortzufallen, und dann war ja eine brüderliche Gemeinschaft der gleich
Gewordenen nur natürlich, ein Vemunflstaat, in dem der Wille der Gesamt-
heit mit dem Willen jedes Einzelnen in Harmonie steht.
Nicht umsonst hatte Bousseau das Progranmi vorgezeichnet: j^Tout e$t
ticHj sartant de$ mains de tAuteur de$ €ho$e$; taut degenire entre le$ main$
de thamme."
Dieses Programm beherrscht aber auch den zeitgenössischen deutschen
Idealismus, daher die Begeisterung für die Anfänge der französischen
Bevolution, welcher die Ernüchterung freilich nur allzubald folgte.
Während man sich in Frankreich anschickte, durch ein Meer von Blut
zun |,Kultus der Vernunft" zu schreiten, hatte Eiant in stiller Zurück-
gezogenheit seine dritte Kritik vollendet. Sein gesamte kritische Arbeit
galt der Frage, was die menschliche Vernunft gemäss ihrer nun einmal
gegebenen Anlage auf dem Gebieten des Erkennens, WoUens und Fühlens
aus sich heraus zu leisten vermag.
Insofern sich diese Frage auf die menschliche Vernunft bezieht, deutet
sie flchon auf die Voraussetzung hin, unter der Kant seine Ijösung gewinnt:
der vernünftige Kern ist in allen Menschen der selbe.
m
Damm sind Erkenntnisse, sittliche Gebote und ästhetische Gefiähle, bei
welchen sich ein Mensch in Uebereinstimmung mit seiner Yemonft findet^
von allgemeiner Gültigkeit für alle Menschen.
Die selbe Yoranssetznng finden wir bei Schiller in Bessng auf den sinn-
Uch-vemünftigen Menschen, am klarsten vielleicht in jener Stelle der Briefe
über ästhetische Erziehung, in der er sich auf seinen Freund Fichte besieht
(Brief 4) : „Jeder individuelle Mensch trägt, der Anlage und Bestimmung
nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unverändert
lieber Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzufitimmen die
grosse Au%abe seines Daseins ist. Dieser reine Mensch, der sich, mehr
oder weniger deutlich, in jedem Subjekte zu erkennen gibt, wird repräsen-
tiert durch den Staat. ^
Auch ftir Goethe hat das Allgemein-Menschliche als reine Menschlichk^t
ursprünglich die Bedeutung eines Ideales. Aus der Stimmung seiner
„Iphigenie^ heraus (1787) sclureibt er noch am Abende seines Lebens (31. Mai
1827) für den Schauspieler Erüger die Widmung:
»Alle menschlidieii Gebrechen
Sohoet reine MenBchlichkeit.*
Wie steht es um diese Voraussetzung? Gibt es in jedem MenscheUi
entsprechend dem auch von Herder so lebendig gestalteten Begriffe der
Humanität, ein Allgemein-Menschliches, welches zugleich
das Ideal des Menschen ist? Weim wir eine Gruppe von Dingen
unter dem Begriffe „Mensch^ zusammenfitssen, so setzen wir allerdings
voraus, dass in allen etwas Gemeinsames ist. Ob dieses Gemeinsame aber
auch das Wertvolle ist, welches wir in höchster Steigerung zum Ideale
erheben müssen, das ist eine Frage für sich. Kann dieses Wertvolle nicht
gerade ausserhalb des Kreises des Allgemeinen liegen? Kann es nicht
ein Besonderes sein, das sich nur bei Auserwählten findet, um, natürlich
in Verbindung mit dem Allgemeinen, auf das Ideal hinzuweisen ? Gbethe
hat sich in seiner späteren Zeit jedenfalls filr letzteres entschieden, die
Persönlichkeit, welche „Volk und Knecht und üeberwinder" als das
höchste Glück erstreben, greift über den Kreis des Allgemein-Mensohlichen
hinaus, sie ist ein besonderes fbr Jeden.
Dieses Besondere verleiht dem Einzelnen seinen Wert.
«Wer keinen Namen lich erwarb, noch Edles will.
Gehört den Elementen an"
ruft nach Helena's Scheiden (Faust II, Akt 8} die Chorführerin denen s%
die nur fragen: „Welchen Zeitvertreib haben wir?^
Innerhalb der Anschauungen der ästhetischen Briefe kann sich die
grosse Persönlichkeit von dem gewöhnlichen Sterblichen nur dadurch unter«
scheiden I dass sie dem Ideale der reinen Menschlichkeit näher steht, tiur
der Grad der Annäherung an das Ideal bestimmt den Wert den
Einzelnen. Dem entsprechen dort auch die Betrachtungen Schillers über
-
Person und Zustand (Brief 11), aber schon in den Votiytafeln (1797)
hdisst es:
i^Keliier lei gleich dem Andern, doch gleich sei Jeder dem Höchitenf
Wie das sa machen? Es sei Jeder roUendet in sich/*
Damit ist auch bei Schiller das Problem der Persönlichkeit wenigstens
bezeichnet, und unausgesprochen bestimmt dieser Begriff überhaupt die
grossen Gestalten seiner Meisterdramen.
Persönlichkeit sprechen wir einem Menschen zu, wenn er eine Welt-
anschauung besitzt, welche nicht als trockener Schemen der Abstraktion
über seinem Innersten schwebt, sondern in diesem wurzelt, und so auch
sein Handeln und sein Fühlen bestinmit.
Als Persönlichkeit wird die „Menschheit im Menschen^ wirklich lebendig,
wertvoll durch das Besondere, was sie im Bahmen des Allgemein-Mensch-
lichen darzubieten hat.
Fassen wir Schiller's „ganzen oder vollendeten Menschen^ als „Per-
sönlichkeit^ auf, so verlieren die Ergebnisse seiner ästhetischen Betrach-
tungen nichts an Kraft, sie gewinnen sogar an Breite ohne ihre Tiefe
einzubüssen.
Wie ist das möglich? Der Begriff des reinen idealischen Menschen,
den jeder individuelle Mensch in sich tragen soll, war für Schiller als
Eind seiner Zeit eine notwendige Voraussetzung seiner philosophischen
Ueberlegungen, aber deren Ergebnisse hängen von dieser Voraussetzung
nicht notwendig ab.
Löst man die Verbindung des Ideenpaares „Freiheit und Gleichheit^,
welche der Zeit der französischen Revolution als unzertrennlich erschien,
80 sieht man, dass nur die Idee der Freiheit eine notwendige Voraus-
setzung der Schiller'schen Philosophie ist.
Das Selbe gilt natürlich in Bezug auf Eant. Nur die der Aussenwelt
zugewendeten Anlagen der Menschen zeigen jene idealische Gleichheit,
während ihre inneren Veranlagungen sehr verschieden sind.
Darum gibt es fär alle Menschen trotz ihrer Freiheit eine gemeinsame
Aussenwelt, deren Gesetzlichkeit die mathematisch-naturwissenschaftliche
Forschung darzustellen hat, während auf dem, durch die Sittlichkeit be-
herrschten Gebiet von Becht und Sitte und in dem Reiche des Schönen
der Kampf der Meinungen in der Geschichte der Menschheit stäts gewogt
hat und stäts wogen wird. Gerade im Hinblick auf diesen Kampf wollte
Kant für die Ethik und später auch für die Aesthetik notwendige und darum
allgemein-gültige Bestimmungen treffen, und dafür sollte die mathematisch-
naturwissenschaftliche Forschung, die bereits selbständig den „Königsweg^
beschritten hatte und dazu nicht mehr der Philosophie bedurfte, als
glänzendes Beispiel dienen. Aus der idealischen Gleichheit der Menschen
folgt nur die allgemeine (formale) Gesetzlichkeit der Natur, während ihre
besondere Fülle als ein Gegebenes hingenonmien werden muss, aber diese
iS4
besondere Fülle fügt sich der aUgemeinen Qesetzlichkeit ein, wie eben die l^at«
saohe der mathematisch-natorwissenschafüichen Forschung bezeugt. Könnte
es nicht für das Gebiet der Ethik ebenso sein ? Nach anschanlidi-logischen
Gesetzen baut sich der einzelne Mensch ans den ihm gegebenen Em-
pfindungen (Licht, Wärme u. s. w.), seine Aussenwelt auf, und die Aussen-
welt des einzelnen Menschen ist zugleich die Aussenwelt aller Menschen.
Dies gilt f&r das Gebiet des Seins, und demgemäss könnte für das Gebiet
des Sollen» gelten: Handele so, wie es dem Ideal-Menschen in Dir entspricht,
dann wird das Gesetz Deines Handelns ein Gesetz fär alle Menschen sein !
Soll dieser allgemeine (formale) Grundsatz dazu dienen, für das Gebiet
der Ethik und damit ftLr die Gebiete von Recht und Sitte allgemein-gültige
Bestimmungen zu schaffen, welche die Fülle alles Besonderen feissen, so
muss er umgeformt werden, da wir von dem Ideal-Menschen nur wissen,
dass er die freie Selbstbestimmung hat, welche die Ethik fordert. Dem-
gemäss finden wir bei Kant den Grundsatz : „Handele so, dass die Maxime
Deines Willens jederzeit als Prinzip einer aUgemeinen Gesetzgebung gelten
könne. ^
Durch diese Umformung wird aber eine neue Voraussetzung eingeführt,
der Begriff einer zur Gesellschaft verbundenen Gruppe von Menschen, er
bedingt die freie Selbstbestimmung des Einzelnen, wie es auch mit Bück-
sicht auf jede praktische Folgerung sein muss, durch ein soziales Moment.
Ein solches kann aber niemals anders als geschichtlich näher
bestimmt werden, es ist für verschiedene Völker verschieden und für ein
Volk zu verschiedenen Zeiten nicht das Selbe, es spaltet sich fär die Kreise
eines Volkes, man denke z. B. an Ihering's üntersuchimgen über die Ehre
des Kaufraanns, die Ehre des Grundbesitzers, die Ehre des Offiziers.
Wir glauben im Zeitalter der Kolonial-Politik, der Bassen-Gegensätze
und der Elassen-Kämpfe nicht mehr an die Kette „vom Mongolen bis zum
griechischen Seher, der sich an den letzten Seraph reiht^, wir empfinden
wieder den Unterschied vom römischen Bechte und deutschen Bechte, wie
ihn die Menschen des dreizehnten Jahrhunderts empfieuiden, wir fuhlen
wieder den Gegensatz von hellenischer Sittlichkeit und germanischer Sitt-
lichkeit, der sich frtr die Menschen um 1800 fast völlig verwischt hatte.
Tatsächlich gelingt es Kant auch nur, aus seinem Grundsatze die
gröbsten Gesetze der Sittlichkeit, wie sie etwa einzelnen der zehn Gebote
entsprechen, herzuleiten) und auch dies nur unter Beziehung auf das Wohl-
ergehen des Einzelnen d. h. durch Eünftbrung dner weiteren, seinem
Frinzipe völlig fremden Voraussetzung.*)
Bei den feineren Maximen des Handelns, welche für jeden Einzebien
gemäss seiner ganzen Anlage und deren Entwicklung und gemäss der ge-
*) Dies gut nmidist für die .Kritik der prakdschen Vemanft", aber Eotprechendet
giU Mich TOB der j^Metaphjsik der BiUen."
-
fiamten Lage, in der er sich befindet, besidnünt werden müssen, versagi
Min QnindsaiE völlig.
Trotzdem ist er von hoher Bedentang, insofern er den Einzelnen ver-
anlasst, den Blick von sich auf andere zn lenken d. h. bei seinen Hand-
langen überhanpt ein soziales Moment zn berücksichtigen. Dieses wird
freilich immer nar filr einen bestimmten Elreis von Menschen eine be-
stimmte, geschichtlich bedingte Qestalt gewinnen, also niemals ^einer all-
gemeinen Oesetzgebong entsprechen. Als Begel der Lebensführang für
einen Menschen in seinem Kreise ist also jener Grandsatz sehr brauchbar,
nicht aber als Grandlage filr ein Lehrgebäude einer allgemeinen Ethik.
Das Selbe leistet aber ein anderer Kantischer Grandsatz, der nar als
ümformang jenes ersten erscheint, falls die Ideen Freiheit and Gleichheit
tatsächlich sich gegenseitig bedingen, sonst aber selbständige Bedentang
hat. Er sagt ans, dass dem Einzelnen nar so weit Freiheit
verstattet werden könne, als mit der Freiheit Anderer ver-
träglich ist Hier ist das soziale Moment vorhanden, aber ohne Be-
zeichnnng auch die Idee der Gleichheit.
In dieser Form findet sich der Grandsatz auch bei Schiller. Von
seinem Ideal-Staat sagt er (Brief 27) : „Freiheit za geben durch Freiheit,
ist das Grundgesetz dieses Beiches^, und sein Bürger hat es nicht nötig
„fremde Freiheit zu kränken, um die seine zu behaupten^. Entsprechendes
gilt auch für das Gebiet der Aestheük, für alles Besondere gibt es auch
hier keine allgemein-menschliche Begel der Beurteilung. Es ist noch nicht
lange her, dass ästhetisch fein veranlagte und sorgsam gebildete Deutsche
an der Schönheit der romanischen Dome ungerührt vorübergingen, die
Erhabenheit der gotischen Kathedralen nicht zu fühlen imstande waren,
und Nibelnngenhed und Gudrun und Walther's Lieder verachteten. Trotz-
dem fliesst auch hier aus der, von Kant gegebenen und von Schiller so
glücklich berichtigten und erweiterten Definition der Schönheit eine Art
Stimmung für die Beurteilung von schönen Gegenständen, aber auch nicht
mehr. Schiller selbst klagt wiederholt, dass die Anwendung seiner Prin-
zipien auf die Beurteilimg des einzelnen Kunstwerkes mit unüberwindlichen
Schwierigkeiten verknüpft sei. Das objektive Prinzip des Geschmacks,
welches Kömer forderte, fehlte hier nicht nur, weil es sich um Gefühle
handelt, sondern auch, weil sich im einzelnen Menschen das Allgemein-
Menschliche mit Besonderem mischt, und auch dieses Besondere seine
Bechte hat. So zeigt sich überaU, dass die Idee der Gleichheit zwar eine
geschichtlich gegebene Bedingung war, unter der sich der deutsche IdeaUs-
mus entwickelt hat, dass er aber nun durch die Idee der Freiheit wesentlich
bedingt ist
Die Dinge zu formen und sich nicht von den Dingen
formen zu lassen: das ist seine Mahnung.
m
So steht er im Gegensatze zu jenem Natoralismns, der von den Bingen
ansgeht und in deren Gesamtheit ein natnrgesetzlich bestimmtes Ganzes
sieht, in welches auch der Mensch, nicht bloss äosserlich, sondern auch
innerlich völlig verflochten ist.
Dem gegenüber ist die Leistung Kants wirklich der Tat des Kopemi-
cos vergleichbar, insofern sie einen Wechsel des Standpunktes bedeutet,
denn sie macht den Menschen zum Maasse der Dinge.
Fragt man aber, warum der Idealismus dem Naturalismus gegenüber
im Bechte ist, so gibt es darauf nur eine, aber auch eine entscheidende
Antwort: Nur der Idealismus gibt eine Weltanschauung, in welcher auch
Baum ist ftlr die Lebensführung und Lebensgestaltung des Menschen.
Freilich eine allgemeingültige Ethik, welche der mathematisch-naturwissen-
schafüichen Forschung zur Seite treten könnte, vermag uns dieser Idealis-
mus ebenso wenig zu geben wie der Naturalismus, und erst recht keine
Aesthetik von allgemeiner Gültigkeit. Statt dessen lehrt er uns das Ethische
und Aesthetische in der Geschichte des Menschengeschlechtes verstehen,
indem er hinter der naturgesetzlich gebundenen Welt der Erscheinungen
jenes Beich des unerkennbaren zeigt, in welchem unsere freie Persönlich-
keit wurzelt.
In seinen feineren Ausgestaltungen kann der Naturalismus das Ethische
und das Aesthetische auch bewerten, aber er kann es nicht verständlich
machen, denn die Idee der freien Selbstbestimmung und der Begriff der
Freiheit in der Erscheinung finden bei ihm keine Stätte.
In seinen feineren Gestaltungen kann der Naturalismus auch die Gt)tt-
heit in sein Weltbild au&ehmen, er kann sie als die ewig lebendige Ein-
heit des Alls erfassen und demgemäss auch in jedem Einzelnen einen gött-
lichen Funken anerkennen, aber er vermag fär das religiöse Leben in der
Geschichte der Menschheit kein Verständnis zu vermitteln, weil er die Frei-
heit des Menschen verneinen muss.
Dagegen weiss der Idealismus dieses religiöse Leben zu deuten. In
seinem unerkennbaren Jenseits hat er Baum für einen persönlichen Gott,
der in jedem Einzelnen wirksam ist. um sich ein Bild von ihm zu schaffen,
muss man ihn denken gemäss der Menschenseele, die in ihrer Freiheit als
formendes Prinzip hinter ihrer Bewusstseinswelt steht und doch in dieser
stäts lebendig ist. Als formendes Prinzip ist die Seele fiir ihre Bewusst-
seinswelt ein Jenseitiges (Transscendentes), als lebendiger Faktor in ihr ein
Inneres (Immanentes), und so zeigt sie im Bilde jene Einheit von trans-
scendentem Sein und immanentem Wirken, welche der Theismus von seinem
Gotte lehrt, während Deismus und Pantheismus nur je eine Hälfte dieser
Einheit darstellen.
Dieser deutsche Idealismus hat auch Baum ftlr jenes deutsche Christen-
tum, dessen Beich nicht von dieser Welt ist, für jenes Christentum, welches
vor allem die erlösende Umkehr der egoistischen Lebensrichtung vom
167
Stenschen fordert and ihn damit zor Harmonie von Pflicht and TSeigang
zu fthren bestrebt ist, getrea dem Heilandsworte „Daram sollt Ihr voll-
kommen sein, gleichwie onser Vater im Himmel vollkommen ist.^
Der Idealismas kann alles Gesunde des Naturalismas in sich aafnehmen,
indem er die naturgesetzlich bestimmte Erscheinongswelt als ein selb-
ständiges Ganzes erfasst, der Naturalismus schlägt in Idealismus um, sobald
er die Freiheit des Menschen anerkennt, denn diese Freiheit führt aus der
Welt der Erscheinungen hinaus, in der sie keine Stätte hat.
Das Erste hat Kant uns gelehrt, und Schiller's Entwicklung von neuem
bezeugt, das Letztere hat uns Goethe von Anfang an in seiner Persönlich-
keit veranschaulicht
Wie menschliche Freiheit den Bannkreis des Naturalismus durchbricht,
zeigen vielleicht am schönsten und klarsten die Verse:
„Nach ewigen, ehernen
Grossen Oesetsen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise Tollenden,
Nor allein der Mensch
Vermag das Unmögliche;
Er unterscheidet,
Wihlet nnd richtet;
Er kann dem Angenblicke
Daner rerleihen.
Er allein darf
Dem Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen nnd retten,
Alles Irrende, Schweifende
NOUlich Torbinden.*«
Im Hinblick auf diese Freiheit lässt uns der Idealismus Lebensführung
und Lebensgestaltung des Menschen verstehen, aber er gibt uns keinen
fertigen Kanon tOx die Beurteilung, sondern weist uns auch hier, wie bei
der mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschung auf die Erfahrung hin,
und diese heisst hier Geschichte, Geschichte des Einzelnen und Geschichte
der ihn concentrisch umgebenden, immer grösseren Sphären, in denen er
gebunden ist.
So leistet der deutsche Idealismus tatsächlich Alles, was man von einer
Weltanschauung fordern kann, er stört die Kreise der Wissenschaft nicht
und zeigt dem Menschen allgemeinste Ziele ethischen Strebens und ästhe-
tischer Beurteilung d. h. er macht eine kulturelle Entwickelung
verständlich und schafft zugleich deren Bedingungen.
Nun erhebt sich aber eine weitere Frage. Mit der Ausscheidung der
Idee der Gleichheit fällt natürlich auch die Folgerung, welche man im
188
Zeitalter der iranzösisohen Bevolation mit jener Idee verknüpfte: dordi
die Befreiung des Menschen sollte ja in jedem das A llgemein-MenRohliche
entbunden werden, nnd damit der kraftvolle Trieb zu einer edelen Lebens-
führung und Lebensgestaltung.
Ersetzt man mit Bücksicht auf alle geschichtlichen Erfsdirungen die
Notwendigkeit des Triebes durch die Fähigkeit des Gtestaltens, so kann
der Grundgedanke dieser Folgerung natürlich an und für sich richtig sein,
wenn sie auch als Folgerung nicht au&echt zu erhalten ist.
Es ist also unter Betonung des Besonderen neben dem Allgemein-
Menschlichen zu fragen, ob das Bewusstsein seiner Freiheit für den Menschen
die Bedingung ist, unter der er seine Individualität, in welcher sich Allgemein-
Menschliches und Besonderes mischt, zur höchsten Vollendung zu entwiokeki
d. h. sie zur Persönlichkeit zu gestalten vermag.
Dies ist aber die Lebensfrage des deutschen Idealismus, denn sie fragt
nach der Wirksamkeit seiner Weltanschauung im einzelnen Menschen.
Wird sie verneint, so ist diese Weltanschauung trotz ihrer Harmonie nur
eine glänzende Abstraktion, wird ßie bejaht, so bedeutet sie volles Leben.
Wir bejahen diese Frage, weil uns die innere Qeschichte der Grossen,
welche wir als Förderer der Kultur verehren, dazu zwingt. Sie alle leiten
ihre Taten aus einer Quelle her, welche nicht in der Erscheinungs-
welt sprudelt, mag es ihnen nun scheinen, dass sie aus der Tiefe der
eigenen Seele bricht oder dass sie von höheren Mächten gespeist wird.
Fragt man aber nun weiter nach den Mitteln, durch welche die Be-
freiung des Menschen bewirkt werden kann, so geben uns die grossen
Kulturförderer verschiedene Antworten.
Qoethe und Schiller sahen in der Kunst die grosse Befreierin,
als sie sich zur ästhetischen Erziehung des Menschen vereinigten, sie gaben
ihre Antwort als Künstler, und darum ist sie auch nur £Qx künstlerisch
gesinnte Gemüter die Erlösung.
Der grosse Gedanke der ästhetischen Erziehung bleibt
voll erhalten, aber der Kreis von Menschen, auf welchen er wirkt, wird
niemals alle Menschen um£Btösen, und innerhalb dieses Elreises wird wieder
nur ein Teil die erlangte Freiheit in stätem Streben zur Ausbildung der
Persönlichkeit benutzen.
Das zeigt das Jahrhundert, welches zwischen dem Heimgange SchiUers
und unserer politisch, wirtschaftlich und sozial so bewegten Gegenwart liegt
nur allzudeutlich. Das zeigt im Besondem auch das Schidcsal Itiohard
Wagner's, des echten Erben der Goethe - Sohiller'schen Kunst, und seines
Bayreuth. Es wird immer bei den „einigen wenigen auserlesenen Zirkeln'
bleiben, von denen Schiller am Schlüsse der ästhetischen Briefe vorahnend
spricht, wenn auch zu hoffen ist, dass sich ihre Zahl vermehrt und dass
sich die einzelnen ausdehnen.
ISA
Dafilr können die Olieder solcher Zirkel, das, was sie selbst der EunsC
verdanken, anf andere Weise auch weiteren Kreisen zu Onte kommen lassen,
nnd so doch mittelbar den Gedanken einer allgemein ästhetischen Erziehung
dienen. In diesem Sinne hat Abbä Mngnier sein Frankreich anf Bayreath
verwiesen: „Dort solle man die Gesinnung und die E[raft gewinnen, welche
in der grossen Not der Zeit erforderlich ist, um mitzuwirken an der Stärk-
ung und Bettung der Familie auf dem Grunde christlicher Liebe und selbst-
loser Arbeit.**
Auch hier gilt Goethe's Wort „Gott ist fortwährend in höheren Naturen
wirksam, um die geringeren an sich heranzuziehen,^ auch hier, denn die
höheren Naturen haben mancherlei Gtiben und mancherlei Art
Dies hat auch Schiller freudig anerkannt, als er über die „Bekennt-
nisse einer schönen Seele, ^ in deren Leben ja die Erziehung durch die Kunst
kaum eine Bolle spielt, an Goethe schrieb (17. August 1759): „Mir däucht,
dass Sie den Gegenstand von keiner glücklicheren Seite hätten fassen können,
als die Art ist, wie Sie den stillen Verkehr der Person mit dem Heiligen
in sich eröfihen.'^
Trotz der so hocherfreulichen breiteren Bewegung für Kunsterziehung
welche das letzte Jahrzehnt gezeitigt hat, wird die ästhetische Erziehung
niemals alle Menschen umfassen, denn die Geschichte zeigt uns nun einmcd
nicht jene Menschheit, die ihren Entwickelungsgang macht, wenn auch auf
Umwegen, sondern Völker von ausgeprägter Eigenart, die kommen und
gehen, und wie der einzelne Mensch ihre Kindheit haben und ihr Alter der
Beife, um schliesslich bergab zu gehen, ohne doch die vollen Früchte ihrer
Zivilisation und Kultur an andere zu übertragen für weitere Arbeit. Nur
gewisse verwandtschaftliche Züge hellenischer Kultur und deutscher Kultur
haben eine Zeit lang über diese Tatsache hinweggetäuscht, und demgemäss
hat man die Sage vom dunklen Mittelalter erfonden und das Märchen von
der Benaissance gedichtet. Die alte Welt war morsch und müde, als das
jugendliche Germanentum sich zu seinem weltgeschichtlichen Gange an-
schickte, unter dem Schutze der römisch-katholischen Kirche träumte es
seinen Kindertraum, um im Zeitalter der romanischen und der gotischen
Dome und der Hansa zu Jünglingstaten zu schreiten. Die Anfänge einer
neuen germanischen und im Besonderen einer deutschen Kultur, welche
damit bezeichnet werden, durften sich nicht stätig weiter entwickeln, im
Kampfe mit feindlichen Mächten schienen sie zu Grunde zu gehen. Erst
nach zweihundertjährigem Bingen zeigte sich auf allen Gebieten, in welche
die Völkerwanderung das germanische Blut getragen, ein neues Leben, und
in diesem die Fähigkeit, auch manches Wertvolle aus fremden und ab-
gestorbenen Kulturen in sich aufzunehmen. Will man dies als eine Benaissance
bezeichnen, so kann man das natürlich tun, nur darf man dabei nicht ver-
gossen, dass es das Germanentum war, welches die Schatten der Vergangen-
160
Keit weckte, weil es in seiner eigenen Entwickelang dazu gekommen war,
sie zu verstehen,
(.WAr* nicht dM Auge soDDenhaft,
Die Sonne kOnnt' es nie erbli^en.**
Die Au&ahme von Schätzen ans fremden Kulturen hat den Weg des
Germanentums gelegentlich verkürzt, gelegentlich auch verlängert, aber
sein Gang ist seine eigene Tat.
Auf deutschem Boden suchte sich das neue Leben auch eine neae
Weltanschauung, äusserlich und innerlich. Während Kopemicus dem Welt-
bilde des christlichen Bomanismus seinen irdischen Mittelpunkt nahm mid
es dadurch zertrümmerte, schritt Luther, aus den Quellen der deutschen
Mystik schöpfend, zu seinem reformatorischen Werke, und der germanische
Norden folgte nach.
Wieder schienen feindliche Mächte die germanische und im besondem
die deutsche Kultur zu zerstören, und nach dem tränenreichen Kriege der
schrecklichen dreissig Jahre deutete in Deutschland neben Leibniz fast nur
der wunderbare Genius Sebastian Bach's auf das Fortleben einer höheren
Kultur.
Aber auch hier folgte eine neue Benaissance. Während Lnanuel Kant
im Menschen den festen Mittelpunkt fElr eine sichere Beurteilung alles
Menschlichen suchte und in gewissem Sinne auch fand, bereiteten Lessing
und Klopstock und Wieland und Herder den Weg ftir unsere beiden grossen
Dichter, neben denen die andern beiden grossen Künstler stehen, Mozart
und Beethoven.
Dabei war man auch reif geworden, das Verwandte in der hellenischen
Kultur zu verstehen, und im freudigen Genüsse dieser Entdeckung idealisierte
man das ganze griechische Leben und liess auch einen verklärenden
Schimmer auf die alte eigennützige Boma fiiUen, die schliesslich dem Kreuze
eine Stätte geboten, imd schuf sich den Traum einer Menschheit, die von
den lichten Höhen des Altertums durch das dunkle Tal des Mittelalters
zur Benaissance gewandert, um nun, wenn auch auf Umwegen, weiter auf-
wärts zu wallen.
Der Traum ist heute zerstoben. Die Geschichte, einschliesslich der
altsprachlichen Philologie, hat uns ein anderes Bild der Griechen und Bömer
erarbeitet, als das, auf welches hellenische Kunst und Wissenschaft und
das corpus juris hinzuweisen schienen.
Die G^chichte hat auch das schöne Bild des Mittelalters verworfen,
welches die Bomantiker schufen, als das Ideal der Antike zu verblassen
begann.
Beide Idealisierungen sind von unersetzlichem Werte, wenn sie auch
durch die Forschung der Folgezeit von Grund aus zerstört wurden. Jene
machte uns zu selbständigen Erben der Kulturgüter, die das Griechentum
einst gepflegt, von Kunst und Wissenschaft, diese brachte uns das erste
Verständnis für die Eigenart einer germanischen und im besondem einer
deatsohen Knltor, und lehrte tms dabei| die ursprüngliche Bedentong des
christlichen Bomanismns begreifen, aber auch seine notwendige Ablösung
dxaoh ein deutsches Christentumi wie es sich im Zeitalter der Beformation
emporgertingen hat.
Die geschichtliche Forschung hat uns aber überhaupt, von anderen
Wissenschaften unterstützt, die Eigenarten der Naturzustände und der
Zivilisationen und der Kulturen der einzelnen Völker erschlossen, und damit
ist der Begriff der Menschheit, wenn in ihm ein Allgemein -Menschliches
als Ideal gedacht wird, zerfallen zu Gunsten der Ideale der einzelnen Völker.
Darum aber bezeichnet auch die Tat des deutschen Idealismus, den
uns Kant, Goethe und Schiller verkörpern, nur ein deutsches Kulturideal,
vielleicht ein germanisches.
Dies hat gerade ^chiller deutlich empfunden, als er seinem Volke die
herrlichen Worte widmete: „J^des Volk hat seinen Tag in der
Geschichte, doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der
ganzen Zeit.^
In jungen Jahren hatte er (vergl. die Schaubühne als moralische An-
stalt) im Hinblick auf die griechische Bühne und ihre vaterländischen Stücke
ausgerufen : „Wenn wir es erlebten, eine Nationalbühne zu haben, so würden
wir auch eine Nation.^ Für diese Nationalbühne schuf er im Verein mit
Gk>ethe unermüdlich, bis zum letzten Augenblicke:
„Er wendete die Blota höchsten Streheni,
Das Leben selbst, sn ^eses Bild des Lebens.**
In den Wirren der Zeit erhoffte er aber Air sein Volk keine äussere
Krone mehr, dafür ist ihm „das Höchste bestimmt, die Menschheit, die all-
gemeine, in sich zu vollenden und das Schönste, was bei allen Völkern blüht
in einem Kranze zu vereinen*^. Es ist „erwählt vom Weltgeiste, während
des Zeitkampfes an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten, zu
bewahren, was die Zeit bringt*^, und „den grossen Prozess der Zeit zu
gewinnen''. „Dem, der den Geist bildet, muss die Herrschaft werden'^, am
Ende der Zeiten, wenn die sanfte Cypria sich in ihrer ganzen Herrlichkeit
offenbart.
„Stflrzte anch in Kriegesflammen
Dentschlsnds Kaiserreich znsammen,
Deutsche OrOsse bleibt besteh'n.**
Diese Grösse „ist eine sittliche Qrösse, sie wohnt in der Kultur und
in dem Charakter der Nation^, und ist von ihrem politischen Schicksal
unabhängig. Sie schafft sich ihr eigenes Eeich, und dieses „blüht in
Deutschland, es ist in vollem Wachsen, und mitten unter den gotischen
Buinen einer alten barbarischen Verfassung bildet sich das Lebendige aus" .*)
^ Ans den Fragmenten fOr das Gedicht ,,Znm Jahrhandertwechsel'', Ton denen nor
^Die Antiken lu Paris'' und ,,Die deutsche Mose'' als in sich abgerondete Brnchstacke
e r schi e ne n .
163
Schiller hat es nicht mehr erlebt, wie die letzten Wellen der französi-
schen Beyolntion die Beste des heiligen römischen Beiches deatscher
Nation fortschwemmten, und wie die Folgezeit seinen Glauben an sein
Volk rechtfertigte, freilich anders, als er es geahnt.
Umtost von den "Wirbeln fittnzösischer Trommeln hielt Kant's grosser
Schüler in Berlin seine flammenden „Beden an die deutsche Nation^ und
anf ostprenssischem Boden erhoben sich jene Männer, die zn Kant's Füssen
gesessen und in der Schule seiner Pflicht gross geworden waren: die
Heldengestalten der Schiller'schen Dramen wurden lebendig, getreu seiner
Mahnung:
„Wenn der Oedrflckte nirgends Beeht kann finden,
Wenn nnertr&glich wird die Last — greift er
Hinauf getrosten Mates in den Himmel
Und holt herunter leine ewigen Bechte,
Die drohen hangen nnTerftntserlich
Und nnserhreehlich wie die Sterne seihst.^
Der vereinsamte Goethe war noch Zeuge von Alledem, er sah auch
noch den wirtschaftlichen Aufschwung seines Volkes und die Anftnge des
Zoll-Vereins, der dem neuen deutschen Beiche den Boden bereitete. Von
ihm stammt das Propheten- Wort : „Mir ist nicht bange, dass Deutschland
nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen
werden schon das Ihrige tun. Vor allem aber sei es eins in Liebe unter
einander^ (bei Eckermann, 23. Oktober 1828). Fast zu gleicher Zeit aber
sagt er, des heimgegangenen Freundes gedenkend : „Eün grosser dramatischer
Dichter, wenn er zugleich produktiv ist und ihm eine mächtige edle G^
sinnung beiwohnt, der alle seine Werke durchdringt, kann machen, dass
die Seele seiner Stücke zur Seele des Volkes wird. Ich dächte, das wäre
etwas, das wohl der Mühe wert wäre'* (bei Eckermann, 1. April 1827).
So national waren die beiden grossen „Kosmopoliten'', national bis ins
Mark hinein, und dem entspricht auch, dass sie zwar Beide in der Welt-
Litteratur ihren Platz haben, dass sie aber nur zur germanischen Basse
wirklich sprechen, vor allem zu Menschen deutschen Geblütes.
Im tiefsten Grunde hat Schiller auch hier Beoht behalten mit seinem
Hinweise auf die innere Grösse, denn aus der Eant-Gh)ethe-Schiller-Epoche
hat das Deutschtum die Kraft genommen zu seinem wirtschaftlichen und
politischen Aufschwung.
unsere Grossen haben gewirkt, weil sie Persönlichkeiten waren, die
ihre Weltanschauung in ihren Werken zu spiegeln yermochten, so dass sie
weitere und weitere Kreise gewann. So Kant als gottbegnadeter Denker,
und so Goethe und Schiller als gottbegnadete Künstler!
Freilich werden Kant und Schiller immer damit Becht behalten, dass
die reine Schönheit nur auf der Form beruht, aber so gewiss das grosse
Kunstwerk nur durch seine Schönheit ein Kunstwerk ist, so gewiss wirkt
es auch durch die ganze Weltanschauung, die in ihrr^ lebt. Ffir^die Welt-
169
ftnsohAanng aber ist die kttnsÜerische Gestaltnng, obwohl diese sich selbst
genug ist, ein siegreiches Mittel sich dnrohznsetzen, und dämm haben auch
Qoethe und Schiller weit hinaus gewirkt über die ftsthetische Erziehung,
zu der sie sich verbanden.
Was macht den grossen Dichter ? Dass er Gestalten schaflft, die seinem
Volke lieb und wert sind und die ihm etwas zu sagen haben, etwas Ernstes
über Lebensführung und Lebensformung. So wirkt die Persönlichkeit des
grossen Dichters! Der heroische Charakter und die erhabene Gesinnung
geben Schillers Weltanschauung im Sahmen des deutschen Idealismus ihre
Eigenart, die Neigung fiOr alles Vornehme und Grosszügige und die Ab-
neigung gegen alles Kleinliche und Gewöhnliche hat er mit Andern gemein,
und so zeugen seine Werke von jener Schönheit,
„die dM Leben tief im E^rn ergreifl
Und in ein Fener taocht, dnuu es gel&iitert
In nnbeirrter Frende Glani herrorgeht,
Befreit tom Znfkll, einig in lieh selbst,
und Irlar binwandelnd wie des Himmels Sterne.***)
Kant und Schiller gingen fast zu der selben Zeit dahin, der eine müde
in der Fülle seiner Jahre, der andere auf der Höhe seines Schaffens. Kant
hatte Alles gesagt, was er zu sagen hatte, aber Schiller hatte noch Vieles
zu verkünden, als sich sein Auge schloss xmd Goethe vereinsamt zurückblieb.
Als Schiller den Teil vollendet hatte, schrieb er an Körner: „Ich
glaube jetzt des Theatralischen mächtig zu werden.^ Was fClr uns ein
Ende ist, war für ihn ein AnfiEuig! Drum wird, so oft wir seiner feiernd
gedenken, auch die wehmütige Stimmung vorhanden sein, welcher Gottfried
Keller (a. a. 0.) den Ausdruck gibt:
„Ein grosser Torso ist's, den heat' wir üHern,
Dem aUsnfrfib das grosse Leben brach,
und nnermesslich ist, was nngeschaffen
Er mit hinab snr Nacht des Todes tragl<<
Keiner hat; das schmerzlicher empfunden als Goethe. Beim Tode
Schillers war er selbst von schwerer Elrankheit halb genesen, und niemand
wagte ihm die Trauerbotschaft zu bringen, er musste sie aus den stummen
Mienen seiner Umgebung ablesen. „Ich dachte mich selbst zu verlieren und
verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins^,
80 schrieb er an Zelter, den ihm nahestehenden Direktor der Berliner Sing-
Akademie. Zunächst sucht Goethe Trost in der Arbeit, indem er es unter-
nahm, als natürlicher Erbe des Heimgegangenen dessen „Demetrius^ zu
vollenden, aber seine Kraft versagte für diese Aufgabe. Nun beabsichtigte
er eine grosse dramatische Allegorie, um dem Freunde damit ein Denkmal
zu setzen, aber auch dieses Werk wollte sich nicht formen. Da rastete
er ihm, von Zelter unterstüzt, die Lauchstädter Totenfeier (10. Aug. 1805)
*) VgL Gottfried Keller's Qedkhte, Prolog rar Schillerfeier, 18S9.
164
naoh einer trefiliohen Aufi&hnmg des ^^Liedes von der Glocke^, an der
alle Mitglieder der Weimaraner Bühne teilnahmen und nach dem erhabenen
Schlnsschore „Vivos voco" rauschten die herrlichen Verse von Gh)ethe's
„Epilog' * dahin, in welchem dieser, von den persönlichen Erlebnissen aus-
gehend, fElr das ganze deutsche Volk „die Summe von Schillers Existenz^' zog.
Für den Geburtstag des Heimgegangenen plante Goethe auf dem
Theater zu Weimar eine Wiederholung der Feier, zu welcher Zelt^ eine
musikalische Umrahmung der ganzen Dichtung 8cha£Fen sollte, die Absicht
kam aber erst zum Jahrestage des Todes zur Ausführung.
Bald traten neue Aufgaben an Goethe heran, er musste vorwärts.
Den schweren Zeiten von Jena und Auerstädt, in welchen auch Herzog
Earl August beinahe seinen Thron verlor, folgten die glänzenden Waffen-
taten der Befreiungskriege, und endlich bot ein langer Frieden den armen
deutschen Landen die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Erstarkung.
Goethe benutzte die erste Müsse in der bewegten Zeit dazu, einem
noch unerfEQlten Wunsche des toten Freundes nachzukommen, der ihn
einst dazu vermocht hatte, „das verstaubte Faust-Bündel wieder auf-
zuschnüren^. Er vollendete das „Fragment'' (1808) und die „Zueignung'' des
Werkes wurde nun noch in ganz anderem Sinne wahr, als sie gedichtet
(1797) worden:
„Der Schmers wird nen, et wiederholt ^e Klage
Des Lebens labyrintisch innern Laaf,
und nennt die gnten, die, um schOne Standen
Vom GIflck get&nscht, Tor mir hinweggeschwanden.**
Doch die „schwankenden Gestalten, die früh sich einst dem trüben
Blick gezeigt", brachten Gh)ethe auch die „Bilder froher Tage" wieder tmd
die Erinnerung „an erste Lieb' und Freundschaft" : „Dichtung und Wahrheit
verwebt sich ihm zu einem farbensaiten Gemälde vom alten Frankfrirter
Hause aus hin bis nach Weimar (1811). Dazwischen schafflie er, ein neues
Erlebnis künstlerisch verklärend, „die Wahlverwandtschaften" (1809), sie
atmen die trostlose Stimmung seiner Vereinsamung, welche der Verkehr
mit der jugendfrischen Pflegetochter der Fromann'schen Familie nur ftlr
eine Spanne Zeit gebannt hatte.
In stillen Stunden gedachte Goethe viel des geschiedenen Freundes.
Man fand ihn einmal in heissen Tränen über ein Buch gebeugt, es war
Schillers Geschichte des dreissigjährigen Ejieges ; „diesen Mann konnte ioh
verkennen !", so rief er aus, um seine tiefe Bührung zu erklären.
Als fünf Jahre seit Schillers Heimgang verflossen waren, sorgte Gbethe
ftlr eine abermalige Wiederholung der Totenfeier (1810) auf der Bühne zu
Weimar, ebenso nach weiteren fünf Jahren (1815). Das war das letzte
Mal, dass er dafär sorgen konnte, denn bald darauf (1817) legte er die
Leitung des Theaters nieder, und damit hörten diese Feiern dankbarer Er-
innerung auch wirklich auf.
166
Ünermüdlioh tätig auf den versohiedensten Gebieten, folgt Goethe jeder
Begong seines Volkes mit grösster Aufinerksamkeit, er spendet uns die
„Wanderjahre^ (1821) und andere Niederschläge seiner reichen Erfahrong,
und sucht, dem Zuge der Romantiker, zur Welt-Litteratur folgend, auch
Orient und Occident (1819) zu verbinden.
Während die Menschen, die ihm teuer sind, nach und nach aus dem
Leben scheiden, muss er „über Gräber vorwärts*, dabei gewinnt der Faust,
der „Doppelgänger seines Lebens*^, langsam seine volle Gestaltung, ihn
reicht der Entschlafene seinem Volke als letztes Vermächtnis.
Es ist zugleich ein Denkmal für den so früh geschiedenen Genossen,
mit dem er sich einst zur ästhetischen Erziehung des Menschen verbunden
hatte. Hatte Goethe es ursprünglich, unter dem Drucke der Vereinsamung,
vermieden, von seinem heimgegangenen Freunde zu sprechen, so benutzte
er später jede Gelegenheit, um seiner zu gedenken. So fasst er einmal
dessen Wirksamkeit in die Worte zusammen : „Dui*ch Schillers alle Werke
geht die Idee von Freiheit, und diese Idee nahm eine andere Gestalt an,
sowie Schiller in seiner Elultur weiter ging und selbst ein anderer wurde^
(bei Eckermann).
Nun sollte diese Idee sich noch einmal in einem grossen Werke ver-
körpern, in dem Werke, welches Goethe fast sechzig Jahre lang (1772 bis
1831) begleitet hatte.
Faust, der immer Strebende, der nie geglaubt, dass für ihn ein
Augenblick der Befriedigung kommen würde, sieht nach einem reichen
Leben doch ein letztes Ziel. Dem öden Meere will er fruchtbares Land
abgewinnen, damit Millionen dort zwar nicht in behaglicher Sicherheit, aber
doch in tätiger Freiheit ihre Statte finden.
„Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn.
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zom Aogenblicke dOrft' ich sagen:
Verweile doch, dn bist so schOnl
Es kann die Spar Ton meinen Erdentagen
Nicht in Aeonen nntergehn.
Im Vorgefühl Ton solchem hohen GlQck
Geniess' ich jetzt den höchsten Angenblick.**
Damit hat sich sein Schicksal erfCQlt, aber er ist wie die Geliebte
seiner Jugend gerettet, nicht gerichtet, denn sein flackerndes Streben, -das.
in dem festen Ziele endet, in werktätiger Menschenliebe einem freien
Volke einen freien Boden zu erobern, wird ihm zur Gerechtigkeit ge-
rechnet, die Liebe von oben hat an ihm teil genommen.
So endet Goethe mit der Yerherrlichung der Idee, welche der Quell*
punkt des deutschen Idealismus ist. Dabei hören wir seine Lehre:
,,Das ist der Weisheit letzter Schloss:
Nor der Terdient sich Freiheit wie das Leben,
Der tftglich sie erobern mnss,''
Dieees „tftgliche Erob^m-MtLssen'^ klingt nns susammen mit dem änderet!
mahnenden Worte:
»Und so lABf im das Hiebt hait,
Dietat : Stirb imd werdet
Bist da mir ein trflber OMt
Auf der dnnkleii Erde.*
Immer wird die innere Freiheit, durch welche bei stfttem Streben
die Entwickelnng znr Persönlichkeit ermöglicht wird, aach die
Bedingung jeder ftasseren Freiheit sein.
Das gilt auch filr uns Deutsche von heute, die wir, politisch selbstAndig
gewordeUi im Zeitalter der vielgeschftftigen Weltwirtschaft stehen und das
,,tägliche Erobem-Müssen'^ nur zu gut begreifen.
„Wir, wir lebenl Unser sind die Stonden
Und der Lebende hat Recht*
Wir sind im Laufe des letzten Jahrhunderts überall vom Allgemein-
Menschlichen zum Besonderen fortgeschritten: das zeigt schon die viel-
beklagte ,,Spezialisierung^ auf allen Gebieten des Daseins, im Kleinen und im
Grossen und der harte Kampf so vieler einander widerstrebender Interessen
von Volk zu Volk und innerhalb eines VolkeSi sowie der oft verschwiegene
und oft ausgesprochene Wunsch jeder Nation und aller politischeui wirt-
schaftlichen und sozialen Gruppen und schliesslich sogar jedes £inzelnen,
nur der eigenen Individualität zu folgen oder, wie es auch heisst, sich aus^
zuleben. Dabei haben sich seelische Erscheinungen, welche früher den
Eindruck eines Ganzen machten, in vielgestaltige Teilerscheinungen auf-
gelöst, fOx die oft noch die Worte fehlen, und erst recht die Begrifie.
Diese feine, oft an das Pathologische streifende Auflösung und Zersetzung
unseres Seelenlebens, mit der die Nervosität unseres Zeitalters eng zusammen-
hängt, spiegelt sich in der Lyrik, im Boman und im Drama, ja überhaupt
in der Kunst der Gegenwart mit ihrer Fülle von neuen Problemen. Dort
sieht sie auch der, welcher sie im Leben nicht beachtet
Dem gegenüber steht der Wunsch nach neuen Zusammenfassungen
und neuen Bindungen.
In der äusseren Welt sehen wir solche fortwährend vor unseren Augen
entstehen und vergehen, mag es sich nun um Yölkerbündnisse, Handels-
verträge oder internationale Arbeitervereinigungen handeln oder um poli-
tische, wissenschaftliche und soziale Kartelle dieser oder jener Art
Wie steht es aber um die seelischen Zusammenfassungen und Beding-
ungen innerhalb der einzelnen Völker, im besonderen innerhalb unseres
deutschen Volkes?
Der Materialismus, welcher sich nach dem Zusammenbruche des Heg^-
schen Systems mit den alten kirchlichen Mächten in die Beherrschung der
Weltanschauung teilte, ist langsam in einen mehr oder minder durch-
'"^tigten Naturalismus übergegangen, und, wenn nicht Alles trügt, ist dieser
äni dem besten Wege, die menschliche Freiheit in sein System anfzonehmeii,
d. h. in Idealismus umzuschlagen.
Diese Wendung ist durch die wissenschaftliche Tätigkeit des ab-
gelaufenen Jahrhunderts gewissermaassen erzwungen. Die mathematisch-
naturwissenschaftliche Forschung hat endgültig gelehrt, die räumlich-
zeitlichen Erscheinungen als ein Ganzes auisufassen, in dessen festem Bau
sich keine Lücken befinden, und die philologisch-historische Forschung hat,
in ihrem kritischen Geschäfte von dem idealisierten Altertum über das
idealisierte Mittelalter zur realen Gegenwart leitend, deren Verständnis
erschlossen, dabei aber auch die üeberzeugung erweckt, dass der ideale
Mensch an keiner Stelle der Geschichte vorhanden war und an keiner
Stelle der Geschichte auftreten wird. Es bleibt bloss die Wahl zwischen
einem Verzichte auf eine wirkliche Weltanschauung und der Bückkehr
zu dem Grundgedanken des deutschen Idealismus mit seiner Freiheit und
seinem Jenseits. Daher auch die Mahnung „Es muss auf Eant zurück-
gegangen werden". Daher auch das Feldgeschrei „Hie Imanael Kant" und
„hie Thomas von Aquino", denn der deutsche Idealismus wird sich immer mit
dem deutschen Christentum zu einem harmonischen Ganzen verbinden können,
nie aber mit dem System des christlichen Bomanismus und dessen privater Welt-
fluoht (Klöster) bei korporativer Weltbeherschung. (Civitas Dei und Papsttum.)
Freilich kann dieser Bückgang zu Kant nur eine neue selbständige
Gestaltung des alten Besitzes bedeuten, und dazu gerade zeigen uns Schiller
und Goethe den Weg. Bei ihrem Gange vom Allgemein-Menschlichen zum
Besonderen haben sich ihnen zwei feste Bindungen gezeigt, die durch die
Begriffe Volk und Persönlichkeit bezeichnet werden, und von diesen
haben sie auf der Höhe ihres Schaffens als Dichter gezeugt, mochten auch
ihre Beflexionen gelegentlich wieder zu dem Traum des Allgemein-Mensch-
nchen zurückkehren.
Nicht einen kurzsichtigen Chauvinismus und nicht ein weltverlorenes
Kosmopolitentum lehren sie uns, sondern einen national bedingten
Humanismus.
Nicht fOx selbständige Individualität und nicht für einen Schatten von
Menschentum treten sie ein, sondern für Persönlichkeits-Bildung.
So weisen sie überall darauf hin, die tatsächlich gegebene Voraus-
setzung vom Allgemein-Menschlichen und Besonderen in ihrer Eigenart zu
erfassen imd gemäss dieser Eigenart zu möglichster Vollendung zu gestalten.
S bleibt uns der deutsche Idealismus, wie ihn Kant und Schiller und
Goethe geschaffen und gestaltet, ein teueres Erbe, das freilich immer von
neuem zum Besitze* erworben werden muss, und darum erinnern wir uns
auch Aller in Dankbarkeit, welche dieses Erbe in die Gegenwart herüber-
gerettet, im besonderen auch Bichard Wagner's, der für diesen Idealismus
80 unermüdlich gestritten, in Worten xmd Werken, und dem die Kxmst
auch gestaltende Lebensmacht war.
m
Wie sollen wir nnserer Toten gedenken?
Indem wir auf das blickeD| was an ihnen lebendig bleibt!
Dies gilt im besondem in bezug auf nnsre Orossen^ die uns Führer sind.
Dann ruft uns auch jeder von ihnen ans ^^sePgem Morgen^ zu :
y,Ich steh' euch fest und steh' eoch unbeweglich I
und hilft's each nich^ so steh' ich eoren Kindern
Und anch den Kindern steh' ich eorer Kinder,
Bis sie gelernt mit reiner, starker Hand
Das alte Sehnen frei sich lu erfUlen
Und meisterlich lu leben wie an denken.''*)
Vergl SU diesem Aufsätze: Knno Fischer, Schiller als Philosoph. Heinrich Ton Stein
Goethe und Schiller. Karl Berger« die Entwicklung Ton Schillers Aesthetik. Eogoi Kohne-
mann, Schillers philosophische Schriften and Gedichte. Georg Simmel, Vorlesungen Ober Kant
Weiteres findet man u. a. in folgenden Arbeiten des Verfassers: Kultur und Schale
1896), Richard Wagner als Ersieher (1899), Weltwirtschaft und Nationalersiehong (1900).
A. W.
Richard Wagner's Entwarf zu den „Bergwerken
Yon Falun/^
(Mit Bewilligung des Hauses Wahnfried sugleich yerOffentlicht in der »Deutschen Bund-
schaa** und den »Bayreuther Blättern.*)
Seit 0. H. von Schubert in seinen „Ansichten von der Nachtseite der Natur-
wissenschaft^ (zuerst Dresden 1808) auf die schon von älteren Werken erw&hnte
Auffindung der durch chemische Einflüsse unversehrt erhaltenen Leiche eines
jungen Bergmanns in den Eisengruben des schwedischen Bergwerkes Falun auf-
merksam gemacht und selbst sie bereits in ein poetisches Oewand gekleidet hatte,
hat die Sage vom Bergmann von Falun eine ausserordentliche Anziehungskraft
auf unsere Dichter ausgeflbt; in Versen wie in Prosa ist sie oft behandelt
worden — wir nennen nur die Namen Achim von Arnim, Friedr. Rückert, Hebel,
E. F. A. Hoffmann.**) Auch zu dramatisch-musikalischer Behandlung hat der Stoff
angeregt ; bekanntlich bildet er die Grundlage von Franz von Holsteins anmutiger
Oper ^Der Haideschacht". Dass aber schon lange vor Franz von Holstein kein
Oeringerer als Bichard Wagner sich mit dem (bedanken getragen hat, die Sage
^1 Vgl. Gottfried Keller, a. a. 0.
^ verffL Georg Friedmann, Die Bearbeitungen der Geschichte von dem Berg*
mann von Falun. Berliner Inaug. Dissert Berlin 1887. — Karl Beuschel, Ueber
Bearbeitungen der Geschichte des Bergmannes von Falun; in M. Kochs Studien sur ver-
gleichenden Utteraturgeschichte. Bd« lll (1903). S. 1 fgg.
169
M einer Oper zu gestalten, ist bisher wohl völlig unbekannt geblieben. Die fint-
stehnng seines Entwurfs ftlr eine dreiaktige Oper ^Die Bergwerke zn Falnn'^ fällt
in eine der trübsten Zeiten von Wagners Leben, seinen ersten Pariser Aufenthalt.
Die Frage, wie Richard Wagner gerade auf diesen Stoff kam und ans welchen
Qnellen er schöpfte, ist leicht zu beantworten. Seit seinen Enabenjahren haben
Hoffmann*s phantastische Gestaltungen zu Wagners Lieblingen gehört. Hoffmann
hat nun die Sage vom Bergmann von Falun in seine „Serapionsbrüder*' (1819)
aufgenommen; er hat sie weiter ausgebildet, den handelnden Personen Namen
gegeben — und schon dass diese Namen (Pehrson, Ulla, Elis, Torbem) im
Wagnerschen Entwürfe wiederkehren, legt sein Verhältnis zu der Hoffmannschen
Erzählung klar. Im Einzelnen hat Wagner den Stoff dichterisch weiter ausge-
staltet -, so beruht namentlich die Figur des Seemanns Joens auf freier Erfindung.
Auffällig ist, dass Wagner mit dem Zusammensturz des Faluner Schachts und
dem Untergänge des jungen Bergmanns Elis schliesst.
Von Paris ging Wagner bekanntlich nach Dresden. Wenige Wochen nach
seiner Ernennung zum Hofkapellmeister, am 2. März 1843, erfolgte die Anstellung
August Röckeis als Gorrepetitor bei der Dresdner Hofoper mit dem Titel eines
Musikdirektors. In Röckeis Papieren fand sich der nachstehende Entwurf. Ohne
Zweifel hat ihn Wagner dem Freunde gegeben, um ihn zu weiterer Ausführung
zu veranlassen ; und dass Röckel sich in der Tat mit dem Gedanken trug, möchte
man aus einem Briefe seines Bruders Eduard (aus London vom 10. Sept 1844)
schliessen, in dem dieser fragt: »Wie geht es mit Deinen Arbeiten? Hast Du
schon etwas von den Bergwerken zu Falun gearbeitet ?**
Das Manuskript besteht aus einer zwei Bogen füllenden Abschrift von zier-
licher Hand und aus zwei Blättern, die die bekannten Züge Wagners zeigen. Der
Abschrift fehlt der Schluss, der eigenhändigen Niederschrift Wagners der Anfang ;
das Mittelstück, vom Ende des ersten bis zur Mitte des dritten Aktes, ist sowohl
in der Abschrift als in der Originalniederschrift erhalten. Ein Vergleich beider
Fassungen zeigt mancherlei, doch fast durchweg sehr unbedeutende Abweichungen;
vermutlich hat Wagner auf Grund seiner Skizze die Abschrift dem Schreiber in
die Feder diktiert. Die zahlreichen Varianten werden nur in den ^Bayreuther
Blättern^ mitgeteilt Wagners Niederschrift ist am Schlüsse mit dem Datum
^Paris, 5. März 1842*^ und der Unterschrift «Richard Wagner ** versehen. —
Dr. Hubert Ermisch,
Oberregierungsrat in Dresden.
li
170
Die Bergwerke zu Falun«
Oper in drei Akten«
Personen:
Pehrsoi, Altermann und BesitEer einer Bergfr&lse.
Ulla, Beine Tochter.
Elia, Bergknappe.
Joens, Seemann.
Terbera.
Akt L
Der Schauplatz ist Falnn, vor dem Hause Pohrsons. Der HintergniDd
stellt die grosse TagesOffhung zu Falnn dar. Man hört ein Bergmannsglöckchen
in abgemessenen kurzen Pausen. Es ist am Beschluss eines Berggerichtstags
(Bergsting), dem Pehrson als Obermann vorgesessen. Bergleute sind vor dem
Hause versammelt, sie haben den üblichen Umzug gehalten und sind gekommen,
um Pehrson zum Gedeihen des von ihm so umsichtig und glücklich geleiteten
Bergbaues Glück zu wünschen. — Pehrson tritt unter sie und dankt ihnen,
Ulla besorgt zu Essen und zu Trinken und heisst Alle freundlich willkommen. —
Sie vermisst E 1 i s. P e h r s o n ist verwundert, das Glöckchen immer noch läuten
zu hören, da doch für den heutigen Festtag schon längst Feierabend gemacht
sei: ff Wer ist denn noch in der Teufe? Kein andrer kann dies sein als Elis.*
Man spricht sein Lob; wenn gleich der neuste und jüngste unter den Knappen,
sei er doch der fleissigste und gelehrigste. Ulla drückt leise Besorgnisse um
ihn aus. — Joens ist ebenfalls zugegen; er ist aus Falun gebürtig und besucht
nach langer Abwesenheit seine Vaterstadt zum ersten Male wieder, und zwar, um
eine reiche Erbschaft in Empfang zu nehmen. Er ist entfernt verwandt mit
Pehrson, und wird von ihm wohl aufgenommen. Er freut sich über Ullas
Schönheit, welche er als Kind verlassen, als er seinem Hange, Seemann zu werden,
folgte. — Pehrson meint, er habe es sich wohl denken können, dass der wilde,
unruhige Joens nicht zum Bergmannsleben tauge; dieser entgegnet, dass er die
Welt habe sehen wollen, und sich endlich nicht lange besonnen habe, dies als
Seemann zu tun. Er preist das Leben auf den Wellen ; die Hoffnung der Abfahrt,
die fernen Länder, die Rückkunft, den reichen Gewinn, das frische kräftige Leben
auf dem Meere, — alles schildert er im lustigen Tone eines Matrosenliedes. Er
erwähnt, dass ihm dies bald geschmeckt habe, dass er die letzte Fahrt nach Ost-
indien schon als Steuermann gemacht, und nun durch die reiche Erbschaft in
Stand gesetzt sei, selbst ein Schiff aufzurüsten : Man wünscht ihm Glück. Ulla
nimmt kindlichen Sinnes herzlichen Teil an seinem Schicksal. Pehrson scheint dies
mit Vergnügen zu gewahren. Dennoch wünscht er, Joens sei lieber Bergmann
geworden. Vom Chore der Bergleute unterstüzt, preist er das Bergmannsleben im
Gegensätze zum Seemannsleben an. Endlich lässt Pehrson die Gäste in sein Haus
eintreten. Joens bleibt zurück, Ulla, welche wieder zurückkommt, um zu spähen,
ob Elis noch nicht heimkehre, erschrickt, von Joens gleichsam belauscht zu
sein. Sie fordert ihn verlegen auf, doch ebenfalls einzutreten, und geht ärgerlich
wieder in's Haus zurück. — Szene. Duett. Joens allein. — «Nach wem sah
aicli U 1 1 a um ? QbH dies mir ? In der Tat, gern möchte ich mir damit schmeicheln.
171
Wie ist sie doch hübsch und traat geworden I Wollte mir das Kind nach deäl
Hafen folgen, ihr sollte nimmer eine Stunde getrflbt werden.' Er will ihr in
das Hans folgen Als er sich umwendet, sieht er E 1 i s , welcher ans dem Schacht
gestiegen ist, näher kommen. Das ölOckchen hört anf zu läuten. Elis, von
J o e n s beobachtet, kommt aufgeregten Schrittes und bleich nach dem Vordergrund,
ergreift einen Krug, welcher auf einem Tische steht, und trinkt heftig aus ihm;
der Trank scheint ihn gestärkt zu haben, er atmet auf und ruft : «Gott sei Dank,
ich bin im Freien.' Joens hat ihn erkannt und tritt ihm mit herzlicher Auf-
wallung entgegen. „Elis Fröbom, kennst Du Deinen Steuermann? Was zum
Teufel ist aus Dir geworden?' Elis erkennt Joens und reicht ihm die Hand.
Beide fragen sich gegenseitig ans, wie sie hierher gekommen, was sie treiben?
Joens kann sich vor Erstaunen nicht beruhigen, Elis aus einem Matrosen zum
Bergmann umgewandelt zu sehen: Er soll ihm erzählen, wie dies gekommen. Elis
berichtet, wie ihm das Leben zur See verleidet worden sei, als er, von der letzten
Fahrt heimkehrend, sein altes Matterchen, sein Teuerstes auf Erden, nicht mehr
angetroffen habe. Während seiner langen Abwesenheit sei sie unter fremden
Leuten kflmmerlich gestorben. Als er im tiefen Schmerz aber dieses Ereignis
sich verschworen hatte, nie wieder in See zu gehen, habe ihm ein wunderlicher
alter Bergmann, der sich zu ihm gesellt, viel sonderbar Anziehendes und Herrliches
von dem Leben und den Bemühungen des Bergmanns erzählt, von den wunderbaren
Schätzen, die gewöhnlichen Augen verborgen, sich dem Blicke des Eingeweihten
erschlössen, er habe ihm gezeigt, wie im Mittelpunkte der Erde ein viel grösseres
Glttck als auf ihrer schalen Oberfläche zu finden sei. Dies und ein wunderbarer
Traum, der ihm die namenlosen Herrlichkeiten jener unterirdischen Welt mit
verführerischer Gewalt erschlossen und in welchem ihm ein überirdisch schönes
Franenbild erschienen sei, habe ihn mächtig nach den reichen Bergwerken zu
Falnn hergetrieben. Joens schüttelt verwundert den Kopf, er erinnert Elis
daran, wie dies an die bösen Träume gemahne, in denen sich Seeleuten der aus-
getrocknete Grund des Meeres zeige und sie die zahllosen Schätze anf demselben
sehen Hesse; Elis wisse doch, dass ein solcher Traum ihnen den nahen Tod in
den Wellen verkünde? Elis fährt fort und boschreibt die Gefühle, mit denen
er in Falun angekommen, die Angst, die ihn befallen. Da aber habe sich bei
seinem Eintritte ein Engel gezeigt, ein liebes holdes Mädchen, die ihm freundlich
gelächelt und ihn eingeladen habe, hier zu bleiben. Dies Mädchen habe schnell
sein ganzes Herz gewonnen, und wenig Wahl sei ihm geblieben; er sei in Pehr-
son's Dienst getreten und werde durch grosse Liebe von ihm ausgezeichnet.
Joens meint, dies lasse sich eher hören, er forscht nach seiner Liebe, ob er
Hoffnung habe. Elis erklärt, noch sei kein Wort deshalb über seine Lippen
gekommen. Seine gerioge Stellung, die kurze Zeit seines Hierseins, Alles hielte
ihn ab, sich vorschnellen Hoffnungen zu überlassen. Auch, setzt er düsterer
hinzu, fürchte er, dass seine Geschicklichkeit im Bergbau von nun an wohl keine
Fortschritte mehr machen werde. Was ihm heute begegnet, verleide es ihm fast
gänzlich, wieder in die Teufe hinabznfahren. Joens bemerkt, dass Elis ver-
blasst Er dringt in ihn, ihm mitzuteilen, was vorgefallen. Elis erzählt, dass
er heute noch allein im Schachte gearbeitet, und seine Gedanken nur auf seine
Geliebte gerichtet habe. Da sei ihm plötzlich jener seltsame alte Bergmann er-
schienen, welcher auf ihn zugetreten und ihm gezürnt habe, indem er ihm Vor-
würfe darüber gemacht, dass er sein Herz einem Mädchen zugewandt habe, auf
die allein bei der Arbeit sein ganzer Sinn gerichtet sei; er habe ihm gedroht
und gesagt, dass, wolle er die wahren Wunder der Tiefe erschauen, und zum
Anblick der hohen Königin gelangen, so müsse er sich alle Liebesgedanken aus
172
jlem Sinn scUageiL Den Verwegenen habe nun Elia hart angelassen, worauf jener
mürrisch and drohend verschwunden sei^ wie er gekommen war. Fast erdmckt von
dem Schwefeldnnst, sei er erst wieder zur Besinnung gelangt, als er das Freie
erreicht. J o e n s bezeigt seine Teilnahme und Besorgnisse. ,,Du machst mir selber
bange, Elis. Weisst Du etwas, noch ist es Zeit, lege den Bergmanns Kittel wieder
ab und komme mit mir zur See 1 Du sollst es nicht schlecht haben ; ich bin reich
geworden und werde von nun an mein eigenes Schiff fahren. Du sollst mein Steuer-
mann sein. Willst Du Dich von Deinem Liebchen nicht trennen, so nimm sie mit
zum Hafen. Auch mir könnte es leicht kommen, dass ich mir ein schmuckes Kind
von hier zum Weibe mitnähme. Bin ich nicht Bergmann, so habe ich doch Geld.*
Elis: ffDoch ich?^ Joens: „Auch Du sollst nicht arm sein, gern teile ich mit
Dir; und hast Du Geld und bist Du etwas, war's auch als Seemann, so gibt der
Bergmann Dir doch gern sein Madel. Auch ich hoffe ja darauf. Schlag* ein I Zur
See sollst Du wieder der Alte werden Willst Du mit mir halten?' Elis atmet
auf: „Durfte er hoffen? Zur See, zur Seel*' Ach, wie ihm wohl wird bei dem
Gedanken I Beide ergiessen sich in das Lob des Meeres. „Lasst uns die engen
Klafte fliehen, auf dem Meer, auf dem Meer ist Freiheit allein! u. s. w." —
(Ensemble) — Terzett Ulla ist aufgetreten und hat die letzten Ausrufe
vernommen. „Was hör* ich, wie, Ihr wollt zur See I' Elis erklärt ihr verlegen,
dass sie alte Freunde vom Meere her wären, und dass sie sich so eben mit
Freuden des früheren Lebens erinnert hätten. Ulla: „Wie, Elis, geftUst Du Dir
so wenig in unserm Falun ? Hast Du den alten, wilden Hang noch nicht verloren,
der Dich auf den Wellen begleitete?*^ Joens spricht Elis das Wort; Ulla
schmäht ihn in komischem Eifer; sie nennt ihn einen YerfQhrer, der gewiss vom
Meere ausgeschickt sei, um dafür zu werben. Wo er so wilde Menschen fhade,
wie er sei, könnte es ihm auch wohl leicht gelingen, Elis aber sei fromm und
sanft und wisse schon, wo ihm wohl sei Joens, leise zu Elis: „Sie macht sich
Aber Dich lustig! Wollen wir sie aushorchen? Wäre sie bereit, einem Seemann
zu folgen, so durfte man es wohl auch von mancher andern hoffen/^ £lis glaubt,
Joens errate sein Liebesgeheimnis, und gibt ihm recht Joens hingegen glaubt,
sich und seine Absichten auf Ulla Elis zu verstehen gegeben zu haben. Er fr«gt
Ulla: wenn ein Seemann um sie werben wflrde, ob sie ihm folgen könnte? Ulla:
„Auf die See?*' Joens. Nach Belieben. Wenn es ihr geftllt, könnte sie mit
nach Ostindien fahren. Ulla: „Hu, Tag und Nacht zwischen Wasser und Himmel,
nimmermehr!^ Joens „Ei nun, so bleibe sie zu Haus und erwarte den Mann.'
Ulla: „Das ist zu langweilig. Ich warte nicht mit' Joens. Wenn aber der Mann
nun herrliche Sachen aus der Feme mitbrächte, schöne Stoffe, Tücher? u. s. w.
Ulla „Das kann mich nicht reizen.' Joens (in Verzweiflung): „Wenn sich
nun aber beide herzlich liebten?' Ulla fährt auf, blickt schnell Elis in's Auge,
wendet sich dann freudig zu Joens, mit den Worten: „0, mit Liebe im Herzen
folgt man Überall hin.' Elis und Joens, Ulla's Erklärung auf sich beziehend,
sind darüber hoch erfreut u. s. w. (Ensemble) — Finale. Die Bergleute
kommen wieder aus dem Hause. Der Abend ist angebrodien. Pehrson grUsst
Elis und macht ihm Vorwürfe über sein heutiges langes Arbeiten in der Teufe,
er warnt ihn, bei seinem zu grossen Eifer, nicht einmal mit dem alten Torbern
zu tun zu bekommen. Elis fährt zusammen. Joens fragt, wer Torbem sei.
Pehrson (lachend), das sei der älteste Bergmann dieser Gegend, der habe das
Zäheste Leben; denn obgleich er vor hundert Jahren bei einem grossen Berg-
stürze versdiüttet worden, zeige er sich doch noch heut zu Tage und zwar
besonders den Bergleuten, denen es am eifrigsten um ihr Gewerbe zu tun sei;
und denen er oft schöne Trappgänge entdecke. Von Zeit zu Zeit, besonders
m
wenn ee an Arbeitern feUe, kftmen (es) ans fernen Gegenden Junge Leute afl,
die Ton einem alten Bergmann (niemand anders als Torbem) zum Bergbau
geworben worden seien. Elis yerblasst und ist sichtlich angegriffen, Joens
bemerkt es teilnahmvoll und voll Verwunderung über Pehrsons Erzählung. Er
fordert Elis auf, seinen Entscbluss, wieder Seemann zu werden, sogleich kund
zu tun. Pehrson ermahnt die Bergleute, auf das dumme Gewäsch von Torbem
nicht weiter zu achten, sondern ihr festliches Zusammensein durch ein gutes altes
Lied zu beschliessen. Alle stimmen einen einfach frommen Gresang an. Joens
will die Rflhrung, in die alles versetzt ist, benutzen, um seine Absichten auf
Ulla zu fördern.*) «Heutd*, ruft er,*) ist bei Euch nun einmal^) Fest und
Freude. Gönnt auch unsereinem ein Glück! Vater Pehrson I ein Seemann, dem
es an nichts gebricht, und dem Euere Tochter zu folgen sich schon bereit erklärt
hat, hält um ülla's Hand an. Wollt Ihr sie ihm geben?*' Pehrson: ,Ein
Secanann? Und^) wer ist denn der?* Joens: «Zum Teufel,*) wer solFs sein?
Ich bin der Seemann! Ulla erschrickt heftig; Elis fährt zusammen, und
glaubt seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Pehrson dagegen^) scheint nicht
sehr überrascht zu sein. «Dein Vater war mein Freund. Bist Du so brav als er,
so wünsch' ich meiner Tochter keinen besseren Mann, und *) muss Dir obendrein
das Zeugnis geben, dass Du kurz und bündig zu freien verstehst.*) Elis bleibe*)
mir als Sohn, Dir Joens, mag das Mädchen folgen, wenn sie will. Joens:
„Triumpf, Triumpf." Elis schreit auf wie ein Rasender: «Verraten, verraten!
Torbem, Du hattest recht !^ Er stürzt nach dem Hintergrunde zu ab. Alles
steht im höchsten Erstaunen : ^<^) ,Was ist ihm, ist er von Sinnen?^ Ulla wirft
sich an ihres Vaters Brust. Joens steht wie vom Schlag getroffen.
Akt n.
Scene und Arie. ^ ^) Das Theater stellt die Tiefe eines völlig unerleuchteten
Schachtes dar. Ein matter Lichtstrahl nähert sich von oben.^*) Elis kommt
die Felsenwendung ^*) herab, ^^) setzt ^*) sein Grubenlicht auf^*) den Boden, und
sinkt erschöpft nieder. „Ich bin verraten!*^ — Wütend rafft er sich wieder auf:
«Torbem, Torbem, he, alter Bergmann, wo bist Du, komm' zu mir, fahr' mit mir
hinab in den Mittelpunkt der Erde! Ich will Dir treu sein^^); nie will ich die
Sonne wieder sehen! Zeig* mir Deine Schätze, die Du mir verhiessest Lass'
mich das hohe Angesicht der Königin schauen! Dein bin ich! Ha, wie hattest
Du recht, mich zu schelten. Ich Tor i*) suchte das ganze Glück meines Lebens,
meiner Seele dort oben unter der Sonne, die ich anbetete, weil sie die Wnnder-
gestalt eines Engels beschien. Mir graute vor diesen Tiefen und ich durchwühlte
sie nur, um meinem Fleisse ein holdes Lächeln, meinen Gefahren eine süsse
Besorgnis zu gewinnen. Ach, wie verachtete ich Deine ganze Herrlichkeit, wie
ich sie einst im Traume erschaut, hohe Königin, der ich mich jetzt weihe! Wie
verachtete ich Deine wundervolle Welt, um einen Blick aus dem Auge ^*) jenes
Engels. Ha, welch* ein Tor**) war ich, als ich mich der Lebenshoffiuung unter
der Sonne hingab. Verraten, meineidig, verlassen und getäuscht bin ich! Zu
Dir, Torbem, Torbem, rufe ich! Zeige Dich mir, Torbem, Torbem!'' Er hält
erschöpft ein. Lange Pause. Dann hört man leises Klopfen, wie entfemter
Hammerschläge auf Stein. Elis springt auf; hastig ergreift er seinen Hammer
und schlägt gegen die Stoinwand, von woher der Schall kommt. Die entfernten
Schläge*^) kommen näher und näher. Ohne dass man die Steinwand sich öffnen
sieht, tritt Torbem heraus. — Duett Torbern: «Wie verlangst Du doch so
eifrig nach mir^ und noch vor wenig Stunden wiesest Du mich**) barsch von
1?4
Dir? Hat Dir Dein Mädchen den Kopf yerrflckt, einftitiger Gesell?'^ Elia:
«Klage mich nicht an. Ich kenne Dich; Da bist Torbem! Höre mich,'') Torbem,
ich will Dein sein: Da hattest Recht, mich einfältig za schelten. Ich Tor,'^)
waram erkannte ich nicht längst, wo mir mein wahres Glück blühe? '^) Ha, die
über ans sind falsch and yerräterisch.^ Torbern: „Erhitze Dich nicht, bleibe
gelassen! Ich sehe. Da bist aaf dem wahren Wege zam Glück. Elis, Da sollst
die Königin schaaen. Sieh, Ener beschränkter, erbärmlicher Verstand reicht nicht
so weit, Each nnr die Oberfläche der Wander za zeigen, die sich dem kandigen
Blicke erschliessen. Dein Blick wird aber nar kandig, wenn sich Deine ganze
Seele diesen Wandern wciht.^ E 1 i s : „Meine Seele ist ergeben, mein Blick lechzt
nach den Herrlichkeiten. Zeige sie mir and nimm meinen Schwär der Treae.*^
Torbern: „Deines Schwur's bedarf s hier nicht. '^) Da bleibst ans auch ohne-
dem tren, wenn sich Dein Blick einmal erschlossen.^ (Ensemble.) Torbern:
„Blick* jetzt deatlich aaf jene Ader, die sich dort zeigt. Erkennst Da sie, nach
der Ihr gierig schon Jahre lang sacht ?^ — Die hintere Felsenwand beginnt all-
mählich'^) sich za lichten and zarückzaweichen. Eine immer zanehmende,'^)
bläaliche Helle yerbreitet sich überall. Wanderbare Krystallbildangen zeigen sich
immer klarer dem Blicke. Sie nehmen allmählich die Gestalton von Blamen and
Bänmen an. Blitzende Edelsteine fankeln an ihnen; andere Krystallbildangen zeigen
sich in der Gestalt yon schönen Jangfraaen,'^) wie im Tanze verschlangen. ><^)
Endlich erblickt man im fernsten Hintergrande den Thron einer Königin. Yon
seltsamem Glänze nmgeben sitzt eine schöne,'^) kostbar geschmückte Franengestalt
anf ihm. Da hört man von oben her die Stimme Ullas: „Elis, Elia, ich
bin Dein I' In >^) einem Moment ist der Schacht in seinen früheren Zastanfl
zurückversetzt. Torbern ist verschwanden. Elis taamelt betäabt gegen eine Stein-
wand, in der er sein Gesicht verbirgt. Das Gmbenlicht Elis' wirft vom Boden
her seinen matten Schein durch den Schacht. — Finale. Durch die Einfahrt
fällt immer hellerer *') Fackelschein herab. Man hört die Rufe Pehrsona, Joens,
Ullas und der Bergleute.'^) Sie kommen nacheinander herunter. Ulla, die
schnell eine enge Bergmannstracht '^) angelegt hat,'^) ist die erste. Ihr folgen
zunächst Joens und Pehrson, nach und nach die '^) Bergleute. Ulla wird
zuerst'^) Elis ansichtig; sie eilt auf ihn zu; alle rufen ihn heftig und angstvoll.
Endlich kommt er zu sich, er blickt in Ullas Augen, die ihm '^) zuruft: „Elis,
mein Elisl** Pehrson schilt ihn heftig über die wahnsinnige Verzweiflung, mit
der er sich zur Nachtzeit in den gefährlichsten Gking der Teufe gewagt ^<^) habe.
Joens zeigt tiefe Bekümmernis. Elis blickt starr einen nach dem andern an.
Man unterbricht sich gegenseitig mit dem Bericht dessen,^ i) was in seiner Ab-
wesenheit vorgefallen.^^) Joens sei der erste gewesen, der Elis seltsames Be-
tragen zu deuten gewusst,^') sogleich habe er ausgesagt,^^) dass Elis Ulla bis zum
Wahnsinn liebe; er habe sogleich ^^) von seinen Ansprüchen auf Ullas Hand ab-
gestanden,^^) und auf seine Fürbitte, sowie auf^^) Ullas Flehen, habe Pehrson
nicht gezaudert, Elis für seiner Tochter ^^) wahren Bräutigam zu erklären. Ulla
sinkt in des Geliebten ^^) Arme. Dieser, der von seinem Erstarren allmählich
zu sich gekommen ist, beginnt heftig zu weinen ; er hält alles, was ihm begegnet,
für einen Traum, und fürchtet nur, er träume noch.^^) Man wünscht sich ^^)
Glück, ^') noch zur rechten Zeit über alles aufgeklärt worden zu sein;^>) ehe es
vielleicht zu spät war, den unglücklichen Verzweifelnden ^^) wohlbehalten wieder
aufzufinden.^^) „Fort hier aus der Tiefe!*' ruft man von allen Seiten. Joens
schüttelt sich und wünscht sich lieber auf den Grund des Meeres, als in diesem
Schacht länger zu bleiben. s^) Der Chor ruft: « Glück auf!^ und ermahnt zum
Aufsteigen. (Ensemble.) ^7)
m
Akt in.
ächanpiaU Wie im ersten Akt. Morgendämmerung. Gin Tmpp von fierg-»
leuten (Musiker und Sänger) haben sich vor dem Hause Pehrson's aufgestellt,
und bringen der jungen Braut zum Hochzeitsfeste ^^) ein Ständchen. ^^) Als sie
geendet, entfernen sie sich leise. ^®) Die Sonne ist aufgegangen; frischer, klarer
Tag. Ein Fensterladen ^i) öffnet sich am Hause; Ulla im Morgengewande sieht
heraus, sie hat die Musik gehört; voll Rflhrung ruft sie: „Habt Dank, habt
Dank, ihr süssen Töne ; wie wonnig wecktet ihr mich zu dem schönsten Tage meinea
Lebens/^ Sie beginnt ein einfaches, herzliches Gebet zu Oott, der so gütig alles
Ungemach von ihr gewendet habe. Noch niemand ist wach. Sie tritt aus dem
Hause und benutzt ihr Alleinsein, um sich den beglückendsten Vorstellungen un-*
gestört zu überlassen. Ihr Elis liebt sie, ihre höchste Wonne ist, zu gewahren,
wie er täglich mehr und mehr sich ihr in trauter Liebe ergibt.^') Anfangs nach
jenem Unglücksabende, an welchem der wilde Joens^^) ganz^^) allein Schuld ge-
wesen, ^^) sei sie herzlich betrübt worden, 0^) zu gewahren, wie sich Elis ihrer
Liebe nur halb zu erfreuen schien. Er sei bleich und düster gewesen, ^7) so
dass es sie oft^^) vor ihr gegraut habe. Doch wären dies aber wohl nur die
nächsten Eindrücke jener bösen Nacht gewesen, die sich nach und nach gänzlich
verzogen ^^) hätten, besonders seitdem sie nicht mehr zugebe, ^^) dass er in die
Teufe herniedersteige. Jetzt sei er gänzlich wieder hergestellt; er gehöre nur
ihr.^^) Oh, welcher glücklichen Zukunft dürfe sie entgegen sehen.''*) Pehrson
tritt aus dem Hause. Er ist verwundert, Ulla schon auf und im Freien zu finden ;
er freut sich, sie glücklich zu wissen. ''') „Elis scheint noch fest zu schlafen.
Lass* ihn noch ruhen! Er war noch spät in der Nacht auf.''^) Wohl war es
sein bevorstehendes Glück, das ihn nicht zum Schlummer kommen liess.^^) Ein
Tor war ich, Dich dem Seemann geben zu wollen. Elis ist der bravste und ge-
schickteste im Bergfach, und mir schon deshalb der willkommenste.^^ Ulla fragt,
ob er denn wieder in den Schacht fahren solle, ^^) ob nicht für ihn zu fürchten
sei. Er könne das Leben unter der Erde nicht vertragen. Pehrson „Lass'
das gut sein. Bis jetzt spukt ^^) ihm die Liebe noch ^^) zu sehr im Kopfe ^^).
Sehen wir, wie's nach der Hochzeit steht^^) Sei versichert, er wird nie wieder
Anfechtungen, wie vorher, ®i) erfahren.'' Pehrson geht, um in aller Frühe noch
einige Bestellungen zu machen, er rät der Tochter, an ihren Anzug zu denken;®*)
denn es Hesse sich wohl voraussehen, dass bald mancher Gast eintreffen werde,
den sie zu empfangen habe.®') — Daett. Ulla allein: „Wie ist Elis doch so
träge I ^*) Ach wie viel unruhiger klopft doch mir das Herz als ihm I^' Sie will
nach dem Haus gehen. Da tritt ihr Elis entgegen, festlich geschmückt, in reicher
Bergmaunstracht, den Bräutigamstrauss an der Brust. Er ist sehr blass.®^) Ulla
erschrickt ein wenig, als sie ihn sieht. „Wie, du bist schon geschmückt 1 Wie
muss ich dir Unrecht abbitten! Soeben schalt ich Dich, weil ich glaubte. Du
seist noch nicht aufgewacht.'' Elis grüsst die junge Braut, und versichert ihr,
wie er ihrer heutigen Hochzeit wohl immer eingedenk sei. Wie freue er sich,
dass er nun des grössten Glückes gewiss sei, welches ihre Ehe bis an das Ende
ihres Lebens begleiten werde : worüber er immer nachgesonnen, und was er immer
vergeblich gesucht, das habe sich ihm diese Nacht eröffnet. Ulla schaudert
„Diese Nacht!" •— Sie gewahrt Elis sonderbaren, brennenden Blick: „Wie ist
Dir, mein Elis, Du bist bleich. Gewiss hast Du diese Nacht gewacht. Was ist
Dir begegnet. Du ängstigst mich." Elis beruhigt sie: „Fürchte nichts, herzliebe
Ulla; freue Dich vielmehr; denn uns geht ein Glück auf, wie es selten Sterblichen
zuteil wird. Denke Dir nur : in dieser Nacht ist mir alles entdeckt worden. Da
nnten tief in der Teufe, da liegt ein wunderbarer herrlicher Stein, röter und
m
l^ciiSner als der glänzendste Rubin. Auf diesem Steine, sollst Du wissen, stetit
unsere Lebenstafel, in krausen, ^^) aber doch verständlichen Zflgen, eingegraben.*'
Ulla (in steigender Angst) „Elis, Elis, was sprichst Du doch. Sieh, Du bist
übernächtig; Dein Kopf ist heftig angegriffen. Was bedarf es der Metalle und
Steine zu unserem Glücke? Genügen unsre^^) Herzen nicht ?*' Elis „Ganz
richtig. Höre mich, lieber Engel, wenn wir diesen kostbaren Stein haben, und
in verbundener Liebe und klaren Auges da hinein ^^) schauen, da werden wir
gewahren, ^^) wie unsre Herzen auf das Innigste mit dem seltsamen Geäder dieses
Steines verwachsen sind.*^ Ulla ,Um Gott, Elis, was ist Dir? was willst Du
beginnen?' Elis ^Schweig*, schweig*, wecke doch noch Niemand auf. Erst*<^)
muss ich den herrlichen Stein holen; dann lass' die Gäste *^) kommen; in
ihrer Gegenwart will ich dir den Stein feierlich zum Hochzeitsgeschenk machen,
denn sei überzeugt, kein König schenkte je seiner Braut solch' einen Stein.*
Ulla: ,AchI Elis! Ich lass* Dich nicht! Höre auf meine innigsten Bitten,
mein Flehen, meine Beschwörungen, — bleib' bei mir, lass' ab von Deinem
träumerischen Vorhaben! Mir ahnet grosses Unglück!*' Elis versichert, dass
nicht das Geringste zu fürchten sei; — ein Kind könne zu dem Stein ge-
langen, so offen läge er da; nur dass ihn nicht alle zu sehen vermöchten, dazu
müsse man das Antlitz der Königin geschaut haben. — Ulla's Bitten und
Beschwörungen bewegen den Geliebten nicht; nachdem er geschworen, er werde in
wenig Augenblicken wieder zurück sein, — es litte ihn nicht, er müsse den Stein
haben, reisst er sich los und verschwindet im Eingange des Schachts. — Ulla
weint heftig. — Finale. Da hört man heitere Musik herannahen. Ulla
ermannt sich und begreift schnell, dass sie sich zunächst ankleiden müsse. Sie
geht in das Haus. — Ein grosser Aufzug mit Bergleuten erreicht die Bühne;
Musik voran. Alle verschiedenen Abstufungen und Klassen lassen sich wahrnehmen,
man trägt Fahnen und andere Abzeichen. Jubelndes Volk begleitet den Zug.
Ais sich derselbe vor dem Hause aufgestellt hat, treten junge Mädchen, festlich
geschmückt als Brautjungfern auf, von Brautführern begleitet. Die Mädchen
gehen in das Haus, um Ulla zu holen. — Pehrson tritt eilig auf: «Bald kam'
ich zu spät!'' Er heisst die Gäste willkommen: man bringt ihm und dem Braut-
paar ein Yivat, als Ulla von den Brautjungfern geführt in grossem Putze
heraustritt Sie ist in namenloser Angst um Elis. Man fragt nach dem Bräutigam :
Elis^') antwortet Pehrs n zagend, er habe versprochen, bald zu erscheinen. —
Joens tritt auf; er ist in festlicher Seemannstracht; er schwenkt den Hut und
ruft Yivat. Reiche Geschenke, die er mitbringt, indische Stoffe und Waren,
breitet er vor Ulla aus. — Und der Bräutigam, wo ist er. Ei schläft er noch ? —
So geht es auf dem Land; — alles wird da träge, zuletzt verschläft der
Bräutigam noch den Hochzeitstanz. — Man lacht — Pehrson drängt in Ulla,
ihm zu sagen, wo Elis seL — Sie bekennt ihm in grosser 'Angst, dass er in
den Schacht gestiegen sei, um ein Brautgeschenk zu holen. Pehrson lacht:
^Ha, ha! da wird er irgendwo seine paar Dukaten vergraben haben! — Der
närrische Junge will doch nicht gar zu arm erscheinen.'^ Er fordert zur Lustig-
keit auf! Der Herr Bräutigam habe sich etwas verspätigt u. s. w. — Joens
bittet sich aus, etwas singen zu dürfen: — er singt ein muntres Lied, welches
schildert, wie es hergehen müsste, wenn er Hochzeit halte, was trotz seines von
Ulla empfangenen Korbes doch auch noch geschehen könnte: — da müsste alles
springen, etc. — Die Bergleute wollen hinter seiner Schilderung nicht zurück-
bleiben: die Musik spielt auf, — man tanzt und jubelt — Plötzlich hört man
einen furchtbaren Krach, dem ein dumpfer Donner nachfolgt: der Schacht im
Hintergründe hat sich bedeutend gesenkt, die Einfethrt ist eingestürzt! — ^Elisl
177
EUb!* schreit Ulla; alle stehen in iassentem Entsetzen: die Berglentd macheil
sich nach dem ersten Entsetzen in grosser Regsamkeit daran, einen Eingang in
den Schacht zn entdecken, alles gräbt, hackt nnd schaufelt — Ulla stürzt ausser
[sich] znm Schacht, sie will zu Elis, zu Elis 1 — Einstimmig rufen alle ihr entgegen :
,iElis ist hini Keine Hoffnung I Betet zu Gott dem Barmherzigen I*^ Ulla sinkt
wie tot zusammen.
Paris, 6. Hftrz 1842.
Richard Wagner.
*) „Bergsfralse liod in Schweden L&Dderden
Seheissen, die fttr die Kupfer- und
ilber-Bergwerice Terliehen werden.
Die Besitzer solcher Frilsen haben
Kuxe in den Gruben, fOr deren Betrieb
sie SU sorgen Kebalten sind." E. T.
A. Hoftnann, Werke (Berlin, O. Hem-
pel), 207.
*) Hier bednnt Wagners eigenhandigeNieder-
schrift mit den Worten: «Hier soll
erst noch etwas passieren.*"
») „ruft er** fehlt W.
^) ,,nun einmal** fehft W.
») ,J(un« W.
•) ^um Teufel" K. „Nun" W.
n „dagegen" fehlt W.
*} .,nnd ^ Terstehst^* K. „obgleich man Dir
den heftigen Seemanu auch hier an*
merkt an der schnellen, derben Art,
-wie Du freist." W.
•) „bei mir" W.
*®) ,4m — Erstannen" K. „in der höchsten
BestflnuBg*« W.
") „Scene und" fehlt W.
^*) „nihert — oben K. Kommt ron oben
n&her." W.
") „Felsen Windung" W.
**) „herunter" W.
") „stellt** W.
'•) „an" W.
") „bleiben** W.
*•) „Narr" W.
") „ans — Augen" K. „des Auges" W.
••) „welch' blinder Narr«* (Zusatz) W.
") „Hammerscblage" W.
") „so" (ZusaU) W.
") „mich" fehlt W.
") „Narr** W.
t6^ bliebe*' W
»•) "bedarfii — iiicht" K. „hat es nicht nötig."
") „unmerklich" W.
") ^wachsende." W.
*•) „die" (Zusatz) W.
••) „sfaid" (Zusatz) W.
") »schönste." W.
") «Mit- W.
••) .heller.» W. ^
*^) „die nach Elis rufen** (Zusatz). W.
w) „Tracht." W.
•^ „hat" fehlt W.
•») „die" fehlt W.
•^ „der Gestalt" (Zusatz) W.
••) „freudig." W.
*•) „Torloren." W.
«') „dessen" fehlt W.
") »sei*' (Zusatz). W.
*•) .habe* (ZusaU) W.
^) .er sei fiberzen&t* (ZusaU) W.
«») .er habe sogleich** K. .Elis (lies: UIU)
habe unter Schluchten ihrem Vater ge-
standen, dass ihr Hera ihm ebenfeUs
gehöre, und so sei denn Joens selbst.* W
^) .surflekgetreten.*' W.
*») .sowie auf- K. — .und« — W.
*•) .seiner Tochter« K. «Ullas* W.
*•) .des Geliebten« K. .Elis» W.
^) .Joens macht ihm heftige YorwOrfe Ober
seine Verschwiegenheit gegen ihn«
(ZusaU). W.
") „den beiden** W.
^*) „Pebrson dankt Gott, dass er** W.
»») „au sein" K. „sei" W.
^) „aafeusucben und« (ZasaU) W.
»») „wieder aufeufinden** K. „anzutreffen" W.
Am Bande findet sich bei W. der Ver-
merk: „An D (?). Was man sucht,
ist nicht immer das Beste, oft aber
was man findet."
^) „Elis ist (sie!) rermag sich kaum lu
fessen (ZusaU) W.
*0 „Sie wenden sich nach der Höhe" (Zu«
saU) W.
»<) „EU ihrem Hochieitotage." W.
^*) „Morgenst&ndchen." W.
•«) „leicht" W.
•») „Laden" W.
•*) «ergebe" W.
•») ^un" (ZusaU) W.
•*) „und" (ZusaU) W.
••) „sei" (Zusate) W.
••) ,4fewesen" W.
*^ „habe oft Ton seltsamen Dingen, Ton
Metallen und Steinen gesprochen"
(ZusaU) W.
•^ „sie oft" K. ,4hr fölMg" W.
**) .Terscheueht« W.
^v »zugegeben« W.
IS
178
t«) ,nvr ihr* K. •Ihr Mm« W.
T^ todOrfe *- sehen* K^ — aSieht sie ent-
gegen* W.
'') er — wissen E. «kann sich Jedoch er-
kUtren, was sie nicht schlalen lässt.*
«Mögest Da glflcklioh sein» mein lid^s
Kind! — alP Deinen Wünschen habe
ich nachgegeben und bin fibersengt, es
sa Deinem Glflcke getan in haben.* W.
^«) Er -^ anf K. ,Sr ist sp&t in die Nacht
aufgewesen.* W.
'>) Wohl — liess K. »Sein her. Glfick liess
ihn nicht snm Schi, kommen«* W.
»•) .sollte* W.
") .steckt« W.
»•) .noch* fehlt W.
'*) .die hatte ihn wohl ein wenig rodreht*
(Zus.) W.
••) Sehe« — steht K. .«Wir wetten lael
der Hochieit sehen** W.
") ,»wie Torher" fehlt W.
") er — denken K. „Ulla solle sich immer
«Mtfich kleiden.^ W.
^) sm — habe K. ^^mpfkugen mOsee.** W*
^) „Nichte rOhrt sich'' (Zom^) W.
») „bleich" W.
M) „grausen** K. (Sdireibfehler.)
•') „unserer beider** W.
••) „hin** W.
n ngewahr** W.
^) Erst — holen K. .Lass' mich suror
hinab sur Teufe, um den herrlichen
Stein SU holen: wenn ich ihn droben
habe *
^) Hier bliebt die Kopie ab; das folgende
nach W.
M) soU heiesen: Ulla.
Bayreuth und Draussen.
ErklärunfT
der Zentralleitung des Allgemeinen Richard Wagner-Vereins.
Zur Parsifkl-AnflBhniiig in Amsterdam.
Als ein .Gonried* das weiheroUste Werk Wagners zum Zwecke wilder Spekulation ao
sieh riss, gingen die Wogen der Empörung darüber hoch. Nun haben wir ron neuem Ur-
sache, empört zu sein, und zwar in erhöhtem Masse, denn wiederum greift eine Hand nach
dem geistigen Eigentum unseres Volkes I Und diesmal gar ans einem Lande heraus, mit
dem wir freundnachbarlich, Schulter an Schulter, wohnen, mit dem wir so viele gemeinsame
Interessen haben, dessen ßefölkerung der unteren so müie verwandt istl
Herr Dr. B. Yiotta, der artistische Leiter der Amsterdamer «Wagnerrereeniging*, plant
eine Aufführung des Parsifal in Holland!
Will man seinen Versicherungen Glauben schenken, so leiten ihn nur künstlerische
Bestrebungen. Er ist ein gebildeter Mann ncd Künstler. Er kennt die Schriften und
Willensmeinnng Richard Wagners, ist bisher bestrebt gewesen, der Wagnerschen Kunst aa
dienen, und behauptet, dies auch jetzt lu tun und im Sinne des Meisters su handeln.
Dies su glauben wird uns schwer, wenn wir wissen, dass Dr. ^Hotta den Wunsch det
Meisters kennt, dass der Parsifal lediglich für Barrenth erhalten bleiben soll
Im Namen des Allgemeinen Richard Wagner-Vereins protestieren wir gegen die gepluta
Aufführung t
GesetsHcbe Hilfsmittel, sie zu rerhindem, fehlen uns freilich! Aber Tielleicht hilft bei
Herrn Dr. Viotta, was bei einem .Conried* nicht Terfongen konnte. Wir appellieren an
sein GefiAhl der Piettt gesen den tou ihm Terehrten Meister! Wir rufen des Gefühl der
Achtung Tor Wagners Willen und dem Wunsch seiner Erben, der ganzen deutschen Nation,
an ! Wir wenden unr an das Anstandsempfinden des gebildeten Mannes und Künstlers und
hoffen, dass er in letzter Stunde noch zur Emsicht kommen und begrei&n werde, dass er
mit der Ausführung seines Planes sich selbst und seiner Vereinigung keine Ehre einlegen kannl
Berlin, im Febmar 1905.
Me ZeitMleltug im Allgemeiien Riekari Wasier-V^feiftt.
M. wen Bosenberg.
\. .
Berti! uwi Berlii-PfMaa. 28. I. — 170. TereiiM-Abeiid anter Mitwirkmig der Fraa
Marie KnflpflBr-Bgli, des Hni. Dr. Otto Briesemeister nnd des Komponisten Hrn. Hans
Pfltsner, 4 Lieder ton Robert Frans, 8 Lieder ron Hans Pfitsner. %. Hftifte des I. Aktes der
„WäObüre^. — 27. IL Konsert nnter Leitong des Hm. HofkapeUmeisters Karl Poblig ans
Stuttgart, nnter Mitwirkung der Kgl. Hofopemangerin Frl. Tbila Plaicbinger, des Kgl. Hof-
opemsiiigerfl Hm. Paal Knflpfer, des Kaniniersftngers Hm. Ludwig Hess, des Hrn. Prof.
A. Egidi (OrgeIX der Terstirkten Philbannoniscben Kapelle nnd einer Abteilung der Berliner
LMertaM (Dir.: Max Werner) : Peter ComeHns, erste OuTertflre sum »Barbier von Bagdad*.
F^rans LIsBt, Fkost-Synmhonie, 9. Teil der 1. HiMe des UL Aktes des „Banifal^* und
Vonpiel (Liebestod) und Scblnss (Yerklinmg) von „TütUm «mmI I»Mt^. —
Darmlill. 8. HL 89. Vereins-Abend. Zum Besten der Riebard Wagner-
Stlpendienstiftnng. Deutseber Lieder- and Balladen-Abend ron Hm. Otto Sfisse aus
Wiesbaden: 2 Werke ron Beetboren» 2 von Sebubert, 8 ron Scbumann, 2 von Usxt, 2 Ton
A. Meadelssobn, 1 tou Löwe (Gregor auf dem Btein). —
Srag. Der RScbard Wagner- Verein bat in der VolWersammlung am 26. L einstimmig
folgende Entscbliessung gefitsst: JHat Graser Riebard Wagner-Verein missbilligt entscbieden
Tom moraliscben und kflnstlerisdien Standpunkte aus die geplante szeniscbe AufRkbrung
das »Parsilal* in Amsterdam unA bedauert^ daas gerade ein VmiUi der sieb nacb Wagners
Naman nennt, sieb der Pietfttspflicbten gegen den nacbdrficklieb ausgesproebenen Willen des
Meisters, dass der »Parsifal* einrig seinem Bayreutber Festspielbanse Torbebalten bleiben
Bon, entscblSgt" — 14. H. Ged&ebtnisfeier. Vortrag des Hrn. Fr. Hofmann: »Ricbard
Wagner und sein Verb<nis snr bildenden Kunst* Ernst ron Wildenbracbs
Gemebt «Zu Riebard Wagners Tod*, Torgetragen Ton Frau Elli Stark. ^
Hamburg. 28. I. 19. Vereins-Abend. Unter Mitwirkung des FrL Tb. BrOtt (Klavier),
des Frl. Clara Werdermann (Gesang), der Herren Oberlebrer H. Feddersen (Klavier), E. Neu-
mann (Gesang): Werke Ton Back, BeetboTen, Brabms, Bungert, (3hopin, d' Albert, Frans,
Pbüipp. — 11. IK. Gedicbtnisfeier. Unter Mitwirkung des Frl. Helene Schaul (Klavier),
Fraa Martba Steinbacb-Tfimler (Gesang), des Hrn. Karl Gretbe (Gesane), Hm Emil Leicbsen-
ring (Cello), Victor Ronacber (Klavier): Trmtirüänge hei Siegflrieda Tode (2 Klaviere),
Biomolog des HdOänden; Oeetmg der Erda, Charfreitagfgauber (Cello und Klavier) und
Vonpia (2 Klaviere), die beiden Grenadiere, Orlmd und Teiramimd. -- 18. HI. Vortrag
des um. Prof. Dr. Wolfgang Goltber von Rostock: »Zur Entstebungsgescbicbte des
Tristan*; dasn: Stflcke aus Tristan nnd Isolde (H. und HI. Akt), Liebestod (Vorspiel) und
▼erklirung (Scblnssgesang). (Frl. Martba Mattbaei, Frau Lexow, Hr. Dr. M. Wagner,
Klarier: Hr. Wald. Fraenkel, Hr. Dr. Glage.)
LfidOB. Die engliscben Wagnerfreunde baben einen scbweren Verlust su beklagen,
woran aucb alle deutacben Anbänger der Sacbe Bayreutb's warmen Anteil nebmen werden,
da es ein aller Freund des Meisters und einer der ersten und titigsteu Vork&mpfer fQr seine
Kunst, seit dem Jabre 1872 aucb Begründer eines Wagnervereins in England war der in
der angesebenen nnd verehrten PersönHcbkeit Edward Dannreotber's, eines Elsissers
Ton Geburt, am 12. Februar d. J. secbzigjäbrig aus dem Leben geschieden ist
Plaaei. 58. L V. Konsert unter Mitwirkung von Dr. Riebard Strauss, Hrn. Willy
Burmeister aus Berlin, der städtischen Kapelle von Chemnitz nnter Leitung des Hm. Kapell-
asdsters Max Pöble: Gluck's Iphigenieu-Oavertttre, drei Viol in werke von Bach, Strauss,
Sjmpbonia domestica und Liebesscene a« d. Feuersnot — 8. IL VI Konsert unter Mit^
irirkun« der Frau Sauna van Rbyn, Konsert- und Operosftngerin ans Dresden, des Hrn.
Maadmilian Troitsscb, Konsertsängers aus Mönchen, nnd des Liederkomponisten Hm. Roland
Boequet aus Dresden: Lieder von Berger, Bocqnet, Brabms, Grieg, HOsel, Leo, Reger, Roth,
Schubert, Strauss, Trank, Wol£
Wlei. Akad. W.-V. In der Generalversammlung der ordentlichen Vereinsmitglieder
Tom 26. I. wurden gewiblt: Theodor Köchert als Obmann; Dr. Wolfi^ang Rigler, als
I. Obmann<>Stellvertreter; Walter Bokmayer, als II. Obmann-Stellvertreter; Prof. Ferd. Foll,
als artistischer Leiter; Dr Max Vancsa, pbil. Emst Schanmann, pbil. Felix Gross, als
SchriftfObrer; Karl Juritsch^ als Kassier; Emil Halauska, als Archivar; Landesgerichtsrat
Fhuis Sdianmann, Prof. Dr. Alois Höfler, Dr. Wilhelm DIauhy, Prof. Dr. Karl Pichler,
Ernst Korschan, Albert Ernst, als Beir&te. Leseabende werden jeden Montag abgehalten.
Sek Beginn des Jahres haben Prof. Dr. A. Höfler nnd Dr. W. Rigler mit der Lesung und
Beapedung des «Kunstwerkes der Zukunft* begonnen — An die .Waaner-Vereenigintf*
in Amsterdam wurde sufolge Beschlusses der VoUversammlnng ein Schreiben gericht^ In
dem energischer Protest gegen die geplante AaflUuruag des »PantCal* erhoben wird. —
160
Ansserliall der Yereine.
6eis1ii|:ei. Am 24. I. hielt Herr Hauptmann Bokmayer den Mitgliedern des Mateam^
oioen Vortrag Aber das «Bayireather Eonstwerk*, H^rr Dr. Karl Ornnskr ans
Stnnsart trag .die Vorspiele zn ,yT<ur8ifal*% y,Lohengrin**^ ffDrigUm ¥md IsMif* nnd den
„Meirteninffem" nach Toransgeschickten Erl&uternngen am Klavier Tor. —
Spandai. Zum Besten der Bayreother Stipendien-Stiftnng fand am 11. L
ein Waffner- Abend statt, dessen erster Teil in einem Vortrage des Herrn Rechtsanwalts
Panl Löwe bestand: Ober den «Ring des Nibelnngen*, insbesondere des
.Rheingold*, mit mnsikalischen Eriftntemngen am Flflgel. Der zweite Teil brachte anter
Mitwirkung der Fran Major Ton Wolff, Opems&nfferin Frl. Erna Teige, Fraa Helena Stempfle,
Fraa Banmann, Fran Hauptmann Hassinger and der Herren Otto Briesemeister, Hofopem-
sünirer M. Garrison, Kgl. Musikdirektor Richard Stiebita, Rechtsanwalt Paal Löwe. Rob.
Worbs und stud. jnr. Adler: Scenen ans dem „Bhemgold'* (Vorspiel, Bargbegrflssang, Wotan
nnd Fricka, Lose's Bericht, Loge*s Verspottung der Oötter, Alberichs üeberlistnng, Alberidis
Fluch, Erda's Warnung, Gewitterzauber, Regenbogen, Wotan's schöpferischer Oedanke, Klase
der Rheintöchter, Einzug der Götter in Walhall). Am Klavier: Hr. Panl Löwe, Hr. K.
ßtiebitz, Frau r. Wolflf. —
Zur Förderung der Stipendien-Stiftung«
Drcsdei. Am 25. Januar fand im Rektoratssaale der Kgl Techn. Hochschale die kon-
stituierende Sitzung des sächsischen Landes- und Dresdener Ortsausschusses für die National-
sammlung zugunsten der Bayreuther Stipendien- Stiftung statt Herr Konsul Chrambach er-
öffnete die Versammlung, deren Ehrenrorsitz Herr Staatsminister Otto führte, and erstattete
Bericht. Elr teilte mit. dass das Ehrenpräsidium des Dresdener Ausschusses die Bterren
Ezz. Graf Dönhoff, Kgl. Preuss. Gesandter, Exz. Staatsminister Dr. jur. Otto, Exz. Qraf
Seebach und Oberbtlrgermeister Beutler flbemommen haben, nnd schlug als Vorsitzenden
Herrn Geheimrat Prof. Dr. Adolf Stern, sowie als Arbeitsausschuss die Herren Privatdozent
Dr. Brück, Konsul Chrambach, Bankier Heller, Kurt Mey nnd Prof. Bertrand Roth vor.
Nach Genehmigung dieser Vorschläge legte Herr Geheimrat Adolf Stern Sinn und Zweck
der Wagnerehrung dar. In einer kurzen Diskussion erklärten offizielle Vertreter der Orta-
ausschOsse zu Plauen i. V. und I^eipzig deren Beitritt zum sächsischen Landesansschasee,
welcher somit offiziell konstituiert war nnd seine Tätigkeit alsbald energisch zu be-
ginnen hofft. Der Dresdener Ausschnss besteht aus 86, der Leipziger aas 16, der Plaaeoer
bisher aus 5 Herren aus allen besseren Bemfe- und Gesellschaftskreisen. Weitere sächsische
Ausschüsse sollen in Chemnitz, Zittau, Grossenhain u. s. w. noch gebildet werden.
Jena. Als ein Teil des Landesansschnsses für Thüringen hat sich der «Ortsaasarhnss
Jena zugunsten des Nationaldankes für Richard Wagner* gebildet, vertreten durch : Dr. Rad.
Schlösser, Üniversitäts-Professor, Dr. H. Dinger, Privatdosent, Dr. K. (}raf, Arzt, Dr. W.
Lnbosch, Privatdozent, Dr R. Schröder, Verlagsbuchhändler, Dr. H. Zeiss, Justizrat, EdwarC
Richter, Techniker.
Karlsruhe. 24. IL Festkonzert zugunsten der Richard Wagner-Stipendienstiftnng
veranstaltet vom Badischen Landesausschnss unter dem Protektorate Seiner Grossha:xog-
li'chen Hoheit des Prinzen Maximilian von Baden: Rede des Geh. Hofrats Prof. Dr. Henry
Thode aus Heidelberg; Vorspiele zu den ,,Mei9tenmgem'' und dem „Panifal"^ 8. Sinfonie
(Eroica) von Beethoven, ansgefQhrt von dem Grossherzogl. Hoforchester unter Leitung des
Hoflcapellmeisters Herrn Michael Balling. — 10. HL Konzert zugunsten der R. W. St.
Stiftung veranstaltet vom Badischen Landesausschuss: Beethoven- Abend (Sonate as dar 110,
f moll 57, c moU 111, vorgetragen von Graf Carl Pfickler). —
Stittis;art Am 17. H. fand die erste Veranstaltung des Wflrtt. Landesansschnsses unter
Leitung de<« Herrn Hofkflp'^llmeisters Karl Pohlig und Mitwirkung der Kgl. Hofkapelle
statt; die erläuternden Worte sprach Hr. Geh. Rat Prof. H. Thode aas Heidelberg, die
vorgetragenen Werke waren: Vorspiel zu den „Meisleningem**^ GraherßäJihmtg (Hr. Hof-
Opernsänger Costa), Siegfrieä-IäyU, Tamthämer-OtAvertüre, lAdietioä ^mä Verhlänmg, (Vor-
spiel nnd Schluss) aus „Tristan wnd Isolde*. Es ist za bemerken, dass der Preis fOr sämt-
liche nummerierte Plätze der Liederhalle gleichmässig auf 1 Jd festgesetzt war, für die
PlätzA auf der Galerie auf 50 f —
Drnekfekler. St IßU. 8. 54 Z. 11 v. n. soll heissen: «Inder", nicht M^aden'^ ^
Im Bnehhaadel tm hnklk«i dnzoli C. F. Lesdt, Lilpiit-
Im. ITerlaffo des H[eKmusBel>ex«*
DrMk T. Lor«Bi IllwABfftr, ?«■. Tk. Bug«, Bafitstä.
Beilage zran IV.— VI. Stück der „Bayreuther Blätter" 1906.
Siebenter Bericht
fiber die
Gobineau-Vereinigung.
Der Zeitraum, welchen der vorliegende siebente Bericht omfasst (von
September 1908 bis Februar 1906), hat uns, was den äusseren umfang
des Vereins betrifft, den grössten bisher erreichten und wohl überhaupt
zu erreichenden Au&chwung gebracht. Die Mitgliederliste umfasst 267
Namen, von welchen allerdings gegen Schluss dieser Vereinsepoche eine
Anzahl hinwegzudenken sind, deren Träger durch Todesfall oder Austritt
dem Verein entzogen wurden oder sich entzogen, ohne bisher durch ent-
sprechende Neueintrittserklärungen ersetzt zu sein«
Von den Todeefiülen war der für den Verein schmerzlichste der im
September 1901 erfolgte des Gr^en Basterot, des treuesten Freundes,
der Gobineaus Sache in Frankreich noch erstanden. Er war ein erlesener
Typus des alten französischen Edelmannes, wie er leider im modernen
Frankreich immer weniger eine Stätte findet. Die schöne Einleitung (bio-
graphische Skizze) vor der neuen Ausgabe des Bassenwerkes (Paris, Didot,
1884), die mit ihrer wohltuenden Wärme und ihrem ächten Verständnisse
so Manchen in Gobineaus Wesen erstmalig eingeführt hat, stammte aus
seiner Feder. Auch unseren Verein hat er grossherzig gefördert ; die Neu-
ausgabe der Beligions et philosophies dans TAsie centrale war in erster
Linie ihm zu verdanken.
Von sonstigen Mitgliedern verloren wir noch Herrn Leutnant a. D.
Eber in Fraburg, Herrn M. Buchholtz, .Kaiserl. Bankvorsteher a. D«,
Hagen i./W., Herrn Baron de Pury, Neuch&tel, Fräulein Frida Thiry,
Freiburg.
Dagegen hat sich die mir seiner Zeit vom königlichen Postamte zu
Mailand zugegangene Nachricht vom Tode des Herrn Carlo Mancini
daselbst erfireulicher Weise als irrtümlich herausgestellt, sodass wir den
genannten persönlichen Freund Gobineaus nach wie vor als MitgUed be-
grüssen und in unseren Beihen führen dürfen.
Wenn in dem hinter tms liegenden Zeitranm durch Schwierigkeiten,
die durch alles Dagegenankämpfen nicht ganz zu beseitigen waren, die Yer-
ö£fentlichnng weiterer Gobinean'scher Texte zunächst eine Verzögerung er-
fahren hat, so ist es dagegen möglich gewesen, nach anderer Seite, durch
Massenschenkung früher veröffentlichter deutscher Werke, einen um so
kräftigeren Schritt vorwärts zu tun.
Die wiederholt mir zukonmienden Meldungen von schönen Wirkungen
der Vorlesung von Benaissanceszenen im Geschichtsunterricht unserer höheren
Lehranstalten legten mir mehr und mehr den Plan einer grösseren Schenkung
des Werkes nach dieser Seite nahe, dessen Ausführung, längere Zeit durch
materielle Bedenken hintangehalten, jetzt, nachdem in dieser Beziehung
eine Aufbesserung unserer Lage erfolgt war, uns ermöglicht wurde. So
konnten denn schon Ende 1903 an sämtliche deutsche Gymnasien und
Realgymnasien (588) Exemplare der neuen Trübner'schen Benais-
sance-Ausgabe wie der Alexander-Verdeutschung abgehen,
denen dann Ende 1904 noch weitere 160 an die betreffenden Anstalten
Deutschösterreichs (104), Deutschrusslands und der deutschen Schweiz (je
28) gefolgt sind. *) Die hundertfältigen, zum Teil sehr warmen und schönen
Dankesäusserungen, die mir AafOi geworden sind, ist es mir eine hohe
Freude hierdurch, wie ich beauftragt wurde, an den Verein weiterzugeben.
Ich stehe nicht an, diesen Erfolg für den eingreifendsten und schönsten
zu erklären, dessen wir uns bisher zu erfreuen hatten, und Jeder wird
wohl mit mir so empfinden, der sich vergegenwärtigt, was es in einer
Zeit, wo destruktive Werke in Fülle umlaufen und schlimme Verheerungen
in den Köpfen und Herzen der Jugend anrichten, besagen will, wexm
Fürsorge getroffen wird, dass solche ächteste Künstler- und Denker-Grösse
in möglichst viele jugendliche Herzen eingesenkt werde. Daran aber kann
jetzt kein Zweifel mehr sein, nachdem mir von den verschiedensten Seiten
es ausgesprochen worden, dass die Benaissance in der obenerwähnten Weise
in den Geschichts- (auch Litteratur-) Unterricht vieler unserer Gymnasien
firuchtbringend hineingezogen werde.
Auch das Bassenwerk konnte jetzt, wo nach Vollendung der zweiten
Auflage zum ersten Male das vollständige Werk wieder in grösseren Be-
ständen vorlag und wir materiell etwas fireiere Hand hatten, einem lange
gehegten Wunsche entsprechend, zu einer grösseren Schenkung in den-
jenigen Kreisen verwandt werden, in denen die Macht der Grundidee wie
die Denker- und Schriftsteller-Persönlichkeit Gobineaus in hervorragendem
Masse Würdigung und Verständnis, und dementsprechend denn auch unsere
*) Der Umstand, dasB mir ans gani Tenchiedeneii Betieren Tiererlei Berichte fiber
warme Beteiligmig too Seminar« und YoUasehallehrerkreisen sngegangen sind, Teraalaitte
mich, inn&chtt wenigstens Tom Alezander, eben&lls eine Ansah! (200) Exemplare dorthin
SU stiften.
Bestrebongen Interesse und Förderung geftinden hatten: nämlioh im All-
deutschen Verbände und verwandten Vereinigungen, welchen denn so
im Febroar 1901 hundert Exemplare überwiesen worden sind, von denen
der „Alldeutsche Verband^ die Hfilflbe znr Verteilung unter seine Orts-
gruppen behalten, die andere Hälfte an andere nationale Körperschaften
weitergegeben hat.*)
Eine Neuausgabe des seit Langem vergriffenen Gbbineau'schen Buches
,d OHM en Aiie^j des Zwillingswerkes seiner vielbeliebten „Beligions et
philosophies dans TAsie centrale^, schon vor mehr als Jahresfrist vom
Unterzeichneten als Vereinspublikation in Angriff genommen, hat erst jetzt
zum Abschluss gebracht werden können und wird wohl, wenn dieser Bericht
zur Versendung gelangt, bereits in den Händen unserer Mitglieder sein. ^}
jfAlexandre le Macidonien^ hat inzwischen seinen endgiltigen Einzug
auf unseren höheren Schulen gefeiert in Gestalt einer von Professor Bern-
hard Völcker in Cöln veranstalteten Schulausgabe, welche in der „Fran-
zösischen und englischen Schulbibliothek herausgeg. von Otto E. A. Dick-
mann, Beihe B : Poesie^ als Band 30. (Leipzig, Benger'sche Buchhandlung,
1904) erschienen ist. Dass diese, in der Vorrede ausdrücklich mit den bis-
herigen schönen Wirkungen des Stückes auf unseren Gymnasien motivierte Ver-
öffentlichung wenige Jahre nach dem ersten Auftauchen des „Alexandre^ in
Deutschland bereits geboten erschien, ist ein Erfolg, der f&r sich selber spricht.
Zum guten Teil wohl in Folge des Schur^'schen Artikels in der „Bevue
politique et littäraire^ sind die Bestbestände der „Benaissance^ schnell
verkauft und ist so nun endUch auch die starke französische Erstauflage
des Werkes vergriffen und eine neue veranstaltet worden. In Deutschland
war die Doppelanflage der neuen Ausgabe nach wenig mehr als einem
Jahre vergriffen, sodass schon Anfang 1904 zu einer dritten und vierten
geschritten werden musste.***)
Inzwischen beginnen auch andere Länder sich das Werk zu eigen zu
Biachen. Eine als vortrefflich gerühmte ungarische Uebersetzung (von
^) Quittimg und Dank der Hauptleitung des «Alldeutschen Verbandes* finden sieh in
Kr. 10 der „Alldeutochen Bl&tter« rom 5. Man 1904. Vgl. auch die Blitteilung »Gobineaus
Bassenwerk* in Nr. 25 rom 18. Juni derselben Zeitschrift, wo N&heres aber die Verteilung
der H&lfte der Exemplare an die verwandten Vereine Deutschlands und Oesterrdohs ange-
geben ist.
**) Das Werk, das genau in der Ausstattung und lum gleichen Preise wie „Asie centrale^
erschien, wird unseren Mitgliedern, wie jenes, sunt Vorsngspreise Ton 5 Ji geliefert werden.
^**) Der Text der neuen durchgesehenen und verbesserten Ausgabe wird jetst auch in
die Beclam'sche üniTersal-Bibliothek ttbemommen. Wie populftr die „Benaissance** lu
werden leginnt, dafftr wollen wir unseren Mitgliedern ein Zeugnis als Kuriosnm nicht vor*
enthalten. In der „Deutschen Eisenbahnbeamtenieitung*' vom 22.'Deiember 1904 heisst es:
f »Diigenigen von uns, die Aber litterarisches Wissen verfügen und denen nach einer besonders
leinen Kost gelastet, machen wir auf Gobineaus ,3anaiBsance|i^ aufmerksam, verdeutscht
von Ludwig Hermann und in Stuttgart in Fr. Frommanns Verlag erschienen/'
Professor Stephan Sz^kely) ist zu Budapest im Verlage der Franklin-Ge-
sellschaft erschienen.
Das Jahr 1904 hat uns auch eine neue Verdeutschung gebracht:
die „Tänzerin von Schemacha^, recht im Qeiste des Originals übersetzt
und mit einer Einleitung versehen, welche im ersten Teil eine knappe
Uebersicht der bisherigen Gobineau-Bewegung, im zweiten vortreffliche
charakterisirende Bemerkungen über die Novellen gibt, von Prof. Budolf
Schlösser. (Beclams Universal-Bibliothek.)
Litteratnr.
Der vorerwähnte Artikel Schorfs, „Gobineau et le g6nie de la Renaissance^,
der dem Renaissancewerke in Frankreich stark vorgearbeitet hatte, ist im Wesent-
lichen unverändert in des Verfassers Bache „Pr^cursears et Revolt^s^ Paris 1904,
einer Sammlung von Aufsätzen aber Geister, die im 19tea Jahrhundert das 20 te
antizipiert haben, wieder abgedruckt (S. 283—323).
Sehr erfreulich ist die Stellungnahme eines jflngeren, zukunftsreichen
historischen Fachgelehrten zu Gobineau und seiner Rassenlehre, wie sie sich
kundgibt in Alexander Gartellieri „lieber Wesen und Gliederung der Ge-
schichtswissenschaft. Akademische Antrittsrede gehalten am 12. November 1904*'
zu Jena (Leipzig, Dyksche Buchhandlung 1905), S. 14—16, besonders S. 16:
„Der Historiker kann ruhig warten, bis es den Verfechtern der Rassenlehre ge-
lingt, ihre Ueberzeugung in einem streng quellenmässig ge-
haltenen Geschichtswerke so niederzulegen, dass die Erweiter-
ung oder Vertiefung unserer Erkenntnis des Werdens und Ver-
gehens der Völker sich deutlich offenbart Nach Lektttre der so
geistsprühenden Schriften Gobineaus möchte man doch meinen, dass darin
fruchtbare Gedanken verborgen sind, deren Verwertung im Einzelnen
freilich nicht so leicht ist. Im Uebrigen haben sich auch die Historiker schon
längst mit manchen von diesen Dingen befasst, freilich ohne die jetzt ablieben
Schlagworte zu gebrauchen . . . Am besten wäre es, wenn irgend Jemand
auf Grund des Rassengedankens eine gute Weltgeschichte
schriebe."
Hier sind der Forschung zwei Aufgaben gestellt, von denen wir die erstere
selbst ins Auge gefasst haben und auch die letztere wenigstens von einer kommen-
den Generation gelöst zu sehen hoffen.
In der Uebersicht ttber die litterarischen Aeusserungen der periodischen
Litteratnr ist jetzt weit weniger noch als früher eine Vollständigkeit mehr
zu erreichen, aber auch weit weniger mehr anzustreben. Gelegentliche Erwäh-
nungen und Erörterungen, auf die es im Einzelnen nicht so sehr ankommt, werden
immer häufiger, namentlich auch in Frankreich, nur dass man dort für jetzt nur
erst die ersten und aligemeinen Fragen zu bewältigen hat, während man in
Deutschland längst dazu weitergeschritten ist, Gobineau mehr im Stillen und im
Einzelnen zu verarbeiten und zu verwerten.
Litteratnr der Presse 1903/4.
1. „Kunstwart^^ Jahrg. 16. Heft 23, September 1903. S. 501->521. Lose
Blätter: „Aas Gobineans Renaissance'S Abdruck einer Reihe yon Scenen ans der
neaen Ausgabe, mit einführenden Worten yon Hans v. Wolzogen.
2. „Zeitschrift ftlr französischen und englischen Unterricht." Berlin. Jahrg.
1903. S. 359—368. Dr. Graevell „Graf Gobineau".
3. Beiblatt der St. Petersburger Zeitung, Jahrg. 177. 1903. Nr. 51. „Die
deutsche Gtobineau- Vereinigung." (Ein besonders erfreuliches Lebenszeichen der
Deutschen in Russland.)
4. „Revue des Deux Mondes." T. 18. 1. D6cbre. 1903. p. 642—672 : £rnest
Seilliöre, „la race et ses trois incamations actuelles en Europe". Besprechung
des Ghamberlain'schen Buches, in welcher eingehender und zum Teil mit spezielleren
Belegen als bisher noch irgendwo, das Yerhältniss Ghamberlains zu Gobineau
besprochen wird (vergl besonders S. 652, 658—61, 670—72).
5. „Wartburgstimmen", Januar 1904, S. 313. Besprechung der Trübner'schen
Renaissance durch G. Wyneken. „Die Tragödie nicht eines Menschen, sondern
einer Rasse und Kultur".
6. „Mercure de France", Janvier 1904. p. 262—265: „Gobineau." Nach-
dem Gobineau seinem Lande so viele Jahre ein völlig Unbekannter gewesen, werden
wir nicht erwarten, ihn jetzt sogleich richtig gekannt zu sehen, uns aber doch
freuen, wenn wir auch diesen Artikel vor Allem auf den Grundton (S 265):
„Gobineau vaut beaucoup mieux que Toubli oü nous le laissons" gestimmt und
ihn ebenda als einen „esprit si merveilleusement dou6" gewürdigt finden. Eben-
daselbst (F^vr. p. 570 — 573) eine Abwehr Ghamberlains auf die bekannten auch
hier wiederholten Anklagen.
7. „Die Zukunft." Jahrg. XU. Nr. 6. S. 208—218. Karl Jentsch:
„Seilliires Gobineau".
8. Türmer-Jahrbuch 1904. S. 43—77. „Nationalitäten und Rassen" von
Friedrich Ratzel. Eine musterhaft klare und instruktive Darstellung des viel-
behandelten G^enstandes aus der Feder des zur Zeit führenden (inzwischen
verschiedenen) unter den wissenschaftlichen Gegnern Gobineans und seiner Schule.
Am Schlüsse eine kritische Würdigung Gobineans und Ghamberlains, der man
jeden&ns grosse Sachlichkeit im Allgemeinen nicht absprechen kann, wenn auch
gegen Einzelnes in der Auffassung an anderer Stelle Verwahrung einzulegen sein wird.
9. „Der Tag'* vom 5. März 1904. „Der Dichter und die Zeit" von Georg
Brandes. Der bekannte Litterarhistoriker bemäkelt hier u. A. in einer Besprech-
ung der „Renaissance" die „historischen Fälschungen", die „Verschiebungen des
historischen Bildes", die sich in diesem Werke finden — ein wohl ziemlich gegen«
standsloses Beginnen!
Zahlreiche Besprechungen hat die Gregori'sche AuffQhrung der Michelangelo-
Scenen in Wien (s. u.) hervorgerufen (März 1904), aus denen als Grundton das
Eine herausklang: dass zur Zeit, bei der völligen Vergeschäftlichung unserer
stehenden Bflhnen, dergleichen freie Künstlertaten nur im Rahmen solcher ausser-
ordentlicher Veranstaltungen durch wahrhaft idealgestimmte Künstler möglich seien.
Im Allgemeinen trat freilich die Minderwertigkeit der heutigen — namentlich
der österreichischen — Journalistik in mehr oder minder allen jenen Bespreche
ungen^ auch den dnrchaua wohlwollenden, in wahrhaft erschreckender Weise zu
Tage. Kaum, dass einige wenige auch nur einigermassen auf die Höhe dea
6
OegenBtandes sich zu erheben yermochten, so dass ich mich darauf beschränken
muss, hier nur etwa
10 — 12. das „Nene Wiener Tagblatt^' vom 9. Itan^ die „Hflnchener Neuesten
Kachrichten'' vom 12. M&rs und die „Berliner Zeitnng'^ yom 13. März zu nennen,
deren Berichte bezw. Briefe Aber den dramatischen Abend des Hagenbundes einiges
wirkliche Verständnis fUr Oobineau wie filr Oregons Interpretation seines Werkes,
verspflren Hessen. Hierzu kam dann später noch
13. der Artikel des Freiberm W. t. Appel „ein Gobineau-Abend" in den
„Neuen Bahnen'' (Wien) vom 1. April
13 b. „Neue Zflricher Zeitung" vom 10. April 1904.
18 c. Die „Wage'S ^^* ^h Jfthrg. YII Ueber Or^oris eigene Berichte yergL
unten«
14. „Le Temps^, 22 mars 1904. Albert Sorel, „le comte de Oobineau
et la ligue Oobinienne en Allemagne^. Es wird Ernst in Frankreich! Sein erster
lebender Historiker widmet Oobineau eine Studie, in welcher auch der in den
Anschauungen hier und da Abweichende und zumal Manches Vermissende ausser
einer FflUe feiner Zflge ein tieferes Eindringen in Oobineaus Oesamtwesen, oder
doch die Absicht eines solchen mit Freuden erkennen ¥rird. Der Artikel, in
welchem persönliche Verehrung und Anhänglichkeit im Bunde mit ruhiger objek-
tiver Wflrdignng das Wort fahren, gipfelt in dem Wunsche, dass es gelingen
möge, Oobineau den ihm gebührenden Platz unter den Auserlesenen auch fülr
Frankreich zu gewinnen. Hoffen wir dies mit dem Verfasser, dessen warme Worte,
bei seiner wohlverdienten autoritativen Stellung in seinem Vaterlande, wohl in
keinem Falle ganz wirkungslos verhallen werden.
16. Mit dem vorstehenden Artikel beschäftigt sich, ihn zugleich auszugsweise
wiedergebend, ein Pariser Brief der ,|Deutschen Zeitung* vom 24. März 1904:
„Oobineau und die Franzosen"; desgl. die „Ind^pendance Beige" vom 2. April.
16. „Deutoche Welt", Nr. 28 vom 10. April 1904. Nr. 29. 17. April.
Adolf Bartels „zur Rassenforschung*, auf Oobineau aufbauend.
17. «Deutsche Rundschau* 1904. Heft 11. S. 293—299. ,»Oraf Oobineau*
Besprechung auf Orund des Seilli^re*schen und des Kretzer'schen Werkes. S. 294
heisst es u. A., dass „die Renaissance durch die deutsche Ueber-
Setzung zumOemeingut des deutschen Publikums geworden sei*
18. „La Revue des Id^es", Nr. 6. 16 Juin 1904. p. 401—421. Jacques
Morland „le comte de Oobineau". Eine eingehende und fleissige Studie, deren
Wert fOr die Franzosen vor Allem darin besteht, dass auch hier wiederum der
Ton ächter Würdigung und ernsten Erfassens eines bedeutenden Oeistes und seiner
Probleme erklingt, und die auch Deutsche schon darum nicht ganz ohne Erfolg
lesen werden, weil nach dem gedankenlosen Herleiern zum Teil sogar.problematiBcher
biographischer Züge, mit dem sich die Artikel in der Presse bisher durchgehends
zu begnügen pflegten, dank der inspirierenden Mitwirkung der Tochter Oobineaus
(p. 412, Anm.) hier wirklich einmal einiges Neue geboten wird.
19. Fast unheimlich könnte Einem zu Mute werden, wenn schon jetzt in
einem schwungvollen Artikel des „Petit Parisien* (vom 4. August 1904 «le Oobinisme*),
desjenigen Blattes, das sich «le plus fort tirage des joumaux du monde enüer*
nachrühmt, das Lob unseres Autors in allen Tonarten gesungen, er am Ende auch
als Patriot gefeiert wird: «c'est le plus admirable des titres et c'est en souvenir
de lui que tous les Frangais doivent se dire Oobinistes. Soyons OobinistesI*
Wir wollen vorerst aus diesem Artikel, der offenbar nur das Echo der grQad«
Kcheren Beyne-AofiBätze und -Stadien ist, Tor Allem das Eine heranslesen, dass die
Franzosen nicht allein gerechter gegen Gobineau, sondern allgemach sogar stolz
aof ihn zu werden beginnen«
20. «Les Essais*, ReTne mensnelle. D^cembre 1904. ,|La morale aristo-
cratiqne da comte de Oobineau.* Abdruck der ersten YorlesuDg des Prof. Dreyfus
in der Ecole des Hautes Etudes sociales vom 9. November 1904. Auch dieser
Ter&sser nimmt es offenbar ernst mit Gobineau, ja, wie es scheint zum ersten
Male in französischer Sprache, Wird dieser hier als das bezeichnet, was er uns
Deutschen längst bedmitet: „un grani kimttM*' (S. 141). Der Artikel ist durch-
aus lesenswert, einige Irrtums wird man leicht selbst berichtigen können. Ins-
besondere ist das S. 129 — 35 und 140/41 über die 3 Hierarchien Oobineaus
Gesagte vortrefflich.
21. Le Figaro vom 2. und 9. Januar 1905. «Les Id^es et les Livres*. Aus-
^nandersetzung namentlich mit den zeitgenössischen Vertretern Oobineau^scher
Lehren in Frankreich.
Vorträge 1903-1904.
1. Herr Generalmajor z. D. Oberg zu Erfurt, in der Akademie gemein-
nutziger Wissenschaften, am 11. Juni 1902: „Zur Einftthrung in die Welt-
anschauung Gobineaus.*
2. Herr Oberlehrer K. Berg er (Worms) im „Alldeutschen Verband* zu
Mainz am 9. November 1902 Über „Die Rasse in der Geschichte und ihre
Bedeutung fUr die nationale Politik.*
3. Herr Dr. Fock in Hamburg im deutschnationalen Handlungsgehilfen-
verbande am 8. Oktober 1903.
4. Derselbe in der Guttemplerloge „Zeitgeist* am 10. Februar 1904.
5. Herr Professor Samassa im „Alldeutschen Yerbande^^ zu Potsdam ftber
„Die Entwicklung der Rassenfrage seit Gobineau.'^ (Mit einem Überblick ftber
den Lebensgang und das schriftstellerische Schaffen Gobineaus und eingehender
Betrachtung seines Rassenwerkes.)
6. Derselbe in der Ortsgruppe Lflbeck des „Alldeutschen Verbandes^' (März
1904).
7. Der Unterzeichnete auf dem elften Neuphilologeotage am 25. Mai 1904
im Orossen GOrzenichsaale zu Köln ftber „Gobineau, insbesondere seine Werke
ftber das neuere Persien^^ Dieser Vortrag bezeichnet insofern ein Novum, als
durch ihn und die sehr beiftllige Aufnahme, die er auf der genannten Tagung
fand, das Thema „Gobineau^^ zum ersten Male in aller Form den engeren Fach-
gelehrtenkreisen nahegebracht wurde. Er erscheint ftbrigens, nur in etwas ver-
harzter Fassung, in den Verhandlungen des genannten Philologentages.
8. In Paris ist Gobineau fUr den Winter 1904/5 zum Gegenstand eines ganzen
Kurana von Vorlesungen gemacht worden, und zwar an der Ecole des Hautes
Etudes sociales, durch Herrn Robert D^eyfns. Über die Eröffhungsvorlesung
berichtet ein Artikel des Journal des D6bats aus dem November 1904. (Vgl.
Jatteratur"').
9. Herr Oberlehrer Dr. Friedrich gab am 21. Oktober 1904 im „Wissen-
schaftlichen Verein fftr Schneeberg und Umgegend^' eine ausfohrliche Inhalts«
Übersicht des Werkes ftber Gentral-Asien, was besonders Nacheiferung finden
Mdite, da dies schdne Werk in Deutschland noch viel zu wenig gekannt und
gewürdigt ist
8
10. Herr Medizinalrat Dr. He ding er im wfirttembergischen anthropologi-
schen Verein zn Stattgart am 14. Dezember 1904 Aber das Rassenwerk Gobineans.
Vorlesangeii«
Betreffs Renaissance-Yorlesangen wnrde oben bereits bemerkt, dass
solche vielfach in den obersten Klassen onserer Gymnasien stattgefnnden haben,
was ans verbürgt, dass das Werk mehr and mehr der jetzt heranwachsenden
Generation in Fleisch nnd Blat abergehen wird.
Am 10. Dezember 1903 fand im Rahmen der mit Unterstfltzang der „Litte-
rarischen Gesellschaft'^ veranstalteten „Göttinger freien Vortragsabende'^ za Gdt-
tingen ein Gobinean- Abend statt, an welchem Herr Paol Prina aas Oldenborg
eine Anzahl der Haaptscenen des Renaissance- Werkes recitierte.
Ebenderselbe veranstaltete am 20. April 1904 in Verbindang mit Frftalein
Edecke eine Vorlesnng einiger Scenen in einem gemeinnützigen Verein Ol den -
bnrgs.
Schneller, als man hoffen konnte, ist aach eine dramatische Dar-
stellnng eines Teiles der Renaissance-Scenen, and zwar der bedeatsamsten des
ganzen Werkes, znr Tat geworden. Ein besonders günstiger Stem hat es gewollt,
dass hierfür die aaserlesensten künstlerischen Kräfte (hervorragende Maler für
das Scenisch-Dekorative nnd Mitglieder der ersten deatschen Schaaspielanstalt für
die Darstellnng) sich zasammenfanden. Am 8. M&rz 1904 hat, an einem drama-
tischen Abend des Kflnstlerbnndes „Hagen" za Wien, die Anfführang der Haapt-
scenen aller fünf Stücke, in denen Michelangelo anftritt, sowie der grossen Scene
zwischen Raffael and Beatrice, darch Mitglieder des k. k. Hofbargtheaters anter
Leitung Ferdinand Gregoris stattgefnnden. Das volle nnd grosse Verdienst
dieser vom schönsten Gelingen gekrönten künstlerischen Tat gebührt dem Letzt-
genannten, der den Gedanken ersonnen, das Ganze vorbereitet and geleitet and
endlich selbst die Hanptfigar, Michelangelo, von seinen Jagendtagen bis an den
Rand des Grabes mit tiefgehender Wirkung verkörpert hat.*) Dnrch dieses edle
Beispiel ist der Beweis erbracht worden, welch eine Fülle idealer Dramatik die
Blätter der „Renaissance'' in sich bergen, nnd wie es nnr der rechten Künstler
nnd des rechten Pnblikams bedarf, damit die Deutschen sich jene für ihre Festes-
augenblicke zu Nutze machen. Möge die Weihe jenes Abends fortwirken und das
Beispiel Nacheiferung finden 1
Am 14. November 1904 hat der um die Renaissance so hoch verdiente
herzogl. Hofschauspieler Herr Carl Bender, im Verein mit seiner Gattin, Frau
Emilie Bender- Albner, in Coburg vor geladenen Gästen die Alexander-Tragödie
zum Vortrag gebracht — eine künstlerische Leistung, die, wie sie von schönster
Wirkung begleitet war, so auch noch besonders dankenswert in dem Sinne w-
scheint, dass sie dazu beiträgt, das Andenken des vorerst so vielfach verkannten
nnd zurückgesetzten Werkes lebendig zu erhalten.
> I *
*) Eine authentisdM BeschreibaDg des Abends bat «r selbst gegeben isiKanstwart
vom 1. April 1904 und in „Das Theater", Berlin, Jahrg. 1, Heft 18, S. 170 iL („Qobi-
neans Renaissance auf der Bühne**.)
Beilage zum IV.— VI. Stück der „Bayreuther Blätter" 1905.
Gobineau-Verelnigung.
Septezaa'bex 1.303 "bi« FelorcLajc X306.
Yerzeiehniss
der
Mitglieder, Gönner und Föpderer.
A. Mitglieder.
Oomit^:
Herr Professor Dr. L. Schemann^ Freiburg i. B., Vorsitzender.
Sc. Dorchlaacht Herr PhiUpp Für$t zu Eulenburg und Heiiefeld, Liebenberg, Hark.
Herr Uan$ Paul Freiherr von Wolzogen^ Bayreuth.
Ihre Königliche Hoheit Fraa Gro$$herzogin Eli$abelh von Oldenburg.
Se. Königliche Hoheit Em$t Ludwig^ Grro$$herzog von He$$en und bei Rhein,
Se. Durchlaucht Erbprinz Ernet zu Hohenlohe-Langenburg^ Regent der Herzog-
tümer Sachsen-Cobnrg und Gotha.
Herr Carl Adelmann, Würzburg.
„ Dr. Altar^ Hassalombarda (Provinz Bavenna).
Frau Gräfin C. von Ärnim^ geb. Gräfin von Bismarck- Bohlen, Schloss Muskau.
Herr Ingenieur Aimu$$en, Hamburg.
„ •/. Bang^ Moskau.
,, Florimond Graf von Baeterot, Paris f.
^, Dr. med. R. Bauer, prakt Arzt, Zell im Wiescntbale.
), Dr. Ludwig Baur, Repetent am Kgl. Wilhelmsstift, Tübingen.
,, Theodor Bauech^ Neu*Kaliss, Mecklenburg.
„ Bürgermeister Dr. Behn^ Dömitz, Mecklenburg.
„ Polizeipräsident Graf Berg^ Cassel.
„ Oberlehrer Dr. K. Berger^ Worms.
I, L. von Bemuth, Ingenieur, Graz.
„ Ä. von Berzeviczjfy E. und K. Kämmerer, Wien.
SUdtbibUothek, Frankfurt a. M.
Herzogliche Bibliothek, Gotha.
Btadtbibliothek, Hamburg.
Orossherzogliche öffentliche Bibliothek, Oldenburg.
Kaiserliche üniTorsitäts- und Landesbibliothek, Strassburg.
Königliche öffentliche Bibliothek, Stuttgart.
Maestro Ärrigo BoitOy Mailand.
Herr Wilhelm Bode^ sind, med., Freibarg i. B.
„ Paul Bourget, Mitglied der französisclien Akademie, Paris.
„ Max Freiherr von den Brincken^ Mitau.
„ Direktor Dr. Brukner^ Stralsund.
„ Mas BttchholtZy Vorsteher der Reichsbank a. D., Hagen i. W. f.
Frau Lina fitite, geb. Schemann^ Hagen i. W.
Herr Dr. Alexander Cartellieriy ordentlicher Professor der Geschichte an der
Universität Jena.
Frau Püretin von Caaano-Zunicay Rom.
Herr ff. von Cheliue^ Eammerherr und Geheimer Eabinetsrat, Karlsruhe.
,, Rechtsanwalt Cla$$^ Mainz.
„ F. W. Corde$j Hamburg.
„ Dr. Cryfandty Ludwigshafen.
,, Dr. med. A. Delbrück^ Direktor der Irrenanstalt, Bremen.
Deutschbund-Gemeinde, Frankfurt a. M.
Deutschbund-Gemeinde, Hamburg.
Herr Privatdozent Dr. Hugo Dinger^ Jena.
Frau Anna von Do$$, Partenkirchen.
Herr Heinrich Drie$fnan$, Berlin.
„ Dr. E. von Düring^ Professor an der Universität, Kiel.
„ Dr. jur. Lorenz Eher^ Wilhelmshöhe bei Cassel.
„ Leutnant a. D. Prilz Eber^ Freiburg i. B. f.
„ Dr. jur. et phil. Chr. Eckert, Professor der Nationalökonomie an der Handels-
hochschule, Köln.
„ Dr. Oikar Eiienmann, Direktor der Gemäldegalerie und der Kgl. Kunst-
akademie, Kassel.
„ Oberlehrer Richard Ehtery Braunschweig.
„ Hofrat Dr. H. Pinke, ord. Professor der Geschichte an der Universität
Freiburg i. B.
„ Dr. med. Q. Fock^ Hamburg.
„ Bttrgermeister a. D. Forkel, £lberfeld.
„ Dr. Fritz Friedrich^ Oberlehrer am KgL Gymnasium, Schneeberg (Sachsen).
„ Theodor Fritich^ (Kautsch bei Leipzig.
„ Justizrat F, von Pucheiusy Kgl. Notar, Düsseldorf.
Fräulein Dori$ Funcke, Hagen i. W.
„ Gertrud Funcke, Hagen L W.
Herr Dr. med. Karl Gagetatter, Arzt, Wien.
Se. Exzellenz Herr Generalleutnant z. D. Oeeet, Freiburg i. B.
Herr Eugene Oilhert, Loewen (Belgien).
„ Staatsrat C. Fr. Ola$enapp, Riga.
„ Professor Maximilian Gmenapp, Riga.
Se. Exzellenz Herr Carl Oraf von der Ooltz, Wirklicher Geheimer Rat, Ober-
küchenmeister, Konstanz.
Herr Dr. H QrdveUj Stuttgart
Frau Gräfin Oravina^ Florenz.
Fräulein Lina Oroeecurthy Cassel.
Herr Dr. Ernet Oro$$e, Professor der Philosophie an der Universität und Direktor
der städtischen Kunstsammlungen, Freiburg i. B.
„ Kammerherr von Häseler^ Gotha.
„ Oberlehrer Franz Hahne^ Braunschweig.
Herr Emil Hauffs Verlagsbuchhändler (Firma Fr. Frommann) Stuttgart
„ Dr. Paul Hauptj ord. Professor der semitischen Sprachen an der Universität
Baltimore.
„ Dr. jur. Freiherr von Heintze^ Potsdam.
„ A, H. Heibig, stud. rer. Orient., Heidelberg,
„ Major Hellwig, Strassburg i. K
,, Hellwigy Leutnant im 14. Husaren-Begiment, Cassel.
Frau Geheimrat Henschely Cassel.
Herr Rittergutsbesitzer Dr. Willibali HenUehel, Dresden.
„ Dr. jur. ComeUus Freiherr Heyl zu Berrneheim, Worms.
„ Architekt £. Hildebrandt^ Hamburg-Eimsbüttel.
Frau Professor Eiüebrandt^ Florenz.
Herr Architekt Friedrich Hofmann^ Graz.
„ Wenzel Hohenegger, K. K Oberbaurat und Baudirektor der Nordwestbahn,
Wien.
„ Landgerichtsrat Hom, Berlin.
Frau Rechtsanwalt Huchzermaier^ Gelsenkirchen.
Herr Gerichtsassessor a. D. von Hüleen^ Berlin.
Frau Sophie Jay^ Baden*Baden.
Herr Dr. Erich Jung, ord. Professor des römischen Rechts an der Universität
Greifiswald.
Jungdeutscher Bund, Berlin.
Herr Hofkapellmeister Kahler^ Mannheim.
„ Geheimer und Oberregierungsrath Kammer ^ Direktor dos Provinzial-Schul-
colldgs, Königsberg i. Pr.
„ Professor Dr. Kannengieeser^ Gelsenkirchen.
„ Dr. E. Kehrer, Privatdozent für Gynäkologie, Heidelberg.
„ Ferdinand Kehrer, cand. med., Heidelberg.
Seine bischöfliche Gnaden Herr Dr. Paul von Keppler, Bischof von Rottenburg.
Herr Dr. Paul Kleinecke, Oberlehrer am französischen Gymnasium, Friedenau bei
Berlin.
„ Friedrich Kloee, Tonkttnstler, Karlsruhe.
Frau Gertrud Knüpffer^ Fellin, Livland.
Herr Professor Dr. krafft, Goslar.
„ Ingenieur H, KrepUn^ Anklam.
„ Professor Lic. Dr. Kretzer, Frankfurt a. M.
„ Adalbert Freiherr von Krüdener^ Wohlfahrtelinde bei Stacheln, Livland.
Frau Eliee Küchler^ Frankfurt a. M.
Herr Kunstmaler J. Kühn, Dinkelsbtthl, Bayern.
Fräulein Helene Kuhbier, Hagen i. W.
Frau Geheimrat de Lagarde^ Göttingen.
Herr ö. Vacher de Lapouge^ Bibliothekar der Universität Poitiers.
Frau Gräfin Mathilde de la Tour^ Rom.
Herr J. Lefaivrcj französischer Generalkonsul, Hamburg.
„ P. Lefaivre, Gesandtochafterat bei der französischen Gesandtechaft in Madrid.
Fraa darita Lerdauy Hamburg.
„ Generalmusikdirektor Levi, Partenkirchen.
„ von Lichtenberg, Darmstadt.
Herr Dr. A. Freiherr von Lichtenberg, Professor der Kunstgeschichte an der
technischen Hochschule, Karlsruhe.
„ Rechtsanwalt W. Lohe, Dasseldorf.
Herr Ingenieur Direktor H. Majert^ Siegen.
,, Maler Carlo Mandniy Mailand.
„ Baorat March, Charlottenborg.
,, Staatsrat Heinrich Maurach^ Moskau.
Frau Chri$Hne Mayer^ geb. von Do$$, Partenkircben.
Comte$$e Renee de$ MiloizeB^ Versailles.
Herr Georg Meurer^ Hanbinda bei Streufdorf (Tbüringen).
„ Professor Dr. Oekar Meyer^ Oberbibliothekar an der kaiserlichen Universitftts-
und Landesbibliothek, Strassburg L £.
,, Eduard Michl^ k. k. Oberbaorat, Wien.
Se. Excellenz Herr Max Graf von MontecuccoU^ k. und k. Kämmerer und Geheim-
rat, erbliches Mitglied des österreichischen Reichsrates, Wien.
Herr Dr. Rudolf Muckj a. o. Professor der germanischen Sprache und Altertums-
kunde an der Universität Wien.
Frau Elieabeth von Nelidoffy Riga.
Herr Johannee Nickol^ Grunewald bei Berlin.
„ Generalmajor z. D. Oberg^ Naumburg a. S.
„ Dr. Obriitj Weimar.
„ Sergiui von Oldenburg^ Professor der orientalischen Sprachen an der Uni-
versität St. Petersburg.
„ Landesbankrat Dr. Rudolf Oeiusj Kassel.
„ Carl Emet Oeihaus^ Hagen L W.
Deutscher Ostmarkenverein, Berlin.
Herr Regierungsrat Pläddemann, Posen.
„ Dr. Heinrich Potpeechnigg^ Graz.
„ Lehramtspraktikant Johannes Preu$$j Karlsruhe.
„ Anton Oraf von Prokeech-Oeieny Gmunden, Oberösterreich.
„ Dr. jur. et phil. Arthur Prüfer, Professor der Musikgeschichte an der Uni-
versität Leipzig.
„ Verlagsbuchhändler Reclamy Leipzig.
Redaktion der „Akademischen Blätter*' (Verein deutscher Studenten, Berlin).
Frau AUce Rerny^ Konstanz.
Herr Dr. Rendtorffy prakt Arzt, Bordesholm bei KieL
Frau Professor Richter^ Wannsee bei Berlin.
Herr Amtsgerichtsrat Rieffel, Wehen im Taunus.
„ Kammerherr Karl von Riepenhaueen-Crangen^ Mitglied des Reichstags und
des preussischen Landtags, Berlin.
„ Geheimer Regierungsrat Dr. Roffhacky Karlsruhe.
„ Dr. ff. von Rohlandy ord. Professor des Strafrechts und Strafprozesses an
der Universität Freiburg i. B., Vorsitzender des Landesverbandes Baden
des deutschen Schulvereins.
„ Otto Roeenberg, St Petersburg.
„ Bernhard Rothy München.
„ Amtsgerichtsrat Hugo Rückerty Frankfurt a. M.
Se. Excellenz Herr Samctelette^ kgl. belgischer Gesandter, Petropolis, Brasilien.
Herr Wilhelm Schacky Vorsitzender des deutschnationalen Handlung^hilfen-
Verbandes, Hamburg.
„ Dr. H. Schaumanny prakt Arzt, Albersdorf, Holstein.
Fräulein Emmi Schemann, Koburg.
Herr Amtsgerichtsrat Dr. Schemann, Hersfeld.
Frau Bertha Schemann, Freiburg i. B.
15
»1
1»
Herr Professor Max SchiUing$y MOnchen.
Fr&nlein Äugtate Schlittgen^ Wilhelmshöhe bei Kassel.
Herr Oberlehrer Dr. Paul Seklö$$er^ Elberfeld.
,, Dr. Rudolf Schlöuer, Professor der deutschen Sprache und Litteratar an
der üniTersitat Jena.
„ von Scklözer^ kaiserl. deutscher Gesandter im Haag.
,, Dr. med. C. J. M. Schmidt^ Odessa.
Dr. phil. Emil Schmidt^ kaiserl russ. wirklicher Staatsrat, St Petersburg.
Professor Bruno SchmitZy Gharlottenburg.
Dr. Friedrich Schneider, Prälat des p&pstlichen Hauses und Domcapitnlar,
Mainz.
„ Friedrich Schön^ HOnchen.
„ Dr. Alfred Schöne, Geheimer Regierungsrat und ord. Professor der klassischen
Philologie an der Universität Kiel.
4 „ Fabrikdirektor Schütze, Hollen bei Oelsenkirchen.
„ Dr. med. Wolfgang SchuliZy Kiel.
,, Pfarrer Schulz-Spannagel, Lörrach.
„ Edourd Schure^ Paris.
Frau Baronin von Sebottendorf geb. Preiin von Zehnten^ Baden-Baden.
Herr Professor Dr. L. Seeburg^ Göttingen,
y, Direktor Dr. A Seelemann^ Dömitz i. H.
„ Dr. med. Alfred Seeliger, Berlin.
„ R. Freiherr von SeydlitZy Stamberg bei Mflnchen.
„ Professor Dr. Han$ Sommer, Braunschweig.
„ Paul Sonnekalbj Erfurt
* ,, Dr. Martin Spahn, ord. Professor der Geschichte an der Universität Strass-
burg i. K
,, Stadtpfarrer Specht, Zell im Wiesenthaie.
Fran Gräfin von Spoelberchy Schloss Wespelaer (Belgien).
Herr Ferdinand Oraf von Sporck, Mflnchen.
,, Yerlagsbuchhändler Heinrich Staadt, Wiesbaden.
,, Gymnasialoberlehrer SHecola, Plön, Holstein.
Frau Emeetine Streicher^ Wien.
Herr Theodor Streicher^ Wien.
,, Dr. Joeef Strzygoweky^ ord. Professor der Kunstgeschichte an der Universität
Graz.
Fräulein Frida Thiry^ Freiburg L B. f.
Herr Dr. Henry Thode, Geheimer Hofirat und ord. Professor der Kuustgeschichte
an der Universität in Heidelberg.
,, Emil Thormählen, Direktor der Kunstgewerbeschule Magdeburg.
„ Johannes Thuranek, Lektor der deutschen Sprache am polytechnischen In-
stitut zu St Petersburg.
„ Johannes Tiedje, Kanzleigut Kleinflottbeck, Holstein.
„ Dr. E. W. Tremel, Advokat, Grein a. d. Donau, Oesterreich.
„ Kommerzienrat Dr. Trübner, Verlagsbuchhändler, Strassburg i. E.
„ Professor Dr. B, Yölcker^ Cöln.
„ Geheimer Hofrat Dr. Curt Wachemuth, ordentl. Professor der klassischen
Philologie und der alten Geschichte an der Universität Leipzig.
„ Freiherr von Wackerbarthj Linderode (N/L.)
Frau Cosima Wagner, Bayreuth.
Akademischer Wagner-Yerein Leipzig.
6
Herr Heinrich WallaUj Mainz.
„ M. Wa$$erhurger^ K. K. Postrat, Wien.
Frau Oberrealschaldirektor Wernicke^ Braunschweig.
Herr Geheimer Legationsrat a. D. Emtt von Wildenbruch, Berlin.
Frau Gräfin Marie Wilding de Radaliy Schloss Altenburg (Post Westerhamm)
Oberbayem.
Herr Anselm Windhau$en^ stnd. geoL, Hildesheim.
,, Gymnasialoberlehrer M. Winter^ Leipzig.
„ Assessor Dr. Winter$tein, Vorsitzender der Ortsgruppe des „Alldentschen
Verbandes^^ zu Gassei.
„ Dr. Ou$tav Witlmery Altmorschen bei Gassei.
Frau Gräfin von Wolkenilein-Troitburgj Exzellenz, Paris.
Herr Lehrer Zeisig, Eleinbiessnitz bei Görlitz.
,, Amtsrichter Dr. Zenker, Leipzig.
,, Graf Theodor Zichy, E. E. Österreich -angarischer Gesandter in Mflnchenl
B. Gönner und Förderer.
Se. Eönigliche Hoheit Gro$$herzog Friedrich von Baden,
Gro$$herzogUch Badi$che$ Ministerium der Justiz, des Kultus und des Unterrichts.
Alldeutscher Verband, Berlin.
Herr Carl Bender^ herzogl. sächsischer Hofschaaspieler, Coburg.
Frau Emilie Bender- Albner y Goburg.
Herr Dr. Richard Burdinski, Dozent an der Humboldt-Akademie, Berlin.
„ F. J, Clozelj Gouverneur der Elfenbeinkttste, Bingerville (Cöte d'Ivoire).
„ Dr. G. A. 0. Colischonn, Frankfurt a. M.
„ Dr. Carl Cornelius^ Professor der Eunstgeschichte an der Universität
Freiburg i. B.
„ Dr. Hermann Escher, Vorstand der Stadtbibliothek, Zarich.
„ Professor Paul Förster^ Friedenau bei Berlin.
Frau Baronin von Friesen^ Rammelburg bei Wippra.
Herr Dr. med. B. Götze^ Kaunhof bei Leipzig.
„ Oberlehrer Paul Grätzel von Grätz, Hannover.
Mlle. Granet de Gandolphe, Cassel.
Herr Ferdinand Gregori. Mitglied des E. E. Hofburgtheaters, Wien.
Frau Baronin von Guldencrone, geb. de Gobineau, Paris.
Herr Landrichter Dr. Vincenz von Hahn, Leipzig.
„ Archivdirektor Dr. E, Hauviller^ Golmar i. E.
„ Carl von der Heydt^ Berlin.
„ Walter Koch^ Präparandenlehrer, Frankfurt a. M.
„ Lehrer Lacroix^ Mannheim.
„ Dr. Friedrich Lange, Berlin.
„ Paul Graf von Leusse, Beichshofen.
Herr Max Liebermann von Sonnenberg, Mitglied des Reichstags, Grosslichterfelde
bei Berlin.
„ Fritz Uenhari, Gräfenroda, Thttringen.
,, Dr. Rudolf Louiiy MOnchen.
„ Direktor Max Martereteig^ Berlin-Schmargendorf.
„ Dr. O. MartiuSf ord. Professor der Philosophie an der Universität Kiel.
„ Jo$ä Yianna da Motta^ Berlin.
,, Professor H. Mu/fang, Angers.
Fnn Erna Papet^ Gnt Standach, Oberbayem.
Herr Faul Frina, Schanspieler, Bremen.
,, Baron Edouard de Furtfj NenchäteL f
„ Dr. Robert von Ritter, München.
„ Fabrikbesitzer Saalwächter^ Schönebeck bei Magdeburg.
Fi^olein Meta von Salie, Marschlins bei Landquart (Schweiz).
Herr Dr. Joeef Sauer, Privatdozent der Kirchengeschichte an der Universität
Freibnrg L B.
jy Dr. C Schlömilckj Leipzig.
,, Dr. phil. Otto Schmidt^ Berlin-Wilmersdorf.
„ Dr. Sckröder-FoggeloWj Berlin.
,, Professor Dr. Walther Simon^ Königsberg i. Pr.
,1 Oberst a. D. Spokr^ Oiessen.
„ Robert Stein, Oeological Snrvey, Washington.
„ Professor Dr. Sutter, Freiburg i. B.
„ von Yignau, General-Intendant des Grossherzoglichen Hoftheaters zu Weimar.
,, Kommerzienrat JuUue Vorster^ Köln.
„ Dr. Emet Wachler^ Weimar.
„ Stadtrat Hubert Wagner, Freiburg i. B.
Dr. Adolf Wakrmundy ord. Professor an der K. K. orientalischen Akademie,
Wien.
„ Gottfried Weheky, Wflstewaltersdorf, Bezirk Breslau.
„ Friedrick Witek, Wien.
Fntn Maria Zandere, Bergisch-Oladbach.
Dnek ton Lor«ai EIIwang«r Torm. Th Botf^, Btjraiitli.
Beilage zum IV.— VI. Stück der „Bayreuther Blätter" 1905.
Gobineau - Vereinigung,
Kassenbericht
tat die Zeit vom L Juli 1903 bis 31. Dezember 1904.
Kassenbestand nach Aasweis des letzten Berichtes 858 Jk 21 ^
Einnabmen an Beiträgen.
Jahrei-
Beitrtge
Ihre Königliche Hoheit Frau Oro$$kerzogin Elisabeth
von Oldenburg 1904
Seine Königliche Hoheit Em$t Ludwig Oroesherzog
von He$$en 1904
Seine Durchlaucht Erbprinz Em$t zu Hohenloke-
Langenhurg 1903
Derselbe . 1904
Herr Carl Adebnann, Würzburg 1904
I, Dr. Altar, Massalombarda 1904
Frau Oräßn von Arnim, Schloss Muskau .... 1904
Herr Ingenieur A$mu$senj Hamburg 1904
» J. Bang, Moskau 1904 5 Rubel =
, Dr. med. Bauery Zell i. W 1904
, Dr. Baur, Tübingen 1904
, Theodor Bausch, Neu-Kaliss 1904
, Bürgermeister Dr. Behn, Dönütz 1903
Derselbe 1904
, Polizeipräsident Graf Berg, Cassel ..... 1904
^ Oberlehrer Dr. Berger, Worms 1904
« A. von Berzeviczy, k. und k. Kämmerer, Wien . 1904
StadtbibUothek Hamburg 1904
Grossherzogliche öffentliche Bibliothek Oldenburg . . 1904
Kaiserliche üniversitats- und Landesbibliothek Strassburg 1 904
Herr stud. med. Bode, Freiburg i. B 1904
Maestro ArHgo Boito, MaUand . 1902—1904 40 frs. =
Herr Max Freiherr von den Brinken^ Mitau . . . 1904
, Direktor Dr. Brukner^ Stralsund 1904
„ Reichsbankvorsteher Maw Buchholtz^ Hagen . . 1904
, Professor Dr. Cartellieri, Jena . . . » - - 1904
Uebertrag :
10
40
20
20
10
10
20
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10.80
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10
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10
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32.40
10
10
10
10
Nicht
regel-
missige
Beitrige
343.20
Nicht
regel-
mässige
Bei trinke
üebertrag :
Frau Fürstin von Casiano-Zunica^ Rom 1904
Herr Geh. Eabinettsrat von Chelius, Earlsruhe . . . 1904
j, Rechtsanwalt Class^ Mainz 1904
j, P. W, Cordei^ Hamburg 1904
j, Direktor Dr. Delbrück, Bremen 1904
Deutschbnndgemeinde Frankfurt a. M 1904
Dentschbnndgemeinde Hamburg 1904
Herr Dr. Dinger y Jena 1904
Frau Anna von JDosSy Partenkirchen 1904
Dieselbe 1906
Herr Heinrich Driesmans, Berlin 1904
jf . Professor Dr. E. von Düring, Kiel 1904
j, Dr. jur. Eber, WUhelmshöhe 1904
j, Professor Dr. Eckert, Köln 1904
« Direktor Dr. Ei$enmann, Gassei .1904
„ Dr. Efchery Zürich
Derselbe fär die Stadtbibliothek. Zarich ..
Se. Durchlaucht Herr Fürst zu Eulenburg, Liebenberg 1904
Herr Hofrat Professor Finke, Freiburg i. B 1903
„ Dr. med. O. Fock, Hamburg ........ 1904
Derselbe 1906
„ Bargermeister a. D. Forkel, Elberfeld .... 1904
Derselbe 1906
„ Oberlehrer Dr. Friedrich, Schneeberg .... 1903
Derselbe 1904
„ Theodor Fritsch, Gautsch bei Leipzig .... 1904
Derselbe 1905
„ Justizrat von Fuchsius, Dasseldorf ..... 1904
Fräulein Doris Funcke, Hagen i. W 1904
„ Gertrud Funcke, Hagen i. W 1904
Herr Generalleutnant z. D. Oeest, Freiburg i B. . . 1904
„ Eugene Gilbert, Loewen (Belgien) , 1904
„ Staatsrat Glasenapp, Riga 1904
„ Professor M, Glasenapp, Riga 1904 6 Rubel =
Se. Exzellenz Herr Graf von der Oolt%, Gonstanz . 1904
Frau Gräfin Gravina, Florenz 1904
Fräulein Ldna Grosscurth, Gassei 1904
Herr Kammerherr von Baseler, Gotha 1904
„ Oberlehrer Hahne, Braunschweig 1904
„ Emil Hauff (Fr. Frommann), Stuttgart .... 1904
„ Professor Dr. Paul Haupt, Baltimore .... 1905
Derselbe 1906
Üebertrag :
Ji
343.20
15
10
10
10
10
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10
10
30
30
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10
11
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10
10
10
10
10
10
10
819.20
10
10
10
30
Uebertrag :
Herr Professor Dr. Paul Haupt, Baltimore- .... 1907
Derselbe 1908
Derselbe 1909
,, Arcbivdirektor Dr. HawHüerf Colmar ....
„ Freiherr von Heintze, Potsdam 1904
,, sind. Heibig, Heidelberg 1904
,, Major Hellwig, Strassbnrg 1904
,, Leutnant HeUwig, Cassel 1904
Frau Geheimrat Hennchel, Cassel 1904
Herr Rittergutsbesitzer Dr. Hentechel, Dresden . . . 1904
„ Freiherr Heyl zu Herrmheim, Worms . . . 1904
,, Architekt Hildebrandt, Hamburg 1904
Frau Professor Hillebrandt, Florenz 1903
Dieselbe 1904
Dieselbe 1905
Dieselbe 1906
Dieselbe 1907
Herr Architekt Hof mann, Graz 1904
„ Oberbaurat Hohenegger, Wien 1903
Derselbe 1904
„ Landgerichtsrat Hom, Berlin . . . . ^ . . 1904
Frau Rechtsanwalt Huchzermaier, Gelsenkirchen . . 1904
Herr Assessor a. D. von Hühen^ Berlin 1904
„ Professor Dr. Jung^ Greüswald 1904
Derselbe 1905
Jungdeutscher Bund, Berlin 1904
Herr Hofkapellmeister Kahler^ Mannheim .... 1904
,1 Geheimrat Kammer^ Königsberg .%»... 1904
„ Professor Dr. Kannengieuer, Gelsenkirchen . . 1904
„ Dr. E. Kehrer y Heidelberg 1904
,, cand. med. P. Kehrer, Heidelberg ..... 1904
Seine bischöfliche Gnaden Herr Dr. Paul von Kepplerj
Rottenburg 1904
Herr Oberlehrer Dr. Kleineckey Friedenau bei Berlin 1904
„ Friedrich Kloee^ Karlsruhe 1904
Frau Gertrud Knüpffer, Fellin, Livland 1904
Herr Professor Dr. Kr äfft, Goslar 1904
„ Ligenieur H. KrepUn, Anklam 1904
„ Professor Dr. Kretzer, Frankfurt a. M. . . . 1904
„ Adalbert Freiherr von Krüdener^ Wohlfahrts-
linde 1904 5 Rubel =
Frau FM$e Küchler, Frankfurt a. M. . . . . . . 1904
Uebertrag:
Nicht
regel-
mftBsige
Beitri^^
819.20
10
10
10
10
10
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20
10
10
10
10
11
10
Jk
30
10
1270.20
40
Nicht
regel-
miidge
Beiträge
Uebertrag :
Herr Kunstmaler Kührij Dinkelsbtthl 1904
Fräulein Helene Kuhbier y Hagen i. W. 1904
Dieselbe 1905
Fran Gtebeimrat de Lagarde^ (}öttingen 1904
Herr O. Yacher de Lapouge, Poitiers 1902—1906 60 frs. =
„ (Generalkonsul Lefaivrey Hamburg 1904
\y Gesandtscbaftsrat P. Lefaivrey Madrid .... 1904
Frau Ciarita Lerdauy Hamburg 1904
„ Generalmusikdirektor Levi, Partenkircben . . . 1904
Herr Professor Dr. Freiherr von Lichlenbergy Karlsruhe 1904
Frau von Lichtenberg, Darmstadt 1904
Herr Rechtsanwalt Lohe, Dasseldorf ...... 1904
„ Ingenier Direktor H. Major t, Siegen .... 1904
„ Maler Carlo Maneiniy Mailand 1902—1904 40 frs. =:
„ Staatsrath H. Maurach, Moskau , 1903 5 Rubel :=
Derselbe 1904 6 Rubel ==
Frau Chriitine Mayer y Parten}drchen 1904
Dieselbe 1905
Comtesse RenSe de$ M4loize$, Versailles 1904
Herr Professor Dr. 0. Meyer, Strassburg i. E. * . . 1904
„ Oberbaurat Michly Wien .,.,.... 1903
Derselbe 1904
Se. Exzellenz Herr Graf von MontecuccoU, Wien . . 1904
Herr Professor Dr. Muchy Wien 1904
Frau eon Nelidoffy Riga 1904 5 Rubel =
Herr Johanna Nickol, Grunewald bei Berlin . , . 1904
„ Generalmajor z. D. Obergy Naumburg a. S. . . 1904
„ Dr. Obriity Weimar 1904
„ Landesbankrat 0$iu$y Cassel 1904
„ Carl Em$t OithauSy Hagen L W 1904
Deutscher OstmarkeuTerein, Berlin 1904
Derselbe 1905
Frau Erna Pabity Staudach
Herr Professor Dr. Pietschmanuy Göttingen .... 1903
yy Regierungsrat Plüddemann, Posen 1904
„ Dr. Heinrich Potpeichnigg, Graz 1904
„ A. Oraf von Prokeioh-Öiteny Gmunden . . . 1904
Derselbe 1905
„ Professor Dr. Prüfer y Leipzig 1904
„ Yerlagsbuchhändler Reclamy Leipzig .... 1904
Redaktion der „Akademischen Blätter^S Berlin . , . 1904
Frau Alice Remyy Ck>nttanz 1904
Uebertrag :
JL
1270.20
10
10
10
10
40.30
10
10
10
20
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32.40
10.75
10.60
40
40
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10
10
10
10
10
11
10
10
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10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
JL
40
20
1805.26
60
üebertrag:
Herr Dr. Rendiorff, Bordesholm bei Kiel 1904
Frau Professor Richter, Wannsee bei Berlin .... 1904
Herr Amtsgericbtsrat Rieffei, Wehen im Tannns . . 1904
,, Kammerberr von Riepenhauien- Orangen, Berlin 1903
Derselbe 1904
„ Geheimer Regierungsrat Roffkachy Earlsmhe . . 1904
„ Professor Dr. von Rohlandy Freiborg i. B. . . 1903
„ Otio Roienberg^ St. Petersburg 1904
„ Bernhard Roth, Manchen 1904
jj Amtsgerichtsrat K Rückert^ Frankfurt a. M. • 1904
Se. Exzellenz Herr Sainetelettey kgL belgbcher
Gesandter, Petropolis 1904
Herr Dr. Schaumann, Albersdorf, Holstein .... 1904
„ Amtsgerichtsrat Schemann^ Hersfeld .... 1904
Fräulein Emmi Schemann, Coburg 1904
Dieselbe 1905
Herr Professor Schemann^ Freiburg i. B 1904
Derselbe 1905
Frau Bertha Schemann^ Freiburg i. B 1904
Dieselbe 1905
Herr Professor Max SchilUng$y München 1904
Fräulein Auguste ScMittgen^ Wilhelmshohe .... 1904
Herr Oberlehrer Dr. Sehlöaer^ Elberfeld 1904
n Professor Dr. Rudolph Schlöaer, Jena . . . 1904
,, von Schlözer^ Kaiserl. deutscher Gesandter im
Haag 1904
„ Dr. med. C. J. M. Schmidt, Odessa .... 1904
„ Kaiserl. russischer wirklicher Staatsrat E. Schmidt^
St Petersburg 1904
„ Professor Bruno Schmitz^ Charlottenburg . . . 1904
,j Prälat Dr. Schneider, Mainz 1904
„ Geheimrat Schöne, Kiel 1904
„ Fabrikdirektor Schütze^ Hüllen bei Oelsenkirchen 1904
„ Dr. med. W. Schultz^ Kiel 1904
Derselbe 1905
„ PfiEurrer Schulz-Spannagely Lörrach 1904
„ Edouard Schure j Paris 1904
Frau Baronin von Seipttendorf^ Baden-Baden . . . 1903
Herr Professor Dr. L Seeburg ^ Göttingen .... 1904
„ Direktor Dr. Seelemann j Dömitz i. M 1903
Derselbe 1904
„ Dr. med. A. Seeliger^ Berlin .... . . . 1904
üebertrag :
Jahres-
Beiträge
Nicht
regel-
mässige
Beiträge
1805.25
10
10
10
10
10
20
10
10
10
10
10
10
10
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10
10
10
10
10
10
10
10
50
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
JL
ao
50
2245.25
110
6
Jahres-
Beiträge
Nicht
regel-
mänige
Bdtrige
Uebertrag :
Herr Dr. Freiherr von Seydlitz^ Stamberg bei Hflnchen 1 904
„ Professor Dr. Han$ Sommer ^ Brannschweig . . 1904
„ Professer Dr. M. Spahn, Strassbnrg i. £. 1904
,, Stadtp&rrer Specht, Zell im Wiesental . . . 1904
Frau Ordfin von Spoelberch, Schloss Wospelaer (Belgien) 1904
Herr Ferdinand Graf von Sporck, Manchen . . . 1904
„ Oymnasialoberlehrer SH$cola^ Plön (Holstein) 1904
Fran ErntsHne Streicher ^ Wien 1904
Herr Theodor Streicher, Wien 1903—1904 26 Kronen =
„ " Professor Dr. Strzygowskyy Graz 1904
Fränlein Frida Thiry, Freibarg i. B 1903
Dieselbe 1904
Herr Oeheimrat Professor Dr. H, Thode, Heidelberg . 1904
„ Direktor E. Thormdhlen, Magdeburg .... 1903
Derselbe 1904
„ Johannes Tiedje, Eleinflottbeck (Holstein) . . . 1904
„ Johannei Thuramk, St. Petersburg 1904 5 Rubel =
,, Advokat Dr. E. W. TremeU (^^ein a. Donau . 1903
Derselbe 1904
,, Eommerzienrat Trübner y Strassbnrg i. K . . . 1904
„ Professor Dr. £. Yölcker, Köln : 8 Jahresbeiträge
siehe Seite 7
„ Geheimer Hofrat Professor Dr. Wachsmuthy
Leipzig 1904
„ Freiherr von Wackerbarth, Ldnderode .... 1904
Akademischer Wagner-Yerein, Leipzig 1904
Herr Heinrich Wallau, Mainz 1903
Derselbe 1904
„ Postrat M. Waaerburger, Wien 1903
Derselbe 1904
Frau Oberrealschuldirektor Wernickcj Braunschweig . 1904
Herr Geheimrat Ernst von Wildenbruch, Berlin . . 1904
Frau Gräfin Wilding de Badali, Schloss Altenburg
(Oberbayern) 1904
Herr stud. geol. A. Windhausen, Hildesheim . . . 1904
„ Gymnasialoberlehrer üf. Winter, Leipzig . . . 1904
„ Assessor Dr. Winter stein, Cassel 1904
,, Baron von Wolzogen, Bayreuth 1903
Derselbe 1904
„ Lehrer Zeisig j Kleinbiessnitz bei Görlitz . . . 1904
„ Amtsrichter Dr. Zenker , Leipzig 1904
„ Graf Zichy, Manchen . . 1904
* Summa :
2246.25
10
10
10
10
10
10
10
10
21.60
10
10
10
10
10
10
10
10.75
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
20
10
110
2647.50
110.—
Oeiamtsumme der eingegangenen Beiträge . . Jt. 2757.50
Von Professor Schemann dem Verein aber-
wiesen (Betrag zweier Jahresraten der
Kaiserlichen UniTorsitäts- nndLandes-
bibliothek.Strassborg fflr den Gobi- ,
nean'schen Nachlass) ,, 8000. —
Einnahmen ans Oobineans Schriften (davon
Ji 79.50 Spende des Herrn Prof.
Dr. B. Yölcker in Köln, Hälfte-Anteil
seines Honorars fär die Schnlansgabe
des Alexandre) „ 789.49
Zinsen etc. etc „ 167.33
Kassenbestand Tom 1. Jnli 1903 . . . ,, 853.27
Insgesamt Jk 12567^9
Davon ab an Ausgaben:
An Herrn Fr. Frommann, Stattgart, Za-
schnss zum Rassenwerke . . 1903 „ 1000. —
desgl. . . 1904 „ 1000.—
Desgl. 100 Exemplare des Werkes (Schenkung
an den alldeutschen Verband und
verwandte Vereine) „ 1133.33
An Herrn Karl J. Trübner, Strassburg, für
277 Exemplare Renaissance gebunden
(Vereins - Exemplare) einschliesslich
Porti und Spesen „ 1619.75
An denselben, für 60 Exemplare Alexandre l.M. „ 80.70
An denselben, für 588 Exemplare Renaissance
und Alexander (Schenkung an die
Oymnasien, einschliesslich Porti und
Spesen) „ 2978.30
An denselben, für 412 Exemplare Alexander,
einschliesslich Porti und Spesen . • „ 590.30
Andenseiben, für 46 Exemplare Renaissance
geb. und 60 Exemplare Alexandre
L M „ 357.63
An Herrn Emest Leroux, Paris, kontrakt-
mässiger Zuschuss für 300 Exemplare
„3 ans en Asie" . frcs. 1200 =: „ 975.—
An denselben, für 24 Exemplare „Asie
Centrale^S nebst Einband- und Ver-
sendungskosten . frcs. 130.15 = „ 104.12
An Herrn F. A. Brockhaus, Leipzig (Ver-
sendung des Porträts) „ 46.80
Drucksachen „ 114. —
Porti • . „ 237.94
Reisekosten „ 395.90
Uebertrag: JL 10633.77
8
üebertrag jH 10633.77
Abschreibegebtthren ,, 70. —
Im Interesse der Sache verwendete Bücher „ 71.39
An unseren litterarischen Agenten in Paris,
Honorar „ 38.92
Frachten etc. etc „ 67.97 -"""^^^^^r-
Varia ,, 46.30 s?*^
Insgesamt jH 10928^
KasseBbestaBd am 31. Dezember 1904: Jk 1639.24.
2 -an
T^ 3*
Die Rechnungen ans der letzten Yereinsperiode (1902/03) sind Ton f
Mitgliedern des Komitte ordnnngsmässig geprüft, nnd ist darauf dem Yorsitzenc
durch Dokument vom 6./7. April 1904 Decharge erteilt worden.
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10
bewegung unserer Tage anregend und heilsam einzugreifen. Je mehr
Gönner sich fänden, desto mehr dürften wir hoffen, namentlich mit der
Renaissance, deren noch an mancher Stätte gehsurt wird, auch weiterhin
Förderung und Freude zu stiften.
Freiburg i./B., im Februar 1905.
L. Schemann.
j
B AUtMUgHi E BlItcbl YTLßü.
Vn.— DC
Ich sah des Ruhmes heil'ge Kränze
auf der gemeinen Stirn entweiht.
Ach allzuschnell nach kurzem Lenze
entfloh die schöne Liebeszeit I
Und immer stiller ward's und immer
verlass'ner auf dem rauhen Steg;
kaum warf noch einen bleichen Schimmer
die Hoffnung auf den flnstem Weg.
Von all dem rauschenden Geleite
Wer harrte liebend bei mir aus?
Wer steht mir tröstend noch zur Seite
und folgt mir bis zum flnstem Haus?
Du, die du alle Wunden heilest,
der Freundschaft leise, zarte Hand,
des Lebens Bürden liebend teilest,
du, die ich frlihe sucht* und fand.
Und du, die gern sich mit ihr gattet,
wie sie, der Seele Sturm beschwört:
Beschäftigung, die nie ermattet,
die langsam schafft, doch nie zerstört,
die zu dem Bau der Ewigkeiten,
zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,
doch von der grossen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht
(Schiller.)
14
188
Richard Wagner an die Frau Fürstin Caroline
Sayn-Wittgenstein«
(Mitgeteilt mit gütiger Zostimmoog der Fraa Fürstin Marie Heheilolie.)
1.
Liebe Ei^ellmeisfcerin !
Sehen Sie das freundliche Gesicht, das ich Ihnen mache!
Liszt hat gestern einen bösen Brief von mir bekommen : Gott weiss,
ich könnt' es nicht besser machen!
Obgleich die Nacht zwischen heat' und gestern nicht die schönste
war, kann ich Ihnen doch einen ehrlichen „guten Tag^ bieten, denn ich
freue mich, dass ich Ihnen fttr so vieles danken kcum : fftr Ihren Brief, fär
Ihre Geschenke, und selbst fär Ihre Bestellung meiner Lithographie, die
ich Ihnen heut' zuschicke.
Ihr so zierliches und kostbares Geschenk machte mir fast Angst : mein
Himmel, solch zarter Luxus steht doch eigentUoh zu meiner Bettelhaitigkeit
in einem drolligen Widerspruch! Bei solchen Geschenken könnte ich mir
einbilden, es ginge mir gut! — Nun, Sie haben mir diese Illusion ge-
macht: das war doch nicht so übel! Schönen Dank!
Sie opferten der Liebe Alles : — bleiben Sie dabei — : opfern Sie selbst
die Möglichkeit der Liebe nie auf! Ich darf Ihnen predigen — glauben
Sie mir! — ich darf! —
Bier zum Gruss etwas Musik!
$
P^¥=w
*
J^ J _ , > J _ ,
Bhein - gold!
^^u
w
^^^
Rhein - gold!
rei - - - - nes
etc.
Gold!
wie lau - ter und hell
da — unds Sind grüssen Sie mir auch!
Zürich, 16. Jan. 1854.
Ihr
Richard Wagner.
2.
Liebe E^apeUmeisterin 1
Eier empfangen Sie das gewünschte Blatt: es ward mir schwer, und
nur aus Gehorsam gegen Sie überwand ich die technischen Schwierigkeiten
des Unternehmens. —
18S
Ich danke Bmen sehr für die wenigen, aber vielsagenden Nachrichten
über Ihr Befinden: sie versetzten mich ganz in Ihre Mitte!
Liszt finde ich jetzt mehr als je bewonderongswürdig : der Schweig-
same, wie laut spricht Alles was er thnt!
Seine vielseitige künstlerische Thfttigkeit setzt mich in Erstaunen : wie
wohl ich weiss, dass wir nur so das Leiden ertragen können. —
Seine Programme reizen mich so, dass ich das Bekanntwerden mit den
„symphonischen Dichtongen^ selbst als das begehrenswertheste ersehne, was
mir auf dem Felde der Kunst irgend zu erwarten steht. Kann er mir denn
nicht wenigstens die Partituren schicken, da ich doch die Werke selbst
nicht so leicht von ihm au%eiührt hören soll? Wie zurückhaltend ist er
gegen mich!
Seine Aufsätze filr die Brendelsche Zeitschrift sind wunderbar schön;
man glaubt in dieses trockene Blatt mit einem Male die Poesie in eigener
Person eingezogen. Und wie klug folgerichtig ist Liszt bei diesem
Schwünge : das ist eben die Klugheit der höchsten, liebevollsten Genialität.
Schade, dass eigentlich Alles nur filr uns geschrieben ist: wer versteht
das sonst?
Dass er noch dem „Holländer^ einen Kranz aufs Grab winden will,
geht mir tief in die Seele : diese zarte Frömmigkeit hat nur Liszt. Nur
Er fbhlte wohl das Leben in diesem Abgeschiedenen; keinem würde es
sonst einfallen mit diesem „überwundenen Standpunkte*' sich zu be&ssen.
Wie es meinen „Bheintöchtem^ geht, wird Urnen das Kind erzählt haben.
Ich habe keine Buhe, bis ich die „Walküre^ anfange. — Darf ich Euch
denn diesen Sommer erwarten??
Liszt glaubte ich noch recht viel schreiben zu müssen : aber es kommt
mir wiederum recht unnöthig vor. Könnte ich seine „symphonischen
Dichtungen'' hören ! Das ist fast das Gtmze, was ich ihm zurufen möchte !
— Meine Sehnsucht darnach ist gross. — Aber warum gab er sich die
unglaubliche Mühe, seinen Brief an Hüben ftlr mich besonders zu copiren ?
Das hat mich recht beschämt. Wollte er mir nur zeigen, wie ausnehmend
klug und nobel er meine Sache führt ? Dessen hätte es wahrlich nicht bedurft !
Nur thut es mir leid, mir von Berlin sobald noch nichts versprechen
zu können. Jener Mensch hat noch keinen Begriff, um was es sich handelt;
nicht im mindesten werde ich überrascht sein, wenn er Alles wieder fiedlen
lässt. — Das macht am Ende auch nicht zu viel aus.
Liebe Kapellmeisterin, was können wir nicht alles vertragen? Nicht
wahr?? — Ich hoffe, Sie lächeln!
Grüssen Sie die Altenburg tausend mal von mir ! Sie ist meine Wart*
bürg: — wie gern weilte ich dort! Leben Sie wohl, und seien Sie gut
Ihrem
Zürich, 8. Juni 1854. B. W.
184
3.
Zürich, Nov. 1854.
Liebe Kapellmeisterin!
Haben Sie grossen nnd herzlichen Dank fär Alles Liebe nnd Gnte,
was ich durch meine Frau von Ihnen erfahren masste ! Gewiss, ich weiss,
wenn es nach Euch ginge, würde mein Los das lachendste auf der Welt
sein. Da diese Welt aber nur dem Blödsinnigen lacht, den Hellsehenden
aber nur anweinen kann, so will ich denn mit Ihnen auf dieses Lächeln
verzichten, und froh sein, mit Freunden klagen zu dürfen!
Haben Sie Dank für die viele Liebe, die Sie mir auch an meiner Frau
angedeihen liessen : sie ist voll davon. — Auch Ihre Geschenke haben viel
Freude gemacht : auf meinem Schreibtische hat sich schon starker Luxus
angelegt, und meine Frau könnte fOglich ein Modenmagazin anlegen. Ich
musste doch lachen, wie ich Ihre Geschenke mit steigendem Behagen
meinem Hausrathe einreihte. Ja^ wenn ich nur in Eurer Nähe und mit
Euch zusammen leben konnte: dann sollte es sich schon ertragen lassen,
und an Festtagen würde es nicht fehlen. Namentlich auch durch die
Schilderung der AufiPührungen unter Liszt's Leitung hat meine Frau mir
das Herz sehr schwer vor Verlangen gemacht : es ist wahrlich doch traurig,
dass ich immer in dieser Einöde, getrennt von Euch, leben soll. Ich bleibe
dabei: Ihr habt wirklich gut reden und zur Geduld ermahnen; mit allen
Beschwerden, die Euch drücken mögen, fühlt Ihr doch nicht diese Leben
tödtende Einsamkeit, der ich anheim gefallen bin, und von der Ihr Euch
gar keinen Begriff machen könnt. Somit kennt Ihr doch nur die Verlegen-
heit des Beichen, nicht aber die Noth des Armen: diese aber muss man
kennen, um zu begreifen, dass Jemand von meiner Lebhaftigkeit endlich
an ihr zu Grunde gehen muss. Ihr glaubt das nicht, weil Ihr es nicht
wissen könnt, und deshalb darf ich Euch gewiss auch keinen Vorwurf
machen. Im Gegentheil, ich bin nur froh, dass Ihr wenigstens mir noch
übrig bleibt, zu denen ich doch noch verlangen kann; dass mir somit
immer noch ein Glück in der Vorstellung bleibt, an dem ich noch theil-
zunehmen wünschen und hoffen darf: denn es giebt nur ein Glück —
Gemeinsamkeit mit gleichgesinnten Menschen! —
In dieser Gemeinsamkeit lässt sich dann allerdings AUes ertragen, und
die gemeine Lebensnoth verliert Ihre marternde Kraft. —
An der „Walküre^ habe ich zwar immer etwas gearbeitet: doch geht
es viel langscuner, als ich anfangs dachte. Das, was ich endlich entwerfe,
ist zwar immer das Beste, was ich machen kann; allein die Stimmungen
zur Arbeit kommen mir bei meinem öden Leben immer seltener. So lange
ich Bücher schrieb und Verse machte, mochte es gehen : aber für die Musik
brauche ich ein anderes Leben ; ich bedarf der Musik selbst ; so aber gleiche
ich Jemandem, der Feuer machen will, und wohl das Licht, nicht aber das
Holz dazu hat. Dazu greift mich auch der Gegenstand der Walküre gar
185
zu sohmerzlioh an: es giebt doch eigentlich kein Leiden der Welt, das
hierin nioht zu seinem schmerzlichsten Ausdrucke gelangt ; das künstlerische
Spiel mit diesen Schmerzen rächt sich aber an mir: ich bin wiederholt
schon ganz krank darüber geworden, und musste gänzlich aussetzen. Jetzt
bin ich im zweiten Acte bei der Scene, wo Brünnhilde zu Siegmund tritt,
um ihm den Tod zu verkündigen: so etwas kann man doch kaum mehr
componieren nennen! — Wenn ich nur erst bis zum ,jungen Siegfried^
bin; der wird dann wohl schon schneller gehen. — Meine Frau sagt mir,
Sie hätten f&r nächstes Jahr einen Schweizer-Zug im Sinne: soll ich aber
darauf hoffen? — Ich ho£Fe — auf nichts mehr — als auf das Ziel des
fliegenden Holländers. Was mir sonst Gutes noch etwa begegnen könnte,
will ich gern als Gnadenspende für den Weg annehmen. Auch auf die
Dresdener Amnestie ho£Fe ich nioht im Mindesten: denn ich glaube nicht,
dass sie zu Stande kommt, am wenigsten auf eine Weise, dass ich Sie an-
nehmen könnte. —
Somit — ohne Hoffiiung — aber das ganze Herz voll Liebe und
Dank — sage ich Urnen heute Lebewohl: Leben Sie wohl, und seien Sie
versichert, dass Sie nicht xmglücklich sind; Sie können mir das auf mein
ehrliches Wort glauben! —
Viele tausend herzliche Grüsse an Liszt und das Kind ! — Auch meine
Frau bittet mich, sie im Grusse nach Kräften zu vertreten.
K. W.
4.
Zürich. 2. Nov. 55.
Soeben erhebe ich mich von einem längeren Krankenlager! Diess ent-
schuldigt meine späte und dürftige Antwort auf Ihren freundlichen Brief.
Sie wussten wohl auch nicht, dass mir Liszt bereits mit einem herzlichen
Zuruf den Empfang meiner Partitur angezeigt hatte?
Dass Sie mit dem Kind in Paris waren, wusste ich auch: ersah' aber
darin wohl ein grosses Vergnügen für Sie, weniger aber eine Heldenthat
Ihrerseits; diese würden Sie vollbracht haben, wenn Sie mir armen Ver-
bannten Wort gehalten, und mich in der Schweiz besucht hätten. Eine
Zeile Ihres Briefes lässt mich hoffen, auch Sie Beide mit Liszt in der
Schweiz zu sehen, wenn dieser seine Beise bis Frühjahr verschöbe. Haben
Sie nicht den Muth, mich im Winter zu besuchen, so bitte ich Sie, doch
Liszt nicht davon abhalten zu wollen; denn glauben Sie — ich ver-
schmachte nach ihm, und habe mir den äussersten Zwang angethan,
seinen Besuch erst zu Weihnachten zu erbitten. Ob ich — da ich jetzt
auch durch Krankheit einige Wochen am Arbeiten verhindert war — den
letzten Akt der Walküre bis Weihnachten ganz fertig haben werde, weiss
ich nicht mit Sicherheit: doch möchte ich desshalb um alles in der Welt
186
nioht Liszt's Besaoh länger verzögert wissen, sondern bereue bereits tief,
durch dergleichen eitle Bücksichten seinen Vorsatz um Monate anschalten
zu haben; denn es liegt mir mehr daran zu empfieuigen, als zu geben.
Könnten Sie Frauen sich endlich entschliessen, im Frühjahr oder Sommer
mich zu besuchen, so käme es darauf an, mich um diese Zeit noch unter
den Lebenden zu tre£Fen: viel wird dazu beitragen, wenn Jjiszt mich vor-
her einmal besucht. —
Achl liebste Freundin! in dieser Welt giebt es viel zu viel Worte,
und viel zu wenig Thaten! Ich sage dies nioht mit Bitterkeit, sondern
mit Traurigkeit! Wohlan! Ich versichere Sie — wenn ich frei wäre, so
würde ich unbedingt — mindestens die Hälfte jedes Jahres — in Weimar zu-
bringen, einzig um mit Idszt zusammen zu leben. Ich weiss diess so bestimmt,
dass es mir dagegen fast natürlich vorkäme, von Liszt zu wünschen, dass
er jetzt — da nur er frei ist — zu mir käme, um mit mir zu leben.
Ganz nüchtern betrachtet finde ich es wirklich eine ungeheure Vergeudung
des Daseins, so bloss der äusseren Boutine nach zu leben, und seinen Auf-
enthalt sowie seine Lebensweise nicht lediglich nach den wichtigsten Be-
ziehungen des Lebens einzurichten. Wie bald werden die wenigen, uns
noch bestimmten Lebensjahre zu Ende sein, und wie sehr möchten wir bei
diesem Ende bereuen, so oft unser Leben unter Affen und Hundrai zu-
gebracht zu haben, statt bei und mit den uns einzig nahestehenden Menschen.
Ich wenigstens wüsste, dass fast all' mein Lebensleid verschwinden würde,
wenn ich mit Liszt zusammenleben könnte, vielleicht würde auch ich Liszt
etwas sein. Ich — kann nun nicht zu ihm — er aber — könnte sehr
wohl zu mir: und Sie — würden Sie zurückbleiben? Oder ist Ihnen
Weimar eine Wonne? —
Ich spreche in vollem Ernste, und beklage mich laut darüber, Liszt
nicht das zu sein, was ich zu sein wünschte; er müsste somit einmal
darauf verfallen sein, wie es anzufiEtngen wäre, mit mir fortan zusammen
zu leben. Ich — denke nur daran, und bezeuge damit, dass Liszt mir
mehr ist, als i c h ihm — was am Ende auch ganz natürlich sein mag ! —
Sie sehen, ich spreche mich nach meiner Stimmung aus: und diese ist
rein verzweifelt, — denn ich bin mir bewusst, dass man mich verkommen
lässt, verkommen im vollen Sinne des Wortes. Zu spät werdet Ihr Alle
Euch dess' bewusst werden. Nun, ich kann dagegen nichts haben, nament-
lich wenn mich die „Welt^ verkommen lässt: aber dass Ihr das doch nicht
einmal fühlt, das macht erst die Oede um mich her nur so recht zur Pein. —
Aber die Lebens-Bücksichten — und dann — man muss doch daran
denken — und dann: Ja, das eben ist das Material, woran alles Edle zu
Grunde geht. Edel und schön aber wäre es, wenn wir fortan zusammen-
lebten : ich bin nicht unverträglich, wie Liszt einmal geäussert hat ; er soUte
sich davon überzeugen. Oft habe ich ihm auch schon mein grosses Be-
dürfnis«, mit ihm zusammen zu leben, mitgetheilt; er geübte diess immer
187
xmr dnroli meine Amnestiertmg erreioben za können, und da er diese für
unmöglich halten musste, zuckte er auch über mein Bedürfiuss die Aohsebi.
Ordentlich geantwortet hat er mir auf so etwas niemals. Wäre fikr ihn
das Dasein auch schon nur eine Boutine geworden? Ich kann's nicht
glauben! —
Ich antworte Urnen ungestümer, als Sie es vermuthet haben werden:
vielleicht steckt noch etwas Fieber in mir. Das Fieber bringt — mit
Delirium — allen Krankheitsstoff auf die Haut : Sie sehen nun, welchen
TCrankheitsstoff ich lan^ schon in mir herumschleppe. Wahrscheinlich
antworte ich Ihnen ein andermal vemfinftiger. Für heute müssen Sie sich
Parozismen gefallen lassen, wie ein guter Arzt, der darüber d^a Eopf nicht
verliert.
Sind Sie mir böse? Ich bin es Urnen nicht, trotzdem ioh darnach
aussehe! Bald wird das Fieber weichen, und ich werde Alles wieder in
der Ordnung finden: ob ioh dabei genese? Wer weiss! — Ihnen scheint
es erträglich gut zu gehen, da Sie in Paris Kunst genieasen konnten : Das
kann nicht jeder, wenn es ihm schlecht geht !
Leben Sie wohl!
Tausend Ghrüsse!
t t t
6.
Zürich. 4. Sept. 56.
Mit welcher Ungeduld ich jetzt meinen Freund erwarte, liebe Frau
Kapellmeisterin, kann ich Ihnen nicht sagen. Mein ganzes inneres und
äusseres Leben ist zu einem unruhigen Wirbel geworden, der sich nur um
die Axe dieses Wiedersehens dreht. Aber, das sage ich Urnen, wenn der
Werth dieses Wiedersehens ganz vollständig sein soU, müssen Sie mit
dabeis ein, Sie und das Kind. Liszt hat mir darauf Hoffnung gemacht:
machten Sie mir diese zu nichte, so würde Liszt eine schlimme Stunde
davon haben. Machen Sie sich auf — das bitte ich ! —
Für heute ersuche ich Sie noch, die beiden Partituren des Khein-
goldes u. der Walküre, die Sie verwahren, an mich — nach Zürich —
alsbald schicken zu lassen. Meine Unterhandlungen mit Härteis haben sich
wieder zerschlagen, und das Häuschen, das ich mir als ruhige Arbeitsstätte
seit so lange ersehne, steht wieder in Lüften, vermuthlich dicht bei Wal-
hall, wo ich es dereinst zu finden hoffe, wenn mir nicht früher in der
Nähe der Altenburg ein stilles Asyl geboten wird.
Somit gehen die Partituren also nicht nach Leipzig, sondern zu mir,
wo wir — Liszt u. ich — in Ihrer Gegenwart damit zu machen suchen
werden was möglich ist.
188
Am 31. August war ich in Gran, und habe Liszf 8 Messe mit gefeiert :
Haben Sie schöne Nachrichten? war er zufrieden?
Tausend schönste Grüsse von Ihrem wiedersehns-bedürffcigen
Bichard Wagner,
6.
Sonnabend, Abend. 7 Uhr, [Zürich, Nov. 1856.]
Theuerste EapeUmeisterin !
Weiss Gott, ich bin wieder erkältet; als ich von Ihnen fortging,
schüttelte es mich; ich fiebre etwas und halte es für gut, heute nicht
wieder auszugehen.
Mein heutiges Ausbleiben wird das Gute haben, dass Liszt sich nicht
Terführt fiüilt, vor der Zeit das Bett zu verlassen; morgen — Sonntag —
versucht er diess dafür vielleicht mit besserem Gewissen, und wir feiern
diese Auferstehung gemüthlich zusammen.
Der Himmel schenke ihm G^uld, und Euch klugen Frauen einen
recht behaglichen Ofen! So ertrftgt man das bischen Leben, das ja doch
nur zum Ertragen da ist, besonders fOx diejenigen, die es noch nicht auf-
geben wollen; — was eigentlich das Gescheuteste für mich wäre. Denn
so viel werden Sie nun wohl eingesehen haben, dass es mit mir eine recht
erbärmliche Bewandniss hat. —
Einen recht sonntäglichen Sonntag wünscht allerseits
Ihr
sonnabendlicher
R. W.
7.
[Zürich, November 18B6.]
Hochverehrter Magnifikus!
Mir geht es schlecht — und an Singen ist so bald nicht zu denken.
Somit bleibt mir nur der Wunsch, Sie bald wieder gemessen zu können,
damit doch ich wenigstens etwas habe, woran mich halten. —
Bald hoffe ich Liszt zu sehen: er wird Ihnen weitere Nachrichten
über mich zurückbringen. —
Für alle Fälle — erhalten Sie mir ein ganz klein wenig das Fünkchen
Liebe, das Liszt bei Euch mir übrig lässt, der ich im Ganzen doch ein
lederner, langweiliger, verlumpter — wenngleich Ihnen ganz und gar
ergebener
Musikant
bin.
Bichard — der Gatarrhist.
189
8.
[Züricli, November 1856.]
Ich wüsste nicht, wo anfangen und wo enden, wenn ich Ihnen einiger-
maassen die Empfindungen mittheilen wollte, die Ihre gränzenlose Güte
in mir hervormft! — Glauben Sie^ dass ich mir recht klein dagegen er-
scheine, und meine Bene nur die Gefühle innigster Verehrung und Liebe
für Sie mir erweckt und bestärkt, so dass ich ihr Bittres — wie wahr
auch — kaum mehr empfinde! —
Ganz Ihr
R. W.
9.
12. April 18B8.
Ihr Brief, liebe Kapellmeisterin, kam mir diesmal fast zur Pein ; denn
nun Sie mich gemahnt, werden Sie mir gewiss nicht glauben, wenn ich
Sie versichere, dass ich grade heute Ihnen jedenfalls von selbst geschrieben
haben würde. Ja, liebe, gütige Freundin ! Sie hätten jetzt jedenfalls einen
Brief von mir bekommen ; nicht weil ich Ihnen einen Vorfidl zu berichten
hatte, sondern um Ihnen zu sagen, dass in meinem Leben eben nichts mehr
vorfiele. Ich darf daher an das Ereignislose meines Lebens mich einzig
bei meiner Mittheilimg halten. Was vor aller Welt vorgeht, hat für mich
keinen besonderen Beiz ; das Intime, worauf es Menschen unsrer Art einzig
noch ankommt, verliert sich hier immer; je mehr Menschen ich meine
Mienen zeige, je weniger werden sie verstanden werden. Vor der Oeffent-
liohkeit spielt nur die Maske, denn selbst wenn man ohne Maske vor ihr
erschiene, würde sie, die nichts als Masken kennt, doch nur eine solche
zu sehen bekommen. Mich reizt an grossen Dichtem immer mehr, was
sie verschweigen, als was sie aussprechen; ja die eigentliche Grösse eines
Dichters lerne ich fast mehr aus seinem Schweigen, als aus seinem Sagen
kennen: u. hierdurch ist mir Calderon so gross u. theuer geworden. Das,
was mich die Musik so unsäglich lieben lässt, ist dass sie Alles verchweigt,
während sie das Undenklichste sagt: sie ist somit, genau genommen, die
einzige wahre Eunst, u. die anderen Künste nur Ansätze dazu. —
An meine Amnestirung habe ich in letzter Zeit viel wieder gedacht;
sie allein könnte eine wesentliche Erleichterung unserer Lage herbeiftlhren.
Ezcursionen nach Deutschland, periodische künstlerische Unternehmungen
böten eine würdige Zerstreuung u. Beschwichtigung des innerlich nagenden
Wurmes. Ich habe mich neuerdings wieder darum in Dresden bemüht;
wie es bis jetzt scheint, aber wieder ohne Erfolg. Wohl soll die Hefe des
Bechers noch getrunken werden. Gebe der Himmel ein edles Ende ! Amen !
Mit meiner Arbeit geht es langsam vorwärts. Ich habe mit Härteis
einen Contract für die Herausgabe des „Tristan^ gemacht; die Partitur
soll gestochen werden, n. am anzufangen, habe ich zunächst den ersten
Akt instrumentirt. Mit Anfang dieses Monates wollte ich an den zweiten
Akt gehen. Hoffentlich komme ich nun bald dazu. Im üebrigen, beste
Freundin, fährt es fort mir miserabel zu gehen. Dies beiläufig! —
Liszt's Züge verfolge ich Schritt für Schritt in den musikalischen
Zeitungen; ich freue mich herzlich darüber.
Und nun tausend herzlichen Dank für Ihre grossmüthige, unersohütte]>
lieh treue Freundschaft ! Halten Sie mich nie für undankbar, sondern nur
für unglücklich; auch nie für verzweifelnd, sondern nur für resignirt!
und grüssen Sie das Kind von meiner ganzen Seele!
Leben Sie wohl, theure liebe Frau! und nochmals tausend Dank filr
Ihre liebe ! Grüssen Sie meinen Franz u. sagen Sie ihm, mir ging' es gut !
Ihr
Bichard Wagner.
^H^vn«^-
Biehard Wagner an Ludwig Schnorr.
(Bisher Teröffentlicht 8 Briefe nnd Billets, Nr. 39, 41—47, in der .Deutschen Bevue* 1883).
1.
(Nov. 1861.)
Lieber Herr Schnorr!
Wohl bin ich eingedenk der schönen Versicherungen, welche SiA mir
gaben. Wundem Sie sich nicht über mein Zögern: ich versparte mir es
fär den entscheidenden Fall, Sie beim Wort zu nehmen.
Dieser Fall ist da!
Meine Ehre, meine Zukunft — sind im Spiel! Meine Geduld ist zu
hart erprobt; ich fürchte zu erliegen, wenn ich noch länger dulden soll.
Sie können mir Alles retten!
Machen Sie es möglich, für die drei Monate Dezember,
Januar, Februar nach Wien zu kommen!
Sie singen den Tristan, und meine beiden andren Opern. —
Für die Erfüllung Ihrer Forderungen werde ich sorgen t Sie machen
mir es leicht, wenn Sie massig fordern.
Allein — wie Sie frei bekommen??
Versuchen Sie's ! Bestürmen Sie Herrn von Lüttichau — : maehen Sie
ihm begreiflich, was Sie mir sein können! —
Bis nächsten Dienstag bin ich in Venedig: Albergo Danieli. —
Dann wieder in Wien: Kaiserin Elisabeth, Weihborggasse. Haben Sie
mir etwas Hoffiiungsvolles zu berichten, so bitte ich, telegraphiren Sie mir.
Sie glauben nicht, mit welchem Geftüil ich diesen Brief schreibe!
Lassen Sie schönes hören!
Von Herzen
Ihr
Bichard Wagner.
Die Direction bittet mit mir.
19 Quai Voltaire Paris, 10. Dez. 61.
Verehrtester Herr Schnorr!
Dass ich Ihnen nicht antwcnrtete war nicht, weil ich Ihnen nichts zu
antworten hatte, sondern nnr, weil ich zn viel Unmittelbares zu erledigen
hatte.
Durch Ihre Erklärung wegen des dritten Actes von Tristan sind Sie
mich los geworden, und die Pein, die Ihnen diese Erklärung kostete, hat
mir im Gegentheil gezeigt, dass wir noch zusammen zu thun haben müssen.
Klagen Sie Ihre physischen Kräfte nicht an, wenn Sie über die Anstrengungen
dieses dritten Actes nicht hinweg zu kommen fOrchten. Gewinnen Sie aber
auch vom Wesen einer theatralischen Au£ftlhrung die richtige Ansicht, dass
hier, wo alles, selbst das Leiseste, als unmittelbare Action erscheinen muss,
eine andere Logik herrscht, als in einer rein poetischen Conception. Es
ist denkbar und möglich, dass auch dieser dritte Akt des Tristan einmal
ganz vollständig gegeben werden kann ; unmöglich kann diess aber in den
ersten Aufführungen geschehen. Soll so etwas in jeder Hinsicht Ueber-
schwengliches gelingen, so kann diess nur unter ganz besonders glücklichen
Dispositionen geschehen, die auch der Begabteste nicht an jedem bestimmten
Tage sich bereiten kann. Somit würde ich unter keiner Bedingung diesen
Akt sofort vollständig zu geben für räthlioh halten : selbst wenn der Sänger
ihn sofort ganz vollkommen liefern könnte, wäre fOx erste AufEührungen
einem Theaterpublikum gegenüber eine solche Breite der Darstellung mehr
als gewagt. Diess könnte, wenn der Sänger dazu bereit wäre, erst dann
geschehen,' wenn Alles Uebrige bereits gekannt und empfimden wäre.
Ihren schönen Eifer für diese Aufgabe lassen Sie daher wohlgepflegt:
früher oder später werden Sie den Tristan singen, und meine — aus vielen
Bücksichten — nöthig befundenen Kürzungen des dritten Aktes werden
Urnen die Partie ganz nach Wunsch dann erleichtern und ermöglichen.
Diess war ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung schuldig.
192
Sehr leid that es mir, nun für so lange auf eine erste Aufifahmng des
Tristan verzichten zu müssen; wo auch femer Sie berufen sein sollten,
diese Bolle zn singen, hoffe ich aber nun auf Sie zählen zu können.
Mit grösster Hochachtung und herzlichem Dank für Ihre Theilnahme
bin ich
Ihr
ergebenster
Bichard Wagner.
(Biebrich, JuK 1862.)
3.
Gewiss ist Ihnen Allen heute ein Ausflug nach Bingen, SVi XThr, recht?
Wenn Sie mich eine Stunde vorher abholen — ich meine so gegen 2 Uhr —
könnten wir noch die Tannhäuser-Scene durchnehmen.
Auf Wiedersehen!
Ihr
E. W.
4.
Heute, liebster Musikverein, rechnet einmal nicht auf mich ! Gk)tt der
Grundgütige schenke Euch allerhand Amüsement!
Auf morgen
„viribus unitii"
E. W.
5.
Ejnder, ich denke — etwas Musik, aber keine Natur: der Himmel
will's nicht! — Lasst mich am Tag etwas Stiefel versohlen: um 6 Uhr
speisen wir, am Abend Isoldiren wir uns Tristanisch, vielleicht können wir
dann noch etwas Tannhäuser k la Venus drauf setzen.
Gott der Grundgütige schütze euch, aber nicht als Schütze!
B. W-
Adresse: Dem Musikverein zu Büberich.
Zu Händen seines gewichtigsten Mitgliedes, dem Verfasser der Edda.
198
6.
Mnsikfest zn Bieberioh.
Tagesordnong.
Montag
um 3 Uhr Musikmacherei
dann:
Wiesbaden.
Jeder isst wann er will!
Es lebe die Ordnung!
E. W.
7.
(PoststpL Biebrich 22. Vm. 62.)
Liebster Herr Schnorr!
Die Frankfurter Direktion wird sich dieser Tage nach Dresden wenden
wegen Effektniemng einer AuffQhmng des Lohengrin unter Ihrer und Ihrer
Frau Gemahlin Mitwirkung. Tragen Sie nach Kräften das Ihrige dazu
bei von Dresden loszukommen und zwar auf so lange, als irgend möglich.
Da ich auf eine komplette Aufführung gedrungen habe und man in Frank-
ftirt auf meinen Wunsch einer „restitutio in integrum" bereitwilligst ein-
geg£mgen ist, so haben wohl nun auch Sie und Ihre Frau Gemahlin die
Güte, das bei fi:tüieren Darstellungen Ausgeschiedene nachzustudieren ;
speziell kommt es auf Vollständigkeit der Szenen zwischen Ortrud und
Telramund und des Frauenstreites vor der Kirche an.
Gott der Allgütige segne und bewahre Sie mit Weib und Kind.
Ihr
hundsgesunder
lUchard Wagner.
8.
Frankfurt, 9. Sept. 1862.
Mein lieber Schnorr!
Das weiss der Himmel: — glücklich will sich mir nichts ftlgen! —
loh habe nun Niemand mehr auf der Welt, als die Wenigen, auf die
ich mich verlassen zu können glaube: es sind deren sehr wenige! —
104
Mit Ihnen wollte mir nun noch nichts glücken: Wien mxxaa ich auf-
geben, weil Sie es vorzogen sich in diesem Dresden festzonisten, in welchem
Sie selbst sich nicht getrauen, einmal die Frage wegen des Tristan an-
zuregen, nnd dafür mir klagen, dass Sie dort sich wie im £xil filhlen! —
Nun heisst es endlich: ein Lohengrin in Frankftirt: — kein Schnorr möglich!
Eine glückliche Hülfe iür Ortrud — : keine Frau Schnorr möglich ! — loh
sage nun trotz alledem „B^, nachdem ich „A^ gesagt: — Freitag geht
unter meiner qualvollen Leitung ein Frankfurter Lohengrin vom Stapel. —
Nun lasst sehen, wie es weiter steht. Meine Buhe ist auf's Aeusserste
bedroht. Mein Verleger sollte mir diesen 1. September eine bedeutende
Zahlung machen: er weigert sie plötzlich, unter der Angabe, in seinen
eigenen Einnahmen beeinträchtigt zu sein. —
Nun gilt es mir viel : Arbeitsruhe und „Meistersinger^ sind dahin, wenn
mir nicht Bath wird. Jetzt war der Zeitpunkt, bestimmt die Orundlage
zu meinem ferneren Lebensverhältniss zu legen: ob ich's in meinem Sinn,
oder im Sinne eines abenteuerlichen Unterganges zu Ende führe. Ich suche
Geld, um meine so eigenthümlich erschwerte Niederlassung in Deutschland
jetzt zu Stande zu bringen, und Freiheit zu gewinnen, um bis zu meinem
öOsten Geburtstag — Mai 1863 — die Meistersinger zu vollenden. Ich
biete einen Wechsel auf 15. September 1863. Ich weiss, dass schlimmsten
Falles dann mein Verleger, durch Vorschüsse auf die Theatereinnahmen
der MS. mir hilft. Nun sehe ich, dass ich wie verschollen bin: Niemand
versteht nun meine Lage als Hans v. B. und der junge Weissheimer, die
mir zuletzt nah waren. Keiner kann helfen! — Nun, ich biete Ihnen die
Gelegenheit, durch eine grosse Mühe mir zu zeigen, dass Sie zu mir ge-
hören. Sie sind in der Stellung, sei es aus eigenen Mitteln, sei es durch
Gutsage mir zu helfen, und so meinem Leben seine letzte nothwendige
Richtung zu geben. — Ich brauche zu meinem Zwecke 1600 bis 2000 Thaler.
1000 Thr. davon mindestens sofort. Ich biete den bereits erwähnten Wechsel!
Sehen Sie, was Sie mir antworten! — aber glauben Sie — es hängt viel
davon ab, was Sie mir antworten! —
Bis Sonnabend bin ich hier: im Schwan. Dann in Biebrich!
Es giebt in unserem Leben seltsame Wendepunkte: was ich in diesen
letzten Jahren erfahren, ist der Art, dass es mich, wenn ich Alles zusammen
fasse, zu einer erhabenen Verzweiflung stimmt. So ist die Stimmung, in der
ich Urnen ernst, und — wohl wissend was ich thue — heute schreibe! —
Lasst sehen! —
Adieu! mein lieber Schnorr!
Machen Sie, dass ich mich Ihrer noch freuen kann!
Ihr
Biohard Wagner.
195
9.
Biebrioh a. Eh., 9. Oot. 62.
Mein lieber Schnorr!
Erst jetzt las ioh Ihre letzten Zeilen ruhig durch, da ich erst jetzt
mich wieder in ein Gleichgewicht gebracht habe, aus dem ich durch
ungemein bittre Erfahrungen für einige Zeit geraten war. Seien Sie firoh,
wenn Ihr noch junges Leben immer so ruhig hinfliesst, dass Sie Leiden,
wie die, denen ich fikst beständig ausgesetzt bin, nicht emstUoh kennen
lernen !
Lassen Sie mich an den mir so werthen, hoffnungsvollen Künstler mich
heute einzig wieder wenden. — Zum Angrifi von Unternehmungen gedrängt,
meiner Muse vorläufig — nach kurzer Berührung ! — wieder Valet sagend, —
kann ich nun auf keine, meinen beabsichtigten Aufiühxungen irgend
erspriessliohe Combination stossen, ohne Ihrer Mitwirkung dabei gedenken
zu müssen.
Ich treffe Anfang November auf einige Tage in Dresden ein: mein
Aufenthalt hat diesmal lediglich und einzig den Zweck, mit Herrn v. Kön-
neritz in einen Compromiss in Bezug auf Sie zu treten.
Es muss eine Combination Ihres Urlaubes, vielleicht mit Hinzuziehung
eines anderjährigen Urlaubes — und der Zeit der Anwesenheit Tichat-
scheck's in Dresden in der Weise zu Stande gebracht werden, dass Sie
auf drei bis vier Monate (wenn länger unmöglich sein sollte!) nach Wien
kommen können. Nur dann glaube ich überhaupt an eine erste Auf-
führung des Tristan, — welche ich in Dresden einer Seits für zu schwierig,
andererseits für nicht entscheidend genug, für nicht wichtig in den Erfolgen
(eben des Charakters der Dresdener Publizität wegen) halte.
Haben Sie nun die Güte, im Voraus die bestehenden Verhältnisse und
Lage der Dinge so weit zu Bat zu ziehen, dass Sie mir bei meiner An-
kunft die nötigen Fingerzeige geben könnten, welcher Art ich meine Vor-
schläge an Hr. v. Könneritz zu stellen hätte. An jeder Art Persuasion
will ich es bei diesem Herrn nicht fehlen lassen; auch eine einflussreiohe
Nachhülfe aus Wien soll von mir in Bewegung gesetzt werden.
Würde diess nun mehr einer Abmachung für später gelten, so habe
ioh aber schon für diesen Winter, und zwar sehr bald Anliegen an Sie und
Ihre Intendanz. Sie sollen mich nämlich bei grossen Conzerten unterstützen,
die ich zunächst in Wien zu veranstalten gedenke. Ich habe für Conzert-
aufführung^i geeignete Fragmente aus meinen noch unaufgefdhrten Werken
zusammengestellt, mit denen ich zunächst den Anfang dazu machen will,
diese Arbeiten aus der Unbeachtetheit zu ziehen, deren sie sich gegenwärtig
Seitens unsrer Musiker zu erfreuen haben. Demnach bringe ich Bruch-
stücke aus Bheingold, Walküre, Siegfried, Tristan u. selbst
Meistersingern zu Gehör. Ohne Sie kann ich ein solches Programm
nicht ausführen: es befinden sich unter andren die Schmiedelieder
196
Siegiried's dabei! — Demnach gälte es, im Allgemeinen des Herrn y. Kön-
neritz Geneigtheit mich zu versichern, im Laufe des Winter's beim Beper-
toir einige Male darauf Bücksicht zu nehmen, dass Sie dann u. wann etwa
auf einige Tage abkommen könnten. Vielleicht kann ich ihm einen Dienst
daftlr versprechen.
Sie sehen, lieber Schnorr, ich fahre fort, Sie als den Meinigen zu be-
trachten, da ich bei den genannten Vorhaben nur an die Schwierigkeiten,
die Ihr Intendant mir bereiten kann, denke, Ihrer Zustimmung aber gar
nicht bittend erwähne. Wollen Sie mir bös sein, dass ich so unhöflich
bin? Ich denke, Sie verstehen es richtig, und reichen mir Ihre Hand. —
Wenn Weissheimer glücklich bei Ihnen war, darf ich hoffen Sie am
31. d. M. schon in Leipzig zu begrüssen : es sollte mich in jeder Beziehung
herzlich freuen.
Leben Sie wohl, und grüssen Sie — ich bitte — Ihre liebe verehrte
Frau allerschönstens von mir! (Möglich dass auch sie mit nach Wien
kommen muss!)
Von Herzen
Ihr
Bichard Wagner.
10.
Das Schlimmste, lieber Schnorr, ist wiederum, dass Sie bereits für einen
Monat Ihres Urlaubes ein Gastspiel abgeschlossen haben, ohne meiner da-
bei zu gedenken. Hätten Sie zwei Monate — selbst auseinander gerückt —
fCb: mich, so wäre mein Zweck zu erreichen. Ist Ihr Gastspiel im Mai
durchaus fest?? —
Dass Sie einen Wintermonat frei haben, soU dennoch benutzt werden,
und meih schnell gefasster Plan ist dieser. —
Ich studiere in Wien November u. Dezember den Tristan mit einem
Tenoristen, der gerade so dumm wie A. ist, passable Stimme, erträgliche
Figur hat, und gut musikalisch ist, ein, gebe die Oper mit diesem
einige Mal ; im Januar oder Februar kommen dann Sie, und singen die Partie
so ofl als es Ihnen möglich ist. —
Diess ist schon etwas: besser könnte es werden, wenn Sie Ihr Qastr
spiel für Mai loswerden, und dann wieder nach Wien kommen könnten,
am besten (in dem Falle des Loswerdens Ihres Gfutspieles) wenn ich
nächstens von Ihrem Intendanten persönlich durchsetze, dass er stattMai
Ihnen noch einen zweiten, mit dem ersten zusammenhängenden Wintermonat
giebt, was nicht schwer sein sollte, da Sie drei Wintermonate an u. für
sich zur Auswahl haben.
Gestehen Sie, Liebster, Sie haben auch diesmal nicht recht an mich
gedacht, und Ihre üebereinkünfte ganz ohne Berücksichtigung meiner
Tristan-Noth zu Stande gebracht!
107
Verbessern Sie das!
Jetzt aber fassen Sie Math, und geben Sie wenigstens anf das Minirnnm
meines Planes ein ! Sie machen sich bis dahin leicht des Tristan's so weit
Meister, dass Sie ihn mit einigen Theaterproben dann herausbekommen:
ich helfe Ihnen dabei, — rechnen Sie das für Etwas! —
loh schreibe sogleich nach Wien, um meiner neuen Combination An-
nahme zu verschaffen* —
An Hn. y. £önneritz habe ich des Leipziger Conzertes wegen einen
Brief geschrieben, von dem ich mir doch einige gute Wirkung vermuthe.
Wir werden sehen!
Adieu, bester Freund!
Meine schönsten Empfehlungen Ihrer vortrefflichen Gkkttin!
Ihr
Biebrich, Bich. Wagner.
19. Oct. 62.
11.
Wien, 16. Nov. 62.
Lieber Sohnorr!
Ihr Gkustspiel fbr Januar gelungen. Nun — hören Sie!
Sollte es keiner Anstrengung Ihrerseits gelingen können — sogleich
zum Januar noch den Felmiar frei zu bekommen, gegen Abgabe des Mai ?
Mindestens noch den halben Februar, gegen Opfer des ganzen Mai?
Es ist eine starke Zumuthung an Sie, aber — Sie sind doch am Ende
der Einzige, dem ich sie stellen kann.
Die Direction ist mir einig geworden, jetzt den Tristan mit Ander
zu studieren: Ihr Kommen Anfang Januar bleibt gros st es Geheimniss.
Yoraussichtlich haben wir dann die Oper mit Ihnen zuerst, und geben
sia so oft Sie können. Natürlich — wie nöthig, dass Sie uns nicht nur
einen Monat geben können! Sie machen so die vollen Theaterproben mit.
Jedenfalls Januar! Aber, sehen Sie was mehr!! —
Nun aber noch eine wichtige Bitte. Sie begreifen, welche Concession
mir eine stupide Direction schon damit macht, dass sie eine neue Oper
zunächst nur mit einem Gaste geben will. Diess zu erreichen machen Sie
mir hauptsächlich dadurch möglich, dass Sie aus Freundschaft für
mich, und aus besonderem Interesse für die Sache Ihre Forderungen
fClr diesmal auf das geringste Ihnen möglich Gewährbare herabstellen.
Seien Sie diesmal recht billig, und zeigen Sie, woran es Ihnen liegt, so
trägt sich das Ihnen ein andermal gewiss ein! Bitte, bitte! Antworten
Sie mir schnell, und stellen Sie mir recht rührende Bedingungen. Sie
begreifen ja, wie ich mich mit Ihnen eben nur so hier hineinlügen muss.
15
Lassen Sie uns aber erst einmal den Leuten gezeigt haben, was wir können,
dann — !
Also, seien Sie ein Held, nnd machen Sie mir einmal grenzenlose
Erende! Mit Sehnsacht haare ich aoi gute Antwort!
Von Herzen der
Biohard Wagner
Kaiserin Elisabeth*
Weihbnrggasse.
12.
Wien
Kaiserin Elisabeth.
26. Nov. 62.
Werthester Freund!
Soeben lasse ich ein zusagendes Telegramm an Sie abgehen — Ihre
Wünsche werden erftült, und ich rechne nun sicher auf Sie und den
Tristan für n&chsten Januar. Dass die Sache grosse Schwierigkeiten hatte,
werden sie leicht begreifen. Was mir so sehr am Herzen liegen muss,
bleibt für eine Excellenz etwas ganz gleiohgiltiges. Eine Oper einstudireo,
nur um sie einige wenige Male im Laufe zweier oder dreier Wochen, mit
einem fremden Sänger, auf dessen Erwerb man sich keine Hofihung machen
darf, zu geben, kann keiner Direction der Welt vortheilhaft dünken. Da
jedenfalls die Möglichkeit reservirt bleiben musste, dass auch Ander (wie
ich meine: nach Urnen) den Tristan noch singe, musste Ihrem EintrefiGsn
im Januar der Charakter eines gewöhnlichen Gastspieles gegeben werden,
wo es denn heisst, Sie würden überhaupt in meinen Opern hier singen,
und demnach im Lohengrin, Tannhäuser, und auch im Tristan auftreten!
Hierdurch kann sich Ander nicht gekränkt fühlen, und ich meinestheils
muss ihm gegenüber mich stellen, als nehme ich an, der werde vorher
schon den Tristan singen. Dass hiervon jedoch gar keine Hede sein wird,
leuchtet ein ; noch hat er gar nicht eigentlich zu studiren anfangen können :
neuerdings ist er denn auch wieder für 14 Tage krank gemeldet. Da nun
aber der Oberstkämmerei zugleich lebhaft daran liegt, dass die Oper etwa
bis 10. Januar, wie ich es verspreche, herauskomme, so hat sie natürlich
„nichts dagegen^, wenn Jemand da ist, der statt Ander — der ganz un-
denkbar bis dahin so weit ist — die Partie singt, und demnach auch so-
gleich von 1. Januar an die Theaterproben statt seiner mitmacht. Diess
wird sich dann ein^h so herausstellen, und es wird also ganz von selbst
so sich ftkgen, dass Sie — ausser wenn Sie es wünschen — in nichts
Anderem als dem Tristan auftreten.
196
X
Nun aber — tun aus den angeMirfcen Gründen, Ander nicht von vom
herein so vor den Kopf zu stossen, dass er gar nicht erst zn den Yor«
bereitongsproben kommt, und er mich so in die Lage bringt, die Oper nur
mit o. für einen auswärtigen Sänger als unzulässig beurtheilt sehen zu
lassen — bitte ich auf folgende Form einzugehen.
Schreiben Sie sofort an Director M. Salvi etwa so:
Sie verpflichten sich, auf den Ihnen von mir mitgetheilten Wunsch
der Direction, den Monat Januar 1863 in Wien zu verbringen, und in den
Opern Tannhäuser, Lohengrin und Tristan und Isolde so oft als thunlich
aufasutreten. Für jede Vorstellung einer dieser Opern, in welcher Sie singen,
erhalten Sie 200 fl. — Ausserdem empfangen Sie, als Gratification filr
Beise und Aufenthalt, eine besondere Entschädigung von 1000 fl.
Es ist wichtig, dass — übrigens ganz Ihrem Vorschlag gemäss —
diese zwei Punkte getrennt werden. Finden Sie ja keinen Hinterhalt darin,
sondern verlassen Sie sich auf mein Ehrenwort, dass Alles mit richtigen
Dingen zugeht.
Auf diesen Brief wird Ihnen der Director sofort die bindende Zu-
stimmung ertheüen. -
Die Sache ist demnach gewiss ganz wie Sie wollten in Ordnung.
Nun aber, denken Sie ein wenig an die Folgen. Sie werden hier ausser-
ordentlich gefallen, und — da ich mich jedenfalls nur noch mit Wien ein-
lasse — wird auch Ihnen wohl vielleicht die Lust kommen, Wien mit
Dresden zu vertauschen. Ich habe die Möglichkeit der Lösung Ihres
Dresdener Contractes auf dem von Urnen anzutretenden Gnadenwege
bereits durchblicken lassen müssen, um nur einigermaassen meinem Ver-
langen, Sie so ausnahmsweise jetzt hierherzubekommen. Gehör zu ver-
schafien. Machen Sie sich, ich bitte, mit einer solchen Lösung immer
vertraut. Vergeben Sie auch den Mai noch nicht, damit wir wenigstens
dann einer vorübergehenden Wiederau&ahme des Tristan entgegenseheu
können.
Die 10 Taote erhalten Sie nun allemächstens !
Somit, — hofien wir! Der Januar 1863 kann wunderbar werden
Helfen Sie! sonst ist nichts damit!
Adieu! Herzliche Grüsse von
Ihrem
Bichard Wagner.
13.
Wien, 10. Dez. 62.
Werthester Freund!
Auch ich war erschrocken, gestern von Salvi zu erfahren, dass er
Ihnen noch nicht zugeschrieben. Diess ist seiner Seits aus Aengstlichkeit
15*
200
imterlassen worden, weil er fOrchtete, selbst die Dnstmann dürfte zur Zeit
Ihres Eintreffens noch nicht so weit sein, dass wir — auoh mit Ihnen —
den Tristan für die Scene fertig hätten. Ich konnte ihn hierüber be-
ruhigen, da die Dustmann wirklich sehr eifiig studirt und mir keinen
eigentlichen Zweifel erweckt. Selbst aber für den Fall, dass uns die
Dustmann Schwierigkeiten machte, oder gar Streiche spielte, könnte ich
— wie ich's ja weiss — in Ihrer lieben Frau für unser unternehmen eine
Yortrefiliche Hülfe bieten: nun waren seine Sorupel überwunden, und er
versprach mir, Ihnen noch am selben Tage zuzuschreiben. Diess ist
hoffentlich geschehen, oder wird heute geschehen!
(Unter uns aber: — stimmen Sie Ihre liebe Frau! „Ein Wink, sie
fliegt nach Irenland!" — Verstehen wir uns!)
Mit der Verbindungsstelle habe ich unsägliche Noth ! So oft ich mich
dran mache, falle ich aus der Stimmung und bringe nichts zu Stande.
Jetzt trage ich Cornelius damit au£ Sollte ich wahrlich nichts finden,
was bei meiner schrecklichen Gehetztheit denklich wäre, so müsste man
das als ein Zeichen der Vorsehung nehmen, dass Sie die Stelle ohne Kürzung
ganz singen sollten. Bereiten Sie sich darauf vor. Mit Ander mache ich
kurzen Prozess; den lasse ich nach — „mich sehnen und sterben!^ zu-
sammenknicken, und Kurwenal drauf einfallen „Mein Herre! Tristan!
u. s. w." Doch find' ich's vielleicht noch. Zeit ist schon noch. —
Adieu! liebster Schnorr!
Ich hab' den Kopf abscheulich voll. Noch vor Ihrer Ankunft (26. Dez.
u. 1. Januar) gebe ich zwei ftirchtbare Konzerte mit Nibelungen u. allen
Teufeln. Nach dem Tristan wieder — aber dann singen Sie mir drin
die Schmiedelieder, die ich diesmal ganz auslasse.
Schönsten Gruss an Ihre liebe Frau! — Will sie mir einen grossen
GefitUen thun, so lädt sie einmal meine Nichte, Clara von Kessinger
(geb. Brockhaus) Wiesenthorstr. Nr. 7 zu sich ein. Ich habe das Kind
sehr lieb, und sie liebt mich gleichfalls sehr. Dazu ist sie wirklich musika-
lisch, singt meine Lieder sehr verständig, und schmachtet nach Eurer Be-
kanntschaft, mn bei Euch von mir musizieren zu hören. Ich versprach
ihr einen Brief an Ihre liebe Frau, mit dem sie sich ihr vorstellen sollte.
Sie wird unglücklich sein, dass ich nicht dazu komme. Bitte, machen Sie's
nun kurz, und lassen Sie sich die junge Frau bestens empfohlen sein:
laden Sie sie gradesweges einmal ein.
Nun, auf Wiedersehen!
von
Herzen
Ihr
Bicih. Wagner.
201
14.
Wien, 13. Dez. 62.
Mein lieber Frennd!
So stehen denn die Sachen wieder anders, and diesmal hoffiinngslos:
mein Wunsch, die Bolle des Tristan zuerst von Ihnen dargestellt zu sehen,
soll mir nicht in ErfUlung gehen. Mit der grössten Zähigkeit hielt ich
daran fest : die Schwierigkeiten waren ausserordentlich ; meine Bemühungen
scheitern schliesslich an dem Umstände, dass Sie eben nur den Monat
Januar frei haben, nach aller Voraussicht aber das Studium der Oper hier
vor Ende Januar nicht ftlglich beendet sein kann.
Die Direktion scheint dasselbe befürchtet zu haben, und sie hat es vor-
gezogen, während ich bereits im festen Glauben war, es sei Ihnen zuge-
schrieben, zu temponsiren. Sie hat — als Direction — damit nicht unklug
gehandelt: denn im Bathe der Sachverständigen musste jetzt entschieden
anerkannt werden, dass alle vorkommenden natürlichen Verzögemisse mit-
gerechnet, vor Ende Januar an eine erste Aufführung der Oper nicht zu
denk^i sei: wären Sie gekommen, so hätten wir von Glück zu sagen
gehabt, wenn Sie einmal den Tristan gesungen hätten. —
Da nun Alles so unerbittlioh steht, und durch Ihr, f&r mich so un-
seliges Dresdener Engagement, jeder bedeutendere Plan zu einem gemein-
schaftlichen Wirken durchkreuzt und zersplittert wird, so bleibt mir, ausser
dem wirklich tiefen Kummer über diesen Unstern, zunächst nur noch mein
aufrichtiges Bedauern, durch die letzten Verzögerungen Sie in der Be-
sorgung Ihrer persönlichen Interessen angehalten und vielleicht selbst be-
nachteiligt zu haben. Erkennen Sie wenigstens an, dass ich dabei schuld-
los war : fast gegen 14 Tage über war ich im Wahn, Alles sei bereits ge-
ordnet. Ich habe es mit hinterhältigen Verhältnissen zu thun, in denen
ich selbst nur mit täglicher mühvoUer Ueberwindung meines Ekels mich
aufrecht erhalte.
•
Dennoch gebe ich die Hoffiiung, in Bälde mit Ihnen den Tristan zu
geben, nicht ganz auf. Der Ghrossherzog von Weimar hat plötzlich seinen
Ehrgeiz wieder auf mich geworfen. Ich will ihm für Monat Mai eine
Aufißährung von Tristan u. Isolde zusagen, wenn er Sie ftlr den Tristan,
und Ihre liebe Frau für die Isolde gewinnen will.
Alles Uebrige soll dort vorbereitend durch Lassen so weit ^studirt
werden, dass am 1. Mai die Theaterproben beginnen können sollen. Wir
würden bei diesen Festaufführungen halb Deutschland zugegen haben, und
in ihrer Art könnten diese Vorstellungen selbst eingreifender wirken als
die Wiener.
Diess will ich heute vorschlagen!
»02
Nun zürnen Sie mir niobt, luid bewahren Sie mir Ihre schöne Theil-
nahme!
Von Herzen
Ihr
Bichard Wagner.
In diesen Mai würde mein öOster Geburtstag fallen. Denken Sie dran,
ihn in Weimar mit mir zu feiern! —
15.
(Poststpl. 22. Xn. Wien.)
Ihr Brief, liebster Freund, hat mich sehr erfreut! Nach dem wahren
Kummer, den mir das Fehlschlagen des Projectes machte, war Ihr grosser
Aerger darüber am allerberechtigsten. Ich danke Ihnen, dass Sie mir
meinen Kummer geUnd machen! — Der hiesige Tristan interessiert mich
wenig: Ander ist mir nur denkbar durch grosse Beduction der Partie. In
Wahrheit bin ich jetzt sehr lau gegen die Sache geworden. Desto mehr
interessieren mich die Conzerte. Ganz zerschlagen komme ich soeben aus
der ersten Probe, finde Ihren Brief — und schreibe diese elenden Zeilen.
Für Tristan interessiert mich nur noch das Weimarische Project mit Ihnen
Beiden: denn Ihr seid prädestinirt für diess Werk. Bald erwarte ich
definitive Antwort. — Die Meistersinger erscheinen in den n&chsten Tagen
bereits.
Adieu! Ich kann nicht mehr!
Sie — schlechter Dresdner! —
Ihr
B. W.
16.
(Poststpl. 24. L Wien.)
Lieber Schnorr!
Halten Sie fest darauf, halben Mai und ganzen Juni mir zu erhalten.
Macht es sich mit Weimar nicht, so macht es sich mit Prag. Bereite
stehe ich in Unterhandlung auch mit dort: man bietet mir die halbe Netto-
Einnahme jedes Abends (ausser Tristan auch Tannh. u. Loheng.) — natürlich
für Sie, wünscht aber, ich engagiere Sie. Dies habe ich vorläufig reftlsirt:
doch vermuthe ich, Sie haben sich persönlich mit dem Herrn Th., der
ein Lump sein soll, überwerfen, und er wagt nicht mit Ihnen zu unter-
handeln; für diesen Fall trete ich gern ein. Wäre Ihnen (ftür Sie u. Ge-
mahlin) die halbe Netto-Einnahme recht? —
208
Diebs nur ganz vorläufig! Hier — Ander-Elend!!! — Oh — Sie
mein üngltickstanor ! ! ! —
Ihr
R. W.
Die Welt hätten wir jetzt hier eingerannt ! ! !
17.
Bester Herr Schnorr!
(Poststpl. 8. n. Prag.)
Ich theile Urnen in Kürze folgendes mit. Der Himmel scheint sich der
seltsamen Notb annehmen zu wollen, in die er all u. jede Unternehmen
ifiahrte, die axif ein gemeinschaftliches Wirken zwischen uns abzielte.
Dingelstedt schreibt mir endlich, der Grossherzog möchte den Tristan
mit Ihnen zum 22. Juni, ftlr seinen Geburtstage Ich soU mich nun an Sie
wenden, um Sie zunächst günstig für eine Zusage zu stimmen; sodann
wird man Ihnen von Weimar directe Anträge machen.
Also:
loh meine, Sie müssen, der Proben wegen, für den ganzen Juni
engagirt werden. Vom 22. bis Ende Juni drei Auffährungen. — Natür-
lich Sie und Ihre liebe Frau. — Alles wird nun darauf ankommen, dass
Sie wenig fordern: die Herren werden es dankbar annehmen, wenn Sie
erklären, dass Sie mir und dem Werke zu lieb, es so u. so wohlfeil machen
wollen. Und im Ernst, Bester, diesmal, und hier müssten Sie an den Ge-
winnpunkt gar nicht denken. Dadurch würde plötzlich alles glücken.
Wollten Sie in diesem Sinne sogleich an Dingelstedt schreiben, so würde
mir viel abgenommen und die Sache ginge am kürzesten zu Ende. Schreiben
Sie ihm, Sie seien von mir dazu aufgefordert worden.
Adieu! Ich bin in Noth u. Plctge, schlaflos u. elend!
Ihr
ergebener
Richard Wagner.
18.
221, Penzing bei Wien. 13. JuK 1863.
Lieber Schnorr!
Wir sind recht lange auseinander gekommen, und ich bin begierig zu
erfahren, ob das Schicksal, das bisher alle meine Wünsche fOx ein gemein-
schaftliches Zusammenwirken mit Urnen vereitelte, immer dasselbe bleibt.
204
Wie haben Sie über IIire(n) neuen 3 ürlanbsmonate disponirt? —
Ich war nnd bin so erschöpft von diesen stete nntelosen Bemühungen
for Anfiühmng meiner neuen Werke, dass ich, von Sussland zurückgekehrt,
und seit dem Empfang der Nachricht von den neuen Hindernissen, auf
welche der Tristan in Wien gestossen, noch nicht einen Schritt wieder für
diese Angelegenheit gethan, noch auch nur eine Person vom Theater —
z. B. hier in Wien — angesucht habe. Endlich werde ich aber doch
inne, dass ich mich wieder etwas rühren muss, will ich nicht ein för alle
mal jeder Aussicht auf Aufführung meiner Werke entsagen, und somit —
den Best verschweige ich!
Ich verliess vorigen Winter Wien^ wirklich mit guten Hofihungen:
namentlich freute mich Mad. Dustmann, die sich ihre Au%abe bereits mit
Leidenschaft zu eigen gemacht hatte. Ihre Gesundheit, und namentlich
ihre Stimme, soU nach einer heftigen Erkrankung, wirklich beängstigend
alterirt sein ; ob ihr die gegenwärtige Erholungszeit zu Nutz kommt, steht
abzuwarten. Zum üeberfluss hat sich aber auch neuerdings Ander wieder
mit einer anhaltenden Heiserkeit gemeldet, und was das bei ihm heisst,
das hab' ich vor 2 Jahren erfahren. Trotz des besten Willens der Direction
halte ich daher die Wiederaufiiahme der Proben von Tristan nach den
Ferien fOi äusserst gefldirdet. Dagegen würde man auf ein grösseres Gast-
spiel für Sie — und am Ende auch für Ihre liebe Frau — jetzt wohl sehr
willig eingehen.
Was war denn nur mit Weimar?
Ich konnte mich nicht mehr darum bekümmern. Man schrieb mir, es
müsse zunächst angegeben werden, hoffe aber auf die Bealisirung des von
mir vorgeschlagenen Projectes in der bevorstehenden Saison? Hat man
sich darüber mit Ihnen benommen?
Bitte, schreiben Sie mir doch etwas ausftLhrlicher, wie es mit Ihnen
steht, und was Sie mir etwa HofibungsvoUes mittheilen können. Ich bedarf
guter Nachrichten sehr. Es hat sich meiner eine Niedergeschlagenheit,
eine Unlust bemächtigt, die bereits mit dauernden Anwandlungen von
Lebensüberdruss mich einnehmen. Leider fehlt es mir unter solchen Um-
ständen auch gänzlich an Arbeitslaune, was die Leiden meines Lebens
natürlich sehr vermehrt.
Grüssen Sie herzlich Ihre liebe Frau, und empfehlen Sie mich ihr
bestens ! Auch behalten Sie mich lieb, und denken Sie an mich und den —
unseligen Tristan!
Von Herzen
Ihr
Biohard Wagner.
205
19.
221. Penzing bei Wien. 2. Angost 63.
Werther Fretind!
Besten Dank fOr Ihren fireondlichen Brief ! Erschöpft nnd — bedenk-
lich müde, erlauben Sie mir mich kurz zu fassen.
Mai u. Juni 1864 vortrefflich. Halten wir dies felsenfest! Auf
nichts sonst rechne ich; sogar nur noch einen Schritt für etwas andres
zu thun, ist mir unmöglich. Werben Sie unter den Dresdnern, wer Ihnen
zum Tristan tüchtig scheint, damit wir das Ensemble möglichst vollständig
haben. Keinen Chor. Dazu vielleicht Bruchstücke aus den Nibelungen
(scenisch) z. B. 1. Act der Walküre. Nichts Lohengrin u. Tannhäuser.
Ich rechne auf das Theater an der Wien. Grösstes Theater. Unter-
nehmender Privatdirektor. Erfolg voraussichtlich enorm! —
Noch 3 Wochen November? SoU ich ein Gastspiel fär Wien (Hof-
theater) einleiten? könnte gut sein. —
Verzeihen Sie mir Weimar! Gott, wer kann glauben, dass man mit
solchen Menschen zu thun hat!! —
Herzliche Grüsse an die Frau Gemahlin! Werben Sie: studiren Sie
ein! Gruss an Hitterwurzer ! — Adieu! Von Herzen
Ihr
Bichard Wagner.
20.
(Poststpl. Wien 17. VIIL)
Lieber Schnorr!
Also — fest am Mai u. Juni — das besprochene Ftojeot, fbr das
ich meinerseits bereits alles vorbereite. —
Nun noch Eines!
Wollen Sie mir eine Ihrer Novemberwochen schenken? In diesem
Falle — eben nur in diesem Falle — gebe ich in Wien noch ein grosses
Conzert — mit Ihnen. —
Lassen sie hören, und bleiben Sie mir gut! —
Ihr
Bichard Wagner.
(Jenes Mai-Juni-Projeot ist das Einzige, was mich noch mit Hoffiiung
ftlr das Theater erfhllt. Ich bin des Erfolges dieses Unternehmens gewiss,
weil ich es dann in meiner Weise selbst in die Hand nehme, in welcher
mir denn noch immer Alles gelungen ist.)
206
21.
Penzing bei Wien. 28. Sept.i68.
Verehrter Freund!
Nach reiflicher üeberlegnng stellt es sich herans, dass die 6 Wochen,
in welche der Dresdener General -Urlaub im nächsten Jahre zusammen-
schmilzt, doch tüi den Zweck einer ersten Musterauffiihrung des Tristan
genügend sein werden.
Darf ich annehmen, dass alle Sänger bis zu ihrem Eintreffen in Wien
ihre Partien vollständig inne haben, so bedarf es dann nur IBtägiger
Theaterproben, Tag ftr Tag — ohne zu grosse Ermüdung — womit wir
doch zu dem Besultat gelangen, die Oper gegen 6 mal geben zu können.
Diess würde vollkommen genügen.
Somit ergeht meine Bitte an Sie, mir Auskunft darüber zu verschaffen,
ob ich auf das (wenn auch nur annähernd) vollständige Personal zu Tristan
rechnen kann. Alles üebrige wird sich dann schon finden. — Es ist diess
die einzige mir offenstehende Möglichkeit: erfüllt sie sich nicht, so gebe
ich eine Aufführung dieses Werkes ein für alle mal auf. —
Wegen des Novemberoonzertes verkehren wir noch. —
Herzlichen Gruss an Frau von Schnorr!
Der
Ihrige
ßichard Wagner.
n
22.
Lieber Schnorr!
Und es erfüllt sich!"
Der „Fürst" am Schlüsse meines Vorwortes zu dem Ringe des Nibel-
ungen ist gefiinden, schöner und ächter als je zu träumen war.
Jetzt vor allen Dingen Eines.
Vergeben Sie keinen Tag von Ihrem nächstjährigen Urlaub, und melden
Sie mir, sobald Ihnen dies möglich sein wird, genau die Monate, in welchen
Sie frei sein werden. Was ich vorhabe, richtet sich nur nach Ihnen:
Alles ist möglich, weU WiUe und Macht sich vereinen.
Sehe ich Sie in diesem Sommer einmal?
Beste Grüsse an die Gemahlin!
Von Herzen
Ihr
Starnberg in Bayern, Richard Wagner.
15. Mai 1864.
207
28.
Stamberg, 20. Mai 64
Lieber Sohnorr!
Glauben Sie mir, das Ideal ist erfüllt Es ist mohts Soliöneres, VoU-
kommeneres denkbar! —
Ein junger König7 voll Geist, Tiefe und onglanblioher Innigkeit, d^
offen vor seiner Umgebung mioh als seinen einzigen und waliren Erzieher
nennt! Er kennt meine Werke und Schriften, wie vielleicht kein Andrer,
ist mein Schüler — wie vielleicht kein Andrer, und fählt sich berufen.
Alles zu verwirklichen, was irgend von meinen Plänen durch Menschen
verwirklicht werden kann, und dazu ist er konisch : er hat keinen Vor-
mund, steht unter keinem Einfluss, u. giebt sich den Hegierungsgeschäften
so ernst und sicher hin, dass alle wissen, und ftQilen, er sei wirkUch König.
Was ich in ihm gefiinden habe, ist nicht zu beschreiben. Täglich
werde ich durch seinen hinreissenden Umgang mehr inne, welches un-
glaubliche Wxmder mir hier mein Schicksal zugeführt hat. —
Hierüber also — keine Spur von Zweifel! —
Ich habe keinen Titel, keine Function, keine Verpflichtung: ich bin
nichts als Bichard Wagn^. Mit nur verachtet der König das Theater und
namentlich die Oper. Er weiss mit mir, dass nur durch ausserordent-
liche Leistungen auch nach jener Seite zu Einfluss geübt werden kann.
Diese zu Zeiten zu veranlassen, steht voll und ganz in meiner Macht. So
fassen wir denn zunächst eine möglichst vollendete AufiRÜirung des Tristan
in's Auge. Die Zeit derselben hängt zunächst einzig von Ihnen ab.
Sobald Sie daher über ihren nächstjährigen Urlaub im Gewissen sind,
machen Sie mir davon Anzeige. Sorgen Sie dafbr, dass Sie Ihre 3 Monate
unmittelbar zusammenhängend haben, so dass Sie für diese Zeit mir und
dem König angehören (Ihre nöthige Erholungszeit abgerechnet): dies soll
fär alle Jahre gelten, so lange Sie noch kräftig wirken. — Sorgen Sie
auch, dass ich bald erfahre, wann Ihre Zeit ist, denn hiemach sollen
sich dann die andren nöthigen Engagements richten. Was ich für die
Nibelungen als Aufführungsplan entworfen, soll schon far den Tristan als
Norm gelten.
Also: — Seien Sie jedes Jahr 3 Monat mein! — Abgemacht! —
Herzliche Grüsse an die verehrte Gemahlin!
der Ihrige
Bichard Wagner.
24.
Lieber Schnorr!
Ich erinnere Sie daran, wie wichtig es mir ist, über die Zeit Ihres
nächsten Urlaubes bald bestimmte Nachricht zu haben. Bedenken Sie, dass
Alles nur von dieser Bestimmung abhängt und sich darnach richt^i soll.
208
Könnten Sie doch schon October, November u. Dezember für sich erhalten :
wie schön wäre diess! Dass Sie sich gerade in diese Dresdener Sciaverei
begeben haben, ist fEir mich eine wahre Strafe des Himmels: gerade dies
Dresden, mit seiner Intendanz und seiner Kapellmeistersippschaft ! Oh ! —
Können Sie denn gar nicht einmal etwas fordern? Das verstand
Tichatscheck seiner Zeit anders : nach seiner Pfeife mnssten wir alle tanzen.
— Können Sie denn nicht einmal diese Monate fordern, nnd wenn's
nicht anders ginge. Streit anfangen? Käme es zum Ueberwerfen, desto
besser; hier, von meinem jungen König sollten Sie mit offenen Armen
empfangen werden, und eine Stellung haben, wie sie Ihnen einzig ziemlich
wäre. Können Sie in Dresden nicht sagen, Sie ftthlen sich unfähig, Ihren
dortigen Contract, wie er ist, auszuhalten? Sie könnten nur bestehen,
wenn man Ihnen diese und diese Zugeständnisse mache, vor Allem nur
in diesen u. diesen Opern zu singen, nur so u. so oft zu singen, u. s. w.
Alles das wollte ich Ihnen hier mit Leichtigkeit verschaffen, denn hier
habe ich einmal Jemand, der all dies begreift, aus dem ganzen Theater
sich nichts macht, und nur das Einzelne Ausgezeichnete, ausnahmsweise
beachten will. —
Lassen Sie sich also etwas aufgehetzt 8ein! Vor Allem, dringen Sie
auf sofortige Bestimmung Ihres Urlaubes, und suchen Sie diesen in eine
recht nahe, gute Zeit zu legen. —
Adieu! Von Herzen beste Ghrüsse an Sie und die Frau Gtemahlin!
Ihr
Stamberg, Eichard Wagner.
7. Juni 1864.
25.
Werthester Freund!
Stamberg bei München,
29. Aug. 1864.
Die Zeit vergeht, und ich sehne mich nach Bestimmtheit. Können
Sie mir noch nicht genau sagen, in welchen Monaten Sie nächstes Jahr
Ihren Urlaub erhalten werden ? Ihre liebe Frau hat unsrer Freundin Bülow,
glaub' ich, mitgetheilt, dass entweder April, Mai, Juni — oder Mai,
Juni, Juli uns geschenkt sein werden. "Wäre auch das Entweder vor-
zuziehen, so würde doch auch das Oder gern acceptirt werden, wenn vor
Allem nur Oewissheit ertheilt würde, dass Sie jedenfalls ftLr nächstes Jahr
auf 3 zusammenhängende Monate rechnen können.
Meine verzagte Stimmung ist, wie sie bei so klarer Einsicht in die
Natur der Dinge nur sein kann. Mein junger König sucht mich immer
wieder von Neuem mit Muth zu erfhllen: sein Wille ist von begeisterter
209
Ünersohütterlichkeit. Er spart in Allem, hat Bauten seines Vaters auj^egeben
n. s. w. um seine Mittel im reichsten Maasse fCtr die Verwirklichung meiner
künstlerischen Absichten bereit zu halten. Seinem liebenswürdigen Drängen
gegenüber habe ich mich nur immer zu fragen: woher die künstlerischen
Mittel nehmen? Dabei gerathe ich in Schwanken darüber, ob es besser
sei, Alles nur auf das selten Wiederkehrende, Ausserordentliche zu setzen,
oder ob durch Organisation ein dauernder, bildender Zustand in's Auge
gefasst werden soll. Bei so ausserordentlichen, sicheren u. begeistertem
Willen für das Ideal, wie es mir in diesem holden König als verkörperter
Genius zur Seite steht, werde ich ganz irre in der Berechnung des Möglichen.
Der König liebt Sie sehr, und wünscht nichts mehr, ids Sie ganz hier
zu haben. Da es ihm — für jetzt — neben Tristan, auch auf mustergültige
Aufführungen des Tannhäuser und Lohengrin ankommt, die in jener 3
monatlichen Zeit wohl unmöglich mit in Berechnung gebracht werden
könnten, so weiss ich kaum seinem Eifer anders zu dienen, als dadurch,
dass wir abermals die Möglichkeit der Lösung Ihres — fär mich so un-
glücklichen — Dresdener Contractes, und Ihre vollständige Uebersiedelung
nach München in das Auge fassen. Ich bitte Sie nun, sich diesmal genau
zu überdenken, was hier möglich ist, und was unsrerseits dazu nötig wäre.
Das Letztere theilen Sie mir unverholen mit, und seien Sie versichert, dass,
kann Urnen ein Engagementsantrag für das Münchener Hof^heater mit
gewissen, die in Dresden Ihnen zustehenden Vortheile überbietenden An-
trägen, behilflich sein, so soll alsogleich das von Ihnen Gewünschte aus-
geführt und Ihnen zur Verfügung gestellt werden. — Da ich bei Ihrer
Tendenz annehmen muss, Sie werden hauptsächlich Vortheile für Ihre
künstlerische Stellung zur Berücksichtigung zu bringen suchen, so
glaube ich Ihnen am Besten zu dienen, wenn ich, neben einer massigen
Erhöhung auch Ihrer materiellen Vortheile, Ihnen den genau präzisirten
Antrag stellen lasse, nur in Partien, die Ihrem künstlerischen Geschmacke
zusagen — wenn Sie wollen sogar nur in meinen Opern, und zwar ohne
Verpflichtung zu häufigerem Auftreten, als der Charakter solcher Darstell-
ungen, sowie Ihr besonderer Gesundpieits]zustand es verlangen, verwendet
zu werden.
üeberlegen Sie sich das, lieber Schnorr, und bestimmen Sie mir genau,
was wir Ihnen anbieten sollen. Ob Sie dann bald, recht bald der
Unsre werden, wird dann nur von Ihnen und Ihren Dresdener Verhält-
nissen abhängen: von hier aus, des seien sie gewiss, wird Alles geschehen
was Sie wünschen.
Glaubten Sie, etwa Mitte October zu einem Conzert abkommen zu
können, wenn der König dies besonders von Ihrem König sich erbäte? —
Können Sie mir irgend einen guten Sänger oder Sängerin nachweisen?
Hat sich Fr. Schmitt in Leipzig mit Frau Bürde -Ney wirklich be^
währt? —
210
Bitte, sohreiben Sie mir bald, und macdien auch Sie mir Math ! Fürehtea
aach Sie sieh nicht vor mir: ich bin vemünitig and zu jeder Conaefisioii
fiär die AnffiLhnmg meiner Werke bereit!
Herzlichen Gross an die verehrte Frau!
Der Ihrige
lÜchard Wagner.
26.
Werthester Freund!
Stamberg, 24. Sept. 64.
Für heute in Eile nur die Mittheilung, dass ich dran König nach
Hohenschwangau die Bitte habe zukommen lassen, Sie von Ihrem Könige
sich auf 14 Tage — zweite Hälfte des October etwa — auszubitten. Mein
Wunsch ist, Sie bei meiner Musikauffiüirung (Fragmente — wie in Karls-
ruhe u. s. w.) mitwirkend zu wissen, und ausserdem einer ersten Auffuhrung
des fliegenden Holländers den Glanz Ihrer Unterstützung als Erik an-
gedeihen zu lassen. Diese Aufführung verspricht nämlich, fast mustergültig
zu werden, wenn der Tenor noch vollständig gelänge. — Wären Sie hier-
mit einverstanden, so hätten wir demnach nur den Entschluss meines jungen
Königs, und — wenn er sich entschliesst — den Erfolg seines Schrittes ab-
zuwarten, worauf ich Sie ftlr heute einzig aufinerksam gemacht haben wollte.
Herzliche Grüsse von
Ihrem ergebenen
Sichard Wagner.
27.
Werther Freund!
In Kürze nur folgende Notiz: der König kommt für dauernd erst mit
1. November nach München zurück; Ihren Besuch würden wir uns daher
— wenn er überhaupt zu ermöglichen sein wird — für die erste Hälfte
des November erbitten. Ich werde den König nächste Woche sprechen,
— er ist Willens, um dieses kurzen Urlaubes willen sich an den König
von Sachsen zu wenden. — Glückt es, so wird die Zeit Ihrer Anwesenheit
in München zugleich für den grösseren Zweck Ihrer gänzlichen üebep>
siedelung nach München, hinsichtlich genauer Einigung über die Punkte,
unter uns benutzt werden.
Für alle Fälle ist es aber sehr wichtig, dass Sie mir endlich genau
die Monate Ihres nächstjährigen Urlaubes bezeichnen können: sind Sie
diess noch nicht im Stande?
in
Mit der Bitte, mich Ihrer lieben Frau bestens zu empfehlen, bleibe
ioh von Herzen
Ihr
Stamberg, ergebener
27. Sept 64. JEUohard Wagner.
28.
Lieber Herr Sohnorr!
Der König, — der Alles, Alles za erfüllen bereit ist, was Sie wünschen
— hat mir gestern versprochen, dnroh seinen G^andten Sie für die erste
Hälfte des November ansznbitten. Ich melde Ihnen diess kurz, damit Sie
wissen, was vorgeht. —
Ich hab' dem König ein paar ATifi[ühnmg[en] des flieg: Holländers —
und das Fragmentenconzert versprochen — (£Irik — Siegmund's Liebes-
gesang, Siegfiried's Schmiedelieder).
In der Zeit Ihres Hierseins werden wir Alles ordnen. So dass Sie
bereits als Snpplicand für Ihre Entlassung von Dresden dorthin zurück-
gehen. Ich hab dem König die sofortige Vollendung der Niebnlungen,
und ihre AufltÜiruDg im Sommer 1867 versprochen.
Gegrttsst sei mir Siegfried! —
Sie haben mich dazu bestimmt, nun nicht mehr mit dem Hauptwerk
meines Lebens zu säumen! —
Herzlichen Gruss!
München. Ihr
Briennerstrasse 21. Bichard Wagner.
8. Oct. 64.
29.
Werthester Freund!
Ich habe heute dem König Ihre Mittheilung zukommen lassen. Ob-
wohl er es gern umgangen hätte, schon diesmal Ihretwegen sich an den
König von Sachsen zu wenden, da er ihn noch nicht persönlich kennt, so
habe ich es ihm doch nahe gelegt, den Schritt zu thun, und ich muss nun
abwarten, was er thut.
Jedenfalls würden Sie erst für die zwei mittleren Wochen des No-
vember eingeladen werden, da die Rückkunft des Königs nach München
erst ifli den 8^ bevorsteht. —
Möchte es doch endlich einmal zu einem Anfang kommen ! Ich wünschte
so sehr, dass Sie jetzt schon einmal hierher kommen könnten, damit Alles
zwischen uns Schwebende mündlich zur Bestimmung käme. Die 8 Monate
212
April, Mai, Juni 65 sind mit Frende angenommen worden: kommen Sie
im November, so wird diese Sache dann abgemacht; wird jenes nicht
möglich, so sorge ich für schriftliche alsbaldige Erledigung Ihrer Gastspiel-
angelegenheit!
Herzlich danke ich Urnen noch für Ihren vorletzten Brief: solche Zu-
versicht brauche ich, um selbst Vertrauen ziur Lösung meiner unerhörten
Au%abe zu fassen.
Also auf baldige weitere Benachrichtigungen !
Yon Harzen grüsst und empfiehlt sich
Ihr
München, ergebener
21. Brienner Strasse Bichard Wagner.
21. Oct. 67.
30.
Bester Freund!
Ich liege an einem accuten Hämorrhoidalleiden seit 8 Tagen za
Bett. —
Yon Hohenschwangau meldet man mir, dass der König vor Ende
November nicht nach München zurückkommt, und — um Ihres Urlaubes
Anfang Dezember willen, sich an den König von Sachsen direct wenden
wird, da ausserdem von Dresden aus Ihrem Abkommen im November die
grössten Schwierigkeiten entgegenstünden. —
Ich werde für Zeitungsnachrichten genug allarmirt: was von dieser
Seite her an Widerwärtigkeiten mir zugezogen wird, macht keinen geringen
Theil meiner zu ertragenden Leiden aus. Die Tietjensente hätte Sie,
nach dem Character unserer Correspondenzen und Abmachungen, besser
nicht beunruhigen sollen ; ich hab' fast nichts zu thun, als solchen Zeitungs-
trödel meine Privatberichtigungen zu widmen. Ich wünsche nichts sehn-
licher, als dass Ihre liebe Frau Willen, Lust und Kraft zu der über-
nommenen grossen, nur einer befreundeten Seele zu lösenden Au%abe be-
hält. Diess genüge — namentlich vom Krankenbett aus!
Im Debrigen — An£EUig Dezember auf Wiedersehen ! Yon Herzen
Ihr
Briennerstrasse 21. Biohard Wagner.
31. Oot 64.
818
31.
Werther Fretind!
Gott weiss, wie es mir um das Herz ist, Urnen nun vielleioht schon
znm fän&igsten Male über den Tristan immer nooh nor schreiben zu
müssen!
— Dresden — oh! Dresden li! —
Also — zur Sache! —
Dass der König von Sachsen Sie dem meinigen abgeschlagen hat,
wissen Sie ! K. Lndwig hatte ihm schliesslich direct geschrieben. Im
Febmar will er Sie anf 14 Tage loslassen: noch gestern sagte mir mein
König, trotzdem ich nicht weiss, wie dieser kurze Besuch zu einer öffent-
lichen AuffQhrung zu benutzen wäre, er freue sich sehr darauf, Sie schon
im Februar einmal hier zu haben. So wollen wir es denn auch dabei
lassen: wir werden beim König mit Bülow musiziren, und vor Allem Ihre
üebersiedlung nach München, und Alles was darauf Bezug hat, definitiv
verabreden und festsetzen.
Die Hauptsache bleibt vorläufig ftbr mich Ihr dreimonatlicher Besuch
im Frühjahr. — Vor AUem muss ich auf die weitere Besetzung der Partien
im Tristan Bedacht nehmen. Ich bin neuerdings wieder gegen das Befassen
mit unsem gemeinen Opem-Boutiniers gänzlich eingenommen worden. Auch
den Tristan muss ich ganz mit Sängern besetzen, mit denen ich reden
kann und die mich verstehen können. — Für den Kurwenal habe ich
nun Mitterwurzer in's Auge gefasst. — Hierbei müssen Sie mir nun
helfen. Seit 16 Jahren habe ich M. weder gesehen noch gehört. Was ist
Ihre Meinung über ihn? Ist er noch geeignet — was ich gern annehme —
so bitte ich Sie, sofort sich mit ihm in das Vernehmen zu setzen in Betreff
seines Urlaubes; hat er die gleiche Zeit frei wie Sie, oder kann er sich
frei machen, so soll er sich för diese Zeit als in München engagiert be-
trachten. Bitte, geben Sie mir hierüber genaue Auskunft!
Für den Marke denke ich an Beck. — Brangäne will ich mit Frl.
Stehle versuchen.
Ihr Besuch im Februar wird noch gut zu benutzen sein für die nöthig
werdenden Kürzungen. Verlassen Sie sich hierin ganz auf meine Besonnen-
heit. Wir werden, wenn es zu den Proben kommt, 4 Wochen lang Tag
fOr Tag vorsichtig unsere Kräfte prüfen, und nichts soll weder Ihnen noch
Ihrer lieben Frau schliesslich zugemuthet werden, was nicht vollkommen
in Ihrer Macht liegt. Wird doch unter allen Umständen immer genug
bleiben !
Nun rüsten Sie sich und stärken Sie sich! Sollten Sie mir abhanden
kommen, so müsste ich das Erscheinen meines jungen Königs für eine
wahre Ironie des Schicksals halten. Denn — was den Willen betrifil —
ist dieser in ihm von einer idealen Schönheit und gläubigen Fertigkeit
16
214
vorhanden, der sich, nichts in der Kunstgeschichte vergleichen Iftsst. Es
genüge Ihnen zu erfahren, dass ich gestern an Semper den Anftrag er-
theilen mnsste, das von mir gewollte Theater, in edelstem Material, sofort
zn banent
Also, geben Sie mir Ihrerseits nun tröstliche Nachrichten, sagen Sie
mir, dass Sie Beide sich wohl und hofibungsvoU f&r mein Werk fühlen;
geben Sie mir zusagenden Bescheid von Mitterwnrzer, und — überhaupt —
lassen Sie mich etwas fliessenderes als Dresdener Blei erfahren!
Schönste Orüsse an die verehrte Frau!
von Herzen
München, Ihr
16. Dez. 1864. Eichard Wagner.
32.
Lieber Schnorr!
Die Aussicht, auch Mitterwurzer zu gewinnen, macht mir grosse Freude !
Er möge auf April u. Mai (Ihre beiden besten Monate) ftlr den Urlaub
halten. — Auch Beck (Wien) macht mir HoflBaung für den Marke. —
Fassen wir jetzt auch ernstlich den Februar-Besuch ins Auge. Ich
hätte Lust, den ersten Act der Walküre (mit Orchester) im kleinen Theater
(ganz privatim) mit Ihnen, Ihrer lieben Frau und einem hiesigen gutwilligen
u. musikalischen Hunding zu Stande zu bringen. Oder — als Probe —
n Act von Tristan. Melden Sie, wann Sie Aussichten zum Abkommen
haben I
Herzliche Grüsse!
Ihr
24. Dez. 64. E. Wagner.
33.
Geehrtester Freund!
Der König sagte mir, dass Ihr vorläufiger Besuch, wegen eingetretener
Hoftrauer in Dresden, verzögert werden würde, er dennoch aber sehr
wünsche, dass Sie, sobald Sie abkommen könnten, bald einmal herkämen,
um die Freude haben zu können, einstweilen kleinere Bruchstücke aus
meinen neuen Werken — privatim, im Eesidenztheater, ohne Publikum,
unter uns — zu hören. Es versteht sich ganz von selbst, dass Sie, auf
diese Weise, direct zur Unterhaltung des Königs eingeladen, für Ihre auf-
gewandte Zeit u. s. w. vollkommen und gebührend entschädigt werden. —
Sollten Sie jedoch um diese Zeit ein wirkliches lucratives Gastspiel
vorziehen müssen, so bitte ich Sie, in diesem Falle weder mir noch dem
Könige ein wirkliches Opfer zu bringen.
Mir persönlich wäre es wünschenswerth, bei dieser Gelegenheit mit
Ihnen mich über Kürzungen im Tristan zu verständigen.
215
Glauben Sie jedooh ftr diesen interimistischen ürlanb, welcher — so
viel ich mir denke — immer noch durch den Brief des Königs von Bayern
an den Ihrigen veranlasst worden ist, ein anderweitiges wirkliches Gkkst-
spiel vorziehen zn müssen, so glaube ich, dass es nun an der Zeit sein
wird, Sie unsrerseits zu bitten, Ihre Bedingungen fClr die 8 Monate
April, Mai u. Jxmi, welche Sie uns mit Ihrer Ueben Frau zu gemeinschaft-
lichem Wirken zugesagt haben, an mich mitzutheilen, wobei ich bemerke,
dass ich nicht im Mindesten daran zweifle, alle Ihre Wünsche erfüllt zu
sehen. In welchem Sinne das Unternehmen au%efas8t wird, wird Ihnen
aus den umständen einlenchten, unter welchen wir die Au^be — als ein
rein künstlerisches Experiment — zu lösen beabsichtigen.
Wir werden den „Tristan^ im kleinen Besidenztheater, vor nur ein-
geladenem Publikum — allerdings von nah und fem eingeladen, und nicht
för Bezahlung ssuhörend — auöühren. Ob wir das eigentliche und zahlende
Publikxmi später ebenfalls zulassen, wird erst noch zu entscheiden sein.
Jedenfalls soll die Aufführung mit den hiesigen gewöhnlichen Theatervor-
stellungen — auch jeder Form nach — gar nichts zu thun haben. Dem-
nach werden wir vom Theater auch nur das Orchester und die kleinen
Nebenrollen entlehnen. Ich rechne auf Mitterwurzer für Kurwenal,
und auf B e c k für Marke. Wegen Brangäne will ich erst noch mit Frln.
Stehle Versuche anstellen. —
Ich kann mich mit „Oper und Opempublikum" nicht mehr befassen:
ein Glück, dass mir ein königlicher Freund beschieden ist, der vollkommen
gleich mit mir ftüüt.
Gewiss gelingt es auch Ihnen, sich mit mir ausserhalb dieser ent-
ehrenden Mitkunstwelt zu stellen. Die Gelegenheit biete ich Ihnen dazu!
Viele verehrungsvoUe Ghrüsse an Ihre liebe Frau ! Mit wahrer Ergeben-
heit der
München. Ihrige
10. Jan. 1865. E. Wagner.
84.
Werther Freund!
Ich schreibe Ihnen wenige Zeilen, damit Sie auf Ihren letzten Brief
wieder ein Lebenszeichen von mir erhalten. Dass Sie noch Ende Februar
kommen, ist mir ungemein lieb und freut auch den König sehr. Ich hab'
soviel mit Ihnen abzumachen, dass dieser mündliche und persönliche Ver-
kehr dafür unerlässlich ist. Jedenfalls suchen Sie Ihre liebe Frau zu be-
stimmen, schon für diesmal mit Ihnen zu kommen. Ich lasse mir jetzt
inmier das Besidenztheater für das Orchester herrichten, wir werden bei
dieser Gelegenheit Manches aus Tristan schon mit Orchester studiren, und
die ungeheure Au%abe uns so bequem machen, dass wir — wie zur Unter-
16*
216
haltong (für uns tu den König) — immer Vorarbeiten machen. Leider
kann ich der Partitur der Walküre (welche Schott augenblicklich beim
Stich des Klavierauszuges braucht) nidit bald genug habhaft werden, um
das Orchester ausschreiben zu lassen.
Somit müssten wir für diesmal den ersten Akt mit Klavier zu Stande
bringen.
In Ihrer Erwartung ftr Ende Februar verspare ich mir nun alles weitere
ftlr mündlich auf: — nur halten wir fest —
April— Mai — und nach Befinden auch Juni (dieser wäre dann viel-
leicht fOr andere Aufführungen — nach Tristan zu verwenden).
Mitterwurzer — womöglich auch f&r die ganze Zeit — jedenfalls
April u. Mai. —
Also — fest und zur Sache kommen: es ist Zeit! —
Von Herzen grüsst Ihr
München. ergebener
22. Jan. 66. Sichard Wagner.
Ihre u. Mitterwurzer's Bedingungen finde ich billig u. ganz unzweifel-
haft mit Dank anzunehmen. Habt keine Sorge, Kinder — Spielhonorar
und all dies Zeug wird ganz und gar zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen.
Also — ich danke! Mündlich Alles in Ordnung. —
36.
Werthester Freund!
München, 6. Febr. 66.
So eben schreibt mir Beck aus Wien ab. Ich muss auf eine andere
Combination denken. Wollen Sie mit Freund Mitterwurzer Sücksprache
nehmen, ob er statt des Kurwenal (den ich für diesen Fall Hauser in
Carlsruhe anbieten würde) den Marke übernehmen könnte? Er liegt
nicht eigentlich tief, weswegen es schon mit Beck gegangen wäre, und
dazu haben wir hier noch die hohe, alte unveränderte Stimmung. Natür-
lich liegt mir überhaupt an Mitterwurzer, als einem zu mir Gehörigen.
Marke oder Kurwenal sollte am Ende auch ihm gleich sein: Haupt-
sache ist, dass er mit einem von beiden dabei ist!
Herzliche Grüsse von Ihrem
eiligen
Bichard Wagn^.
86.
Lieber Freund!
Se. Majestät trägt mir soeben auf, Sie daran zu erinnern, dass Er Sie
durch mich eingeladen hat, den vom Könige von Sachsen fär Sie erbetenen
217
besonderen Urlaub von oiroa 14 Tagen, weloben Sie gegen Ende d. M.
antreten zn können glauben, zu einem kurzen Besuche in München zu be-
nutzen. Wir erwarten daher, wenn Sie in Dresden nicht verhindert sein
sollten, mit Bestimmtheit Ihre baldige Ankunft, nach den Abmachungen,
über die ich mich zuletzt gegen Sie vernehmen liess. —
Sie haben mir noch keine Antwort wegen Mitterwurzer (beziehentlich
des „Marke^) zukommen lassen? — Kommen Sie bald, und möglichst mit
Ihrer lieben Frau. Lassen Sie zuvor hören. Möchten Sie im Theater ein-
mal singen? —
Beste Qrfisse von Herzen.
München, Ihr
IB. Febr. 1865. Bioh. Wagner.
37.
Lieber Freund!
Liebe Freunde!
Alles ist schön, herrlich und über alle Maassen rührend, tief u. innig ! —
Alles ist klar. — Der König hat mich mit himmlischem Vertrauen in seine
Lage eingeweiht. —
Ich — bleibe!! —
Und Ihr kommt —
Nicht wahr? —
Brechen Sie, brechen Sie, und vertrauen Sie blind ! Olauben Sie, hier
herrschen die Sterne, und unter Schmerzen und Prüfungen, wird das Edelste
geboren, wie es in Ihm geboren ist.
Tausend Orüsse aus freundlichstem Herzen!
München. Euer
12. März 1866. Bich. Wagner.
38.
Liebster Freund!
Herzlichen Dank ! Die Bilder sind wunderhübsch : bedanken wir uns
beim berühmten Papa dafür! —
Also am 6^? Ghit! —
Hier ist Alles in Ordnung bis auf — Marke!! Eindermann wollte
die Gelegenheit zu Erpressungen benutzen — die ich ihm abzuschneiden
mich gedrungen filhlte. Hauptsache war, zufrieden zu sein, dieses dumm-
unruhige Element zu — entbehren. — Jetzt bin ich aber in Noth, und
fürchte schliesslich zur Aushilfe durch Simons greifen zu müssen, was mir
allerdings Gemüthsruhe, wenn auch nicht Erhebung giebt. Ich opfere den
Marke Ihrem dritten Akte mit Mitterwurzer. — Sonst ist Alles willig.
J)einet (od. s?) in Ordnung. —
218
Ntm, die Hanptsaclie seit Ihr, Beste! Gott weiss, was uns fbr die
kommenden Jahre vorbehalten ist: vielleicht können wir dann Alles codei-
pletiren; jetzt seien wir nur froh, wenn wir ganz unter ans das Problem
einmal lösen. Helfen kann uns — zum Besten — Niemand — ; somit nur
so wenig wie möglich Störung dabei! —
Nur beunruhigt es mich noch, dass Mitterwurzer soviel punktirt haben
will? Ist er denn nicht mehr Baryton, und weiss er denn nicht, dass die
hohen Noten bei nair nicht mit Stimme, sondern mit Enthusiasmus heraus-
zubringen sein müssen? Am Ende wäre ihm doch der Marke beeeer ge-
gangen ? — Nehmen Sie ihn doch schliesslich noch ein wenig vor. — Auch
darf er uns nicht spät erst nachkommen wollen. Was sind das für Teufeleien ?
Bestimmen Sie ihn ja, hübsch pünktlich mit Ihnen einzutreffen. —
Elnder! Ich komme gewiss nie mehr zu mir. Immer etwas Anderes,
Störendes. — Jetzt eine grosse Arbeit über die Musikschule, von der mir
nur die Copie schon unglaubliche Zeit nimmt. Ich hab' gar keine Hilfe
für so etwas ! — Nun, wenn ich mich aber noch einmal auf Etwas freue,
so ist's auf Euer Hiersein und unser Studium ! — Der Tristan — und mein
König — beherrschen mein Schicksal. Was diese zwei Monate ergeben
werden, ist nicht vorauszusehen. Ich muss an das Idealste u. Schönste
glauben. Dieser Jüngling ist mir von Gott gesandt. Solche Inbrunnst
war mir noch unbekannt. Und wie kühn er ist! Letzthin hat er den Don
Carlos vollständig geben lassen, und auf dem Zettel ankündigen „von 6 Uhr
bis 12 ühr^ Nachts. Es dauerte bis 12^/4 ühr. Das Haus voll — Alles
blieb. — Nun, das sind Geniesireiche — und ein König, der so anfikngt,
kann's weit bringen. Einen Glauben und eine Zuversicht hat er, die ganz
unerschütterlich sind — und dabei ist er ganz originell. — Gott weiss,
was das mit Dem Alles giebt. —
Satteln Sie nur Ihr Dresdener Boss ab: — Machen Sie's gut, aber
auch möglichst kurz. Sagen Sie mir heute, ich bin frei, so sind Sie mit
einem Schriftzug für immer unser. Ich will, Sie sollen so wie Hans u. ich
hierher berufen, nicht engagiert werden. Verstehen Sie: unter irgend
einem Funotionstitel dem König persönlich attachirt, — das ist dann sofort
in Ordnung.
Adieu! Auf Wiedersehen!
Von ganzem Herzen
München, Euer
27. März 1866, Eich. Wagner,
89.
(ohne Datum.)
Lieber Tristan!
Kann Samstag Isolde ihre Bolle — ohne blos zu markiren — voll-
stftndig probiren, so dass sie dann 2 Tage Buhe bis Dienstag in An-
spruch ninmit, so ist diese Probe — Luxus. Ich wünschte sie daher ak
219
Anfiührnng zu geben. Wir machen dann Freitag nur fbx das Orchester
XL. 8. w. eine Erinnemngsprobe, bei der Malvina gar nicht zn erscheinen
hat — oder — wenn sie erscheint, gar nicht zu singen hat. —
Also, die Sache steht so — kann Isolde Samstag mit voller Stimme probiren,
so — brauche ich diese Probe nicht, sondern es ist sogleich daftlr AuffiÜirung.
Davon, ob sie sich ftlr Samstag ganz Löwenfähig zu machen verhoffen
darf, hängt daher die Bestimmung [ab] : denn — wie gesagt — eine Probe
ihrerseits brauche ich nicht, und sie auch nicht. —
Dein Brief hat mir die nöthige Einsicht verschafit : er soll daher aus-
gestopft und in das Naturaliencabinet zur Menagerie gestellt werden.
Habe ich mit Samstag recht, so bitte sofort Dich mit Bülow wegen
der Probe in Bapport zu setzen. Mich lass soviel wie möglich aus, denn
ich bin .
Geht es morgen — Feiertag — etwas zu probiren, so wäre der erste
Act gut ; dann Freitag 24 u. 3ä eben hauptsächlich nur für das Orchester.
Geht es morgen nicht, dann Freitag 9 Uhr alle 3 Acte.
Thu' das, und gebt mir schliesslich einmal eine etwas calmirende, und
nicht mehr calamitöse Nachricht, sonst helfen mir alle Yieh'ohen meiner
Menagerie nichts. —
Grüss' Malvina, und sag* ihr, in den Zeiten, wo die „Adler sangen und heil'ge
Wässer von den Bergen rannen^ hätten sich die Isolden nicht erkältet.
Adieu !
Dein
E. W.
40.
Liebste Freunde!
Wird es Euch anstrengen heute um 2 Uhr bei mir über alle Begriffe
bürgerlich zu speisen? Oder zieht L, d. D, unbedingte Euhe vor? —
Bitte ein Wort!
Ihr
Bich. Wagner.
41.
Lieber Freund!
Kurz und gut! —
28. M. Sonntag — fliegender Holländer,
(Du u. Mitterwurzer.)
1. Juni Donnerstag — Tannhäuser.
(ebenso.)
6. Juni Montag darauf — Tristan.
Hiermit kehrt Bestimmtheit und Buhe ein. Deine Frau wird nicht
genesen, als wenn sie die Buhe hat, welche ihr diese Anordnung giebt. —
220
loh bitte Dioh, diesen Entwarf als von mir ausgehend und mit Dir
vereinbart, der Intendanz sofort vorzulegen, und die nöthigen Vorbereite
ungen zu verabreden. —
Glaub', es ist das Beste und Einzige! —
Viele Grüsse von
Deinem
25, Mai 1865, E. W.
42.
Beste Kinder!
Daniel in der Löwengrube kann sich unmöglich sohlechter befunden
haben, als ich in der Grube ohne Löwen seit diesen letzten 8 Wochen;
Daniel wurde nicht gefressen, mir aber wurde nicht gebrüllt. — Hört, dort
in der BeichenhaUer Wüste scheint Ihr auch nicht besonders zu gedeihen.
Kommt in meinen Löwengarten, das Kampfspiel zu erwarten, darinnen
nichts als F&uen unsanglich sind zu schauen. —
AUen Eespect vor Euerer diätetischen Weissheit; die Erfahrung sagt
aber, so lange wir täglich — ohne Angst — ssusammen waren, kam keine
unlöwenhafte Erscheinung auf: Seitdem Ihr vor und rücksichtig wurdet,
euch ein- und abschlösset, verlor Daniel seine Macht. —
Ich glaube, Ihr solltet kommen, mit uns wieder speisen und teufein,
und glaubt nochmals — diese Geschichte ist nicht mit den Schleim-
häuten, sondern einzig durch reine Verrücktheit zu Stande zu bringen.
Aber so ist's, seit der Ankunft der Frau Kurwenal ist mir alle Macht ent-
wunden worden : .dort Nuancen — hier Nuancen, nirgends Avancen ! Seid
viel naiver: überlasst die absolute ästhetische Vollendung dem heiligen
Anton — bleibt fehlerhaft, und Gott der Allgütige wird euch segnen, wenn
gleich Ihr nie ergründen werdet, was ich mit Antonio sagen will, denn es
ist reiner Unsinn, bloss zum Muthmachen.
Also, liebste Menschen, Muth! Schön — Muth! — Ich bitte mir da-
gegen eine Lumperei aus, nichts wie Gewissheit. — Flieht Damrosch's
Umstrickungen : werft Euch lieber auf Draesecke's Seite, — dieser ist viel
blühender in betreff des Teints. Der ist bei mir. —
Solltet Ihr Spuren von zusammenhängenden Bäsonement bei mir finden,
so erklärt euch, wie es dazu kam. —
und nun : Arme au bras ! Ohne den Tristan ist nichts und Alles hat
ein Ende. — Mit dem Tristan — Alles! —
Jetzt auf — und wacker gebrüllt! Hier ist Euer Platz! Adieu!
Von Herzen Euer
Löwenhüter
4« Juni. im Pfauengarten.
221
43.
Ihr ganz guten Löwen!
Wie geht ea? —
Mir bekommt die Bnhe gut. —
Euch hoffentlich auch!
Demnach: bitte!
Morgen: 2 ühr
Beefsteak Ute
beim Löwenbändiger
E. W.
44.
Besser als ich
sorgt Er Air Euch!
13. Jnni
US Tristantag.
Gkiten Morgen, liebe edle Löwen! Wollen wir noch einmal in die
Wüste brüllen? Am Ende hören wir doch nur ans selbst. .Denn auch
Parzival gehört zu uns.
Von Herzen
Euer
E. W.
Parzivals Brief ist das einzig würdige Geschenk, das ich Euch an-
bieten kann. Nehmt ihn, er ist Euer.
(AnfMshrift: «An die LOwen Ton St. Tristan, Marienbad." Einliegend ein Schreiben
dee Königs.)
45.
15. Juni 1865.
Meine liebsten Löwen!
Das Geftlhl höchster Abspannung nimmt bei mir seit diesem Morgen
in peinigendster Weise zu: von Bfllow's erfahre ich, dass er sich nicht
minder übel befindet, und nicht zu Tisch kommen kann. Das Wetter be-
günstigt eine — sonst vielleicht erquickUche — Ausfahrt ebenfaUs nicht.
Lasst uns denn diesen Frohnleichnamstag gänzlich der Buhe weihen: auch
Euch wird diess erquicken! Ich denke um 1 ühr ein stärkendes Bad zu
nehmen und dann mich den Tag über sprachlos zu verhalten. Sagen wir
uns dann Morgen, ob dieser Entschluss uns Allen gute Früchte getragen hat !
Alles Schöne, Linige und Echte zum Gruss von
Euerm
E. W.
222
46.
Meine lieben, thenren Freunde!
So ! nun ruht Euch aus ! Das Unvergleichliche ist gethan. Und sollte
wirklich einst der eigen thümlichsten, deutschesten Eunst die Frucht reifen ,
die ich in meinem Geiste trage, und deren Tiefe und Schönheit Alles über-
ragen müsste, was je Nationen zu ihrem Buhme erschufen, so seid gewiss,
dass Ihr Lieben der Welt unvergesslich werdet, denn von Eurer That ging
der Frühling aus, der meinem Werke Wärme, meinem Triebe Kraft und
Licht gab! —
So können wir uns nicht loben: wir treiben, blühen und gedeihen
zusammen. Eines durch das Andere ! Innig vertraut wirken wir als Eines ! —
Und nun — Buhe! Ihr habt ein Becht, fortan zu schweigen, wenn
Euch diess gefiLllt. Was Ihr zu Tage brachtet, muss unvergänglich
wirken! —
Stellt sich das Wetter gut, so — rathe ich — brechen wir auf, viel-
leicht morgen, zur Erfrischung und Erholung!
Lasst vernehmen, ob es Euch recht ist! —
München, Ganz Euer
20. Juni 1865. Bichard Wagner,
. — »
47.
Mein vielgeliebtes Hummelpaar!
Wer A sagt, muss auch B sagen! — Ich glaube, Ihr werdet filr
Samstag Ernst machen müssen. Der König wüthet nach dieser letzten
Aufflahrung, und fürchtet — je mehr es sich damit hinausschiebt — wieder
neue Belästigungen zu erbalten. — Nun will ich aber femer der Hummel-
königin (die nächstens wieder zur Löwin avanciren soU !) eine Beobachtung
von meinem Singe -Schmitt mittheilen, oder vielmehr nur andeuten, die
mir plausibel und beachtenswerth genug erscheint, um in praktische Er-
wägung gezogen zu werden. Er behauptet nämlich, nach sehr genauem
Studium der Stimmeigenthümlichkeiten Malvine's hinter die Bedeutung der
scheinbar hartnäckigen Nachwehen des pp. Katarrhs vom Monat Mai ge-
kommen zu sein, und ist überzeugt mit wenigen Nachweisen sie davon
in Kenntniss setzen zu können, wie sie schnell und sicher dahin gelangen
werde, die Ursache jener partiellen Angegriffenheit zu entfernen. Er be-
hauptet, nicht Luft, nicht Cur, nicht absolute Buhe, sondern die Beachtung
gewisser Yortheile im Gebrauche der Mittelstimme, namentlich bei leiden-
schaftlichen Accenten, über die er sich schnell ihr deutlich machen werde,
könne ihr sofort wieder zur erwünschten Stimmbequemlichkeit verhelfen. —
loh freute mich aufrichtig über diese Mittheilung, und wünschte sehr, Ihr
nähmet sie nicht übel auf, handeltet darnach und — kämet bald zurück,
namentlich bei dem üblen Wetter. —
223
Der König bat sdoh also um eine 14 tägige V erlängerang Eures Urlaubes
gewandt: er möcbte nämlicb gar ssu gern naob dem Tristan auob noob
den fliegenden Holländer, und dann zum Scbluss eine Priyatauffiibrung im
Besidenztbeater von Fragmenten aus allen meinen Werken — als letzten
Hautgout baben. — Dabei babe icb Lust das letzte Brucbstück der Meister-
singer mit dem D- und F-dur Gesang des Waltber mit daran zu bringen. —
Also — Arbeit vollauf! Folgt mit gutem Beispiele nach: gebt die
Hippocbondrie auf, man bat gar nicbts davon. Wie viel scböner ist es
dagegen, sich in die Wüste zu stürzen, und barmlose Wanderer brüllend
au£su£:es8en ! —
Hieb werdet Ibr, wenn Ibr zu sp&t kommt, leider nicbt mebr treffen:
icb babe micb unter den 24,000 Sängern Air Dresden anwerben lassen,
und denke dort gehörigen Effect zu machen. —
Also!
Gott, der Grundgütige nehme Euch in seinen bodenlosen Schutz, und
gebe Euch in seiner unbegreiflichen Barmherzigkeit charmante Beschlüsse ein !
Viele gute und bessere Gh-üsse!
Von Herzen
München, Euer
27. Juni 1866. Bichard Wagner.
48.*)
Die Hummeln im Begriff ihrer Transformation in Löwen seien ge-
grüsstü! —
Ich komme richtig nicht aus, bin belagert — und schrecklich erkältet !
Kinder, macht keine Streiche: Parzival ist rein des Teufels auf morgen!
— Ich sehe Euch spätestens Morgen früh!
Noch einmal — und — wenn's sein soll — nie wieder! — Mir recht! —
Aber — diess eine Mal — noch gehörig! —
Wotan segne Euch! —
Aus einem grossen Doppelherzen —
Schönsten Gruss!
Euer
B. W.
*) Ohne Datam, mit Bleistift geschrieben. Vom 30. Juni 1865.
224
Richard Wagner an Angost Wilhelmj.
1.
Mein lieber Herr WiUielmj!
Auf dem grössten Bogen meines BrieQ)apiere8 bestätige ich Ihnen die
Ernennung zum
^Konzertmeister des Orchesters
ftlr die An£Rihning des ^^Bing des Nibelungen^
in
Bayreuth",
Da ich sehe, dass Ihr sehr erfreuliches Anerbieten« mir als solcher
Konzertmeister zur Seite stehen zu wollen, nicht spasshaft gememt war,
geziemt es sich dass auch ich in dieser Angelegenheit gewaltigen Ernst
mache, wie Sie dies aus dem Voranstehenden ersehen.
Aber im iallerwirklichsten Ernste, mein Freund, lassen wir es uns
von heute ab angelegen sein, recht sorgsam an die Bildung unseres^
Orchesters, als eines jungen, durchaus von allen schlechten Gewohnheiten
freien Orchesters, zu denken; unsere Meinungen hierfiber auszutauschen,
und bei Zeiten alle Schritte zu ergreifen, welche uns einer ausgezeichneten
Genossenschaft versichern können.
Gewiss wünschen und verlangen Sie dieses Alles mit mir ; dies erkannte
ich in Ihnen, ausser den so jung berühmten Meister seines Instrumentes
selbst.
So seien wir denn von jetzt an zu einem ausserordentlichen Werke
vereinigt, und erlauben Sie mir dass ich, vorbehalten aller sonst Sie
befriedigenden Abmachungen, fortan meinen werthen Musiker-Meister nenne,
als welcher Sie aller Genugthuung, die unserem Wirken nicht versagt
bleiben wird, theilhaftig sein sollen.
Mit den herzlichsten Gxüssen von mir und meiner Frau, bin ich
Ihr
ergeben
Bayreuth ' Bichard Wagner.
3. Juni 1872.
2.
Mein werthester Freund und Genosse!
Herzlich freut es mich, dass Sie sich gern mit mir verbinden zu dem,
jedenfalls sehr unerhörten, und nicht leicht vergleichlichen Werke. Die
Schwierigkeiten, welche wir zu überwinden haben, sind ausserordentlich,
denn eigentlich geht es auf eine Schöpfung aus „Nichts" hinaus. Gewiss
wäre es wünschenswerth, dass wir uns der Engagements aus grossen
225
Orchestern, Air welche der genügende ürlanb immer nur sehr schwer zu
erhalten sein wird, möglichst ganz entschlagen könnten; hierzu fasse ich
beinahe Hofinong, wenn ich daran denke, wie tiefer unsere grossen Orchester
immer mehr herabsinken, und sobald ich mir überlege, dass oft die
tüchtigsten Kräfte von ihnen ausgeschlossen bleiben, welche meistens
armselig sich abarbeiten und jedenfalls ohne alle Ausbildung fCb: den
Vortrag elend dahinsiechen. Ich halte es nicht für unmöglich, dass wir den
grössten Theil unseres Orchesters aus freien Leuten bilden könnten, welche
wir gradeswegs unser Orchester, oder etwa das deutsche Wagner- oder
Bayreuther-Orchester nennen dürften. Ich habe für das erste Jahr der Auf-
führungen, 1874, zum Mindesten 10,000 Thlr. zu verwenden, und brauche
etwa 100 Mann; das würde für den Mann durchnittlich 100 Thlr. Gehalt
für drei Monate ausmachen, während welcher Jeder in Bayreuth mir zur
Verfügung sein müsste ; hierzu halte ich mir aber noch einen Supplementär-
fonds von 6000 Thlr. bereit, um in nöthigen Fällen durch Erhöhung der
Entschädigungsgelder nachhelfen zu können. Hierbei war mein erster
Gedanke natürlich, unser Orchester nur aus den bestehenden grossen
Orchestern zusammenzustellen, deren Mitglieder (für deren Beurlaubung
ich mich an die betreffenden Fürsten besonders gewendet haben würde) ihre
Gehalte von zu Hause fortbezögen, und demnach von nur nur eine Beise-
und Aufenthaltsentschädigung zu beanspruchen gehabt hätten. Denke ich
nun aber daran, für welchen jämmerlichen Gehalt unsere jongen Musiker —
oft viele Jahre lang — in unseren grossen Kapellen als Accessisten und
dergl. dienen, so wächst mir der Muth» dafür, zu glauben, dass wir, ftlr
circa 160 Thlr. durchschnittlich pro Mann, ein selbstständiges Orchester
gewinnen könnten, welches für die Frühjahrs- und Sommermonate bei uns
in Bayreuth zu fungiren hätte, für das Winterhalbjahr aber anderweitig
Engagements annehmen könnte, wofiXr sich dann wieder der umstand findet,
dass man auswärts unsere Aufitlhrungen zu wiederholen suchen wird, und
dann froh sein wird, das einstudirte Orchester hierzu im Ganzen zu bekommen.
Mit diesem Gedanken trägt man sich nämlich bereits in Berlin sehr
ernstlich. Es ist sonach nicht unmöglich, dass die Mitglieder „unseres^
Orchesters sich ganz gut stehen dürften, und dass die grossen Orchester
mit der Zeit mit Vorliebe aus ihnen sich reorutiren würden, dem wir —
^m vortheilhaften Falle dann nicht entgegen sein dürften. Kurz! Es
arbeitet sich in mir der Plan zur Gründung einer grossen deutschen Orchester-
schule aus, welcher eine dramatische Sängerschule ganz gleich zur Seite
stehen soll.
Möge Ihnen dies vorläufig als Andeutung genügen. Bedarf es schon
jetzt näherer Angaben, so wäre etwa fest zu halten, dass die Musiker sich
vom 1. April bis 30. Juni (also für drei Monate) im Jahre 1874 engagiren
müssten; ist dieser Termin ungünstig, so könnte es auch vom 1. Mai bis
letzten Juli heissen. —
^26
Ghrosse Noth wird es machen, Sie jetzt sohon bald mit den Paiütaren
der Nibelangen-Stücke zu versehen ; sie sind nooh ^onica^ ; Schott wollte
daran gehen, sie za stechen, hat aber immer noch damit gezögert. Jetzt
liegt das „Bheingold^ und die „Walküre" bei ihm zum Copiren; aaoh
damit geht es so elend vorwärts, dass ich meine Bevollmächtigten, den
Herren C. Voltz und Batz, welche Sie ja wohl kennen, den Auftrag gegeben
habe, die Partituren von Schott ganz hinweg zu nehmen, um sie an mich
zurückzusenden, da ich nun beabsichtige, hier an Ort und Stelle die voll-
ständige Copie einzurichten, wozu ich im Herbst einen hierfür besonders
geschulten tüchtigen jungen Mann engagirt habe, unter dessen Anleitung
zugleich von guten Schreibern die Partituren ausgeschrieben werden sollen.
Jedenfalls sollen Sie noch vor Ende des Jahres die Partituren zur Ansicht,
und z. B. die Yiolinstimmen zu anhaltenderem Gebrauch erhalten. Ausserdem
werde ich dafllr sorgen, dass Schott Ihnen die Klavieranszüge zustellt. —
Nehmen Sie für heute mit meiner flüchtigen Schreiberei vorlieb! Im
Herbst beginne ich meine Inspektionsreisen, und bekomme Sie wohl jeden-
falls auch zu einer ordentlichen Unterredung zu sehen. Für das Erste
bin ich noch durch die letzte Ausarbeitung des letzten Actes der
„Götterdämmerung^ an mein hiesiges Asyl gebannt. Schön wäre es^ Sie
sprächen noch einmal hier vor.
Meine Frau dankt Ihnen für Ihre freundlichen Grüsse und erwidert
sie, so wie ich mit dem besten Angedenken und den bedeutendste
Hofihungen verbleibe Ihr
, sehr ergebener
Bayreuth Bichard Wagner.
16. Juli 1872,
3.
Werthester Freund und
Nibelungen Geigenmeister!
Erst jetzt durfte es mir möglich werden, Ihnen einen bestimmten
Bericht vorzulegen, xmi Sie dadurch in den Stand zu setzen, als Grosse
und Berather an meiner Unternehmung theilzunehmen.
Es ist bestimmt, dass ich noch in diesem Jahre die nöthigen Yorproben
abhalte. Die Sänger sollen sich für den Monat Juli bei mir versammeln,
und das Orchester während der ersten Hälfte des Monats August»
an Ort und Stelle im wirklichen Theater-Orchester eine genaue Leseprobe
aller Stücke abhalten, wobei wir dann etwa noch bemerkbare Schwächen in
der Besetzung der Instrumente erkennen und Abhilfe dagegen suoh^i werden.
Im nächsten Jahre 1876 muss dann das ganze Orchester vom 1. Juni
an bis zur letzen Woche des August vereinigt bleiben. Ich habe aus
diesem Grunde vorzüglich auf die Mitglieder derjenigen Hoforohester Bück«
227
aoht genommen, welche im Sommer F^en haben, allerdings besonders auch
aas dem Grande, dass die Herren, deren Gehaltsbezüge während der Zeit
ananterbroohen fortlaafen, für ihre Mitwirkung in Bayreuth leichter zu
entschädigen wären, als wenn sie, gänzlich aaser Engagement einzig auf
diese Entschädigung angewiesen wären. Ich glaube demnach füglich damit
aaszukommen, wenn ich einem Jeden monatlich 60 Thaler als Elntschädigung
anbiete, wobei, da die Beise selbst fär diese kürzere Zeit in Betracht kommt,
die beiden Wochen in diesem Jahre als ein voller Monat (mit 60 Thlr.)
angerechnet, ^die drei Monate 1876 aber durchschnittlich mit 160 Thlr.
entschädigt werden sollen. Immer muss ich natürlich an einen Beisefonds
ftlr besondere, schwierigere Fälle denken, welchen ich dadurch zu gewinnen
hoffe, dass viele der ersten Sänger, wie Niemann und Betz gar keine
Entschädigung beanspruchen wollen. —
Diese Erörterungen vorangeschickt, erlaube ich mir nun mit dem bei-
folgenden Blatte Ihnen die Besultate meiner bisherigen Anwerbungen vor-
zulegen : sie bilden so ziemlich vollständig das Streichquintett — wenigstens
der Anzahl nach — welche ich vorgeschrieben habe. Nur die Bratsche
ist noch unvollständig: da dieses Instrument bei mir ungemein reich und
selbständig behandelt ist, denke ich, dass es nicht schwer fallen soU, von
den überzähligen Violinisten noch fünf für die Bratsche zu bestimmen.
Diese Einrichtung müsste bei Zeiten vorgenommen werden, damit die
betreffenden Musiker sich noch genau mit den Stimmen (die ihnen von
jetzt an jeder Zeit zu Gebot stehen) bekannt machen könnten. Ich wende
mich hierfür zuerst an Sie, geehrtester Freund, um namentUch Ihrer
etwaigen Kenntniss der betreffenden Violinisten mit Bezug auf die Bratsche
diese Angelegenheit zu übergeben. Wissen Sie keinen bestimmten Bath
zu ertheilen, so nehme ich die Sache demn für mich in die Hand. Bisher
hielt ich mich durchgängig an die mir näher befreundeten Kapeil- oder
Konzertmeister der verschiedenen Orchester: ich würde dann auch in diesem
Falle mich an dieselben halten, welchen ich von vornherein aufgegeben
hatte, mir nur die all^rtüchtigsten ihrer Musiker zu empfehlen.
Bei der Auswahl ist eine Bücksicht darauf zu nehmen, dass das
Karlsruher, wie das Braunschweiger Orchester nur beschränktere
Ferien hat, und ich demnach fflr die von dorther ausgewählten Musiker
mir einen besonderen Urlaub auszuwirken haben werde, was — unter
Umständen — seine Beschwerlichkeit haben könnte. Dagegen habe ich
anzuführen, dass München unbedingt darauf rechnet, mir einen vor-
züglichen Contingent zu stellen, ebenso Wien; wodurch etwaige Ausfälle
leicht zu decken sind. Im Betreff des Herrn De Schwert bin ich
schwierig daran, da derselbe, wie ich lese, sich für die grosse Oper in
Paris hat engagiren lassen. Vielleicht wissen Sie in seinem Betreff nähere
Auskunft, und stehen Ihnen Verbindungswege mit ^^rn offen, welche mir
jetzt versperrt sind?
228
Wollen sie nun, werthester Frennd und Genosse, die Otüte haben,
znn&chst nnd sobald wie möglioh, Ihre MitÜxeilüng anf diese meine
Eröffimng mir zukommen zu lassen. Ich glaube Urnen mit meinen An-
werbungen eben nur vorgearbeitet zu haben, keinesweges aber damit Ihren
etwaigen Ansichten über die Bildung unseres Streich-Orchesters entgegen-
zutreten. Eine ziemlich ununterbrochene Verbindung zwischen uns wird
jetzt nöthig werden, wenn das Werk, dem Sie zu meiner grossen Freude
Ihre thätigste Mitwirkung so unumwunden zugesagt haben, würdig gefördert
werden soll.
Sie können sich denken, wie schwierig mir Alles von meinem, allerdings
gut gelegenen, aber doch sehr verbindungslosen Mittelpunkte aus, ftUt.
Nur auf die energischeste Unterstützung wahrhafter Freunde rechnend,
konnte ich überhaupt an die Verwirklichung meines Planes denken. Ich
zähle Sie unter diese, und grüsse Sie somit herzlidbst und hoch-
achtungsvollst als
Ihr
Bayreuth ergebener
4. Jan. 1876. Bichard Wagner.
4.
Mein lieber, werther Freund!
Augenblicklich antworte ich Ihnen auf Ihren, wirklich labungsvollen,
Brief, — desshalb nur wenig!
Die Prinoipalstimme soll ihnen Seidl sofort zuschicken; f&r jede
Correctur meines Geigensatzes bin ich Ihnen zum voraus herzlichst dankbar. —
Der kleine grosse Hund folgt zu seiner Zeit: an wen ihn adressiren?
Wären Sie doch nur noch bei unserem Gartenfeste gewesen! Es
gerieth herrlich, und liess mir nur das Bedauern, Sie davon fem zu wissen.
Für alle meine ferneren Lebenstage, Urnen, lieber Freund, herzlichat
verbunden
Ihr
Bayreuth Sichard Wagner.
19. Aug. 1875.
5.
Liebster G^^nner und Förderer
meiner Angelegenheiten!
Sie hatten unrecht, mich daran zu mahnen, dass ich dafür zu sorgen
hätte, mit Ihnen Hand in Hand vor dem Publikum Europa's zu erscheinen. —
Ich wurde vor mehreren Tagen angegangen, einem CJorrespondenten für
die „Times^' etwas an die Hand zu geben: diesem habe ich ganz ein f a ch
dictirt, dass Ihre Berichte und Aufforderungen mich bestimmt hätten, in
ii9
London n. England etwas zu nntemehmen. Wird dieser Passus aller-
nächstens in den Times nicht gut wiedergegeben, so sollen Sie von mir
einen Brief hierftlr erhalten, der sich gewachsen haben soll ! — Abgemacht !
— Nun aber! Hm! Hm!
Also ! — Geschäfte ! ! —
Bitte! Vor Allem mit meinem — Neffen — Herrn Landrath Alfred
Jachmann sich in das Vernehmen zu setzen.
Sie müssen Hodge eben keimen: was kann er mit Mr. Essez leisten?
Ich verlange zu wissen: —
Albertshall hält 10000 Plätze. Wie viel können diese eintragen?
Was sind die Kosten? (Hierunter Alles verstanden: Presse, Teufeleien,
Orchester — Sänger: — ?) Was letztere betrifft, habe ich, da ich Hodge's
Entgegenkonunen für ernst nahm, engagirt:
1. Materna (Monat Mai) 20 Conzerte: 12000 Mark = j^SOO*)
2. Hill (ebenso) für 10000 M, = ^ 250*)
3. Unger ^ 200
4. Drei Bheintöchter = j^ 200
macht 950*) wollen wir sagen 1000 Pfund.
Diess theile ich Ihnen mit um dem Unternehmer die Berechnung der
Kosten zu ermöglichen. In Betreff meiner Abmachung mit dem Contrahenten
stelle ich das Eine fest: Binnen 4 Wochen = 20 Conzerte (gut?) Hodge
et Comp, trägt alle Kosten (ausser die Stimmen, welche ich mitbringe)
und erhält daftlr die Hälfle der Brutto-Einnahme, deren andere Hälfte er
mir mit 500 £ per Abend garantirt.
Programme: nächstens. Hoffentlich starke Wiederholungen. Wie ist
es mit den 20 Conzerten gemeint ? Wahrscheinlich jeden Abend, nachdem
zuvor alle Proben abgemacht sind? Den Orchesterbedarf kennen Sie.
Materna und Hill können leichter fär Mitte Mai abkommen. Ist
Mitte Mai bis Mitte Juni ebenso gut als Anfang bis Ende Mai?
Bitte um etwas Detail. Schicke selbst dagegen Näheres, z. B. Bepertoir.
Herrn Jachmann bitte vor Allem zu sehen und gemeinsam mit ihm
zu agiren!
Mein lieber, guter Nibelungen Conzertmeister ! Herzlich freut sich
Sie wiederzusehen
Ihr
Freund
Bichard Wagner.
Aber Sie müssen ihm diesmal mehr vorspielen!
[Poststempel Bayreuth 8. März 1877.]
•) Irrtflmlich ftr ^ 600, 500, 1500.
17
6.
Mem lieber Frennd!
Der Contract mit Mr. Hodge und Essez wird soeben von mir unter-
zeichnet. Dieselben erhalten meine näheren Mittheflongen morgen. Möge
nun diese üntemehmxmg einen gaten Verlauf finden. Oft sind mir in den
letzten Jahren Aniforderongen zu ähnlichen üntemehmmigen ans England
Zügekommen. Sie wissen, dass das eigentliche Conzert-geben von meiner
Thätigkeit gänzlich abliegt: ich konnte diejenigen, die sich mit mir bekannt
machen wollten, znletzt immer nach Bayreuth einladen. Es scheint nun,
dass ich anf diese Weise nunentlich anch in England mir gute Freunde
erworben habe.
Sie, liebster Frennd, haben mich nun so eindringlich angefordert,
von diesem Letzteren mich .an Ort und Stelle selbst zu überzeugen, dass
ich gern mich entschloss hierauf einzugehen. Ein ganz bestimmtes Recht
auf midbi hatten Sie sich durch Ihre herrliche Betheiligung an der Au£fUirung
meiner Bühnenfestspiele in Bayreuth erworben : einem ernstlichen Wunsche
Ihrerseits hatte ich zu willfiüiren. Ich komme — sage ich es offen ! —
auf Ihre Einladimg nach England. Möge Sie meine Folgsamkeit nicht
gereuen: Sie werden viel mit mir zu thun haben, denn Ihr Yerspreohen,
sich selbst an die Spitze des Orchesters zu stellen, welches ich dirigiren
werde, hat mir namentlich den Oedanken hieran angenehm gemachti da
ich so im Voraus sicher weiss, dass selbst die mühevollsten Stunden der
Arbeit mir erquicklich und zu dereinstigen freundlichen Erinnerungen äck
gestalten werden.
Alles Nähere wird jetzt schnell in Ordnxmg kommen. Herzlich fireae
ich mich Sie bald wiederzusehen, und danke Urnen f&r heute, sowie im
Voraus für alle Ihre Freundesbemühungen.
Ihr
Bayreuth. sehr ergebener
16. März 1877. Eichard Wagner.
7.
Lieber Freund!
Es fällt mir sehr schwer, das Programm — mit dem Personale — so
im Handumdrehen genau f^ den Druck festzustellen. Ich ftLr mein Theil
bin auf dem Papiere schon fertig : während dem habe ich aber immer noch
mit den Sängern zu correspondiren , welche das Papier erst zu einer
Wahrheit machen sollen.
Nur soviel bitte ich Sie einstweilen Mr. Hodge mitzutheilen : ich
brauche — um sicher und gut zu gehen — zu Matema, Hill und ünger
noch Schlosser und Beichenberg. Beiden habe ich telegraphirt und warte
281
auf (billige) Antwort. Die 8 Bheintöchter möchte ioh gern auch gat haben,
nnd warte desshalb darauf, ob es sich nicht doch noch mit dem Bayrenther
Kleeblatt macht, jedenfalls möchte ich Lilli, auch um anderer Stücke wegen.
So soll sich die Sache, in Betreff des Personales, erst noch n&chster Tage
entscheiden.
Desshalb, also:
Wenn Herr Hodge etc. das „Book'' schon in den aUemftchsten Tage
drucken lassen will, so ist das Alles mir etwas zu spät verzögert worden.
Das allgemeine Programm ftr 6 Conzerte, soll er in ein paar Tagen gewiss
haben: nur kann die Ausdehnung der Nummern nicht schon ganz
bestimmt (für den Text) gegeben werden, weil diess sich darnach ändert,
ob ich diesen oder jenen Sänger noch bekomme. Ich denke aber für das
„Book'' hat es noch eine gute Woche Zeit.
unterdessen werde ich über das Sängerpersonal stets schnell berichten.
Für das Orchester habe ich Seidl beauftragt, mit Ihnen sich in das Ver-
nehmen zu setzen. Ich rechne auf 160 gute Musiker, 60 schlechte lassen
wir aus.
Wenn Jahn nicht englisch kann, so bin ich doch entschieden ftbr
Bichter, welcher Alles weiss und schnell ist.
Versichern Sie Herrn Hodge, dass ich mit vollem Eifer bei der Sache
bin, und dass in der Begel Alles gut ausfällt, was ich unternehme.
Adieu, liebster Freund!
Bayreuth Ihr
17. März 77. Eichard Wagner.
8.
Lieber Freund !
Die Herren H. u. s. w. machen mir einige Noth. In Betreff* der Garantie-
zahlung will ich es Ihnen gern erleichtem, trotzdem Advocat Sumter zur
Vorsicht räth. Ich glaube, die Leute haben Mühe, Capitalien, welche sie
selbst nicht besitzen, zusammenzubringen. Mich verdriesst, dass sie mir
wiederholt Ersparnisse im Betreff der Sänger anrathen. Ich glaube, ich
hätte wohlfeiler bekommen können, wenn mir vom Anfang an nur von
sechs Conzerten während 14 Tagen gesagt worden wäre; da war aber von
20 Oonzerten die Eede, vor welchen Matema und Hill natürlich erschreckten,
und filx welche sie nur durch starke Honorare zu gewinnen waren. Jetzt
war die Honorarfrage nicht mehr zu reduziren, da man nämlich annehmen
muss, dass die 6 Conzerte (unter günstigen umständen) soviel einbringen,
wie 20 (unter ungünstigen). Sogar bedurffie ich doch nun mehr Sänger,
da ich ftlr 6 vollständig neue Programme zu sorgen hatte, während ich
20 Conzerte nicht anders für möglich gehalten hätte, als durch Wieder-
holung einer kleineren Anzahl von Stücken. — Trotzdem wird mein Sänger-
17*
882
personal nicht über 300 Pfimd per Abend betragen ; wogegen ich mm, um
mir einen Begriff zn machen, gern erfidire waa der Saal, das Orchester
XL 8. w. kosten; davon erfahre ich aber nichts.
Ich erfiüire, dass Sie für eine tüchtige Herstellang des OrdiesterB sehr
besorgt waren, woäx ich Ihnen schönstens danke. Hit den Stämmen ist
grosse Noth, da wir hier absolot keine Copisten finden. Seidl nnd lascher
sollten morgen abreisen: nnn sind sie, dnrch Hodge's Telegramm znrOck-
gehalten. Ich schicke morgen Seidl n. FiBcher nach München nm dort
(mit Copisten) in einer Woche fertig zn werden. Die Auslagen für sie
bestreite ich einstweilen.
flodge möge nicht yergessen, mit ünger (5 Fürstenstr. in München)
fOx Beise nnd Anfanthalt (100 Pf.) zu contrahiren. Lilli L. hdBfe ich
allerdings mit Honorar (200 Pf.) noch zu bekommen : gat für Bheintöditer.
Bassirt leider immer noch ungewiss. Alle sind für vollen Monat Mai
engagirt Sechnen Hodge etc. durchaus nicht auf theilweise Wieder-
holung bis ende Mai, so sind die Sänger allerdings eu theuer beaaUt.
Allein diess liegt in dem ersten Anfimge. Glauben Sie nicht an (etwa) noch
8 Conzerte mit Wiederholung der Hauptstücke (vorzüglich Nibelungen)?
Bitte mir doch öfter eine Mittheilung zukommen zu lassen. ]>ks
Englische muss Alles durch meine Frau gehen, und macht viel Oonfiision
und Mühe.
Ich werde im Voraus bereits etwas müde: verzeihen Sie mir das!
Gk>tt, der Allgütige, segne uns alle miteinander !
Adieu 1 Ihr
Bayreuth guter Freund
2. Apr. 77. Bichard Wagner.
9.
Liebster Freund!
Ersuchen Sie Herrn Schlesinger, wenn er die Güte haben will sich in
dieser Sache zu beschweren, in meinem Namen, vor allen IMngen die
täglichen Eingänge für Conzert EntrSes zu controliren, und ihre richtige
Abfährung zur „deutschen Bank" zu überwachen. Hodge und Essex sollen,
zum laufenden Betrieb des Geschäftes der Bank entnehmen, was sie brauchen,
— aber unter der Controle des Herrn Schlesinger. Wenn der
Betrieb des G^esohäftes — nach Ansicht des Herrn Schlesinger — hierdurch
nicht gestört wird, sollen aus der Bank spätestens am löten April die
bedungenen 1600 Pfund mir angewiesen werden. (Ich bedarf des Geldes
nicht für mich, wohl aber der Sicherheit des Ganzen wegen). Auf diese
Abmachung hin, sobald nämlich Ihr geehrter Freund, Herr Schlesinger,
so gut ist, der Sache sich ernstlich annehmen zu wollen, werde ich die
fernere Mithilfe des Herrn Sumter etc. nicht mehr in Anspruch nehmen,
388
ihn anweisen den Chek an Herrn Sohlesinger (durch Sie) zarüokznstellen,
und diesem Herrn das Weitere zu überlassen.
loh ho£Fe in dieser Weise, nach ihrem Wnnsche nnd Bathe zn handeln.
£i der Hauptsache kommt es doch nur darauf an, ob Hodge und Essex
sich durch ihren Verkehr mit mir einen guten Namen, oder einen unredlichen
Profit machen woUen. Ich nehme das erste an; und somit gut!
Die „Basstrompete^ wird aus Wien zu begehen sein, da der Berliner
kranke Beine hat.
Gott segne Ihre Bemühungen! Vielleicht geht Alles gut!
Für heute also nur das Nöthigste !
Von Herzen Ihr
Bayreuth ergebener
5. April 77. Bichard Wagner.
10.
Bayreuth 22. April 77.
Liebster Freund!
Schönsten Dank für alle Liebe und Treue! Wir gedenken nun —
wenn nichts eher drängt — nächsten Sonntag hier abzureisen und Montag
Nachmittag in London einzutrefien (also: immer noch 8 Tage vor dem
Iten Conzert!) Ihre Empfangsvorbereitungen machen mir etwas bange,
und — aufrichtig gesagt ! — ich willige mehr darein, weil ich Ihnen keine
Freude verderben will, als weil mir dadurch eine Freude gemacht würde.
Wir wollen sehen, wie der Abschied ausfällt!
Viel Sorge habe ich auch bereits um die Sache gehabt. Es scheint
mir, dass wir eigentlich etwas ganz Unsinniges unternehmen. Hodge und
Essex mögen vortreffliche Leute sein, aber — Contract hätten sie nicht
mit mir schliessen sollen, weil sie mir dadurch Annahmen erweckt haben,
von denen loszusagen mir etwas üeberwindung kostete, als sogleich die
erste contracÜiche Stipulation nicht erfüllt wurde. — Nun, hierin werde
ich blindes Vertrauen zu fassen haben. Einstweilen danke ich Herrn
Schlesinger sehr für seine Fürsorge. '
Als ich gestern Seidl's Bericht über die 3 ersten Proben erhielt, ward
mir denn doch wunderlich zu Muth. Um Gotteswillen lassen Sie nur
Biohter wenigstens für einiges hörbare Blech sorgen ! Es koste nun was es
wolle: denn diese stummen Trompeter u. s. w. kenne ich, wenn sie sich
aufblasen und keinen Ton herausbringen! Ich hoffe, Bichter weiss da
Bath. Mit den Geigen mögen Sie, Altmeister, eine charmante Noth haben ;
ja, ja, ich sehe die G^ntlemen im Feuerzauber ! Wie ist Ihnen denn nur
dabei, Freund! Auf den Tristan bestehe ich wahrscheinlich nicht; doch
seUten Sie suchen, das „Vorspiel und den Schlussatz'^ herauszubringen.
284
Ist das Orchester erst eiimial dnroh das Feuer und Wasser der Nibelungen
durch, kommt am Ende auch noch etwas Tristan zu Stande.
Thoms (wenn Sie um sehr gebrauchen) wird billig sein; man muss
ihn und Tombo amical unterbringen ; ich zahle (fdr meine Beohnung) Bchoa
Mittag und Frühstück, und Beisegeld muss herausgeechwitzt werden. Jedem
500 Mark Alles in Allen! Ich hfttte gern öfter etwas gehört! Bei mir
häuft sich Alles, was mich peinigt und aufregen kann ! Scheussliche Zeit !
Nun, Gott der Grundgütige u. s. w. ! Leben Sie wohl !
Yen Herzen Ihr
Bich. Wagner.
11.
Lieber Freund!
Ich trage mich mit dem Gedanken, den jungen Leuten, ehe ich sterbe,
noch etwas zu lehren: namentlich Tempo — d. h. Vortrag. Können Sie,
namentlich ftür Quartettspiel und überhaupt höheren thematisirten Vortrag
mir vom 1. Januar bis 30. April Ihre Assistenz hier in Bayreuth, zu-
sichern?
Wie viel verlangen Sie dafilr? —
Hoffentlich sind Sie wieder gesund!
Noth und Sorge hat uns Ihr Unwohlsein zur Genüge gemacht!
Antworten Sie mir bald, damit ich in meinen Plänen auf einen sicheren
Fuss gerathe. Mit herzlichsten Grüssen
Ihr
Bayreuth ergebener
5. August 77. Richard Wagner.
12.
Lieber Freund!
Wenn Sie Etwas auf mich geben, so treten Sie so schnell als
möglich die Wasserkur in Ghrftfenberg an! —
Ich weiss, was ich Urnen sage und rathe, und bin auf das Festeste
überzeugt, dass Ihre ganze Constitution die Begeneration, deren sie be-
darf, in drei Monaten gewonnen haben wird. Ich schreibe Ihnen nie
wieder, als nach Gräfenberg!
Ihr
Bayreuth Bichard Wagner«
21. Aug. 77.
28S
13.
Lieber Frennd!
So erfahre loh doch einmal wieder mit Sicherheit wo Sie sind: da
ich keine Zeitongen lese, erfeihre ich immer nur konfuse Gerüchte, die mich
bis jetzt daran verhinderten Ihnen eine junge Newfoundländer Hündin
zuzuschicken, welche Ihrer berühmten Hundezüchterei grosse Yortheile
verspiechen dürfte. Dass ich Sie in London in „Volkers^ Amt ftmgiren
weiss, freut mich um der Leute willen, die Urnen zuhören, und ich wünschte
nur, da^ Bayreuth eine ähnliche Anziehungskraft für Sie hätte. Kämen
Sie bald einmal zu uns, so hätten Sie zwar kein grosses Publikum, aber
auch all das Scheussliche würde Ihnen fem bleiben, was ein solches im
Schlamme mit sich ftlhrt. Ich höre wirklich, dass man Ihnen allerlei
ünsinnigkeiten und ünfläthereien andichtet; hoffentlich lassen Sie sich
nicht dadurch berühren: was wollen Sie von Leuten erwarten, welche,
selbst wenn es ihnen Nutzen brächte, nicht ehrlich sein können ? Nehmen
Sie sich ein Beispiel an mir, und verzagen Sie nicht: während Jene
Schmutz aufhäufen, haben wir etwas besseres zu thun als ihnen
zuzusehn. Das ist — sehr wohl erwogen — nicht der mindesten Beachtung
werth. Wer seine Kunst versteht, wie Sie, — wer seinen Freunden ist,
was Sie ihnen sind, hat nach Nichts zu fragen. Aber, immer müssen Sie
gute Laune haben, namentlich wenn Sie zur Geige greifen — sonst! —
Herzlich freut mich die Anmeldung Ihres baldigen Besuches: fthren
Sie ihn aus!
Von Herzen Ihr
stets ergebener
Bayreuth Richard Wagner.
22. Dez. 1877.
286
Julins Eniese«
Immanuel Kant ruft aus: .Pflicht I da er-
habener grosser Name, der du nichts Beliebtes,
was Einschmeichelang bei sich führt, in dir
fassest, sondern ünterwerfang rerlangst, doch
auch nichts drohest, was natOrliche Abneii^oog
im Oemdte erregte and schreckte, am den Will^fn
za bewege, sondern bloss ein Gesets anfstellst,
welches ?on selbst im Oemflte Eingang findet,
nnd doch sich selbst wider Willen Yerehning
(wenngleich nicht immer Befolgung) erwirbt»
Yor dem alle Keigangen yerstammen, wenn sie
gleich insgeheim ihm entgegenwirken, welches
ist der deiner wflrdige ürsprang?*
L
Ein eohter Mann, ein treuer Mann, in welchem Pflicht nnd freie Neignng
zu Einem sich verbcmden, ein wahrer Bayrenther, ist von uns geschieden.
Viel ist damit gesagt!
Lftngst sind die Zeiten vergangen, wo es galt, die Werke des Meisters
za verbreiten und zu vertreten, wo Franz Liszt mit einer kleinen Schar
begabter und herzhafter Jünger, unter Verleugnung jedes persönlichen,
Interesses, angefeindet von Allem, was in Macht und Ansehen stand, diese
Aufgabe erfällte.
Auch die Zeit ist vorüber, wo König Ludwig 11. dem Meister ein
sorgenloses Leben schuf und Tristan und Isolde eine Aufiuhrung zusicherte,
welche ihm auf allen Bühnen Deutschlands damals versagt war.
Ueberall werden jetzt die Werke des Meisters gegeben und es gibt
wohl kaum einen Künstler, der sie nicht mit Vorliebe dirigierte oder vor-
trüge, keinen Intendanten, der sie nicht unter Andrang der Zuschauer gern
auffahrte.
Bayreuther Künstler aber zu sein, und zwar in der vollen Bedeutung
des Wortes, das gut es jetzt. Dies heisst, einer Sache dienen, lediglich
um ihretwillen, Opfer bringen, Mut bewähren, Gesinnung betätigen.
Julius Kniese war ein solcher Künstler, und indem wir ihn als Beispiel
hinstellen, widmen wir die Betrachtung seiner Bedeutung und die Unter-
suchung dessen, worin Wesen und Wirken des Bayreuther Mannes besteht,
der treuen Bayreuther Gemeinde, Künstlern wie Laien, welche mit uns um
den Dahingeschiedenen trauern.
Jeder wird bei unseren künftigen Festspielen seiner gedenken. Das
Bild seiner Persönlichkeit hat sich in seiner Originalität Jedem eingeprägt
287
Sein wachBames Ange, sein geschäftiger Gang, der korz angebundene Ton
seiner Bede, sein stäts bereites Eingreifen — Jedem, der diese Aensserungen
seiner Tatkraft erlebte, bleiben sie onvergesslicb.
Seine Ausdauer war sprichwörtlich geworden, wie denn der Witz
„Perpetuum probile** humoristisch das Staunen über diesen Eifer ausdrückte.
Alles bedachte und bemerkte er, jedem Schaden oder Mangel half er sofort,
immer vorbereitet, ab, auf alle Zufälligkeiten des Bühnenlebens immer ge-
£as8t. Noch in den Zwischenakten sah man ihn eiligen Schrittes mit S&ngem,
deren er nicht ganz sicher war, und die er als Beserve vorbereitete, sich
in die Stadt begeben, um mit ihnen zu arbeiten, dann hinauf und im Fest-
spielhaus die Bühnenleitung wieder übernehmen, stäts der Erste und der
Letzte auf dem Posten. Die Yerteflung der Tätigkeit unter die musikalische
Assistenz, diese schwierigste Au%abe, löste er täglich auf das genaueste
in der Festspielzeit, wie er das ganze Jahr hindurch diese organisatorische
BeflQiigung bewährte, indem er fast in jeder Stadt Deutschlands, welche
ein Theater besitzt, Beziehungen unterhielt, durch welche er von Allem
unterrichtet wurde, was für Bayreuth in Betracht kommen konnte. E!r war
förmlich, durch alle Betriebsamkeit seines Fleisses hindurch, auf der Lauer
nach jungen Talenten, immer wunschbeseelt gespannt darauf gerichtet,
Bayreuth eine neue Kraft oder auch nur ein verwendbares Mitglied zu-
zufUiren; freilich öfters vergeblich. Doch, wenn auch hierüber wehmütig
gestimmt, verzweifelte er nie, und bewies hiermit, welch' eine Tugend wir
in der Ho&iung zu verehren haben.
Wenn Buffon sagt: „le gAnie o'est la patience^, so darf man von Ejiiese
sagen, dass er das G^nie der Geduld hatte, was bei seinem leidenschaft-
lichen Temperament besonders auffallen muss. Wo er auch nur die ge-
ringste Möglichkeit einer Leistung erblickte, setzte er an und ertrug mit
nie versagender Langmut alles, was Unbegabung oder Trägheit seinem
Bestreben entgegenstellte. Durch diese Tugenden der Hoffnung und der
Q^uld erwies er sich als Förderer der Sache Bayreuth's, indem es dafHr
bei weitem mehr darauf ankommt, das Gute zu erblicken, um es zu stärken,
und sich dabei vor Täuschung und vergeblicher Arbeit nicht zu scheuen,
als kritisch zu verfahren und sich von vorneherein von den so leicht zu er-
kennenden Mängeln abstossen zu lassen, üeber fertige Leistungen war sein
urteil dagegen von unerbittlicher Strenge.
Zu dem Genie der Geduld gehörten dann auch die sich selbst auf-
eriegten Nebenarbeiten, von welchen ihm keine zu gering und keine zu
schwierig erschien. In frühester oder spätester Stunde konnte man zu
Zeiten ihn umringt von den bereits öfters durchgenommenen Stimmen sehen,
indem er auf die Bemerkung, wesshalb er sich denn einer solchen Mühe
abermals unterzöge, erwiderte : „Man kann nie wissen, ob nicht ein Fehler,
trotz vieler Korrekturen, durchgeschlüpft ist.^ Als es sich um die Abschrift
der vor kurzem in Druck erschienenen Fantasie in Fis-moU handelte, wurde
288
er tun die Empfehlung eines isaverlässigen Kopisten ersnöht. Er bat um
die Erlaubnis, das Stück anzusehen, um es kennen zu lernen; tags darauf
— obgleich er um diese Zeit mit Proben aller Axt überhäuft war -^ brachte
er die Abschrift, yon seiner Hand gemacht
Niemals wäre auch nur ein Teil von dem, was er leistete, von ihm
erwartet oder gar verlangt worden. Alles geschah von ihm aus, eigenwillig,
angetragen, und so gehörte er zu den Freien, die sich selbst ihr Gtobot
stellen, und diesem dann unveirbrüchlich gehorchen. Sein empfindliches
EhrgeftLhl hätte es nicht gelitten, dass man ihm mit einem Anliegen oder
auch nur mit einer Anfrage zuvor kam.
Seine Sorgfalt kam der Geschwindigkeit seines Eingreifens gleich. Er
verband beim Studium Leidenschaft und Langmut. Wer ihn in stäter,
manigfaltigster Tätigkeit beobachtete, musste sich sagen, dass einzig die
Begeisterung ftlr das Höchste in der Kunst diese staunenerregende Willens-
kraft und Energie in stäter Spannung erhalten konnte. Daher stellten wir
seine BasÜosigkeit unserer Betrachtung voran. Li ihr offenbarte sich das
heilige Feuer, welches Kniese durchdrang, seiner Persönlichkeit einen un-
vergleichlichen Wert gab, und den Leistungen der Einzelnen, die bei ihm
studierten, sowie namentlich auch des Chores, ihre hinreissende Wirkung
verlieh.
unter, den unzähligen Beispielen heben wir eines hervor.
Ln Jahre 1894 sollte Lohengrin in Bayreuth nach den Angaben des
Meisters neu insceniert werden. Der Taumel des Jubels am Schluss des
I. Aiktes, wie es die dramatische Handlung erheischt und wie die Jäegie
ihn forderte, machte grosse Schwierigkeit, unter anderen Bewegungen
hatte eine Gruppe von Frauen sich von einer kleinen Anhöhe herab zu
stürzen um mit dem übrigen Chor Lohengrin und Elsa zu umringen. Un-
zufrieden mit der Ausfuhrung, rannte Kniese zu den Sängerinnen und rief
ihnen zu: „Feuriger, meine Damen, feuriger, das ist matt, matt, matt!^
Endlich stellte er sich selbst an die Spitze und führte sie mit dem Übrigen
Teil des Chores leidenschaftlich an, ausrufend: „Das ist zu schön, vorwärts,
vorwärts!^ Gewiss ist Allen, welche der Aufi^hrung beiwohnten, dieser
Aiktschluss in seiner zündenden Wirkung unvergesslich geblieben.
Dieser Wirkung müsste man die der Begrüssung Hans Sachs' seitens
des Volkes vor und nach der Anrede im IQ. Akt der Meistersinger zur
Seite steUen und so manches andere. Allein es will uns überflüssig dünken,
die Leistungen der Chöre unter seiner Führung noch eingehender zu er-
wähnen, denn sie sind derart bewundert und als unvergleichlich gepriesen
worden, dass unser Wort gegenüber dem sicher fortlebenden Eindrucke
kalt und dürftig erschiene.
Was femer keiner Erörterung bedarf, da es in der Erinnerung eben-
falls fortdauert, das ist die hervorragende Bedeutung seines Studiums mit
^'^n einzelnen Sängern. Bereits im Jahre 1882 hörte man den damaligen
289
ersten Ghirnemaoz, Soaria, mit seiner laut klingenden Stimme bei den
Proben im Festspielhanse herrisch rofen: „Eniese, ich will Eniese!^
Aus der Inbrunst des Herzens, welche das heilige Feuer entzündete,
das ihn durchdrang, entsprang auch seine OpferwiUigkeit.
Jedem, der es erlebte, wird es in Erinnerung bleiben, wie nach dem
Tode seiner Mutter, f&r welche er stäts, auch in der engsten Beschränktheit
liebevoll gesorgt, und die er in seinem Hause beherbergte, er unmittelbar
nach ihrer Bestattung sich schleunigst an seine Arbeit begab.
unglaublich wird es klingen, wenn wir sagen, dass der IJeberbesch&ftigte
sich nie Ferien gestattete sondern sich nach den Sängern und ihrem Urlaub
richtete, und zia Weihnachten, Ostern und im Herbst in die verschiedenen
Städte sich begab, wo diese sich aufhielten, um mit ihnen in ihrer freien'
Zeit das Studium zu begehen. So gönnte er sich auch niemals während
der ganzen Festspielzeit einen Ausflug, wie an den Pausetagen mit Fug
und ßecht alle Mitwirkenden zur Erholung ihn genossen.
Das letzte Wort, welches er vor dem Lebewohl in Wahnfiied sprach,
war: »^^^ ^* kann diesen Sommer nicht kommen? Ich werde meine
Herbstferien bei ihr zubringen.'^ und da gab es kein Abmahnen, kein
Zurückhalten. Ja, sogar da, wo es nicht unmittelbar dem Dienst der Sache
galt und wo seine Beschäftigung, wie seine G^undheit ihm die Selbst-
aufopferung bis zum Aeussersten erschwerten, trieb es ihn unwiderstehlich,
sie zu vollbringen, wovon hier ein Beispiel für viele aufgefährt werden möge.
Gegen Ende März war ein Empfangsabend in Wahnined, an welchem
einige Künstler sich hören lassen sollten. Elniese war von Begensburg
mit einer heftigen Erkältung, die sich besonders auf die Augen geworfen
hatte, zurückgekehrt. Vergeblich wurde er beschworen, doch einem andern
die unwichtige Begleitung zu überlassen, da es sich nicht um Mitwirkende
bei den künftigen Festspielen handle. Allen zum Trotze stellte er sich
ein; zwischen jedem Qesangstücke musste der Arzt sein tränendes Auge
einträufeln, und erst .als das Programm zu Ende gebracht war, bat er mit
seiner schlichten Schicklichkeit, sich entfernen zu dürfen. Der ernst aus-
gedrückten Besorgnis um seine, in diesem Falle so leicht zu vermeidende
Anstrengung erwiderte er kurz: „Es gibt Schlimmeres.'^
Als er in Wahnfried vor seiner letzten Fahrt nach Dresden dringend
ersucht wurde, sich zu schonen, endlich seiner zu gedenken, war seine, im
trockenen Ton gesprochene, aus der tiefsten Innigkeit und Herzlichkeit
konmiende Antwort : „Jetzt kommt es darauf an, dass Sie sich erholen.^
Dieser kurz angebundene Ton seiner Bede hat Manchen verletzt, und
wurde ihm zuweilen als Barschheit, ja als Ausdruck der Anmaassung ge-
deutet; er war aber nur die Form des Eifers und der Eile im Dienst der
Sache ; Eniese war bescheiden. Er erschwerte es Einem, die Anerkennung
seiner Verdienste im Ganzen, wie der Leistungen im Einzelnen ihm auszu-
sprechen. Für ihn verstand sich das üebermaass der Hingebung von selbst.
240
Dies machte um schroff, und seine, mit einem heftigen Temperament ver-
bnndene Verschlossenheit stftmpelte sein Wesen ssn einen, im geselligen
Umgang schwierig zu nennenden Charakter. Dazu ^ar er misstranisch.
Man darf aber nicht vergessen, dass diese Eigenschaft seines Natorells,
welche ihm manche Yerkennnng zuzog, f&r sein Amt notwendig nnd ein
Erfordernis seiner verantwortlichen Wachsamkeit war. Bedenkt man, welche
Erfahrungen der Lässigkeit wie des Leichtsinns ihm zur Genüge auferlegt
waren, so wird man begreifen, dass der Argwohn fast zu seiner Pflicht-
erfOllung gehörte. Er forschte und forschte nach, erkundigte sich, prüfte
aufs neue, stftts auf Arges gefasst, nur den eigenen Augen trauend. Es
ist ihm dies wohl als Herabsetzung des Anderen und als üeberhebung seiner
selbst gedeutet worden, doch mit grossem unrecht; dieser Charakterzng
war eine Bedingung seiner Bestimmung, und wir wiederholen es mit Nach-
druck, Eniese war im Grunde des Herzens bescheiden. So hat er z. B.
niemals von seinen Kompositionen gesprochen, die hier erwfihnt werden
mögen, weil sie der Beachtung wert sind. (Sie bestehen aus einigen Heften
Lieder, einer symphonischen Dichtung „Fritjof' und zwei dramatischen
Versuchen „König Wittichis" und „Schneewittchen**.) Auch empfand er
eine rührende, fast kindliche Dankbarkeit ftlr die kleinste Aufmerksamkeit,
wie sie die verschiedenen Gelegenheiten des Jahreslaufes im vertraulichen
Umgänge von selbst mit sich bringen.
Bei den äussersten Forderungen, die er an sich stellte, ist es begreif-
lich, dass er von den Anderen viel erwartete; des öfteren enttäuscht, entlud
er ab und zu seine Bitterkeit in ironischen, kurzen Scherzworten, denn er
war mit dem schlagfertigen Musiker- Witz begabt, welcher leicht etwas
Malitiöses an sich hat (wie wir es u. a. in den Briefen Zelter's an Goethe
bemerken). Einem jungen Musiker, welcher ihm ein Heft Variationen zur
Beurteilung brachte, sagte er: es ist gut, so muss man's machen, wemi
man nicht Beethoven ist und nicht Brahms werden will. Fehlte ihm die
Zeit auch zum flüchtigsten Wort, so drückte sein Blick die kleine Malice
blitzartig aus. Der ihm, wie zu seinem Schutze verliehene Witz verhaU
ihm unter Gleichgesinnten zur ausgelassenen Heiterkeit, wenn der Abstand
zwischen dem Erstrebten und dem Erreichten ihm hier und da in seiner
ünermesslichkeit humoristisch aufging. Er war gerecht und hat öfters sein
strenges urteil zur Nachsicht gewendet, wenn er die Notwendigkeit davon
einsah. Niemals konnten ihn persönliche Erfahrungen dazu verleiten. Mit-
wirkende auszulassen oder hinzuzuziehen.
Vor längerer Zeit handelte es sich um die Beteiligung eines Künstlers,
mit dem er sich entzweit hatte. Sein bündiges Wort bei der Beratung
lautete: „Er war ungezogen gegen mich — er ist brauchbar — nehmen
Sie ihn."
Dass die Wahrhaftigkeit den Grund dieser rechtschaffenen Natur bilden
musste, dies bedarf nach dem Gesagten wohl kaum der Erwähnung. So
241
4.
klng nnd behutsam er sich in der Behandlung der Mensohen erwies, die
er zu einem bestimmten Ziele zu fuhren wünschte, so schonungslos auf-
richtig verfuhr er, wenn er die Yergeblichkeit des mühsamen Trachtens
erkannte. Er war unbedingt offenherzig gegen seine Freunde, wovon hier
ein kleines Beispiel fär viele genügen möge. Einer von ihnen hatte ihm
eine Komposition von sich zur Aufführung zugesandt. Er erwiderte darauf:
„Die Komposition, die Du mir schicktest, kann ich leider nicht ver-
wenden. Erstens taugt sie nicht viel und zweitens habe ich keinen Platz
dazu, ich itLhre nur grosse Sachen auf. Ich schicke sie Dir nächstens
wieder zurück.^
Seine Zuverlässigkeit war daher von Allen erprobt. Verbunden mit
Verschwiegenheit und einer peinlichsten Pünktlichkeit wurde sie von den
Teilhabern und Mitwirkenden an dem schwierigen Bayreuther Unternehmen
wohltätig empfunden und geachtet.
Jeden Brief, den er erhielt, beantwortete er unmittelbar; er &sste seine
klare Antwort auf einem, mit sauberem Band versehenen Bogen, in einem
musterhaft einfachen Styl, mit schöner, lateinischer, selbst in der Hast
st&ts gleiohmässigen Handschrift, unter strikter Beobachtung der höflichsten
Form. Aus diesen Briefen konnte man Kniese's überlegene Bildung, welche
er sich inmitten der Not und Bedrängnis aneignete, deutlich erkennen.
Diese Bildung war derart gefügt und gefestigt, dass sie ihn vor jeder Ver-
irrung nach den ephemeren Erscheinungen hin schützte. Es genügte, in
seine ein&che Behausung zu treten, um den Geist, der darin herrschte zu
erkennen. An den Wänden seiner Arbeitsstube und seines Wohnraumes
hingen Bilder von Hans Thoma (welche dieser dem Freunde in der Frank-
furter, für Beide prüfiings vollen Zeit verehrte), die Abbildung der heiligen
Cäcilie von Baphael, das Porträt Dürers und Holzschuher's. Auf Posta-
menten standen die Büsten von Schopenhauer (den er gründlich studiert
hatte), von Bach, Franz Liszt und dem Meister. In seiner Bibliothek er-
blickt man die deutschen Klassiker, welche er genau kannte. Zu diesen
rechnete er die gesammelten Schriften des Meisters, welche er so gut wie
auswendig wusste. (Seine Lektüre des vergangenen Winters bestand aus
den von Biedermann herausgegebenen Gesprächen Goethe's.) —
Der musikalische Teil dieser Bibliothek enthielt, nebst den bedeutenden
Werken anderer Meister aller Zeiten, die grosse Bach-Ausgabe, welche ihm
der Bühl'sche Gesangverein in dankbarer Anerkennung seiner Leistungen in
Frankfurt verehrte. Man darf sagen, dass er sich beständig mit Bach
be&töste, und dass er von dessen Geist, wie wenige, durchdrungen war.
Gewissenhaft bis zum Pedantismus, lehnte er die Versuche, Bach neu
zu instrumentieren, als anstössig, ja ihm zuwider ab ; wie überhaupt jede
Wi^lkürlichkeit und subjektive Auffassung in der Wiedergabe der klassischen
Musik. Er war darin unerbittlich. Kam man darauf zu sprechen, so zuckte
er mit den Achseln und schwieg, indem er es nicht Air der Mühe wert
a42
hielt, willkürliclies YerfBdiren eingehend zu erwägen« S^e Schroffheit in
der Behandlang dieser Dinge äusserte sich einst in einer Antwort, welche
er bei einer Probe von Parsifed Hermann Levi gab. Als dieser mit firennd-
licher Sücksicht ihn nm sein Tempo der Chöre bat, er wolle sich ihm
fügen, erwiderte Eniese : „Nicht mein Tempo, nicht Ihr Tempo, das Tempo ! ^
Die geistige Begion, welche er ans eigenem Trieb aQ%esncht hatte,
konnte er nicht verlassen. Nie ist an ihn die Yersuchong herangetreten,
auch nur fbr Augenblicke, zu Gunsten noch so glänzender Erscheinungen,
ihr untreu zu werden.
Zu dieser Begion gehörten die Bayreuther Blätter, welche er mit
Aufmerksamkeit las, und bedeutsam ist es wohl, dass die letasten Worte,
die er sprach, ihnen galten. Er frug einen der Freunde, welche bei ihm
in dem entscheidenden Augenblicke weilten, ob die Dresdener Bibliothek
die Bayreuther Blätter hielte. „Bis zum Jahre 1894^^ hiess es. „Sorgen
Sie dafür, dass die fehlenden Jahrgänge angescha£% werden.'^ So verschied
er in lebendigem Wirken fär Bayreuth. Und es konnte nicht anders sein.
Zu jeder Stunde konnte er abberufen werden, er wäre im Dienste der Sache
getroffen worden; sein Wesen war aus einem Gusse, sein Leben bestand
aus einer geraden Innie.
Zu diesem Wesen und zu dieser Linie gehörte sein Verhältnis zu
Siegfried Wagner. Er wusste es, dass die Liebe und die Verehrung för
den Meister die Teilnahme ftr dessen Sohn in sich schloss, dem das Erbe
von Bayreuth zufiel. Mit scharfer Aufmerksamkeit verfolgte er Schritt für
Schritt die Laufbahn des jungen Künstlers (dem er gründlichen Unterricht
im Kontrapunkt gegeben) als Dirigent, Liszenierer und Komponist und
nahm freudigen Anteil daran; nachdem Siegfried Wagner als musikalischer
Assistent einige Jahre tätig gewesen, schrieb Kniese Dezember 1893 einen
Brief, worin er mitteilte, er habe einen Weihnachtswunsch, den, dass Siegfried
den Lohengrin im nächsten Jahre dirigieren möge. Er wisse, Siegfried
würde es vorzüglich leisten. Gerührt und erfreut, erbat sich der junge
Künstler diese Auszeichnung für eine spätere Zeit und verblieb bei der
Assistenz.
Mit warmem Interesse wohnte Kniese den Au£führungen der Opern
seines Freundes bei; der sonst Wortkarge und Zurückhaltende wurde bei
diesen Gelegenheiten weich und mitteilsam, und wie er einst bei einer
Kindervorstcdlung des Lohengrin in Wahnfried sich antrug, die Musik dazu
zu übernehmen, bot er sich f&r das Gleiche bei Gelegenheit eines Puppen-
spiels des „Bärenhäuter^ an. Auf die Bitte, sich doch damit nicht zu be-
mühen, erwiderte er: „Das Werk, Musik und Dichtung, gefällt mir, ioh
spiele es zu meinem Vergnügen.^
ungetrübt verband die edelste Beziehung den erfahrenen und den
jugendlichen Kunstgenossen. Das gegenseitige Vertrauen und die gemein-
same Tätigkeit führte sie oft in heiterer, ja übermütiger Laune, wie sie
a48
dem enthnsiastisohen, selbstvergessenen Dienst einer grossen Sache einzig
entspringt, anf der Bajn^euther Bühne im lodernden Feuer der Tätigkeit
zusammen. Der Scherz war dann der freundliche, flüchtige Ausdruck des
tiefsten Ernstes und Einverständnisses.
Als Siegfried Wagner, zwei Jahre, nachdem er den fliegenden Holländer
inszeniert hatte, die gleiche Aufgabe für den Tannhäuser zu lösen erhielt,
sagte ihm Kniese, wie er dessen Anforderungen an den Chor vernommen:
„Du machst, ee einem schwer, aber — es wird gemacht.^
Man erinnert sich gewiss des gewaltigen Eindruckes, den unter anderem
der Schluss des zweiten Aktes (das Eindringen der gesamten Ritterschaft
auf Tannhäuser) auf Alle hervorbrachte.
Zu stark beschäftigt, um öfter den Orchesterproben beizuwohnen, machte
es Ejüese fast immer möglich, wenn Siegfried am Pulte stand, anwesend
zu sein. Da schlug seia Herz. Das war der Sohn seines Meisters, das
Bayreuther Kind. Hier, wie stäts und überall bekundete er sich als echt
und treu.
IL
Julius Eniese wurde am 21. Dezember 1848 zu Boda in Thüringen
geboren. Er war der älteste Sohn eines Schneiders, und mütterlicherseits
der Enkel eines Seidenwebers namens Schubert.
Bereits mit 6 Jahren zeichnete er kleine Muster, welche in der Seiden-
manufaktur verwendet wurden. Inmitten der grössten Ein£EU)hheit, ja der
Dürftigkeit ist er erwachsen, und er erzählte es öfters, wie er mit 7 anderen
am Familientische bei der Beleuchtung eines einzigen Talglichtes gesessen
und gearbeitet hätte. Er gehörte unbedingt zum Volk und sein Naturell
konnte nur verstanden werden, wenn man dies wusste und beachtete.
Darin lag auch seine Kraft und seine Eigenart. Seine musikalische Be-
gabung trat bald hervor; unterstützt von seinem Onkel Schubert, welcher
Yolksschullehrer und besonders musikalisch beanlagt war, spielte er schon
zu Weihnachten 1853 mit diesem eine vierhändige Sonate seinen Eltern
und Grosseltem vor.
Boda besass eine gute Volksschule, welche er von seinem 6. Jahre
an besuchte und worin er sich durch seinen Fleiss so auszeichnete, dass
er des öfteren Prämien nach Hause brachte. Seinen Onkel Schubert verlor
er früh; der Kantor und Chorrektor nahmen sich seiner musikalischen
Ausbildung an; sie entdeckten bei ihm eine gute Stimme und er wurde
mit 9 Jahren ChorAlhrer in der Currende, wobei er in den Strassen und
Höfen der kleinen Stadt die frommen Weisen der Choräle als Solist sang.
Mit 11 Jahren übernahm er die Sopranpartie in der Schöpfung von
Haydn, die damals in Boda aufgeführt wurde, und erregte die öffentUche
Aufmerksamkeit durch seine musikalische Sicherheit.
244
Mit 14c Jahren verlor er seinen Vater und war durch die Armut der
Familie genötigt, mit E^lavierstunden seine Mutter und seinen jüngeren
Bruder zu erhalten. Bis zu seinem 17. Jahre blieb er in Boda, wo er
unentgeltlich den Unterricht erhielt, der es ihm ermöglichte, in Altenburg
das Examen zum Eintritt in das Lehrerseminar zu bestehen. Zu gleicher
Zeit betrieb er bei dem Kantor seine musikalischen Studien weiter ,
vertrat den Lehrer öfter auf der Orgel und wurde in seinem 17. Jahre in
seiner Vaterstadt einstimmig zum Dirigenten eines Männergesangvereins
ernannt.
Drei Jahre verblieb er im Lehrerseminar zu Altenburg. Was den
Aufenthalt dort für ihn belebte, war die gründliche musikalische Ausbildung,
welche er durch Hofkapellmeister Stade erhielt, und am Schluss der Zeit-
frist beschloss er, Musiker zu werden.
Völlig mittellos, doch voller Enthusiasmus und Hoffnung begab er
sich im Januar 1866 mit einem Empfehlungsbrief von Dr. Stade nach
Leipzig zu Professor Biedel, um sich unter dessen sicherer Führung ganz
der. Musik zu widmen.
Biedel gewann solche Teilnahme für die auffallende Begabung des
jungen Musikers, dass er ihm abriet, das Leipziger Conservatorium zu be-
suchen und ihn mit Franz Brendel sorgfältig liebevoll allein ausbildete. Die
Verdienste der beiden genannten Gönner um die neuere deutsche Kunst sind
so bekannt, dass wir sie hier nicht besonders hervorheben. Die Namen
genügen, um uns wissen zu lassen, nach welcher Bichtung hin sie die
Begabung des Zöglings förderten. Biedel verschaffbe diesem auch Stunden
und Freitische ; bald konnte sich der Jüngling einen bescheidenen Unter-
halt verdienen. Er liess Mutter und Bruder zu sich kommen, um für sie
weiter zu sorgen und erlangte für letzteren den Eintritt in eine Bealschule,
später dann in ein kaufmännisches Geschäft.
In den vier Jahren seines Aufenthaltes in Leipzig war es, dass er Liszt
in "Weimar, durch Eiedel eingeführt, besuchte. (Vermutlich im ersten
Vierteljahr 1869.) Diese Begegnung war für sein Leben entscheidend. Er
hatte ein Trio seiner Komposition dem grossen Künstler zur Durchsicht bei der
Morgenaufwartung gebracht ; Liszt warf einen Blick auf das Manuskript und
sagte ihm : „Kommen Sie nachmittags wieder". Als er in der späterenStunde
in die Hofgärtnerei eintrat, kam ihm Liszt freundlich heiter entgegen, zeigte
auf den anwesenden berühmten Violincellisten Oossmann und den damaligen
Konzertmeister der Weimarer Hofkapelle (Kömpel?) mit den Worten: „Wir
wollen ihnen ihr immenses Trio spielen." Die Grossherzigkeit der Hand-
lung, der hinreissende Vortrag, das unwiderstehliche Wesen Franz Liszts
wirkten auf ihn wie eine Offenbarung. Er stammelte Worte des Dankes,
denen Liszt ungefähr entgegnete: Wie sollen Sie wissen, was an Ihrem
Opus gut oder fehlerhaft ist, wenn man es Ihnen nicht ordentlich vorführt?
Er lernte da Genie und Menschenliebe verbunden kennen.
845
Auf die Empfehlimg Biedds wurde Kniete im Januar 1871 als Dirigent
der Singakademie naoh Glogan berufen, und genoss dort bald doroh seine
Leistungen ein grosses Ansehen. Obgleich die Gesellschafti welche unter
seiner Führung stand, nur über geringe Mittel verfügte, machte er es mög-
lich, durch Einwirken auf Freunde und Gönner Aufführungen in grossem Style
zu Stande zu bringen, worunter die Missa solemnis und die DL Symphonie
von Beethoven ein solches Aufsehen bei dem auch von fernster Umgegend
herbeigeströmten Publikum erregten, dass Ologau, damals ein Städtchen von
nur 28000 Einwohnern, als bedeutender musikalischer Mittelpunkt des
Kreises galt. EEier lernte er die Tochter des Bittergutsbesiteers Mathis
kennen, mit welcher er sich im Jahre 1877 verlobte, um sie als seine Gattin
zwei Jahre darauf nach Frankfiirt heimzuführen. In ihr fand er die treue,
kunstbegeisterte, edle Genossin, welche sein Wesen und Streben ver^
ständnisvoll unterstützte und aus ihrer hingebenden Teilnahme an seinen
Idealen sogar in der Liebe die Kraft erlangte, ihre Sorge zu ^unterdrücken,
um die ihn einzig beglückende Ausübung seines Berufes nicht trübend
zu stören.
Der Name, den er sich in Glogau erworben hatte, verschafile ihm den
Suf als Dirigent des ßühl'schen Gesangvereins in Frankfiirt a. M. 72 Musiker,
worunter auch Max Bruch und Johannes Brahms, hatten sich um diese
Stelle beworben. Kniese aber wurde einstimmig gewählt.
Dort standen il^rn nun reiche Mittel zur Verfügung, und es war ihm
möglich, die grossen Werke der Kirchenmusik unter Mitwirkung bedeutender
Solisten in vollendeter Weise zur Aufiührung zu bringen. Eine besondere
Genugtuung seines damaligen ktlnstlerischen Daseins gewährte ihm die
Teilnahme, welche die, durch Stimmittel wie durch Vortrag unvergleich-
liche Marie Wild il^rn bewies. Sie kam öfters für ihn nach Frankfurt, und
ihre Leistungen unterstützten und förderten ihn auf jede Weise. Vor
Allem widmete er seinen Chor der Pflege Bach's, in den er sich vertieft
hatte und dessen H-moll Messe, Passionen, verschiedene Kantaten er wieder-
holt unter unauslöschlichem Eindruck vorftihrte. Beifolgende Zeilen Franz
Liszts mögen hier eingeschaltet werden:
Sehr geehrter lieber Freund!
Beste Glückwünsche zu Ihrer Aufiührung der H-moll Messe Bach!
und verbindlichsten Dank ftir Ihre Mitarbeiterschaft bei den Korrekturen
des Oratoriums „Stanislaus^. Nächsten Januar werden Ihnen davon einige
Bogen zugesandt.
ergebenst
24. Nov. 83. F. Liszt
Auch die Kompositionen Liszts selber brachte er in dieser damals der
„Zukunftsmusik^ feindseligsten Stadt zu Gehör, und zwar bereits im ersten
Jahre seiner Anstellung den 13. Psalm.
18
Im Jalire 1879 erfflllte sich ihm ein HenenswmiBch. Er stadierte den
^CbaiBtaB*^ von Franz laazt ein und dieser wohnte der Gheneralprobe nnd
der AnffOhrong seines Werkes heL
Seit dear ersten Begegnung in Weimar war der Verkehr zwischen Liszt
imd Eniese ein wachsend lebendiger geworden. Gteme erzählte er heiter,
dasi, wie er einmal Liszt mehre Lieder seiner Komposition brachte, dieser
ihm sagte: „Es ist sehr gat nnd brav, aber schreiben Sie dedei nicht za
vidl'^. Als Kniese 1882 zum ersten Mal als Chorführer in Bayreath
mitwirkte, kam er öfters nach Wahniried (wo er den Töchtern des Haoaes
OesangsQnterricht erteilte). Nach der Stande begab er sich regelmassig
▼on den oberen Bftmnen in das untere Geschoss zn seinen Gtönner mnd
Freond, wobei der durch die Halle des Hauses hell erschallende Ausruf
Idszts: „he Kniese!^ die Freude an diesem Besuch laut verktkndete. Be-
wunderung tmd Verehrung seitens des jungen Musikers, warme Teilnahme
und höchste Schätzung des Talentes, wie des Charakters seitens des grossen
Künstlers. Diese Gbfthle beseelten die Beziehung, und rückhalüoe ein-
gehend teilte sich Franz Liszt über seine Kompositionen dem enthusiastischen
Anhänger mit. Ein Ergebnis seltener Art konnte da nicht ausbleiben.
Liszt selbst hat es des öfteren und laut ausgesprochen, dass die Aufführung
seines Christus unt^ Kniese die beste gewesen sei, weldier er beiwohnta
Alles bot der feurige Dirigent auf, um Liszt den Aufenthalt angenehm
zu gestalten; als er den verehrten Gast in seiner erst seit 6 Wochen be-
gründeten Hfluslichkeit begrüsste, ergab sich ein artiger Yorfiedl: es wurde
ein Standchen durch Männerchöre gebracht Erstaunt und mit sichtlichem
Wohlgefallen daran frug der Gefeierte, von wem denn diese Chöre seien?
„Von Liszt^ erwiderte Kniese. Seinen ganzen Ehrgeiz hat er daran gesetzt,
dass nicht nur die Auffilhrung, sondern auch die Aufnahme des Werkes
eine würdige wurde, und wer sich die damalige Zeit und insbesondere die
S timmung gegen Liszt's Kompositionen in das Gedächtnis ruft, wird lacht
erraten, welchen Widerwärtigkeiten er da begegnete. Seine kräftige ISatm
war am Schlüsse der herrlich gelösten grossen Aufgabe erschöpft, er war
genötigt, auf einige Zeit sich in eine Wasserheilanstalt zu begeben. Aus
Weimar schrieb ihm Liszt am 16. Juni 1879 :
Hochgeehrter Freund!
Sehr bedauerte ich, Sie in Wiesbaden nicht wiederzusehen. Fast be-
ftlrchte ich, dass die vielen Anstrengungen der vortrefflichen Christns-
AuÖührung in Frankfurt Ihr Unwohlsein verschlimmerten.
Hoffentlich sind Sie jetzt ganz tüchtig hergestellt.
Ihre Ouvertüre zu „König Wittichis" ward in Wiesbaden beMedigend
au%efiQirt und brachte mir ernst edlen Genuss. Vielleicht passte der Titel
Einleitung besser als Ouvertüre Air diese schönen Trauer- and
Liebeskl&nge.
U1
FreundschafUiohsten Grass an Ihre Frau and stets mit aosgezeiohnetor
Hochachtang
dankend ergebenst
d. 16. Juni 79. P. Liszt
Weimar.
Bald erholt, trat er seine Tätigkeit wieder an. Aber die Schwierig-
keiten, welche er seitens seines Vorstandes zu ertragen hatte, statt durch
seine Leistungen sich zu mindern, mehrten sich . bis zur IJnleidlichkeit.
Sein Wissen und Können, seine Arbeitskraft wurden allgemein anerkannt,
aber was er vertrat, traf damals auf völligen Unverstand; unterstützt und
ermutigt war er nur durch einige für die Kunst begeisterte Freunde, zu
denen nebst Hans Thoma Max Oross, der jetzige verdiente Verwalter der
Stipendien-Stiftung, Eduard Küchler, der rege Teilnehmer an der jüngsten
Bewegung zu Ghmsten dieser Stiftung, und Dr. Eiser, dessen energisches
Eintreten fiir die Kunst des Meisters rühmlichst bekannt ist, gehörten.
Durch die unaufhörlichen Hindemisse verstimmt und geärgert, verlor er
die Freude an seiner Stellung und nahm im April 1884: die ihm an-
gebotene Stelle des städtischen Musikdirektors und TheaterkapeUmeisters
in Aachen an.
Er hatte dort im Winter 6 Konzerte, 2 Chor- und 4 Orchester -Auf-
führungen zu dirigieren. Auch hier fand er einen Vorstand, welcher über
die Programme zu entscheiden hatte und ihm viele Schwierigkeiten bereitete.
Sein Wunsch, Bach dort einzuführen und aus dessen Kompositionen einen
Bestandteil der Programme zu machen, stiess auf heftige Opposition, nicht
minder sein Wille, der neueren Kunst eine Stätte zu schaffen. Doch gelang
es seiner Energie, mehre Werke des grossen Meisters au£zuführen und einen
grossen Teil des Publikums dafür zu gewinnen. Auch einen Lisztabend
brachte er zu Stande und zwar für sein Benefizkonz^. Das Programm
war folgendes:
Ankunft der Elisabeth auf der Wartburg
aus: „die heil. Elisabeth.^
137. Psalm „an den Wassern zu Babel.^
Symphon. Dichtung „Orpheus."
Lieder mit Klavierbegleitung.
Faustsymphonie.
Franz Liszt besuchte ihn bei dieser Gelegenheit wieder. Es war das
letzte Mal, am 14. Juni 1886, dass sie sich sahen. Folgende Zeilen drückte
ihm Liszt bei der Abreise in die Hand, indem er sagte: „Ich wiederholte
schriftlich, was ich Ihnen mündlich ausdrückte, vielleicht kann es Ihnen
nützen.'^
Verehrter Freund!
Erlauben Sie mir, Ihnen den Lorbeerkranz, der mir gestern in so
liebenswürdiger Weise dargeboten wurde, zu übertragen. Er mOge bei
18*
248
Ihnen verbleiben, als Zeichen meines Dankes fflr Ihre yoUkomniene
Leitung und der yortrefflichen Aosf öhrong des gestrigen Lisztkonzert
dankend ergebenst
d. 15. Juni 85. F. Liszt
Aachen.
Im Theater führte er, den Kräften entsprechend, sorgsam einstndierte
kleinere Opern auf, wie die weisse Dame, Waffenschmidt, Czar und Zimmer-
mann etc. Allein er erlebte wenig Freude an dieser Tätigkeit und aach
die des Konzertdirigenten wurde ihm durch die Einsprüche gegen seine
Bestimmungen verbittert.
In einem Brief an Prof. Biedel schilderte er eingehend das engherzige
Misswollen, dem er ausgesetzt war und das ihn boshafl und tückisch be-
kriegte. Auch wähnte er sich als Protestant nicht gerne gelitten und so
überraschte es ihn nicht, als ihm nach 3 Jahren der Vertrag nicht erneuert
wurde.
Er siedelte nach Breslau über und zwar ohne Anstellung und brachte
dort zwei Jahre in beschränkter Existenz zu. TS/me solche Kraft konnte
unbenutzt bleiben und der Privattätigkeit überlassen werden. Vergebens
bemühte sich Liszt, ihm eine Anstellung, u. a. am Berliner Dom-Chor zu
verschaffen.
Da kam der Ruf nach Bayreuth! Wie er dieser Stätte von je an-
gehörte, möge hier ein Bückblick zur Anschauung bringen.
Am 6. Juni 1871 schrieb Kniese aus Glogau seinem Freunde, Konzert-
meister Schwendemann:
„Wagner bat in seiner letiten Broschflre seine Freunde and Gönner aufgefordert, sich
xa der bevorstehenden Auffabmng der Nibelungen bei ihm xu melden. Wenn nun auch
zunächst in erster Linie solche gemeint sind, die die Aufführung mit ihrem Qelde onter-
stotien können, sowie in sweiter Linie S&nger und S&ngerinnen, so meine ich doch, ist äai
intellectuelle Unterstützung, zu der ich mich allein anbieten kann, nicht ausgescUoisaa,
denn ausser Wagner und Eichter wird jedenfalls noch einer oder der andere Munker
Proben etc. halten müssen, oder sonstige musikalische Chicanen ausfuhren. Wie sehr ndi
allerdings die Theaterroutine abgeht, wie sehr sie mir im Gegenteil yerhasst ist, weisst Du
schon. Ich habe schliesslich weiter nichts, als guten Willen, einiges Talent und einige
üebung im sorgsamen, ja peniblen Einstudieren und das Bewusstsein Vieles noch lernen m
mflssen. Ich bin zwar sehr im Zweifel, ob Wagner, wenn ich ihm das Alles schreiben
wOrde — und ich mOsste so schreiben, um offen zu sein — die geringste Notiz Ton mir
nehmen würde; denn es gibt schliesslich Tausende tou meinem Schlage. Aber ich ftohle
einen so unwiderstehlichen Drang, es zu tun, dass ich schon oft die Feder angesetit
habe, freilich ohne zu einem Resultate zu kommen, da sich mir immer wieder das QefUhl
meiner sehr grossen Arroganz betreffii meiner Leistungen aufdrängte. Ich will erst Dich
fragen und bitten, mir darüber umgehend xu antworten, so dass ich yielleicht schon Boim-
tag Deinen Brief haben kann. — Dass Du dann, anno domini 1872 in Baireuth (?) mit
zugegen sein mflsstest, versteht sich von selbst. Und wenn dann die Hunde, die unserem
Wagner das Leben yerbittert haben, von einer ganz yorzflglichen Aufführung, zu der anch
wir beigetragen h&tten, auf die schauderbarste Weise geohrfeigt würden, war's nicht etna
Lust? Also schreib' mir recht bald und sei ein guter Schwendemann 1*
249
Am 21. Dez. 1871 schrieb er dem selben Freunde:
«Dann am 18. Oktober war mein 1. Orchesterconcert mit Stftgemann: 8 Sympb. Ton
Beetk nnd Kaisermarscb Ton Wagner, der allen, besonders meinem Orchester grossen 6e-
noss gemacht hat. Besetxnng: 12 erste, 12 zweite Geigen, 7 Bratschen, 5 Gellis, 4 B&sse,
sonst genan nach der Partitur. Ich habe viele Einzelproben gehabt, er ging aber auch yor-
tflglich, mit allen Finessen und wurde sehr applaudirt Ich war gani glflcküch. Am
25. Not. hatte ich Elias (Klauwell): Chöre Torzüglich, Orchester sehr bray, Solostimmen
massig. Soeben bereite ich Rubinstein's «Yerlomes Paradies* Tor, zum 15. Mftrs. Davon
ein ander Mal. Noch einmal Icomme ich auf den Kaisermarsch und wünschte, Wagner hfttte
die gl&nzenden Gesichter in meinem Orchester gesehen, das doch meist aus Militairmusikem
besteht. » Enthusiasmus bis auf den Beckenschläger, der freudestrahlend mich nach jedem
Einsätze ansah. Der Paulcer fohlte sich wie ein König im Kreise seiner 6 Pauken. Ich
hatte ihm, da er schlecht und nur langsam umstimmen kann, was bfiie^ vorkommt, fftr jeden
Ton eine Pauke hingestellt So trefflich wurde aber auch die Symphonie gespielt mit
Wagner'schen TempL . . .
Und nun zum Schluss qu&le ich Dich immer wieder : Weisst Du nicht einen Weg an
Wagner zn kommen? Wagner und immer Wagner I Vorige Woche habe ich in dnem
Damencaflide den Nibelungentext vorgelesen mit grossem Erfolg. Ich selbst besitze jetzt «Bhein-
gold, Walkflre und Siegfiied* Ciavierauszug, kann's bald auswendig. Kannst Du ihm nicht
schreiben, dass er rieh mit der Götterdämmerung etwas beeilen möchte? Also zu Wagner
wiU ich! Höfst Du, alter, guter Schwendemann? Ein Mitteil Ich mache Dich zu meinem
Leibgeiger, hftage Dir ein Yögelchen an etc. etc., wenn Du mir hilfst Vorerst erwartet
ndt weihnichtlichem Grass Deine nirrische Antwort auf meinen n&rrischen Brief
Dein
Kniese.*
Am 22. Mai 1872 wolmte er der Gnmdsteinlegimg in Bayreuth bei
und sang im Chor der IX. Symphonie unter des Meisters Leitung mit
Zu den ersten Festspielen im Jahre 1876 sollten je 100 Plätze in den drei
Zyklen für Musikverstftndige und Eunstjünger frei gehalten werden. Auf
die Bekanntmachung davon liefen zahlreiche Bewerbungen ein, welche am
22. Mai 1876 (an welchem Tage Delegierte von Patronen und Wagner-
Yereinen sich zu einer Sitzung vereinigt hatten) auf Wunsch des Meisters
zur Entscheidung einer Kommission überwiesen wurden; diese trat unter
dem Vorsitz eines Mitgliedes des Yerwaltungsrates zusammen und ihr
gehörten unter andehi auch Professor Biedel und Heinrich Porges an.
JDer einzige Kandidat unter den Bewerbern, dessen Gesuch auf Vor-
schlag von Professor Biedel (unter Hervorhebung seiner ausgezeichneten
Eigenschaften) einstimmig und sofort genehmigt wurde, war Julius Kniete ;
er erhielt, wie mit ihm nur wenige, freien Eintritt ftir sämtliche AuffiEihrungen
des Bing des Nibelungen.
Nach Frankfurt berufen, war es sein erstes Anliegen, allen Schwierig-
keiten sBum Trotz, einen "Wagner-Verein zu gründen. Einige Zeilen
von Bichard Pohl, — dem getreuen Mitarbeiter Franz Brendels, Anhüngw
Franz Liszt's und unter dessen Einwirkung unerschrockener Vertreter der
Kunst des Meisters von Bajrreuth — , mögen ein Bild von Kniete's Be-
deutung tOx Frankfurt uns geben.
250
»Seit lebn Jahren geht es entschieden Tonrftrts, bedeutend TOnrirts in der alten Bdchs-
Stadt —
Die Einladung des Vorstandes vom Roblscben Verein« der 25j&hrigen Jubelfeier als
Ehrengast beizuwohnen, war für mich ebenso überraschend als erfreulich; — Überraschend
wegen der sich hierin kundgebenden wohlwollenden Gesinnung gegen einen — ^ndersglftubigen»
wie ich annehmen su mOssen glaobte ; erfreulich wegen der Gelegenheit, die sie mir darbot,
Frankfurter Musiksust&nde an der Quelle zu studieren.
Wie aber kam denn Sani unter die Propheten des alten Bundes? — Hiller, Schletterer
und meine Wenigkeit als Ehrengäste an einer Tafel — noch nicht dagewesen und sicher
ergötzlich fflr nicht zu harmlose Zuschauer. Hat mir aber weder den musikalischen Oenuss,
noch den guten Appetit Tcrdorben — im GegenteiL Es lag etwas Erhebendes in dem Ge-
danken, wie herrlich weit die moderne ZiTilisation es gebracht hat: sie b&ndigt die wildestm
-* Kritiker und bededct die grellsten Gegensfttze in Glaubenssachen — mit Glacehandschuhen.
FUr mit den Verhältnissen Vertrautere war diese kUhne Kombination freilich kein Rätsel
Dirigent des ROhPschen Vereins ist seit mehr als einem Jahre unser terehrter Freond
Julius Kniese. — Dass man unter einigen 70 Bewerbern — worunter sehr bedeutende
Kamen — gerade ihn wählte, war schon ein Programm. Der Rfthl'sche Verein, der froher
in dem Rufe gestanden hatte, den musikalischen Stillstand zum Prinzip zu erheben, fthlte
oilenbar das Bedflrfbis, sich zu yerjflngem; und da hatte er in Kniese allerdings den rechten
Mann gefunden. Er yerbindet musikalische Kenntnisse und ftsthetisohen Oeichmaek mit
einem, bei so jungen Jahren durch seine Sidierheit, Ruhe und Entsehiedenbeit Ubsmwchendea
Dirigententalent; er ehrt die alten Meister, aber er schätzt trotzdem — oder richtig«r gesagt:
gerade deshalb — auch die neuen und neuesten. Dass der RflbPsche Verein den rii^Ugen
Blick gehabt hatte, unter allen Kandidaten gerade diesen heraus zu finden, sprach so ent-
schieden fftr seine musikalische Lebensfähigkeit, dass ich schon aus Neugierde der Einladung
gefolgt sein wflrde, wenn nicht wirkliche künstlerische Teilnahme und persönliche Sympathie
mich dahin gezogen hätten.
Der Rflhl'sche Gesangrerein leistet so Vorzügliches, dass er sich getrost mit in die erste
Reihe unter den gemischten Chören Deutschlands stellen darf. Alle Stimmen zeichnen akb
durch eine Präzision in den Einsätzen, durch eine Freiheit io den VortragsschattierungeB
aus, welche Ton dem Fleiss im Studium, wie der Umsicht und Ausdauor des Dirigenten du
rflhmliöhste Zeugnis geben. Die pianicrescendi und decrescendi kann ein sO starker Cher
fem 300 Stimmen schwerlich irgendwo gleichmässiger und feiner abstufen. Man hOrt et taa
Giore an, dass sein Dirigent, Kniese, in der RiedePschen Schule in Leipzig seine Studien
gemacht hat. —
Nach einem kurzen Profisorium in der Direktion, in welches sich die Direktoren Carl
Maller und Keller teilten, wurde Julius Kniese zum Dirigenten gewählt, welcher jetzt
ungefähr seit einem Jahre in Frankfurt wirkt und sich der Anerkennung erfireut, die er
Tordient, und die um so ehreuToller fflr ihn ist, je hoher der Verein seine früheren Dirigeateii
mit Recht zu schätzen wusste. — Kniese's umfessendes Wissen und Können schtktzte ihn
Ton Tomherein Tor Einseitigkeit; die Programme der Ton ihm bis jetzt geleiteten Aufffihrungen
beweisen das zur GenOge. Bach's Matthäus-Passion, HändePs «Acis und Galathea*, Liazi'a
13. Psalm (mit grossem Erfolg zum ersten Male in Frankfurt aufgeführt), BeethoTcn's Missa
solemnis, altitalienische, altniederländische und altdeutsche Gesänge — und auf der anderen
Seite der in Frankfhrt neu gegründete und rasch erblühende Wagner-Verein, weldier
schon 3 Aufillhrungen veranstaltet hat und nächstens ein grosses Orchesterkonzert bringen
wird, — das sind Leistungen, wodurch^schliesslich alle Parteien und Richtungen befriedigt
sein mflssen. Wir wflnschen Kniese Ton Herzen Glflck zu seinem erfolgreichen Wirken —
ihm und dem Verein, der eine so treffliche Wahl getroffen hat*
2S1
Im Jahre 1882 meldete er sich als Volontär und triEkt eine Tätigkeit
bei den Chören an, welche znerst bescheidener Art, immer bedeutende
nnd entschiedener wurde. Wenn nach solchen Verdiensten um die Sache
seine definitive Anstellung und üebersiedelung nach Bayreuth erst im
Jahre 1889 erfolgte, so lag dies an einem Vorgangs der zu wichtig fbr die
Erkenntuis von Eniese's Charaktet uns erschemt, als dass er hier über-
gangen werden dürfte.
Bei den Aufführungen von Parsifal im Jahre 1883 fand Kniese, dass
Hermann Levi der geeignete Mann nicht wäre, um die Führung der Sache
Bayreuth's zum Glück dieser Sache femer zu behaupten. Ja, sogar die
künstlerische Leistung unterwarf er einer strengen Kritik und vermeinte,
bedenkliche Willkürlichkeiten darin entdeckt zu haben. Er verhehlte seine
Sorge und sein Missftkllen nicht. Im Verein mit einigen bedeutenden und
treuen Anhängern der Sache Bayreuths fasste er den Plan, den ihm als
Leiter der Festspiele ungeeignet Dünkenden zu entfernen und womöglich
durch Hans v. Bülow, dessen Charakter und künstlerische Bedeutung er
unbeschränkt verehrte und bewunderte, zu ersetzen. Hermann Levi erhielt
Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Klagen; wie es nicht anders er-
folgen konnte, ward Kniese von der Teilnahme an den Festspielen filr
einige Jahre ausgeschieden. Diese harte Busse seines Versehens ertrug er
geduldig und fuhr fort, für Bayreuth im Stillen zu arbeiten, so u. A. mit
den beiden Sängern Grüning und Blauwaert, welche in bedeutender Weise
bei den AuffUirungen sich auszeichneten.
£s gereicht Hermann Levi zur grössten Ehre, dass er mit der Zeit die
erfahrene Kränkung überwand, der endlich als notwendig sich ergebenden
dauernden Berufung Kniese's nach Bayreuth mit Freimut zustimmte, und
dass kein Konflikt während ihres späteren gemeinsamen Wirkens mehr
entstand.
Adolf V. Gross war es, welcher die Notwendigkeit der dauernden Nieder-
lassung Kniese's in Bayreuth erkannte. Er, welcher seit dem Jahre 1872
mit beispielloser Energie, Hingebung und überlegener Umsicht der Sache
des Meisters seine Kräfte widmet, und dem sich vor Allem das Bestehen
und Gedeihen der Pestspiele unter den schwierigsten Verhältnissen ver-
dankt, er war der Mann, Kniese's Wert ftlr Bayreuth richtig zu schätzen.
Eine 14jährige gemeinsame, segensreiche Tätigkeit entspross dieser Er-
kenntnis und dieser Schätzung.
Nachdem Kniese in den Festspieljahren 1888 und 1889 die Chöre von
Parsifal und den Meistersingern geleitet hatte, übersiedelte er endlich im
November des Jahres 1889 nach Bayreuth.
Es erscheint geboten, hier die Zeflen zu verölSentlichen, welche er bei
dieser Gelegenheit an Frau Wagner schrieb^ weil sie das beste Abbild
Seiner Empfindungsart wie der Einfachheit ihrer Aeu&serung darbieten;
2S2
iiZa Buer "RAftVIrAlir naoh Bayreuth und vor meiner üebeniedeliiiig;
dahin — Yielef hAtte ich Ihnen da zu sagen, nnd dodi wäre es immer
wieder nur eine kQizere oder längere Variation desselben Themas, d. L
meiner Hoffiinng, Ihnen das zu sein, was Sie wünschen.
Was ich bin nnd habe, Sie wissen es, gehört Ihnen, wie der grossen
Sache, nnd so gebe Gott seinen Segen!
Was in Bayrenth sonst mögUch ist, nm Urnen dnrdi die Anfiflhrong
irgend eines Werkes von Bach, Beethoyen oder gar LisEt eine Freode zu
madien, das will ich nntersachen, sobald idi komme. Chorkräfte werden
sich genfigend finden. Das wfire schon etwas. — Wir kommen Anfang
November oder Ende October, je nachdem unsere Wohnung, Lisststrasse 8,
beziehbar sein wird.
Meine SVao, die sich innig firent, meinen Herzenswunsch nun erfbllt
zu sehen, empfiehlt sich Ihnmi auf das HerzUchstei und ich bin
Urnen und den verehrten Ihrigen, die ich herzlich grüsse,
treust und dankbarst
Breslau ergebener
29/9 1889. JuUus Eniese.«
Er hat alles gehalten, was er in diesem Schreiben verprach, und weit
mehr noch. Der Sache Bayreuth's wie dem Hause Wahnfined hat er die
Treue bewahrt und in dieser Bewährung seine Befiiedigung gefunden.
Das Au&ehen, welches seine Leistungen bald erregten, brachte ihm
vor etwa 6 Jahren einen Buf nach München ein. E2r schlug ihn ab und
bemerkte heiter bei den Vorteilen, welche ihm dargelegt wurden — worunter
auch eine Pension ffir die Seinigen nach seinem Tode begrifien war — :
„Letzteres würde meine Fran besonders verlocken.** Auch eine Berufung
nach Hamburg als Opemdirektor schlag er aus.
Gleich nach dem Antritt seines Amtes berste er sich mit der Ghründoiig
der Stylbildungssohule, indem er es wusste, dass damit ein Gedanke des
Meisters auszufahren war.
Die Schwierigkeit war gross, denn sobald Sänger von Gesangslehrem
ausgebildet sind, werden sie in die kleineren oder grösseren Theater Deutsch-
lands eingereiht und finden keine Zeit mehr fär das Studium des Yortrags,
wie er in Bayreuth gepflegt wird. Eniese hatte sich viel mit Gesangs-
theorie befasst und bedeutende Gesangsmeister, wie Eduard und Jean de
Beszske, Marie Wüd, Mme. Nordica u. a. gaben ihm alle das Zeugnis, dass
er viel davon verstünde. So begann er nach dieser Seite hin Schüler ana-
zubilden und musste dabei manche bittere Erfahrung erleiden. War es,
dass ihm keine glänzenden Stimmen zu Gebote standen, oder dass Praxis
und Theorie sich wesentlich unterscheiden, — wie dem auch sei, er erlangte
^"^ Besukat, welches im Verhältnis zu seinen Mühen oder im Yergleioh
i gebracht werden konnte, was er als Yortragsmeister erreidite.
\
258
Dieser nicht gelnngene Yersnoh entstammte, wie alles, seinem Eifer ftlr die
Sache; anf diese setzte er sein Leben, sein Freud und Leid.
Als er die Nachricht von der Aufföhrung des Parsifal in Newyork ver-
nahm und es miterleben musste, dass Künstler, welche in Bayreuth aus-
gebildet worden waren, ja, sogar solche, welchen noch die Ehre und das
Glück zu teU wurde, unter dem Meister hier zu wirken, an diesem Verrat
an dem Willen des Meisters sich beteiligten, brach er in den schmerz-
lichen Ausruf aus : „Mein Gott, ist denn G^d Alles !^ Und wie die Bede
von dem gleichen Vorgehen in Amsterdam wurde, verfiuste er sofort den
energischen Protest, welchen zahlreiche namhafte Kapellmeister unter-
schrieben.
Nebst der Tätigkeit seiner Bestimmung übernahm er die Leitung des
Musikvereins in Bayreuth und brachte mit bescheidenen Kräflen Erstaun-
liches — (Passionen, Weihnachtsoratorium v. Bach, Missa solemnis von
Beethoven, die heilige Elisabeth und Christus von Liszt) — zu stände;
wie geistvolle Architekten mit geringem Baumaterial edle und sinnige
Denkmäler ^richteten, so bedurfte Kniese keiner glänzenden Mittel, um
beseelte tgid begeisternde Au£P&hrungen zu erzielen.
Zu Weihnachten 1904 fahrte er in Wahnfried Bruchstücke aus Kan-
taten von Bach in wundervoller Weise auf und von da ab wurden im ver-
trauten Kreise den ganzen Winter über Werke dieses Meisters vorgenommen.
Kurz nach der am 9. April stattgefundenen Aufifthrung des Christus
in der Stadtkirche von Bayreuth reiste er nach Dresden, behufs Studiums
mit Künstlern, und am 22. April verschied er dort an einem Herzschlag.
Der Arzt, den er bereits öfters wegen seines leidenden Zustandes konsul-
tierte, hatte ihn mitfühlend und zum Glück noch beruhigt. Er schrieb
seiner Gemahlin: „Wie danke ich Gott f&r Dich und unsere Kinder.**
Lsmitten des Weltwirrsales gereicht es zum Tröste, zu gewahren, mit
welcher Notwendigkeit der Wert einer echten Persönlichkeit sich im Tode
fär alle, auch Femstehende herausstellt, während das im Leben noch so
geräuschvoll aufgebauschte Hohle in die Nichtigkeit zurücksinkt.
Die Teilnahme an dem Verlust, den Bayreuth erlitten, war die wärmste
und allgemeinste. Ja, sogar solche, welche sich von dem Verewigten zurück-
gesetzt oder ungerecht behandelt dünkten, stimmten in die Klage ein.
Unzählige, rührende Kundgebungen legten Zeugnis davon ab. In Bayreuth
selbst war die Trauer ergreifend und gewiss hat der stille, in sich ver-
schlossene Mann nicht geahnt, wie man verehrungsvoll an ihm hing. Schöne
G^denkworte wurden ihm gewidmet, von welchen wir vor allem die des
Freiherm v. Wolzogen, an seinem Grabe feierlich gesprochen, und die Nach-
rufe von Dr. von Bary, Eduard Reuss und Oscar Merz hervorheben.
Im Hause Wahnfried bewahrt man dem Freunde und Mitarbeiter für
mmer die Dankbarkeit; auf dem Festhügel — wir sagten es schon —
werden alle Teikehmer auch in künftigen Zeiten seiner gedenken, ja, wir
854
glauben, dsM er mitten nnter tins Dienenden lebendig bleiben wird, da
die originelle Eigenart seines Wesens mit Allem, was sie anszaohnete und
unterschied, so gat wie seine Verdienste, sich jedem einprägte und gewiss
den Nachkommenden überliefert werden wird. Diese lebendige Gtogenwarty
welche wir ihm verheissen, wird der Ansfluss des SchadSfenstriebes ans dem
Geheimnis sein, das der Meister dem Grundstein anvertraute ; ist jede Persön-
lichkeit unersetzlich, so gestaltet sich aber der Geist in manigialtigen Forrnsn
stäts schöpferisch neu. Das wissen wir. Heil der Stfitte, welche 8ol<dier
Erftfte mit Notwendigkeit bedarf und ihnen die Bedingungen ihrer reinen
und vollen Wirksamkeit sichert!
in.
Wer Kniese vor 20 Jahren in seiner Büstigkeit gekannt hat, der hielt
es tQi sicher, dass dieser kräftige Mann von strotzender Widerstandskraft,
dem unausgesetzte Arbeit ein Lebensbedür&is war, ein hohes Alter erreichen
müsste.
Wie soll man es sich erklären, dass dem nicht so wurde?
Hier berühren wir mit Ehrfurcht das tragische Geheimnis seines Da-
seins ; wenn wir unsere Scheu davor überwinden, so geschieht es, um sein
Bild zu vollenden und die dazu unentbehrliche Kenntnis seines G^müts^
lebens zu ermögli(dien.
'Er besass einen einzigen, liebenswürdigen und begabten Sohn, auf
welchen er alle seine Hoffiiungen baute.
Dieser Sohn verfiel im 17. Jahrd einer, mit der Zeit sich als unheilbar
erklärenden Ejrankheit. Die Peripetien der sorgenvollen Wahrnehmung,
des Hoffens, der Verzweiflung, der Ergebung hat der Vater in den vier
letzten Jahren durchgemacht, bis er der Besignation sich ganz ergab.
(In qualvoller Angst führte er einmal heroisch ein Konzert durch, in-
mitten dessen ihm eine erschreckende Nachricht über den Zustand seines
Sindes gebracht worden war.)
Wer ihn von dem Besuche des geliebten Kranken gebeugt, schweren
Schrittes, mit wehmütigem Ausdruck heimkehren sah, dessen MitgefUbl
enthüllte es sich, was in ihm vorging. Ihm „zehrte der Gh*am den Schmerz",
er nagte an seinem Leben. Ergreifend fElr den teilnahmsvoll Beobachtenden,
wurde der energische Duldner immer weicher und zeigte sich tiefer und
tiefer in sich gekehrt. Die BasÜosigkeit der Arbeit verblieb, nur war er
dabei anderer, sanfterer Stimmung. Ahnungsvoll, wenn auch unbewusst,
ging er mit stiller, würdiger Fassung seiner Erlösung entgegen.
Welche Macht verhalf ihm zu der wunderbaren Wandlung und Ent-
scheidung seines Wesens?
Das Christentum, dem er von ganzem Herzen angehörte.
«55
Zu seinem Heile war er yon einem festen Glanben beseelt. Diese
ihm verliehene Gnade gab seinen Anffbhmngen der Passionen von Bach,
der Missa solemnis von Beethoven, den Chören in Tannhäuser, Lohengrin
und Parsi&l eine unwiderstehliche Gte-walt der ÜberzeugUHg und eine Un-
vergleichlichkeit, wie das blosse technische Können, ja selbst die künst-
lerische Begeisterung allein sie niemals zu erreichen vermögen. Auch
wusste er durch den Meister, dass der Geist des Christentums es war, der
die Seele der Musik neu wiederbelebte, und dass, sireng genommen, die
Musik die einzige, dem christlichen Glauben ganz entsprechende Kunst sei.
Da« letzte grosse Werk, welches er leitete, war Christus von Franz
Liszt. Als er inmitten seiner Vorbereitungen begriffen, einen vertraulichen
Abend im kleinem Kreise im Hause Wahnfiried zubrachte, ergab sich ein
seltsamer, wohl als geheimnisvoll zu bezeichnender Zwischenfall. Wie des
öfteren, sprach man von Heinrich Porges, den Kniese innig schätzte, und
dessen Begeisterung und Opferfreudigkeit durch die Mitteilung beleuchtet
wurde, dass, als Porges, bereits erkrankt, von verschiedenen MitgUedem des
Hauses Wahnfried dringend gebeten wurde, die Auffllhrung des Christus
von Liszt, die er sich vorgenommen hatte, doch bis zu seiner Erholung
zu verlegen, er mit heftiger Betonung erwiderte: „So will ich sterben.^
Kaum war das Wort verhallt, als der Sprecher es föhlte, wie Elniese's
fester Blick in der lautlosen Stille lange haftend auf ihm ruhte. Wer ver-
möchte die Bedeutung dieses feierlichen Augenblickes in Worte zu fisissen ?
Die Auffährung des Christus gestaltete sich unter Kniese's verklärter
Leitung zu einem Glaubensbekenntnis von überirdischer Macht. Hier
wurde auch ein grosses Beispiel gegeben: In der protestantischen Stadt-
kirche, vor einer, der Mehrzahl nach evangelischen Zuhörergemeinde, welche
den grossen Baum überföllte, ward dieses Werk von ausgeprägtem katho-
lischen Styl in lateinischer Sprache zu tiefster, ja, unbeschreiblicher Wirkung
gebracht. Hier feierten wir den Sieg des Glaubens und der Liebe, den
Sieg der Einigkeit im Christentum über allem wesenlosen Zwiespalt der
Konfessionen, und Der, welcher zu diesem Siege verhalf, war ein vom Leben
scheidender Christ und Bajrreuther Künstler,
Als er nach der Aufführung einige Freunde au^chte, die sich an
drittem Orte vereinigten, um ihm Glück zu wünschen, war er bleich und
angegriffen. Er bezwang sich und empfing die Danksagung mit Freundlich-
keit; aber die unter Anspannung aller Seelenkräfte niedergedrückten
Schmerzen errangen die Obergewalt. Auf Befehl des Arztes musste er
sich entfernen. Tags darauf, von der Tochter aus Wa-hnfried besucht,
nahm er den eingehenden warmen Ausdruck der Bewunderungen seiner
Leitung freundlich entgegen und sagte dazu, sanft bewegt und wiederholt:
„Sie machen mich glücklich.^
Yon seinem Leiden mochte er nichts hören« „Er habe einen Diät-
fehler begangen, der sei gehoben.^ So begab er sich nach Dresden zur
256
Arbeit. Als Lektüre nahm er ein, ihm in Wahnfiried empfohlenes Bach:
die Predigten von Meister Eckehart. Mit diesem erhabenen Geeiste und
mit Tristan bereitete er weihevoll seiner Seele den seligen Heimgang.
Vor diesen^ heiligen Mysterium schweigend, übergeben wir das Wcnrt
einem der Genien, welche als Hohepriester der Menschheit, mit dem ün-
erforschlichen vertraut, ihre Sendong erfüllen, indem sie es uns deuten:
„Mir erscheint der zun&chst mich berührende Personenkreis
wie ein Convolnt sibyllinischer Blätter, deren eins nach dem and^m,
von Lebensflammen au%ezehrt, in der Luft zerstiebt und dabei
den überbleibenden von Augenblidc zu Augenblick höheren Werth
verleiht. "Wirken wir fort bis wir, vor oder nach einander, vom
Weltgeist berufen in den Äther zurückkehren! Möge dann der
ewig Lebendige uns neue Tätigkeiten, denen analog, in welchen
wir uns schon erprobt, nicht versagen ! Fügt, er sodann JE^rinnemng
und Nachgefühl des Bechten und GKiten, was wir hier schon ge-
wollt und geleistet, väterlich hinzu; so würden wir gewiss nur
desto rascher in die Kämme des Weltgetriebes eingreifen.^
(Goethe.)
2^7
Neuere Schriften über Musik und Musiker.
Otto Neitzel: Riehard Wagners Opern in Text, Mnsik nnd Szene
erl&ntert. (Führer durch die Oper de$ Theatern der Gegenwart, L Band:
Deutiche Opern, 3, Abteilung). 3. Auflage. Stattgart nnd Berlin 1904, J. G. Cottasche
Buchhandlung Nachfolger 332 Seiten Oktav. ^Richard Wagner wurde am 22. Mai
1813 zn Leipzig geboren nnd für die philologische Laufbahn bestimmt*^. So
beginnt das Bach, bringt ans also gleich etwas Neues — nur schade, dass wir
es nicht glauben können! Wer bestimmte ihn für die philologische Laufbahn?
Wir wissen nur, dass er als Ereuzschüler in Dresden starke philologische Begabung
zeigte, so dass ihn seine Lehrer für prädestiniert zum Philologen hielten; dass
er aber wirklich einmal einer werden wollte oder sollte, davon ist uns nichts
bekannt Ein solcher ungenauer Beginn eines Buches erweckt Misstrauen*, und
leider wird dieses im weiteren Verlauf nicht beseitigt, ohne dass wir manigfache
Yorzttge des Buches verkennen oder verschweigen wollen. Zu diesen Yorzfigen
gehört eine gute Kenntnis der litterarischen Quellen und ein gründliches Ein-
dringen in die musikalischen Partituren Richard Wagners. Aber der Autor zeigt
manchmal die Anmaassung, dies und jenes besser wissen zu wollen als der schaffende
Eanstler; seine Kritik erregt mitunter nichts als ein L&cheln. Einige Beispiele
seien angeführt. Neitzel nennt es unklug von Rienzi, dass er das Recht der
ILaiserwahl für Rom in Anspruch nehmen will, und meint, es sei zu empfehlen,
dass die deutschen Gesandten bei diesen Worten „mit einigem Aplomb die Bahne
verlassen^. Schade, dass unser Meister den klugen Autor nicht zum Berater
gehabt hat I Wenn dieser meint, die Luoretia-Pantomime werde auf allen Bahnen
weggelassen, so kennt er wohl fi[arlsruhe nicht, wo der Verfasser dieser Zeilen
sie hat von ersten Schauspielkr&ften darstellen sehen (und Berlin, wo „d. Red.^
sie gesehen hat). Mit grosser Vorliebe empfiehlt der Autor Striche und Spränge,
teils überhaupt, teils eventuell. Bahnen, welche Wagners Werke nicht strichlos
aufführen können, sind minderwertig; solche die sie nicht strichlos auffahren
wollen, sind entweder unverständig geleitet oder stehen unter dem Einflüsse
einer falschen Kritik. Striche zu beschönigen oder gar zu empfehlen, kann also
nicht die Angabe eines Mannes sein, der über Wagners Kunst ein gutes Buch
schreiben will ! Geradezu empörend ist es, wie der Autor Wagners Vorschriften
über das Verhalten Sentas kritisiert und verschlimmbessert (Anm. S. 34 und 35) :
da bekommt man Lust, das Buch für immer aus der Hand zu legen! Manchmal
glaubt der Autor, den Wortsinn von Wagners Versen durch andre Wendungen
deutlicher machen zu müssen. Ja, für wen schreibt er denn eigentlich? Den
Gipfel erreicht er, wenn er sagt, Eriks Beziehungen zu Senta dürften nicht den
Charakter eines zftrtlichen Verhältnisses annehmen, um Senta nicht untren zu machen,
und wenn er folgende Aenderung der betreffenden Verse vorschlagt: Erik: „Welch'
hohe Pflicht? ists höhere nicht, zu halten was du mich liessest hoffen, treneste
Liebe ?^' Senta (abweisend): „Wiel solche Hoffnung hätt ich dir geweckt?' —
Nun, da hört eben alles aufl Vom „Tannhdu$er** führt der Autor gldch den
Titel falsch an („auf der Wartburg*^). Dass er den Pariser Venusberg verwirft,
versteht sich bd seiner Art von selbst; er nennt darin die Sprache gekünstelt
u. 8. w. Auch Elisabeth macht der Autor allerhand Vorschriften, sowohl für den
zweiten Aufzug als für die Gebetsszene des dritten. Der „Lohengrin** nach Neitzels
Angaben würde ein noch kläglicheres Fragment sein als vor 20 Jahren auf der
258
Berliner Hofbahne. „Tristan und holde" missversteht er insofern, als er Brang&nes
Trank für den Erreger der Liebe h< and darüber ist docb soviel geschrieben
worden I Der Autor empfiehlt für dieses Werk bei besseren Aufführungen 3, bei
anderen 19 Kürzungen! Bei der Besprechung des „Ring de$ Nibelungen" stören
wieder mancherlei Yerbesserungsvorschläge und irrige Behauptungen des Autors,
sowie die üblichen Kürzungsvorschläge. So sollen Mime und der Wanderer nur je
einmal fragen I Siegfried hätte nach seiner Meinung in der zweiten Szene des ersten
Aufzuges der „Götterdämmerung" „eine leichtere und anmutigere musikalische Be-
handlung erfordert^; manches sei eine ,,unnötige Ueberladung des Orchestersatzes '^.
Sogar an Brünnhildes Schlussgesang hat er zu mäkeln I Seine Kritik der Wagnerischen
Götter (S. 259 ff.) ist einfach haarsträubend. Auch am „Parsifal" hat er mancherlei
auszusetzen. Die Krone aber setzt er sich selber am Schluss des Buches auf
(S. 332), wo er behauptet, die „Meiiterainger von Nürnberg" seien zu dick
instrumentiert und müssten neu bearbeitet werden, um jede Ueberladung des
Orchesters zu vermeiden 1 1 Obwohl in Neitzels Buch auch manche gute Bemerkung
und manche feine Beobachtung zu finden ist; obwohl er insbesondere auf dem
Gebiete der Motivforschung manches Neue und Interessante vorbringt ; obwohl er
ohne Zweifel gerecht zu sein meint und nur aus mangelnder Erkenntnis irrt: so
können wir das Werk doch nur solchen empfehlen, die ihren Wagner schon
einigermaassen kennen und verstehen, dagegen keinesfalls solchen, die in die Kunst
des Bayreuther Meisters erst eingeführt werden wollen. — Hinzugefügt sei noch,
dass das Buch ganz besonders schön auf sehr gutem Papier gedruckt ist, so dass
Breitkopf f Bärtel als Druckfirma ganz besonders rühmend erwähnt zu werden
verdient —
Wilhelm Kienzl: „Ans Knnst nnd Leben''. Gesammelte Aufsätze. 2. Auf-
lage. Berlin, 1904, Allgemeiner Verein für deuUche Litteralur. IX und 329
Seiten Grossoktav. Preis broschiert 5 Mark, elegant gebunden 6,50 Mark. —
Ein hocherfreuliches Buch, dessen Lektüre jedem echten und ernsten Kunstfreund
reine Freude bereiten wird! Es ist jetzt Sitte, seine an verschiedenen Stellen
veröffentlichten Aufsätze zu ordnen und in einem Buche zu vereinigen (man denke
an Erich Kloss' „ Wagnerlesebuch ^ , Fr. v. Hauseggers ^Gedanken eines
Schauenden^, Batka's „Kranz ^.) An Hauseggers genanntes Buch erinnert das
von Kienzl am meisten; ja beide berühren sich sogar mehrfach: nur dass in
jenem mehr der Aesthetiker und Philosoph, in diesem mehr der reflektierende
Künstler vorherrscht, obwohl Kienzl ebensowohl über philosophische und ästhetische
Kenntnisse verfügt, wie andrerseits weiland Hausegger über künstlerisches In-
tuitionsvermögen. So liefert der erste Teil bei Kienzl, „Allgemeine Betrachlungen
über Kunst und Kumtschaffen" vorzügliche ästhetische Beiträge über das Nationale
in der Kunst, über die schöpferische Tätigkeit des Musikers, über das Jenseits
des Künstlers, über Originalität und über moderne Musik. Es versteht sich von
selbst, dass er darin die Aesthetik der Musik als Ausdruck vertritt Der zweite
Teil enthält vier dramaturgische Aufsätze, der dritte Kritiken über fünf ältere und
fünfzehn neuere Opern. Darauf folgen im vierten Teil sechs Künstlermonographien.
Unter diesen ist für uns besonders der Aufsatz „Richard Wagner al$ Memch^
von Interesse ; er ist eben von einem Künstler geschrieben, der den Meister per*
sönlich gekannt hat und nicht nur dessen Kunst, sondern auch dessen Persönlich-
keit verehrt und liebt Die übrigen Aufsätze dieses Teiles handeln über Fried*
rieh Smetana, Johann Strauss, Karl Löwe, Ginseppe Verdi und
Hugo Wolf. Der fünfte und letzte Teil, „Erinnerungen und Erlebnine* betitelti
bringt wieder zwiefache «Wagneriana*' nänüich „ Wahnfried und idne Bewohner"
und jfEine letzte traurige Fahrt*' (Wagners Tod und Bestattung). Sie sind durch-
tun diskret geschrieben und enthalten dennoch mancherlei Interessantes und Henes,
z. B. eine merkwürdige Nietzsche -Anekdote, die der Meister selbst in des Autors
Gegenwart erzfthlt haben soll. Auch ein Aufsatz „Erinnerungen an Robert
HamerUng^ dürfte den Lesern unserer Bl&tter willkommen sein. Das Ungekonstelte
und Wahrhafte in Kienzls Charakter durchzieht das ganze Buch und macht es
ungemein sympathisch. Gerade unseren Lesern, die sich von keiner Sensation
imponieren lassen, dürfte es daher besonders zu empfehlen sein. Man kann gar
manches aus ibm lernen, besonders was die Opern und ihre Geschichte betrifft
Und der Stil ist so flott und fliessend, ohne je seicht und oberflächlich zu
werden, dass sich alles spielend leicht liest. Die Ausstattung des Buches ist
elegant und geschmackYoU. —
Mnsik nnd Nerren. 1. Naturgeschichte des Tonsinns (29. Heft der von
L. LöwenfeJd und H. Eurella herausgegebenen Sammlung j^Orenzfragen de$
Nerven- und SeelenUbem^) von Ernst Jentsc h. Wiesbaden, 1904, J. P, Berg-
manm Verlag: 46 Seiten Grossoktav. Mit Hülfe der Anatomie, der Physiologie,
der Physiopsychologie u. s. w. kann man wohl die Theorie des Hörens ergründen,
aber niemals das Wesen der Musik ; denn dieses ist metaphysisch, mögen nun die
Herren Aerzte und Naturforscher darüber den Kopf schütteln oder nicht! Dies
vorausgesagt und immer vor Augen gehalten, lesen wir die yorliegende Broschüre
mit grossem Interesse. Sie belehrt uns über die Luxusfunktionen der mensch-
lichen Sinnesorgane und sodann über den Bau des Ohres. Hierüber sollte sich
eigentlich jeder gebildete Mensch orientieren, zumal wenn er singt oder sonst
Musik treibt. Der Autor unterstützt ihn hierbei ausser durch seine belehrende
Darstellung auch noch durch einige instruktive Zeichnungen. Endlich gibt er
noch eine sehr lesenswerte Abhandlung über den Tonsinn der Tiere. Besonders
über die Singvögel (die er in Repetiervögel und echte Singvögel scheidet) und
über den nicht mehr sagen- aber immer noch rätselhaften Singeschwan erfahren
wir mancherlei Neues und Merkwürdiges. Wir dürfen den noch in Aussicht
stehenden weiteren Ausführungen des Autors über Musik und Nerven mit Interesse
entgegensehen.
Guido Adler: Riehard Wagner. Vorlesoneeiii gehalten an der Uni-
versität zu Wien. Leipzig, 1904 bei Breilkopf f Hdrtel; XU und 372 Seiten
Grossoktav. Wenn der Verfasser eines „Richard Wagner^ betitelten Buches
am Schlüsse der Vorrede den Wunsch und die Hoffnung ausspricht, dass seine
„Publikation^ „die dauernde Grundlage für die historische Würdigung des Meisters*'
bleibe, so müssen wir schon etwas langer bei ihr verweilen. Uns dünkt zwar, es
gebe schon mancherlei Grundlegendes über das Leben des Meisters, vor allem die
grosse Biographie K. Fr. Glasenapps, femer das Buch Chamberlains und
gar manches andere. Indessen belehrt uns Adler, dass diese Schriften eigentlich
nur Hymnologien seien, denen also ein eigentlicher objektiver und historischer
Wert nicht zukomme. Nun ist allerdings unser Wiener Professor weit entfernt,
auch nur einen Teil jener echt deutschen Objektivität zu besitzen, welche gerade
Glasenapp so wohltuend auszeichnet: aber er lebt in dem Wahne es zu sein,
vielleicht weil er kalt und ohne Begeisterung schreibt und diesen Mangel gleich
vielen seiner KoU^en in allen Fakult&ten für einen Vorzug, ja für eine not-
wendige Eigenschaft des Gelehrten zu halten scheint Goethe dachte zwar anders
über die Begeisterung, die man einem Künstler entgegenbringen müsse ; und Wagn er
sagte ausdrücklich, nur wer ihn liebe, könne ihn und seine Kunst verstehen: aber
das kümmert den Historiker nicht, der nur seine wissenschaftliche Methode kennt,
nach welcher alle Grossen nur als geschichtliche Erscheinungen aufgefasst und
260
einrangiert werden. Das soll uns nicht abhalten, gegen A dl er gleichfalls möglichst
objektiv nnd kfihl zn sein. Nor müssen wir, um dies zu können, znerst mit aller
parlamentarisch zulässigen Schärfe uns gegen einen Aasdmck yerwahren, mit
welchem er ans, die wir nur mit Begeistening für unseren Meister und seine
Kunst arbeiten können, schmählich beschimpft Er nennt uns «Wagneriten*^
und erlaubt sich, uns bei jeder unpassenden Gelegenheit mit dieser Benennung
als unmaassgeblich hinzustellen. Welches Verdienst um die deutsche Kultur und
um die Kunst eines Richard Wagners gibt ihm das Recht, treue und ehrliche
deutsche Kämpfer in dieser niedrigen Weise zu beschimpfen? Wir weisen das
mit rücksichtsloser Schärfe zurück und ersuchen den Herrn Professor, in Zukunft
etwas bescheidener aufzutreten, wenn ihm das auch nicht Ideht werden dürfte.
Wir kennen nnsem Schopenhauer und wissen, was unser Meister von ,Sena-
toren und „Professoren^ gelegentlich gesagt hat. Uebrigens sagt auch ein Pro-
fessor, nämlich der Berliner Uniyersitätsprofessor für Musik Herrmann Kretsch-
mar: «Wir haben in Deutschland eigentlich nur eine Partei, die von der Zu-
sammengehörigkeit von Musik und Kultur überzeugt, die von ernsten
wissenschaftlichen Interessen erfüllt ist. Das sind die Wag-
nerianer.*
Nun zur Sache I Adler erfüllt zunächst die notwendigen Vorbedingungen, die
man für seine Arbeit voraussetzen muss: er kennt die Werke und die Schriften
des Meisters und scheint auch in der Wagner- und „Wagneriten'^-Litteratur nicht
ganz unbewandert zu sein. So führen seine Vorlesungen den Neuling in zumeist be-
friedigender Weise in die Kunstwerke ein, während er dem Eingeweihten allerdings
auch rein gar nichts Neues zu sagen weiss, sodass für einen solchen die Lektüre
seines Buches nur da einigermaassen anregend wirkt, wo sie scharfen Widerspruch
hervorruft Wir sehen uns daher genötigt, diejenigen Presskritiker, die Adlers
Buch als hervorragend und neu bezeichnet und gepriesen haben, einfach als Neu-
linge in der Meisterkunst zu bezeichnen. Aber Adler selbst ist doch kein solcher
Neuling meinen wir, und deshalb sollte er sich nicht den Anschein geben, als
ob er uns in seinen Ausführungen irgend etwas Neues darbiete!
Er reiht Wagner als Glied der Entwicklungskette des musikalischen Dramas
ein. Es ist ja möglich, dass mancher junge „Fuchs* der Musikwissenschaft noch
nicht weiss, dass die Florentiner Musiker und Aesthetiker, die um 1600 die Oper
begründeten, dabei eine wirkliche Gesamtkunst nach antikem Vorbild im Äuge
hatten: aber jeder, der nicht mehr angehender Student ist, weiss das doch*, und
es war überflüssig, diese Tatsache wie eine neue Weisheit der Welt zu verkünden.
Dass jede Opemreform bis zu Gluck und zu Weber zugunsten des Dramas in
der Oper geschah oder wenigstens versucht wurde, ist gleichfalls bekannt. Aach
wusste man, dass sich schon frühzeitig Keime des Erinnemngsmotives, ja selbst
des Leitmotives nachweisen lassen; die Hauptsache bleibt doch aber, dass diese
sich früher nicht einbürgerten, sondern gleichsam nur versuchsweise zeigten, keines-
wegs aber einen musikalisch dramatischen Stil begründeten, bevor Wagner sie
grundsätzlich einführte und anwandte! Wer wusste femer nicht schon früher,
dass Gr^try und frühere schon an das verdeckte Orchester dachten, ehe es in
Bayreuth wirklich wurde ? RichardWagners Schriften greift Adler insofern
an, als er ihnen historische Unrichtigkeiten zahlreich nachzuweisen versucht Er
vergisst aber, dass sich Wagner ausdrücklich dagegen verwahrt, eine Geschichte
der Oper schreiben zu wollen, dass er eben gerade nicht als Historiker, sondern
als Reformator und Regenerator der Oper, also als Mann der Gegenwart und
Bahner seiner eigensten Tat auftrat und daher in erster Linie auf die Irrwege
hinweisen musste, welche die Oper im Verlaufe ihrer historischen
m
gegangen war. Denn schon von 1600 an war die Oper immer and immer wiedeif
durch mnsikaliBche Sondergelflste vom dramatischen Pfade abgewichen; and alle
Reformversache waren Reaktionen dagegen, die im grossen and ganzen eben Ver-
sache blieben. Gewiss stand RichardWagner aaf den Schaltern seiner grossen
Vorgänger. Aber man kann eigentlich nicht sagen, dass er ihr Werk yoUendete;
Tielmehr zerspann er es in Späne and schmiedete sein neaes and eigenstes dar-
aas. Dieser Vergleich wird vielleicht Herrn Professor Adler als phantastisch
and «anwissenschaftlich' nicht gefallen; aber was tat das: was er schreibt and
sagt, missfällt ans aach oft genogl
Femer betont Adler za wenig, dass das Bayreather Gesamtkanstwerk weit
mehr ist als eine Vollendung der Oper, wie sie von den grossen Komponisten er-
sehnt wurde, dass es vielmehr nicht nur Mozarts und Beethovens, sondern
auch Goethes und Schillers Kanstlertraum verwirklicht Er betont auch zu
wenig, das Wagners Wort-Ton-Drama (dieses Wort passt dem Herrn Professor
natflrlich auch nicht, und für ihm bleibt alles „Oper^ 1) die Existenz der Einzel-
kanste weder beschränken, noch vernichten will : gerade das mfisste er doch seinen
Studenten in erster Reihe beibringen I Wenn er auch von der Sehnsucht deutscher
Dichter, z. B. Wielands und Jean Pauls nach einem idealen Drama, worin
die Musik eine wesentliche Rolle spielen mflsse, spricht, so fasst er doch Wagner
eigentlich nur als wenn auch vielleicht wichtigstes Glied einer musikalischen Ent-
wicklungsreihe auf und vergisst, dass in gewisser Beziehung auch unsere Dichter-
klassiker zu seinen Vorläufern gehören. Niemand läuft aber so sehr Gefahr, den
Bayreuther Meister gründlich misszuverstehen, als wer ihm hauptsächlich oder
einzig als Musiker hinstellt
Immerhin kann man Adler diesen letzten Vorwurf nur in geringem Grade
machen, ümsomehr aber ereifert er sich gegen Wagners Regenerations-
lehre. Wir glauben gern, dass sie dem Autor unsympathisch ist; damit ist
aber noch nichts gegen ihre Vortrefflichkeit bewiesen. Allerdings reisst sich mit
ihr unser Meister wieder aus der musikalischen Entwicklungskette heraus, in die
ihn der Wiener Professor grausam geschmiedet: aber doch nur, weil er nicht
hineinpassti Besonders im letzten der 24 Kapitel erweckt Adler fast immer
unsern Widerspruch. Wagners Ausführungen aber Rassefragen, Vegetarismus
u. s. w. bezeichnet er da einfach als Velleitäten, ihre Hochhaltung durch uns als
Wagneriten-^Verrflcktheiten*^. Sein unschönes Wort «Wagneriten-Aesthetik*
parieren wir mit „Semiten-Aesthetik*, weil er uns einmal dazu herausfordert, un-
höflich zu sein. Dass er fflr Ueberlassung des «Parsifal^ an alle Btthnen ist,
wird niemand verwundern, der unsere Kritik seines Buches bisher gelesen hat
Er redet das seltsamste Zeug aber Katholizismus und Gralsrittertum, über das
Hypermystische im „Parsifal* — als ob alles mystisch sein masse, was ein Professor
nicht bereift 1 — über die alternde Kraft Wagners, die sich in der musikalischen
Erfindung seines Bahnenweihfestspieles offenbare u. s. w. Die Gestalt Kundrys
sei ^mit Babbe gebacken^ ; überhaupt bestehe ^Parsi&l* eigentlich ans ^lebenden
Bildern mit Begleitung von Text und Musik'' ; erwirke mehr theatralisch als seelisch-
tief (in der Verwandlungsmusik).
Schopenhauer, Buddhismus und Verwandtes widersprechen ersichtlich der
Weltanschauung Adlers. Man merkt das überall, wo er auf derartiges zu sprechen
kommt. Auch der deutsche Idealismus scheint ihm nicht sonderlich sympathisch
zu sein, da er sonst nicht gegen Wagnerbegeisterung sich wenden würde, noch
dazu in beleidigender Form I Wir empfehlen ihm ein recht eindringliches Studium
der yWagneriten'' -Literatur. Er dürfte dann bald zu seinem Erstaunen bemerken,
dass wir ,Wagneriten* in der Musikgeschichte und in der Musikwissenschaft eben-
19
662
go zahanse sind und ihre ältere wie neueste latteratnr ebensogat beherrschen wie
ein Wiener Professor I Nor fassen wir einen Künstler wie Wagner nicht nar
als historische Erscheinung anf sondern auch als Genie. Wie wir das meinen,
darüber kann sich der Autor vielleicht am besten dadurch unterrichten, dass er
sich bei Gelegenheit einmal den Wandervortrag des Herrn Geheimrat Pro£ Dr.
Thode über Genie anhört Dabei kann er gleich lernen, mit welcher Ehrfurcht
selbst ein Uniyersitätsprofessor über ein Genie reden soll. Oder vielleicht doch
nicht? Denn Prof. Thode ist ja auch WagneritI Und für einen solchen ist
nun einmal Richard Wagner mehr als ein Opemkomponist und Bayreuth mehr
als ein Opernhaus I Eben deshalb ist Wagner mit seiner Kunst auf unsem
Universitäten, die ja eigentlich gegenwärtig Spezialitäten heissen müssten, so schwer
unterzubringen und daher unbequem. Weder der Litterarhistoriker noch der Musik-
wissenschaftler wird mit ihm fertig. Auch vergisst der lesende, schreibende und
lehrende Gelehrte nur zu oft den innigen Zusammenhang mit dem frischen Leben
der Gegenwart, über das er schliesslich auch nur berichtet, statt es wirklich zu
leben. Wie könnte sonst der vom Verfasser dieser Zeilen ungemein hochgeschätzte
Leipziger Universitätsprofessor Dr. Hugo Riemann folgende, der Wahrheit
direkt ins Gesicht schlagende Sätze in die neuste Auflage seines ausgezeichneten
Musiklexikons (Leipzig, 1905, bei Max Hesse) aufnehmen? «Leider haben
Wagners Erben dessen (Bayreuths) ursprüngliche, viel allgemeiner gedachte and
nicht einzig auf Wagners Kultus berechnete Idee der Festspiele aus dem Auge
verloren, und Bayreuth ist ausschliesslich ein Wagnertheater geworden ; die not-
wendige Folge dieser Beschränkung ist ein sich bereits zeigendes Abnehmen des
Interesses der Nation an dem Fortbestehen des Unternehmens*'. Wir wissen ge-
nau das Gegenteil 1 Riemann hätte doch nur seinen musikalischen Fachkoll^en
an der selben Universität (Herrn Prof. Dr. A. Prüfer), der für und mit Bayreuth
lebt, zu fragen brauchen. Dies wollten wir nur als ein Ergänzungsbeispiel dafür
bringen, dass uns Universitätsprofessoren als solche noch lange
nicht als Autoritäten in rebus Wagnerianis zu gelten haben!
Es fällt uns nicht ein, Guido Adlers verdienstvolle musik-historische Ar-
beiten irgendwie gering zu schätzen. Aber mit seinem Wagnerbuche hat er sich nicht
bewährt. Um alles daraus anzuführen und zu widerlegen, was uns da falsch
dünkt — dazu müssten wir ein neues Buch schreiben. Empfehlen können wir
aber das seine nicht : es bietet den Kennern gar nichts Neues dar (einige weui^
feine Beobachtungen vielleicht abgerechnet) I) und kann den Neuling, für den es
in erster Linie doch geschrieben ist, nach unsrer Meinung leicht irreführen. Wir
richten nicht parteiisch, sondern nach unsrer Ueberzeugung. Wenn wir bisweilen
scharf geworden sind, so hatte uns der Autor durch seine Beleidigungen heraus-
gefordert Wir müssten uns wehren ; und auf einen groben Klotz gehört ein grober
^^^' Kurt Mey.
Hector Berlioz. Litterarische Werke. Ertle Gesamiausgabe. IIL Band:
Vertraute Briefe. IV. Band: Neue Briefe. Je ö .A Leipzig. Breitkopf f Hdriel
i904. — Man sagt, Briefe werden nicht immer gelesen, ehe man sie bespricht.
Aber wüsston es nur die Besprecher, wie genau sich die oberflächliche oder emate
Miene gerade in Anzeigen von Briefen abspiegelt, so würden sie jedenfalls etwas
vorsichtiger sein. Gewiss würde sich ihre Vorsicht auch belohnen. Denn was
kann es Schöneres geben, als die selbstgeschriebene Lebensgeschichte, die un-
mittelbare, unfreiwillige Charakteristik grosser Menschen zu verfolgen? Welcher
Reiz, nicht bloss zwischen den Zeilen, sondern auch zwischen den Briefen zu lesen !
26S
Die Ereignisse und ihre Wirkung als Erlebnisse mitznleben; zu gewaliren, wie
durch die Briefe das äussere Geschehen hier hell beleuchtet, dort in bedeutsames
Schweigen eingehüllt wird, kurz, das Leben eines andern, soweit es menschen*
möglich ist, mit der Seele des andern nachzuempfinden. Wie schön das Alles,
aber auch wie yerpflichtend fflr denjenigen, welcher darüber sprechen soll! —
Während die bisherigen deutsch yeröffentlichten Briefe Berlioz' (im Y. Band)
an die Fürstin Wittgenstein und an Frau Estelle Fomier 1862 und 1864 ein-
setzen, gehen die Vertrauten Briefe an Humbert Ferrand (= Lettres intimes,
Paris 1882, Galman L6vy) bis 1826, die Neuen Briefe (= Gorrespondance in^dite,
Paris 1879, Oalman Ury) gar bis 1819 zurück und bieten dadurch erst die
eigentlichen Voraussetzungen zum Verständnisse des fünften Bandes. Die Ueber-
setzung aller dieser Briefe hat Gertrud Sayic besorgt; leider, wie wir uns end*
giltig überzeugen mussten, nicht mit dem peinlichen Schliff, den die Edelsteine
des Franzosen yerdient hätten. In der Kunst des üebersetzens haben sich die
Deutschen im Lauf der Jahrhunderte yor allen Völkern yenrollkommnet; warum
lässt man die Ergebnisse nicht einer so wichtigen Veröffentlichung zugutekommen ?
Seien wir aber nicht ungerecht: im allgemeinen ist der Ton gut getroffen, der
Sinn richtig wiedergegeben. Die Vorreden yon Gounod und Bernard sind leider
fortgeblieben. Was aber schwerer ins Gewicht fällt: es fehlen die nötigen An-
merkungen, die dem grossen Leserkreis, für den doch die Uebersetzungen bestimmt
sind, das Wichtigste yerdeutlichen. Nicht einmal ein Namenyerzeichnis ist da!
Das methodische Lesen erfordert also yerdriessliche Mühe, die man uns hätte
ersparen können. Inwieweit mit der deutschen Uebersetzung eine philologische
Durchdringung des über Berlioz yorhandenen Stoffes zu yerbinden gewesen wäre,
soll nur anregungsweise gefragt werden. Darauf müssen wir aber bestimmt und
unzweideutig hinweisen, dass es eine Schande ist, mit welcher Missachtung das
Heer junger Musikgelehrter an Berlioz yorübergeht. Weder die G^ämtausgabe
(yon Malherbe und Weingartner), noch die Uebersetzungen können Ergebnisse der
Berlioz -Philologie yerwerten, weil es bei uns noch keine Berlioz -Philologie gibt.
Dagegen schilt man berufsmässig auf Bichard Pohls Berliozband, auf Luise Pohls
Biographie, auf Louis u. s. w. Es werden Schumann - Biographieen ohne Berlioz*
Würdigung geschrieben, wie man Händel - Biographieen ohne Erwähnung yon
B. Franz schreibt. Mit andern Worten: Berlioz wird yon der Musikwissenschaft
noch nicht für würdig genug befunden. Er hat zu wenig im Staub der Bibliotheken
gelagert. Obwohl gerade die Jugend dem Lebendigen nachspüren sollte, können
wir's den jungen Doktoren und Diktatoren nicht yerargen, wenn ihnen das bischen
Empfindung, das sie etwa besitzen, durch manche ihrer Meister ausgetrieben wird.
In absehbarer Zeit kann dies nicht besser werden-, denn die Blossen, die sich
Kretzschmar in der Berliozfrage gegeben hat, wirken erkältend auf das ganze Ge-
schlecht yon jungen Gelehrten. Ein offenes Geheimnis darf und muss ausgesprochen
werden : der Betrieb der Musikwissenschaft des maassgebenden deutschen Nordens
ist in einer Weise auf Händel eindressiert, die yorerst jeden Sinn für die andern
Heroen der Tonkunst ausschliesst Und an selbständiges Urteil ist auch nicht
zu denken bei Kreisen, die blindlings auf die Worte des Lehrers schwören; da-
gegen ist der Wagnerianer als solcher natürlich „erstaunlich urteilslos*. Was
also die yielgepriesene deutsche Musikwissenschaft betrifft, so wird yon ihr Berlioz
noeh nicht ummauert; — wohl ihm, er ist noch yogelfrei!
Wenn man seine Briefe liest, so möchte man, dass er jeden Tag Briefe ge-
schrieben hätte, um jeden Zug seines Bildes photographisch getreu zu erschauen.
Deutsche Meister mögen mehr gewusst und in manchem yielleicht auch mehr
gelernt haben -^ aber an Begeisterung, an Wärme, Innigkeit und Glut des Em-
264
pfindeiiB gibt Berlioz keinem das OermgBte nach. • . • «Was auch immer
Leute sagen, die nur halbe Leidenschaft, ein halbes Herz und nnr eine G^im-
hilfte besitzen, es gibt zwei grosse höhere Gottheiten in unserer Kanst: Beet-
hoTon nnd Gluck. Der eine herrscht in der endlosen Welt der Gedanken, der
andere in dem unbegrenzten Gebiete der Leidenschaften, und obgleich der erste
als Musiker dem zweiten weit überlegen ist, so steckt doch soTiel von dem einen
in dem andern, dass diese beiden Jupiter znsunmen nur eine Gottheit ausmachen,
in die wir uns versenken mttssen voll Bewunderung und Hochachtung^ (Band IT, an
Theodor Bitter 1856). Der Enthusiasmus für Beethoven kennzeichnet um so
deutlicher Berlioz Genie, als der Franzose noch Zeitgenosse Beethovens war, will
sagen, in einer Welt lebte, die den tauben Meister als einen ausgemachten Narren
ansah. Ebenso ist Gluck in Berlioz' Jugendzeit von den Italienem sanft beiseite
geschoben worden. Berlioz blieb beiden Meistern zeitlebens treu. So sehr seine
Neigungen wechselten, sein musikalischer Stil schwankte, im Kampfe für Gluck
und Beethoven hat er sich verzehrt und keine Wunde geachtet. Aus London
schreibt er am 22. Mai 1852 über die Neunte, die er dirigiert hatte: «Es war
wi solches Ereignis, dass viele Leute bezweifelten, wir würden dies schreckliche
und herrliche Werk mit Ehren bis zu Ende durchführen können*^ (lY, S. 108).
Die Begeisterung für Weber betrachten wir als etwas Natürliches. Auffallend
sind die guten Beziehungen zu Mendelssohn (und die günstigen Urteile über ihn).
Mendelssohns Aeusserungen als Gegenstück hinzngehalten — der Eindruck wird
komisch. Hier war Berlioz der Ueberlegene. Im andern Fall aber, als er Wagner
gegenüberstand, war ihm dieser überlegen. Mit Bedauern lesen wir die Briefe
von 1861 im lY. Band. Aber zur Entrüstung kann sich dies Bedauern nicht
steigern, wenn man die Tragik dieses Lebens bis zum Jahr 1861 kennt Nach
anfänglichen Erfolgen traf Berlioz eine Reihe entscheidender Misserfolge, die mit
der Faustaufführung des Jahres 1846 auch nicht die geringste Hoffnung mehr
übrig Hessen. Persönliche Feinde in Frankreich, bei uns das unbegründbare nnd ge-
h&ssige Yorurteil, Berlioz habe mit Liszt und Wagner ein Triumvirat abgeschlossen
(deren Wei^e er nie verstand oder befürwortetet), Hessen den Märtyrer sräier
Kunst nicht emporkommen. Zum Martyrium gehört Charakter und ohne Charakter
darf man nicht von Tragik sprechen. Berlioz, wenn er je ab und zu in der
Jugend von Erfolgsucht geplagt war, hat derartige Anwandlungen schwer gebttsst
und im grossen ganzen ist es zutreffend, wenn man sagt: Berlioz hatte keinen
Erfolg, weil seine Werke, trotz manchen Massenaulgfebots, eben nicht auf
die Instinkte der Menge berechnet waren. Und nun frage man sich einmal, wie
viele von den musikalischen Franzosen, die im 19. Jahrhundert lebten, mit genialer
oder talentvoller Begabung Kraft des Charakters vereinigten! Wie viele? und
dem Franzosen, der das Leben Ästhetischer zu geniessen versteht, den feinere
Yersuchungen locken als den Deutsdien, ist es viel schwerer gemacht, Charakter
zu werden.
Berlioz wftre durch sein ethisches Künstlertum wegen aller Uebertreibungen,
Ueberspanntheiten entschuldigt. Allein, wer seine Briefe au&nerksam liest, wird
zugeben, dass die Uebertreibungen vielfach nicht die Sache Berlioz, sondern die
Sache seiner Gegner gewesen sind. Der deutsche Philister ist ein unerbittlichaa*
Feind der Jugend und noch nicht einmal bis Seneca vorgedrungen, der zugibt:
nullum magnum Ingenium sine mixtura dementiae fuit ; so ist es freilich nicht ver-
wunderlich, wenn ihm das Feuer des Südfranzosen, der sich zweimal in Liebes-
glut das Leben nehmen wollte, recht unsympathisch ist Nun wohl, lesen wir
weiter. Die Briefe an Ferrand sind die grosse Beichte des Künstlers, eine er-
schütternde, urwahrhaftige Confession. Da ist es denn, nach allen Liebesirrungen,
265
rührend, wie der jaBgling zar ersten Liebe, zur Irländerin Smithson znrflck-
kehrt ond nicht mehr Ton ihr lassen kann. Es gab eine Zeit, wo er sie
beklagte nnd yerachtete : «Sie ist eine ganz gewöhnliche Fran, mit einem instink-
tiven Genie begabt, nm Seelenqualen aoszadrücken, die sie selbst nie empfanden
hat Sie ist nicht fähig, ein so unendlich tiefes nnd edles Gefühl, wie das, mit
dem ich sie beehrte, zu fassen^ (m, S. 45). Ganz unzutreffend ist diese Eenn-
zeichnuDg nicht. Die kühle Irländerin, zu der ihn Shakespeare^Begeisterung hin-
getrieben hatte, passte nicht zu Berlioz Natur. Aber anstatt die Geliebte kluger-
weise abzostossen, findet er keinen Ausweg aus dem Labyrinth seiner Empfindungen.
Man überlege, ob es Berlioz nicht im tiefsten ehrt, dass er Ton Henriette Smithson
nicht loskam. Ob er nicht ein guter, kindlicher Mensch war, da er Tor der
Heirat die einfachen Worte schreiben konnte: „Sie ist so unglücklich, dass mein
Herz darüber blutet und ihr unentschlossener, schüchterner Charakter hindert
sie, einen festen Entschluss zu fassen . . Ich habe alles getan, was das ergebenste
Herz zu tun imstande ist; wenn sie nicht glücklicher ist und in keiner klareren
Lage, so ist das ihre eigene Schuld'' (III, S. 83). „Ich opfere ihr alles, und sie
wagt nichts für mich aufs Spiel zu setzen^ Das ist zu viel Schwäche, zu viel
Yemunft' (III, S. 8&), Und dann, als Berlioz die Geliebte dennoch überwunden
hatte, der herrliche Brief vom 11. Oktober l€fd3, den wir in seiner Zartheit und
Keuschheit nicht zerstückeln mögen. Weiter lese man S. 99, wie gemütvoll
Berlioz von seinem jungen Yaterglück erzählt, wie schön er von seiner Frau spricht!
Das wiederholt sich ein- oder das andere mal ; dann wird es still, aber ohne
Klage. Die Naturen waren zu verschieden. 1854, nach dem Tode der Smithson,
sagt Berlioz zu seinem Sohne: „Du wirst nie erfahren, was wir, deine Mutter
und ich, einer durch den andern gelitten haben, und gerade diese Leiden waren
es, die uns so eng aneinander fesselten. Es war mir unmöglich, mit ihr zu leben,
unmöglich auch, sie zu verlassen'' (lY, 119). Dann die Sorge für den, wie es
scheint, etwas verschwenderischen Sohn, den er auch überleben sollte. Die Seiten-
sprünge, die Berlioz in der Liebe machte, die Heftigkeit seines Wesens, seiner
Empfindung hat er schwer gebüsst und sein Yerhältnis zur ersten Frau und zu
seinem Sohn macht jedem, der nicht mit Blindheit geschlagen ist, den Eindruck,
dass Berlioz nicht bloss heftig, nicht bloss launenhaft und maasslos war. Das
Allerungerechteste ist, einen Menschen nur nach einzelnen Torheiten und Irrungen
zu beurteilen! Und wäre Berlioz dennoch verdammt als extravagantes Genie
weiterzuleben, so müssten wir ihm doch eines nicht versagen : die Bewunderung
seiner strengen, unwillkürlichen Wahrhaftigkeit ! Wie selten ist auch diese Eigen-
schaft bei Franzosen!
Was Berlioz den Deutschen so nahe rückt, ist ausserdem sein Natursinn,
die Liebe eines freien, ungebundenen Lebens und die Fähigkeit, Stimmung zu
empfinden, Stimmung wiederzugeben. Es sei hier aber auch eines Unterschiedes
gedacht, der aus einem Briefe an Wagner ersichtlich ist (lY, S. 134). Dort
heisst es : „Sie haben sich daran gewagt, Gletscher zum Schmelzen zu bringen mit
Ihrer Komposition der Nibelungen I . . Es muss herrlich sein, so mitten in einer
grossartigen Natur schreiben zu können. Das ist ein Genuss, der mir gänzlich
versagt ist ! Herrliche Landschaften, mächtige Bergesgipfol und gewaltige Meeres-
scenerieen absorbieren mich vollständig, anstatt mich zur Aeusserung meiner Ge-
danken anzuregen. Ich fühle und empfinde, aber ich weiss es nicht auszudrücken.
Beschreiben kann ich den Mond nur, wenn ich sein Bild im Brunnen erblicke.''
Schliesslich, um Berlioz selbst das letzte Wort zu lassen, geben wir als Leseprobe
eine Stelle an Schumann, von 1837 (lY, 47) : „Ich habe nie begreifen können . .
dass reiche Maler sich für einige Taler von ihren schönsten Werken ohne herz-
266
^erreissenden Schmerz trennen können and sie in alle vier Winde serstrenen, wie
das täprlich geschieht. Das hat mich immer an die Hahgier des bertthmten Ana-
tomen Baisch erinnert, der als seine Tochter als junges achtzehnjähriges Mädchen
starb, dank dem geistreichen InjektionsTerfahren, das er erfunden, ein Mittel
entdeckt hatte, nm der geliebten Toten das Aussehen yon Leben und Gesundheit
wiederzugeben, und der nun doch den Yerfährungen des Goldes nicht widerstehen
konnte, sondern einem Souyerain mit diesem Meisterwerke der damals noch neuen
Kunst den Leichnam seiner eigenen Tochter überlieferte.
Die Schriftsteller, Dichter wie Prosaiker, sind allein in der Lage, ihre Werke
zu yerkaufen, ohne wie die Musiker zu grosse Ge&hr zu laufen, dass sie entstellt
werden oder sie für immer aus den Augen zu yerlieren, wie die Maler oder
Bildhauer. Und doch sind auch die dramatischen Dichter, wenn sie ihre Sachen
drucken lassen, der Gefahr ausgesetzt, dass sie yor einem Publikum, welches mehr
oder weniger unfähig ist, sie zu yerstehen, mehr oder weniger schlecht aufgefährt
werden, dass sie beschnitten, benagt und ausgepfiffen werden. Byron hat damit
mit seinem ,,Marino Faliero'' die schlimmsten Erfahrungen gemacht. Nein, es ist
eine ganz intensive Freude fftr den Komponisten, gewissermaassen wie eine Brut-
henne über seinem Werke zu hocken, es solange wie möglich yor den Stürmen
der schlechten Orchester, der schlechten Sänger, der schlechten Direktoren und
Kontertanzyerkäufer zu schützen, die sich ringsherum breit machen. Es li^
für ihn ein unbeschreibliches Glück darin, es nur in grossen Zwischenräumen
wieder zum Vorschein zu bringen, wenn unablässige Sorgfalt dem Werk den Glanz
der Schönheit verliehen hat, wenn die Luft rein, das Wetter mild und heiter und
die Gesellschaft eine auserlesene ist* —
Karl Grnnsky.
1
Neue Sammelwerke.
Oermanenbibel. Ausheiligen Schriften germanischer Völker. Hersg. ▼. W. S ch w aner
II. Aufl. Hefti: Luther, Klopstock; Heft 5: Schiller. Berlin, Yolkserrieher-yerlag. Jedes
Heft KU 32 Quarts. 60 ^ — Diese Hefte werden fiel Schönes, yieles Tom Schönsten bringen,
was deutscher Geist gedacht hat. Freilich wird man es nicht wie Offenbarungen einftkch
hinnehmen dOrfen, denn es gehört Terschiedenen Zeiten an, auch innerhalb der geistigen
Entwickelung einzelner grosser M&nner. Es ist ein Unterschied, ob der Schiller der philo-
sophischen Briefe oder der ästhetischen Ersiehnng, und ein Unterschied ob ein Luther oder
ein Mörike, ein Lessing oder ein Rosegger zu uns spricht. Es ist alles deutscher Geist,
aber er will an den Persönlichkeiten gemessen werden. Eine „Bibel" durfte man solch
ein Bnch keinesfalls nennen; es gibt nur Eine Bibel in der Weltlitteratur und die bedeutet
gans etwas Anderes als eine Sammlung henrorragender Oeistesprodukte einer Nation. Ein
Religionsbuch su schreiben, haben weder die Goethe und Schiller noch die Keller und Raabe
bei ihren Schriften gedacht; und „heilige*' Schriften sind oni auch ihre besten Erzeugnisse
nicht, wenn schon Heiliges in jedem grossen und echten Manne lebt, und ihr Andenken uns
heilig sein soll. Leider ist diese falsche Betitelung nicht nur ein Missgriff, sondern ersieht*
lieber Ausdruck eines Misswolleos gegenaber dem Christlich-Religiösen, das selbst bei den
Lutherworten snrflcktritt. Sollte es einer Torwandten Anschauung entspringen, dass swar
Dohring und Nietzsche unter die Heiligen der Germanen gerechnet werden, Wagner aber —
267
tmgiaablieber Weise (d. h. weil nicht an ihn geglaabt wird) — aus dieser |,Bibel** aos-
geschlosseu bleiben soll? Fehlt aber Meister Eckhart am An&ng nnd Wagner am Schlosse,
so sind dem Tempel deutschen Geistes die Eckpfeiler genommen. —
Schiller im Urteil des XX. Jahrhunderts. Stimmen aber Schillers Wirkung aof
die Gegenwart Eingeführt von Engen Wolfl Jena, Gostenoble. 172 S. ^4.50. — Es
sind mehr Stimmen einselner Persönlichkeiten aber die Wirkung Schillers auf sie selbst;
und gern hätte man noch mehre und namhaftere M&nner und Frauen unsrer Zeit daraber
sich äussern gehört Die Sammlung ist ernst gemeint und wardig gestaltet, und wo auch
die Ansprache nicht gerade tief gehen, sengt doch alles far die Tiefe Schillers, welche auf
noch unabsehbare Zeit hin wirkende Kr&fte edler Art auf deutsche Seelen ausströmen wird.
Weder gewisse kleine Reverensen vor der „Moderne", noch die schroffen Wahrheiten des
Nichtverständnisses, die einer ihrer Fahrer, Bleibtreu, ehrlicher Weise nicht verschweigt,
können den wunderbaren Eindruck stören, dass Schüler schon heute, unter den so anders
Lebenden, als der Ueberlebende erscheint Seltsam, wie sich fisst Jedem ein Vergleich mit
Goethe, gleichsam pflichtgem&ss, aufgediängt hat, der doch immer nur schief ausfallen kann,
am schiefsten far Goethe, welcher dabei nur von einer Seite gesehen wird. Oder, als ob
man ein Opernglas n&hme und s&he durch die rechten Glftser auf Schiller, dagegen durch
die Torkehrten auf Goethe ! — Warum ist es keinem Einsigen eingefallen, an einen Vergleich
mit Wagner su denken? Die einsige Erw&hnung dessen ist ein Irrtum; denn sum Schiller-
fest 1859 war Wagner nicht ,am Stadttheater in Zarich tätig*", sondern damals las er in
Paris die „Jungfrau ?on Orleans.* Wohl aber gedenkt seiner verständig die vortreffliche
Einfahrung durch Eugen Wolff, welche den Stimmen der Vielen, vorauf die Stimmen der
Wenigen, der Bedeutenden noch einmal erklingen lässt, — wobei selbst der arme Nietzsche
dem traurigen Lose verfallen mnss, jenem Mitleiden, das er hasste, empfohlen su werden.
An Schiller versandigt man sich nicht ungestraft. —
Bacher der Weisheit und Schönheit Herausg. v. Jeannot Emil Frhm. v. Grott-
huss. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer. Jeder Band Jk 2.50, 12 Bände Jk 24. — Zu den in den
vorigen Litt Anzeigen empfehlend genannten Bänden sind nun noch die das erste Dutzend
vervollständigenden erschienen, von denen hier -— da Lucian (2 Bände, her. v. Grotthuss)
wohl nicht erst charakterisiert zu werden braucht: er passt in die „D6cadence" semitisierter
Zeiten I — nur noch Massinge r's «Herzog von Mailand" erwähnt werden soll, den Prof.
Hermann Conrad eingefQlrt und bearbeitet bat Es ist bemerkenswert, wie die Brutalität
der Renaissance, welche vom sadländischen Schönheitssinn auch far uns so reichlich maskiert
werden konnte, vor der ehrlichen Seele der Nordländer die Maske abwerfen muss und sich
nun in absonderlichen Rohheiten und Plumpheiten, sowohl äusserer wie innerer Vorgänge,
dichterisch kundgibt Was bei Massinger, selbst noch in der vorsichtigen Bearbeitung, die
einzelnen wahrhaft schönen Stellen persönlicher Seelensprache doch immer wieder abertäubt,
erscheint dagegen um so bedeutender bei Shakespeare durch die Meisterschaft der Menschen-
kenntnis und der Kunst, zwar nicht völlig verdrängt, aber in den grössten Werken ganz
zurOckgedrängt, um nur den wirklich erweckten indiridnellen Menschen in Kraft, Schönheit
nnd Klugheit zum bestimmenden Ausdruck der dramatischen Handlung werden su lassen.
Die Wahrhaftigkeit des Innern, Unbegrenzten, kommt bei Massinger nur sporadisch zur vollen
Geltung, die Ehrlichkeit des begrenzten Zeitgeistes stellt sich der kanstlerischen Freiheit in
den Weg. Man muss Massinger kennen lernen, um Shakespeare erst voll su wardigen, —
wenn es sich darum noch handeln kann! — Dafar aber ist diese neue Ausgabe dankenswert
Desgleichen soll nochmals diejenige der bisher unbekannt gebliebenen, als echte Lyrik und
daneben auch gesunde Balladen-Poesie alle Beachtung verdienenden Dichtungen des Frei-
herm von Fircks hervorgehoben werden. — T. W.
m
1
Bayreuth und Draussen.
Ans den YereineB.
Berlii-Potedan. 4. Mal Schillerfeier. Zam Besten der Bayreutber Stipen-
dienstiftung. Glack, Vorspiel za Iphigenie ia AaUs. Schiller «Die deutsche Muse*.
Vorspiel sa den Meistenmgem, Liest, die Ideale. BeethoTon, IX. Symphonie. Oreheater-
leitUDg: Hr. Holkapelimeister Karl Pohlig ans Siatt^krt BtsiuU<m: Br Hofscbaaspider
Arthur Kraossneck. Soli: Frau Kammers&ogerin Emilie Herzog, Laise Oelter* Wolter,
Dr. Otto Brietemeister, Kammer sftnger Hermann Gara. Chöre: Berliner Lehrerinnen- Verein,
Berliner Liedertafel (Max Werner) Orchester: Terst&rkte Philharmonische Kapelle. —
UaBbarg. 20 Mai. Gebartstagsfeier. Vortrag des Herrn Oberlehrer Dr. Johann et
Nölting: «Aiehard Wagner und das deutsche Volksbewnsstsein*, — Lohett-
grm: Gralserz&hlnng (Hr. Carl Scheel), Klavierphantasie (Hr. Cl. F. Meyer), Ortmd und
Telramond (Fr<ia Martha Steiobach-tOmmler, Hr. Carl W. Lyncker.) Wa&üre: Lenzeslit^d
(Hr. C. Scheel). Wotan und Fricka (w. o.) Klaiierphantasie (w. o.), Wouns Abschied und
Fenerzauber (ür. 0. W. LyncKer). Meistenmger: «Am stillen Herd" (Hr. C. Scheel).
Klavier: Hr. Oberlehrer H* Feddersen. -^
Prag. Akadem. W.-V. 22. Mai. Schiller- Wagnerfeier. ^,Wäeh aufl*' - Die
Ideale,' gespr. t. Hm. phil. Dr. J, Harmoth; Liszts sy ii phonische Dichtung, gesp. ▼. Hro.
phil. K. M. Haar a. phil. J. PeSchek. Friedrich Schiller and Richard Wagner,
Festrede von Hm. Prof. Alois Höfler. — Han$ 8acM Schlossrede ond Schlosschor,
g«L T. Hm. phil. FOrstenan, SchOlerinnen der Gesangslehrerin Fran Gerl«Benetti und Mit*
gliedern des Trager akad. W.-V.'s unter Leitung des Hm. Romeo Finke. —
Zur Forderung der Bayreuther SÜpendien-Stiftajig.
Ansser der oben enrfthnten Berlin^Potsdamer Schillerfeier £snd auch der 90. Vereina-
abend des Darmst&dter W.-V.'s am 81. III. als Goethe ond Schubert-Abend unter
Mitwirkung von Frau Anna Ulsaker und Hm. Eynar Forchhammer aus Frankfurt a. M.,
der 9i. Vereinsabend als „Deutscher Klavieraf)end^* (Fran Henriette Schelle aus Cöln) am
14. IV. und der 92, Vereinsabend (20 Lieder von Siegmnnd von Hansegger, ges. ▼. Frla.
Jobanna Dietz aus Frankfurt a. M. u. Hm. Oskar Noö aus Leipzig) am 4. V., ferner
ein Liederabend des DOrerbundes in Prajg (zu Gunsten des Landesverbandes) am
10. IV., ausgeführt von Frau Therese Lederer-Schichtl, Frln. Anna Elischak, Hrn. Otto
Bardas und Josef Kohlmflnzer, und die erste Veranstaltung des Mecklenburgischen
Landesverbands zu Rostock am 11. IV., Orchesterkonzert unter Leitung des Hm. Stadt
Musikdir. Heinr. Schulz (Liszt's Prometheus; Faugl- Ouvertüre, TomiAaiiaer-OiMwrMr» md
Pariser VemuSberg, Vonpiel, Zaubtrgarten und CharfreiUiguauber aus .Parsifal", einleitende
Worte von Prot. W. Golther) zu diesem Zwecke statt. —
Die Direktion des Grossherzoglichen Hoftheaters zu Darmstadt hat von der
letzten Opemvorstellung der Saison „Sienßi^* dem Vorstand des hessischen Landesaussehnsaea
der Richard Wagner-Stipendienstiftung fQr die Zwecke dieser Stiftung aehn Pro-
zent der G'^samteinnahme Qberwiesen.
Se. Hoheit der Herzog Friedrich von Anhalt hat den Erlös der MeistersingervorBtellong
seines Dessauer Hoftheaters vom IS.Februar der „B. Wagner- Stipendiumstiftung** aber»
weisen lassen.
In Boehhand«! m bexiehen dnreh G. F. Leed«, Leiptlg .
Im "Verlair« des £Iei!miisiret>ers*
DiMk ▼. L«r«Bi BllwftBf «r, tot». Th. Bug«, BcfiMllL
BatbidthMb BlJlTlItB. IX«/Xli«
DL— xn.
Meinungen, welche in Briefen vorgetragen werden, können nur be-
ziehungsweise wahr oder falsch sein, geradeso wie sich die Welt in dieser
Seele und in keiner andern spiegelt
Weit sicherer vertraut sich der Mensch den Eingebungen seines Herzens
als der gefährlichen Leitung universeller Vemunftideen, die er sich künst-
lich geschaffen hat ; denn nichts ftUirt zum Guten, was nicht natürlich ist
Liebe, das schönste Phänomen in der beseelten Schöpfung, der all-
mächtige Magnet in der Geisteswelt, die Quelle der Andacht und der
erhabensten Tugend, ist nur der Widerschein der einzigen Urkraft, eine
Anziehung des VortrefOichen, gegründet auf einen augenblicklichen Tausch
der Persönlichkeiten, eine Verwechselung der Wesen.
(Schiller.)
Zur Yeröffentlichung yod Briefen.
«Briefe gehören unter die wichtigsten Dokumente, die der einzelne
Mensch hinterlassen kann. Lehhafte Personen stellen sich schon bei
ihren Selbstgesprächen manchmal einen abwesenden Freund als gegen-
wärtig vor, dem sie ihre innersten Geheimnisse mitteilen; nnd so ist auch
der Brief eine Art Ton Selbstgespräch. Denn oft wird ein Frennd, an
den man schreibt, mehr der Anlass als der Gegenstand des Briefes; was
nns freut oder schmerzt, drückt oder beschäftigt, löst sich Ton dem
Herzen los; und als dauernde Spur eines Daseins, eines Zustandes, sind
solche Blätter far die Nachwelt immer wichtiger, je mehr dem Schreiber
nur der Augenblick vorschwebte, je weniger ihm eine Folgezeit in den
Sinn kam.*
Der diese Worte schrieb, das war Goethe. Er sprach darin aus, was er,
was ein Goethe beim Schreiben seiner Briefe, beim Lesen der Briefe seiner Freunde,
dachte — sich vorstellte — empfand. Wir ersehen da/aus, was ihm, was einem
Goethe freundschaftliche Briefe waren. Mancher, der diese Worte liest, mag
denken: „so ist mir's gerade I* Trotzdem sind sie nicht zu einer allgemeinen
Maxime zu erheben, wonach man in jedem Falle erklären dflrfte: Wir veröffent-
lichen diese Briefe nach dem Grundsatz Goethe's: „Briefe sind die wichtigsten
Dokumente, die der einzelne Mensch hinterlassen kann.* Wenn es auch Jedermann
so wäre, gerade wie es Goethe war, immer bleibt der Unterschied bestehen zwischen
Goethe und Jedermann. Und Jedermann wird schliesslich zugeben, dass der Brief-
wechsel zwischen Goethe und Schiller nur einmal geschrieben werden konnte. —
20
670
Erst kürzlich wurden an dieser Stelle einige Worte angefahrt, welche selbst
einem veröffentlichten Briefe entnommen waren:
„DasB Sie mir die Schiller'schen Briefe schickten, war ein sehr
gnter Gedanke von Ihnen. Unterhaltung mit solchen Leuten ist mir doch
das Liehste und geht mir seihst über die Politik. Ich lese auch die
kleinsten Billets mit Interesse; sie erst machen mich mit dem lieben
Menschen leben. Und darauf kommt's Einem immer an: man will gans
intim mit solchen Leuten werden.*^
Einem — mit Solchen. Der Eine war Richard Wagner, und Solcher
in diesem Falle: Schiller. Was aber in jenen Höhen vor sich geht, kann keine
Regel des Alltags werden. Was dort die ^Intimitäten^ sind, von denen der
Meister sagte: „Ich möchte nichts weiter lesen ^, das wird drunten auf dem breiten
Markte der Oeffentlichkeit zu den „Indiskretionen", worunter wir heutzutage leiden.
Bei dem Meister, der jene Worte schrieb, herrschte jedenfalls eine andere
Regel. Selten nur hat er Briefe, die er erhielt, bei sich aufbewahrt Er sah
den Brief nicht als ein litterarisches Monument an, welches gewissermaassen der
Schreiber sich selber setzt und dem Empfänger zu pietätsvoller Konservierung
übergibt. Vom Monumentalen, wissen wir, hielt er überhaupt nicht viel. Zwischen
einander fernen Freunden bildet der Brief doch auch nur den notgedrungenen
Ersatz eines unmöglichen Besuches. Weil er geschrieben ist, darum bedeutet
er dem Empfänger nicht mehr, als der Besuch bedeuten würde, den er ersetzt.
Der Besuch tauscht mit dem Besuchempfänger seine Mitteilungen und Ansichten
aus; dann erhebt er sich wieder, öffnet die Tür, schliesst sie hinter sich und
ist verschwunden. Nicht anders der Brief. Hat man ihn gelesen, hat man ihn
auch noch beantwortet, hat er also seinen Zweck erfüllt, so hält man ihn nicht
zurück, als bleibenden Hausgenossen, unter Schloss und Riegel, sondern man läset
ihn freundlich lächelnd wieder verschwinden. So war die Ansicht im Hause
Wagners. Und wie wenig fest stand dieses Haus selber — wie viele völlige
Aufbrüche, ja Zusammenbrüche musste es erleben I Man denke an Dresden —
Zürich ^ Penzing — endlich Triebschen; bis der Hafen von Wahnfried erreicht
war. Begreift es sich nicht, dass in einem solchen Leben selbst aufbewahrte
Briefe verloren gehen oder beseitigt werden mussten ? So sammelten sich in der
Tat niemals Briefe an, bildeten sich keine Faszikeln mit Aufschriften von Frenndes-
namen. Wenn aber später einmal solch ein Freund oder seine Erb^i etwa d^
Wunsch nach Wiedererhaltung seiner Briefe äusserten, so gab es dennoch viel&ch
ein grosses Erstaunen darüber, dass Lebensänsserungen einw Persönlichkeit, welche
doch in so naher Beziehung zum Meister gestanden, derart „gering geachtet*
worden seien. Und doch musste selbst ein Goethe, dessen Ansicht von Briefen
mi eben vernahmen, in «Dichtung und Wahrheit*^ einmal in Bezug sogar anf
Herders Briefe bekennen : „Ich erinnere mich nicht, dass ich eins seiner Blätter,
ja, nur ein Couvert von seiner Hand, zerrissen oder verschleudert hätte; dennoch
ist mir, bei den so manichfaltigen Ort- und Zeitwechseln, kein Dokument
jener wunderbaren, ahnungsvollen und glücklichen Tage übrig geblieben 1* —
Allein, nach der herrschenden Vorstellung, hält man eben Briefe nicht für schrift-
liche Besuche, sondern fEür litterarische Monumente, die sogar den Stürmen eines
bewegtesten Meisterlebens trotzen sollten. Litterarische Monumente oder Doku-
mente aber werden sie erst dann, wenn es sich um Veröffentlichungen handelt,
und die Rechtsfrage von Aussen herantritt
Allerdings gab es auch bei Wagner einige wenige bedeutungsvolle Ausnahmen.
Er hat Liszts Briefe bewahrt, und die Königsbriefe wurden nicht nach München
zurückgegeben. Auch kam es wohl vor, dass einzelne Briefe, die ihm etwas besonden
2tl
gesagt hatten, zarttckgelegt wurden, nicht minder solche, welche irgendwie schienen
biographische Bedentung behalten zn können, nnd solche die zu besonderen ge-
schäftlichen Dingen in Beziehung standen und daher den betreffenden Faszikeln
als Dokumente eingefügt wurden, abgesehen von denen, die nur zufällig unter
andere Papiere geraten und so ungewollt , gerettet^ worden waren. Viel ist es
aber nicht, was sich auf diese Weise erhalten hat; nur in sehr wenigen Fällen
wurde aus der einzelnen Bewahrung eine kleine Reihe; was dann allerdings für
die besondere Bedeutung spricht, welche dem Inhalte dieser Briefe in einer be-
stimmten Periode des Lebens beigelegt ward.
Als eine solche «Reihe^ dürfen z. B. die in Wahnfried aulgfefundenen Briefe
von Constantin Frantz bezeichnet werden. Schon der Name spricht hier
für den Wert des «Besuchs^. Es ist da gleichsam, als wenn sich der Besuchs-
empfänger die ihn besonders interessierenden Gespräche, Aeusserungen, Gedanken
des Besuchers hinterher notiert hätte, um sie nicht zu vergessen, oder doch, um
sich ihrer bei Gelegenheit wieder erinnern zu können. Daher dürfte hier eine
Veröffentlichung nicht ungerechtfertigt sein, und zwar gerade auch im Betreff alles
dessen, worin Frantz's Ansichten von denen Wagners abwichen, also seine eigene,
besondere, an sich beachtenswerte Persönlichkeit kennzeichnen und seine eigen-
tümlichen Ideen, die mit der geschichtlichen Entwicklung in scharfem Gegensatz
standen und stehen blieben, zum Ausdruck kommen. Da wir bei unseren Ver-
öffentlichungen möglichst historisch verfahren wollen, wird diejenige der Frantzischen
Briefe erst später erfolgen. —
Aber man soll doch ja bei allen Briefen, die man noch vorfindet, erst recht
ernstlich sich überlegen, ob sie aus Privatbesuchen zu Marktbesuchen, ja, selbst
nur zu Familienbesuchen, werden dürfen und können? Dürfen — darüber ent-
scheidet das Zartgefühl. Können — darüber entscheidet die Einsicht Vor Allem
aber — die ach so seltene Fähigkeit des rechten Maasses ! — Es wird so vieles
für interessant gehalten, was erst mühsam interessant gemacht wird; und die Ver-
öffentlichung ist schliesslich nur ein Schritt auf dem Wege dieses Interessant-
machens oft wirklich ziemlich bedeutungsloser Dinge, oder auch rocht netter Dinge
bedeutungsloser Personen. Dem trivialsten Besucher entschlüpft ja manchmal ein
Bonmot. Solche hat freilich gerade Wagner im Allgemeinen nicht angenommen;
den Markt aber bevölkern sie in unseren witzigen Tagen von allen Seiten.
Dass überhaupt an eine Veröffentlichung von Briefen an den Meister in
Wahnfried gedacht werden konnte, erklärt sich aus ganz besondern Umständen.
Wären die «Bayreuther Blätter^ nicht vorhanden, so hätte man wohl ganz davon
abgesehen. In diesen aber war doch ein Organ gegeben, welches nicht im ge-
wöhnlichen Sinne zur «Oeffentlichkeit^, geschweige zum Zeitungswesen, gerechnet
werden durfte. Die Blätter sind gewissermaassen das natürliche Verkehrsmittel
zwischen Bayreuth und den Bayreuthem, an und für sich schon eine, wenngleich
gedruckte, „Intimität^. Hier also lässt sich manches sagen und mitteilen, was
man niemals in die Welt hinausrufen würde. Da man dieses Organ zur Verfügung
hatte, konnte man vom Hause Wahnfried aus durch einige Veröffentlichungen
allerdings etwas zur Steuer der Wahrheit beitragen. Das schon erwähnte Erstaunen
über die Tatsache, dass Briefe selbst aus zeitweilig recht lebhaften freundschaftlichen
Beziehungen gamicht sollten bewahrt worden sein, hatte bereits dazu verführt, die
Tatsache einfach zu bezweifeln. Dass damit gesagt ward: das Haus Wahnfried
sei unwahrhaftig, das war solchen voreiligen Thomaschristen wohl gar nicht ein-
gefallen. Immerhin, wenn Einem so etwas ganz öffentlich in's Gesicht behauptet
wird: ,es sind Briefe da*, nachdem man ganz privatim erklärt hatte : «wir haben
keine Briefe'', — dann denkt man unwillkürlich doch im ersten Augenblick nicht
20*
2?2
glidich: ^Das ist eine beleidigende Behauptung!* sondern: nSoUten wir uns geirrt
haben?'' Der anständige Charakter tränt immer mehr sich selbst einen Fehler
zn als dem Andern, und ist dann ordentlich betrfibt, wenn er Recht behält, und
der Andere Unrecht hat. Nach dem hier weiter nicht anszuftlhrenden Erlebnis
jenes öffentlichen Vorwurfs ohne alle Beweise, ward also in der Tat das ArcbiT
in Wahnfiried noch einmal ganz durchgesehen, ob irgendwo yerlegte Briefe sich
fänden, die kein besonderes Faszikel angezeigt hatte. Bei dieser Gelegenheit lieas
sich nun freilich leider nichts entdecken, was dem Ankläger Recht groben hätte;
dafOr wurde noch eine Anzahl von einzelnen Briefen gefunden, die teils mit Ab-
sicht, teils durch Zufall erhalten wurden. Da war nun zu erwägen, was dsTon
etwa von solcher Art wäre, dass es, yeröffentlicht, zugleich einen Beitrag liefern
könnte zur Biographie des Meisters oder doch zur Charakteristik des Schreibers,
wenn dieser eine Persönlichkeit war. Es war wenig, was bei einer Durchmusterung
nach diesem Prinzip noch ttbrig blieb, aber es gentigte ToUkommen dem Zweite,
die Behandlung der „brieflichen Besuche*, worüber selbst bei Näherstehenden Un-
kenntnis, oder Unverständnis waltete, ein fOr alle Male zu charakterisieren. Ob-
wohl nur eine Auslese, in Rücksicht auf die Gebote der Diskretion, bietet eine
solche, dadurch gerechtfertigte, Yeröffentlichung doch jedenfalls ein Bild der Wahr-
heit dar. —
Nun kommt bei allen solchen Veröffentlichungen, zu denen man sich selber
schon schwer entschliesst, noch die Rechtsfrage hinzu. Ist es erlaubt, Privatbriefe,
welche Andere geschrieben haben, der Oeffentlichkeit zu übergeben? Ist der
Empfänger, oder sind seine Erben, berechtigt, als Besitzer der Briefe mit ihnen
nach Belieben wie mit jedem andern Besitz zu verfahren? Ein „Besuch* ist an
sich kein Besitz-, aber man könnte ihn doch etwa als ein Geschenk betrachten.
Ist ein Brief ein Geschenk — was immerhin eine pietätvolle Behandlung be-
dänge — , oder ist er nur etwas wie ein Lehen, eine Mitteilung zur Nutzniessung
des Empftngers, deren (geistiger) Besitzer aber der Schreiber bliebe ? Obwohl in
unserer Gesetzgebung das geistige Eigentum fast kaum als ein solches geschützt
worden ist, haben doch die vorhandenen Rechtssprüche eine juristische Auffassung
festgelegt, welche Briefen den Wert von geistigen Arbeiten zuspricht Dazu mochte,
nach der herrschenden materiellen Grundanschauung, die Tatsache beitragen, dass
Briefe im Verkauf hohe Preise erzielen. Vor solchen Dingen muss das Gesetz
oder doch der Richter selber hohe Achtung haben und beweisen. Insonderheit
Korrespondenzen, welche einen Zusammenhang von Aeusserungen einer Persönlich
keit bilden, die haben den Rang von Schriften, von Werken zugebilligt erhalten,
und demzufolge haftet an ihnen ein sich auch vererbendes Autorenrecht
Hierzu seien, in kurzer Auswahl, einige Eommentarien namhafter Juristen
mitgeteilt :
Bluntschli: „Ungereimt wäre es, wenn der unbefugte Herausgeber, welcher
die Briefe als litterarisches Erzeugnis ausbeutet, sich darauf berufen dürfte, sie
seien kein litterarisches Erzeugnis.*
Wächter: „Nur in seltenen Fällen wird schon der einzelne Brief an und
für sich jene (litterarische) Qualität an sich tragen; er erhält sie aber, sobald
er einem litterarischen Erzeugnisse, sei es eine blosse Sammlung mehrer Briefe
oder ein anderweitiges Werk, einverleibt wird.**
Elostermann: „Die Frage, ob das Urheberrecht durch die Absendung
des Briefes an den Adressaten veräussert werde, ist zu verneinen. Der Absender
des Briefes überträgt zwar das körperliche Eigentum an dem Schriftstück, nicht
aber das davon ganz unabhängige Urheberrecht an dem Schriftwerke. <*
273
So ist die jetzige Rechtslage. Wenn nun auch in unserem Falle grossenteils
nnr yereinzelte Briefe Torlagen, und selbst da, wo es mehre eines und des selben
Schreibers waren, eine vollständige Reihenfolge sich nicht daraus bilden liess, so
blieb doch noch dieAnstandspflicht zn beachten, wonach immer, wo es
irgend möglich, die noch lebenden Persönlichkeiten, welche einst die Briefe ge-
schrieben haben, zuvor um ihre Zustimmung zur Yeröffentlichung gebeten werden
sollten. Wenn ernstlichere, bedeutendere Mitteilungen Yerstorbener vorlägen,
würde sogar die Einwilligung der Nachkommen, soweit sie erreichbar sind, höflicher-
weise einzuholen sein. Erfährt man dann eine unbegründete Abweisung, wohl
gar in unhöflicher Form, so kann man sich selber immer noch auf den blossen
Rechtsstandpunkt zurückziehen. Nach diesem Prinzip ist auch bei der Yeröffent-
lichung der einzelnen Briefe an Wagner verfahren worden, und es ist zu hoffen,
dass damit etwas wie ein gutes Beispiel gegeben worden ist. Wäre in solcher
Weise stäts gehandelt worden, manche widerliche Eonsequenzen wären dann aus-
geblieben, die sich durch eine einfache Regung des natürlichen Anstandsgefühls
von Anfang an hätten vermeiden lassen. —
Hat man sich einmal entschlossen, unter allen Eautelen, einzelne Briefe zu
veröffentlichen, so ist man aber noch immer nicht soweit, dass man sie nur ab-
drucken lassen dürfte. Jetzt fordert erst die schwierigste Aufgabe ihre Lösung.
Die Frage tritt heran: was ist wegzulassen? Mitunter kann man sie gar nicht
anders beantworten, als indem man den ganzen Brief weglässt, weil er ohne völlige
Zerstörung sich nicht verkürzen lässt. Die Yerkürzungen, die Weglassungen sind
aber nötig, nicht allein aus Gründen der Diskretion, wo es sich um ganz intime
Dinge handelt, oder der Delikatesse, um nicht lebende Personen oder die An-
gehörigen Yerstorbener zu verletzen. Sie sind oft nötig aus Rücksicht auf den
Schreiber selbst Man bedenkt es bei Yeröffentlichungen im Allgemeinen zu wenig,
ob man den Schreiber des Briefes nicht etwa in ein falsches Licht stellt und,
indem man glaubt, durch unbedingte Treue beim Abdruck der Wahrheit zu dienen,
nicht vielmehr die Wahrheit in Betreff der Persönlichkeit schädigt Zunächst ist
es ein alter Erfahrungssatz, dass der Schreiber eines Briefes, wenn er nicht eine
ausserordentlich entschiedene oder ganz absonderliche Persönlichkeit ist, unwill-
kürlich etwas von der Art seiner Adressaten annimmt. Die meisten Briefe sind
daher in einem Mischstyl geschrieben ; der Styl der Persönlichkeit des Schreibers
kommt nicht rein heraus, wenn auch ihr Stämpel unverkennbar sein mag. Dann
aber wirkt auch oft eine momentan Laune, ein Aerger, eine Yerstimmung, ja, ein
witziger Einfall, auf den Ausdruck des Briefes ein. Wem entschlüpfte nicht einmal
in solchem Falle eine Bemerkung über eine Person, die man schätzt, gegen die
man niemals öffentlich etwas sagen würde, was unfreundlich oder mockant klänge —
hier, in dem Briefe, fEür den einen bestimmten, verständnisvollen Leser fiel ein
solches Wort, um wie die Stimmung zu verfliegen. Wird der Brief so abgedruckt,
wie er geschrieben worden, so steht es nach vielen Jahren monumental fixiert da,
als die Ansicht des Schreibers in den Augen der Welt; und er erscheint als
unfreundlicher, hinterrücks falscher, undankbarer Mensch, wovon er weit entfernt
war. -^ Ja, es kann selbst eine besondere Absicht gewaltet haben, welche die
Darstellung von Tatsachen, die Fassung von Urteilen beim Schreiben beeinflusst
hat, wovon spätere Leser nichts mehr wissen können. Der Schreiber will dieses
oder jenes Yorurteil, diese oder jene Annahme, bei dem Adressaten abschwächen,
daher übertreibt er etwas seine eigenen Mitteilungen nach einer Seite hin. Er
will selber gern in einem bestimmten Lichte gesehen werden, zündet also nur
dieses an und löscht die andern, die seine Person allseitig beleuchten wtlrden,
oder rückt sie wenigstens auf eine Weile hinter einen Lichtschirm. Im Augen-
274
bück mochte dies den Zweck erfUlen ; wird der Brief aber spftteriun nun Doknmeiit
fltr die CharakteriBtik der Persönlicbkeit als Ganzes eriioben, ist jener Zweck also
dnrch einen viel grösseren abgelöst, so passt die damals yom Schreiber brfolgte
Methode gamicht mehr dazn, sie erfftllt nicht nur den Zweck nicht mehr, sie
widerspricht ihm und erreicht das Gegenteil. Was einen Angenblickswert haben
sollte, wird zum Monument vor aUer Welt, fOr alle Zeit: «So war dieser Mann*,
heisst es jetzt. Ganz andere Augen lesen, ganz andere Seelen empfinden, ganz
andere Köpfe denken es, und die Einen, welche das eine licht so hell leuchten
sehen, sagen: „ein Charakter!*, die Anderen aber, welche die anderen, W€^
geschehenen Lichter yermissen, urteilen: „kein Charakter 1*^ Was ist nun wahr?
Das wahre Bild eines liebenswflrdigen und zartempfindenden Menschen ward durch
die rücksichtslose Mitteilung solcher ,,ZQge*, wie man es nun nennt, yerdorben,
zum mindesten doch in etwas getrtlbt. Musste das geschehen? War es nicht
wahrhaftiger, wenn alledas, was dieses an sich wahrhaftige Bild stören konnte,
weggelassen ward? Nur das Zufällige, nur das Momentane, welches nicht zur
Monumentalisierung geeignet ist, blieb damit ausgeschlossen. Veröffentlicht maa
solche persönliche Aensserungen, welche dem Missverständnisse ausgesetzt sind,
ohne aufs Genaueste angeben zu können, wie sie ans den Umst&nden zu verstehen,
was kaum je recht möglich, so begeht man das Unrecht, das Momentane zu
monumentalisieren, und das ist ein Unrecht gegen die Persönlichkeit selbst. Nur,
wo man sich dessen ganz sicher fdhlt — es ist immer mehr ein Fahlen als ein
Wissen I — dass die Aensserungen ohne Weiteres auch Ton Unbeteiligten, Fronden
▼erstanden, jedenfalls nicht missverstanden und missdeutet werden können, daaa
also die Umstände sie nicht in einem Grade bedingt haben, wodurch das Bild der
Persönlichkeit beeinflusst werden könnte: erst dann mag man die Aensserungen
unverändert der Oeffentlichkeit preisgeben. Etwas wie ein Preisgeben wird es
immer bleiben, und nur wieder besondere Umstände, wie in unserem Falle, durftet
zuletzt dieses heute nur allzubeliebte Yerfahreu doch einigermaassen entschuldigen.
Soweit galten diese Betrachtungen von denjenigen Briefen, welche von Anderen
geschrieben wurden. Diese sollen in der folgenden Zeit hier veröffentlicht werden.
Aber ausserdem und vordem schon haben wir uns glücklich schätzen dürfen, den
Lesern der Bayreuther Blätter auch etliche Briefreihen mitteilen zu dürfen, welche
es gelang aus der grossen Korrespondenz des Meisters mit Anderen wieder n
erhalten. Das vorige Stück hat aus drei bedeutenden Perioden solche Dokumente
erstmals an's Licht gebracht
Wie man in Bayreuth über solche Veröffentlichungen denkt, ist bei früheren
Gelegenheiten schon deutlich ausgesprochen worden. Vieles auch, was diesmal
über Briefe überhaupt gesagt ward, Hesse sich ohne Weiteres auf die Meisterbriefe
anwenden. Es möge hier nur noch darauf hingewiesen werden, dass bei den jetst
häufigeren Veröffentlichungen dieser Art aus dem Archiv von Wahnfried der
Gedanke maassgebend ist, diese Schätze vor unkontrollierbaren Verwertungen durch
Andere wenigstens bei Zeiten in der Weise und an dem Orte zu bewahren, welche
ihrer Herkunft und ihrem Charakter noch zumeist entsprechen. Denn, da das
Archiv die Briefe grösstenteils nur in Abschriften besitzt, so liegt die G^efrüur
nahe, dass die Originalien, gegen das Autorenrecht, von den gegenwärtigen, oft
zufälligen Besitzern entweder in willkürlicher Weise veröffentlicht oder gar durch
Verkauf als Autogramme verzettelt werden. Dann kann es noch leichter geschehen,
wie es schon geschah, dass sie sogar aus böser Absicht, unter Missdeutangen,
gewiss aber als Sensationen oder Indiscretionen, jedem beliebigen Leserkreise
275
vorgelegt werden. Man mass in dieser Beziehung auf Alles gefiasst sein 1 Zndem
ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, da selbst das Urheberecht erlischt — ist es
dodi das einzige Recht, das erlöschen kann, während sonst wohl Nichtrechte durch
die Zeitdauer zu Hechten werden können ! — Dann aber werden auch alle Briefe
frei — ein schrecklicher Gedanke I — Man sieht schon einen Strom von Unfug
durch Unbefugte entfesselt I — Dem möglichst vorzubeugen sollen diese Yeröffent-
lichungen „aus Bayreuth — in Bayreuth^ dienen-, und es ist dabei nur zu
-beklagen, dass nicht alles zu erreichen ist, was zu wünschen w&re. Es gibt leider
„Besitzer^, besonders wenn es schon „Erben'' sind, welche ihre, höflicherweise
erbetene, Zustimmung nicht erteilen wollen, mit Prozessen drohen oder dieses
Mittel gegen sich herausfordern. „Da lässt man's denn so sein.'' Das Streiten
um Dinge, welche so hohen, intimen Wert besitzen, wie die persönlichen Aeusse-
rungen des Meisters, muss den Nächstbeteiligten innerlichst widerstehen. Mitunter
ist dies leider doch nicht zu vermeiden, wenn bereits unliebsame Yeröffentlichungen
vorliegen, die man nicht ungerügt zu lassen sich verpflichtet fuhlt Mitunter aber
auch gelingt es, mit freundlichen und vornehmen Seelen ohne Schwierigkeit zu einem
reinen Einverständniss zu kommen ; und dann begrüssen beide Teile das Erscheinen
der betreffenden Briefe in unseren Blättern mit der selben Freude wie die Leser.
Jedenfalls gehört alledies der Geschichte an, insbesondere der Lebens-
geschichte des Meisters und seiner Kunst, welcher unsere „Blätter*^ in ihrem
weitesten Sinne gewidmet sind. Denn, wenn etwas auf die lYage an der Spitze
der Zeitschrift des Meisters Antwort gibt: „Was ist deutsch?" — so ist es
sicherlich der Meister selbst, so ist es seine Persönlichkeit, sein Wirken, und
demgegenttber — all der breite Widerpart der Welt, welcher ebenso deutlich
lehrt, was undeutsch ist.
Hans von Wolsogen.
Briefe an Richard Wagner«
L
Aus der Dresdner Zeit
(1843. 184B).
1.-8.
Louis Spohr.
Cassel den 6^ Juni
1843.
Hochgeehrtester Herr,
Ihre Oper ist gestern Abend mit dem allgemeinsten BeyftkU gegeben
worden. In dem Gedränge der Hinansströmenden hörte ich von allen
Seiten Ausrufe der Zufriedenheit und Theilnahme, die zu gleichen Theilen
der Musik wie dem Sujet galten. Es that mir leid, dass Sie Ihren Vor-
satz, hieher zu kommen, nicht ausgeitlhrt hatten,: Sie würden Freude an
Ihrem Werke erlebt haben! Anfangs hatte loh sehr mit den Sängern zu
276
kämpfen, die von der Schwierigkeit ihrer Ao^be zorüoksohreokten. Da
ich sie aber zn strengen Proben anhielt, es in diesen sehr genau nahm, so
kamen sie nach nnd nach znm Yerständniss ihrer Parthien nnd es traf zu
meiner Freude ein, was ich ihnen vorausgesagt hatte, dass sie das grösste
Interesse daran nehmen würden! Dieses war bey allen der Fall und so
hatten sie so fest memorirt, dass selbst die Aufregung der ersten Auf-
führung sie nicht irre machen konnte. Besonders gut waren die beyden
Bassisten, Biberhofer und Foppel, und ich glaube nicht, dass die
Bolle des Holländer irgend wo besser gesungen und gespielt werden kann,
als es gestern vom ersteren geschah. Auch die Eder und Devska waren
als S e n t a und Erik gut ; doch konnten sie, nicht mit so kräftigen Stimmen
wie jene begabt, die leidenschaftlichen Stellen nicht so siegreich hervor-
heben. Die scenische Anordnung war sehr sorgsam, und ich hatte es an
Versuchen nicht fehlen lassen, wie sie unserem Baume angemessen, am
wirksamsten seyn könne. Auch der Maschinist hatte das Seinige redlich
gethan und wurde nach den Sängern herausgerufen. Das Orchester war
vortrefflich und die Schwierigkeit der Aufgabe hatte seinen Eifer noch
gesteigert. Freilich mussten einige Theaterproben mehr wie gewöhnlich
bey einer Oper gemacht werden, aber der Eifer erkaltete nicht und so
gelang es, dass zuletzt alle die schwierigen Figuren in Geigen und Bässen
deutlich, rein und kräftig herauskamen. Auch beym Orchester hatte K^h
die Freude, sein Interesse an dem Werke mit jeder Probe immer mehr
gesteigert zu sehen und da recht viele durchgebildete Musiker darunter
sind, so gereicht dieses dem Werke zu besonderer Ehre und verbürgt
seinen inneren Werth. Was mich betriffi, so hatte ich von Anfang an
eine Vorliebe dafür, weil ich schon bey der Durchsicht der Partitur be-
merkte, dass es mit Begeisterung geschrieben war, nicht nach Effekt haschte
und dem grossen Haufen zu gefallen strebte ! Fahren Sie in dieser Weise
fort und Sie werden deutscher Kunst Ehre bringen! Ist es mir erlaubt
in Bezug auf künftige Arbeiten einen Wunsch auszusprechen, so ist es der,
dass sie weniger schwierige Figuren in den Saiteninstrumenten, weniger
Blech, weniger Modulation und etwas mehr harmonischen und melodischen
Wohlklang enthalten mögen.
Empfangen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch zu einem so ehren-
vollen und glänzenden Debüt und die Versicherung wahrer Hochachtung von
Ihrem
ergebensten
Louis Spohr.
(Die Antwort anf diesen Brief d. d. Dresden 10. Jon! 1843 hat die AUg. Mnsikseitimg
im Jahre 1888 (8. 380 f.) ?eröffentlicht Yergl. kurze Inhaltsangabe bei Altmann, Richard
Wagners Briefe, 8. 28, Nr. 148.)
27?
Cassel den 11:^ Februar
1845.
Hochgeehrter Herr,
Ihre freundliche Anschrift hat mich auf das Angenehmste überrascht
und erfreut Je weniger ich, vielleicht doch nur in Folge einer gräm-
lichen Ansicht des Alters, bey den jungen EünsÜem der jetzigen Zeit den
Enthusiasmus ftür Kunst, der Alles neben sich vergisst, bemerke, der mich
in meiner Jugend so glücklich machte und viele Entbehrungen vergessen
liess, je mehr erfreut es mich in Urnen wieder einen Oleichgesinnten kennen
zu lernen. Ich ersehne daher den Zeitpunkt mit Ungeduld herbey, wo ich
Ihre persönliche Bekanntschaft machen werde und freue mich im Voraus
darauf, dann recht viel über Gegenstände der Kunst mit Urnen plaudern
zu können. Ich theile ganz Hure Ansichten über das verfehlte Bestreben
der jetzigen deutschen Opemkomponisten, fürchte aber, Sie erwarten zu
viel von dem, was ich im Gegensatz dazu habe leisten können. Denn mir
ist wohl bewusst, dass bey dieser Kunstgattung Erfahrung und Wissen,
weniger wie bey jeder andern, eine jugendliche Phantasie ersetzen können.
Ich hatte es deshalb auch schon längst -au%egeben noch eine Oper zu
schreiben 'und es bedurfte wiederholter Anregungen meiner musikalischen
Freunde, nach 15jähriger Pause wieder eine solche Arbeit vorztmehmen.
Einmal begonnen, hat sie mich dann aber unendlich gefesselt und mir viele
frohe Stunden bereitet. Mein ganzes Bestreben ging dahin, den Opemstyl
zu der Einfiskchheit zurückzuftlhren, ohne jedoch auf den Beichthum der
Harmonie und die effektvolle Instrumentierung der Mozart'schen und
späteren Zeit zu verzichten. Bey diesem Bestreben musste das Werk nicht
nur im Styl und der Form von der neueren Opemmusik, sondern auch
von meinen eigenen Arbeiten der Gattung sehr abweichen und ich war
daher sehr gespannt, wie es vom Publike angenommen werden würde.
Nie hatte ich aber erwartet, dass es so allgemeine Theilnahme finden
werde und ich läugne nicht, dass mir diess eine gross Freude gewährte.
Denn wenn ich auch gern zugebe, dass dieser Erfolg zum grossen Theile
der anziehenden Handlung zugeschrieben werden muss, so ist er mir doch
auch ein Beweiss, dass es mir gelungen ist, meine Musik dieser so innig
und wahr anzupassen, dass beydes, Handlung und Musik nur ein Gt^nzes
macht. Eine zweite Freude hatte ich, zu bemerken, dass die Sänger ihre
Parthien^ die weder Coloraturen noch sonstigen Apparat zum Brilliren ent^
hielten, demohngeachtet mit jeder Probe lieber gewannen und demzufolge
mit grossem Eifer studirten, so wie, dass ich mich in der Erwartung nicht
getäuscht hatte, dass ein Gesang, der die Gefähle des Handelnden treu wieder-
giebt, auf das Publikum grösseren Eindruck machen muss, als die gewöhnlichen
Paradesätze der Säuger in den neueren Opern; denn die Sänger wurden nicht
nur während der Vorstellung lebhaft beklatscht, sondern auch fast sämtlich
am Ende herausgerufen. — Die Oper war hier aber mit grosser Genauig*
878
keit eingetibt nnd ich hatte mich besonders bemüht, die Sänger von der
Taktlosigkeit nnd der Willktlhr in der Eintheilung zu entwöhnen, wozu sie
das Singen der italiftnischen Opern verführt nnd es war mir dieses ziemlicli
gelungen. Da dieses nur in den Zimmerproben geschehen kann, so wird
der Herr Kapellmeister, der das Einüben mein^ Oper in Dresden über^
nimmt, mir nnd meinen Werke eine grosse Wohlthat erzeigen können,
wenn er in dieser Beziehung recht streng ist. Besonders müssmi die
häufigen Bezitative a Tempo auch wirklich im strengsten Takt gesungen
werden. Doch nun endlich genug von meiner Oper und noch einige Worte
von der Ihrigen. Der Elavierauszug hat ihr, da man sie daraus nun reoht
genau kennen lernt, wieder viele neue Freunde gewonnen und sie gewinnt
sich bej jeder neuen Vorstellung ein immer grösseres Publikum. Audi ich
liebe sie sehr und besonders den 2:^ Akt, der vom Aniang bis zum Ende
von grosser dramatischer Wirkung ist. Diesem hörte man's recht an, dass
er in wahrer Begeisterung und ohne alle Gedanken eines Gefallenwollen
geschrieben ist. Ich bin nun sehr begierig von Ihren neuen Arbeiten
etwas kennen zu lernen. Hofientlich findet sich dazu im Juli Gelegenheit.
Indem ich Ihnen bis dahin wohl zu leben wünsche, mit wahrer Hoch-
achtung ganz
der Ihrige
Louis Spohr.
(Die Aotwort anf diesen Brief d. d. Dresden 4. Mirz 1846 hat die AUg. Mnsikseitiiiif
im Jahre 1883 (8. 420 f.) veröffentlicht. YergL Altmann, R. W.'s Briefe, 8. 37 Nr. 189.
woraus herrorgeht, dass es sich nm Spohr's Oper «Die Ereos&hrer* handelte, welche in
Dresden Beissiger einstudieren sollte.)
Karlsbad d^i 14;^
JuU 1846.
Hochgeehrter Herr KapeUmeister,
Heute Vormittag besuchte uns ein Fürst Lubomirski und bradite
mir Grüsse von Ihnen aus Marienbad, die ich auf das Herzlichste er-
wiedere. Auch erzählte er, Sie hätten die Absicht geäussert, auf einen
oder zwei Tage hieher zu kommen. Diess veranlasst mich, Ihnen sogleich
zu schreiben und zu melden, dass ich nur bis zu Ende dieser Woche hier
verweilen werde und untröstlich seyn würde, wenn Sie nach unsrer Ab-
reise hieher kämen und ich, so nahe bey Ihnen, Sie doch nicht gesehen
hätte! Nächsten Sonntag reisen wir nämlich nach Berlin, wo ich am
251s doch noch meine Oper selbst dirigiren werde, nachdem ich es bereits
angegeben hatte. Ein heftiger Anfall meines alten üebels, der mich am
Tage des Musikfestes in Oldenburg befiel, jedoch nicht hinderte dieses
noch glücklich zu Ende zu bringen, veranlasste mich direkt, hieher zu
gehen und die Eur zu beginnen. Da ich mich jedoch, schon in Folge der
Keise, bald besser befand, so kann ich es nun nicht über das Herz bringen,
meine Oper so ganz ihrem Schicksal zu überlassen, um so weniger, da es
279
ansserhalb Oassel die erste AtdSRoliraiig ist! Ich will daher die Leitung
übernehmen, obgleich ich nnr zu den beyden letzten Proben dort eintreffen
kann. Lieber wäre es mir gewesen, während meiner Ferienzeit eine Anf-
f&hmng in Dresden erlebt zu haben, da die Oper dort in den Haupt-
parthien besser besetzt sein wird wie in Berlin. Auch war es ja früher
von dem Herrn Litendanten so bestunmt. Warum es dennoch nicht seyn
konnte, weiss ich nicht recht und ich muss nun wohl auf die Freude ver-
zichten, da ich zu wenig Hofbung habe, in diesem Herbst oder Winter
einen Urlaub zu erhalten.
Doch, da ich der Hofinung lebe,^ Sie noch hier zu sehen, so yerspare
ich dieses und manches andere fbr eine mündliche Unterredung. Haben
Sie also wirklich die Absicht gehabt, hieher zu kommen, so beeilen Sie
die Ausführung, damit mir endlich die Freude zu Hieil werde^ Ihre persön-
liche Bekanntschaft zu machen.
Mit wahrer Hochachtung und Freundschaft ganz
der Ihrige
Louis Spohr
in der Apotheke zur
böhmischen Erone
(Die Aotwort anf diesen Brief d. d. Marienbad 16. Jnli 1845, Tom Tage des ersten
Entwnris in den «Meistersingern'«, hat die AUg. Mnsikceitnng 1884 (8. 3 f.) veröffentlicht
Vgl. Altmann, R. W.'s Briefo, 8. d9 Nr. 195. Zu dem Besuche kam es nicht, da die Marien-
bader Cor nicht nnterbrochen werden durfte. Anch die dorch die Intendanz znm Herbst
▼erschobene AnffAhrong der „ExeoM&hiet^ kam nicht in Stande.)
n.
Aus der Schweizer Zeit
(18BB. 1859.)
4.
Heetor Berlioz.
10. Septembre 1855.
Yoilä qa'il m'arrite nne tronpe
ail6e d'id^es de conleurs et Penvie
de vous les envoyer. ... Je n'ai ^on eher Wagner
pas le temps. Tenez moi ponr
nne böte, jnsqu'ä nouvel ordre.
Yotre lettre m'a fait nn bien grand plaisir. Vons n'avez pas tori de
däplorer mon ignorance de la langne allemande, et ce qne vons me dites
de rimpossibilitä oh je snis d appr^ier vos onvrages, je me le suis dit bien
des fois. La flenr de l'expression se üxie presqne tonjonrs soos le poids
de la tradnction, si dälicatement qne cette tradoction soit faite. II y a des
280
acoents, dans la mnsiqae rraie, qni venlent lenr mot special, il y a
des motfl qni vetdent lenr aooent. S^parer les nns des antres, on lenr donner
des approzimatifs, c'est £ure allaiter nn petit chien par nne ch&vre et
r^ciproqnement. Mais, qne vonlez yons, j'ai nne diffionltö diaboliqne k
apprendre les langnes, c'est k peine si je sais qnelqnee mots d'anglais et
dTtalien ....
Yens Stez donc entrain de faire fondre les glaoiers en oomposant vos
Niebelnngen! . . Cela doit €tre snperbe d'^rire ainsi en präsenoe de la
grande natnre ! . . Yoük encore nne jonissance qni m'est refhsie. Les beanx
paysages, les hantes cimes, les grands aspeots de la mer, m'absorbent com-
plötement anUen de provoqner ohez moi la manifestation de la pens^e.
Je sens alors et ne sanrais exprimer. Je ne pnis dessiner la Inne qu'en
regardant son image an fond d'nn pnitre.
Je vondrais bien ponvoir vons envojer les partitions qne yons me faites
le plaisir de me demander; malbenrensement mes 6ditenrs ne m'en donnent
plns depnis longtemps. Mais il j en a denz et m6me trois: Le Te Denm,
L'Enfance dn Christ, et L e 1 i o (monodrame Lyriqne) qni yont paraitre
dans pen de semaines, et Celles Ik an moins je ponrai vons les envoyer.
J'ai Yotre Lohengrin, si vons ponriez me isire parvenir le Tanhaflser
yons me feriez bien plaisir. La rännion qne yons me proposez serait nne
fSte, mais je dois bien me garder d'y penser. H fant qne je Aisse des
yoyages de däsagräment, ponr gagner ma yie, Paris ne prodnisant ponr moi
qne des fmits pleins de cendre.
C'est ägal, si nons yiyions encore nne centaine d'ann^es, je crois qne
nons anrions raison de bien des choses et de bien des bommes. Le yienx
Demi-onrgos doit bien rire Ik bant, dans sa yieille barbe, dn sncc^ oon-
stant de la yieille farce qn'il nons fait .... mais je ne dirai pas de mal
de Ini, c'est nn de yos amis, et je sais qne yons le protägez. Je snis nn
impie plein de respect ponr les Pies. Pardon de cet affienz calembonrg
ayec qnel je finis en yons serrant la main. Yotre tont däyonä
Hector Berlioz
19 me de Bonrsanlt Paris
(Adresse: Monsienr Bichard Wagner
compositenr cilÄbre
k Znrich (Snisse)
5.
Felix Draeseeke.
Mein hochyerehrter nnd geliebter Meister möge eine gütige Nacb*
sieht üben, falls folgende Zeilen, die in der glorreichen Capitale des mnsi-
cirenden Herzogs „empfnnden nnd niedergeschrieben worden sind^, zn roh
nnd oberflächlich erscheinen sollten. In der That besitze ich zwar yoll-
^81
kommene Zeit, tun Briefe en moise schreiben zu können an verwandtliohe Nach-
richten-Hungrige, aber nicht die Stimmung, welche mir erlaubte, mich zu
sammeln, und Ihnen auch irgend ein paar geniessbare Worte vorzusetzen. —
Aber glauben mögen Sie mir, dass ich mit grosser Sehnsucht nach der
Schweiz zurückdenke, und hier in meiner Heimath zum ersten Male ein
dem Heimweh ähnliches Gefühl kennen gelernt habe. Dass ich weit über
mein Vermögen des Aussprechens von Ihnen und Ihren grandiosen Schöpf-
ungen in geistige Gefangenschaft genommen bin, und tief empfinde, wie
grossartige Anregung mir die Reise gegeben, wie sehr ich Ihnen zu Dank
verpflichtet fdr Ihre so gütige und ausgedehnte Gastfreundschaft. Die
Touren auf den Pilatus und nach Teils Capelle sind in der Erinnerung
nur noch mächtiger geworden, wie denn überhaupt die Gegenden von
Aarau und Zürich mir plötzlich ganz lächerlich erschienen, während ich
bei der Hinreise so entzückt davon gewesen. Mit Zürich hatte ich aller-
dings Unglück, da das Wetter nie so freundlich war, mir die ferneren
Umgebungen des Sees zu zeigen. Besonders am Abend meiner Ankunft,
welchen ich Ihrer Weisung gemäss zu einem Besuch bei Wesendoncks
benützte, kam ich in einen entsetzlichen Gewittersturm, so dass ich statt
einen schönen Sonnenuntergang zu erblicken, vielmehr auf meinen eigenen
gefasst sein musste. um alles vollkommen zu machen, waren nun auch
Ihre Freunde nicht zu Hause. Doch liess ich mich am nächsten Morgen
durch die decontenancirende Liebenswürdigkeit der jungen Frau gerne be-
stimmen, noch einen Tag länger zu bleiben und habe da in schönen Er-
innerungen an Wodan und Tristan geschwelgt. Der Hausherr hat eine
ausgesprochene grosse Verehrung für Sie und eine gewaltige Anhänglichkeit
an Ihre Persönlichkeit. Aber er gehört wohl auch zu den sonderbaren Men-
schen, welche gern grosse Gemüths- und Geisteseindrücke mit allen Kräften
nüchterner Yerstandsthätigkeit hinweg zu disputiren oder abzuschwächen
suchen. Seine Frau dagegen ist eine merkwürdige Mischung von Geist
und Gemüt, Empfllnglichkeit und Anregungsvermögen. Es war der schönste
Nachklang des mir unvergesslichen Luzemer Aufenthaltes, welchen ich nur
wünschen konnte. Wie traurig für Sie, dass der Züricher Aufenhalt ge-
stört worden ist. Denn eigentlich gehören Sie mit Ihren neuen Schöpfungen,
die in der Schweiz entstanden, auch so recht in dies Land hinein. Wodan
und Brünnhilde, Siegfried, Tristan, alle Dramen miteinander sind so recht
die künstlerischen Pendants zu den riesigen Schöpfungen der Natur, und
können kaum eine entsprechendere Geburtsstätte finden. Für mich und
meine ioi-diiani musicaUsche Thätigkeit hat mir das Studium derselben
eine frische Anregung gegeben, — die eine nachhaltige Wirkung auf viele
Jahre hinaus zu üben im Stande sein wird. Abgesehen davon freilich, dass
wie Bülow ganz richtig sagt, unsereins beim Anschauen Ihrer Tristan-Partitur
gar leicht den Todestrank für seine eigene Productivität einschlürft. Und
sollte er auch nicht ganz die zerst^ende Wirkung äussern, gewiss ist, dass
1
282
er sich nicht in einen Liebestrank verwandeln wird, es müsste denn ein
abnorm selbstzufriedenes Mensohlein anf der Welt geben. — Übrigens habe
loh hier in Coburg vollkommen Masse geistig in Erinnerongen zu schwelgen,
denn die Trivialität ist bedeutend, bodenvoll, wenn man bodenlos für za
„tief^ erachten muss, und Tochter grosser Selbstgenügsamkeit und Selbst-
zufriedenheit. Traurig aber ist mir immer das Bewusstsein, so gar wenig
Ihnen haben bieten zu können, so ganz der gewesen zu sein, welcher von
diesen vier Wochen allein den G^nuss gezogen. Es ist mit recht schreck-
lieh, Sie mit meinen blutrünstigen Operntexten und meinem grimmigen
Clavierspiel ennuyirt zu haben, während bis zur letzten Stunde ich so un-
endlich viel Genuss aus Ihren Partituren geschöpft. Das Einzige, was mir
jetzt noch erlaubt ist und ich zu meiner Beruhigung auch hiermit thun
will, ist, es auszusprechen, wie sehr mich der Luzemer Aufenthalt gehoben,
wie unendlich viel ich Ihnen verdanke. Etwas sehr verschlossener Natur
und fortwährend in der Angst mich sehr dumm auszudrücken und Sie
über Gebühr zu ennuyiren, war es mir nicht möglich, mündlich alle diese
Empfindungen von mir zu geben. Glauben Sie aber nicht desto weniger,
dass die grosse Verehrung und die treue Anhänglichkeit, die ich von jeher
seit Bekanntschaft mit dem Lohengrin gefühlt und warm in mir getragen,
während meines Luzemer Aufenthaltes in beständigem Wachsen gewesen
ist, imd so lange ich lebe xiie erlöschen wird. Und gewähren Sie mir
somit auch, die Bitte aussprechen zu dürfen, dass auch in Ihrem Andenken
ich als einer ihrer treuesten und verehrungsvollsten Jünger, wenn auch
nur „roh und oberflächlich^,*) einen kleinen Platz gesichert erhalten werde.
Mit den herzlichsten Wünschen für Ihre Gesundheit, Ihr geistiges und
körperliches Wohlergehen empfiehlt sich Ihr
treu ergebenster Felix Draesecke.
Coburg, den 3. September 1869.
Antwort.
(Die Antwort anf den Torhergehenden Brief verdanken wir der sehr gfltigen Mitteilung durch
den verehrten Adressaten.)
16 Bue Newton
Champ Elysäes.
Paris 1. Nov. 59.
Sie haben es gut angefangen, lieber Draesecke, keine Antwort auf
Ihren schönen Brief zu empfangen, da Sie mir keine Adresse filr sich an-
gaben. Ich versichere Sie, dass ich wiederholt mich angenehm gedrängt
fühlte, Ihnen zu schreiben, als ich immer nicht wusste, wohin? Nun soll
Ihnen Bülow auf Umwegen diese Zeilen zustellen.
*) Diese hier wiederkehrenden Worte stammen vom Meister selber, der sie beim Ab-
schied von Draesecke schonend gebraucht hatte: ,,Nnr nicht gerührt werden, lieber Dr.^
immer roh nnd oberflächlich, sonst kommen Sie nicht durch die Weif'. Sie worden dann
in Weimar, wo Draesecke von seinem Besuch berichtet hatte, noch oft wiederholt
Für wen würden Sie ifdoh halten müssen, wenn Sie nicht an meine
herzliche Erwidemng Ihrer Teilnahme, die Sie mir so schön bewiesen
durch Ihren Besuch in Luzem, glauben wollten? Wollten Sie auf Ihren
eigenen Wert gar nichts rechnen, so würden Sie schon mit jenem Besuche
selbst mir genügend wohlgethan haben. Ich bitte Sie nun aber, fahren Sie
fort, und machen Sie, dass wir bald einmal wieder zusammen seien. Ich
denke an solche seltene Episoden stets mit Dankbarkeit und Erfrischung
zurück.
Nach Ihrem Fortgang von Luzem blieb ich dort in ungewisser Lage
(und mit heimlichem Grauen vor Paris) noch bis 7. Sept. zurück, liess
mich vom guten Yreneli pflegen und besuchte dann Wesendoncks auf vier
Tage. Ihre Mitteilungen und Ansichten über diese Freunde hatten mich
sehr gerührt und ergriffen. Nun bin ich seit IVs Monat in Paris und be-
schäftige seitdem mich hauptsächlich mit Wohnungsangelegenheiten. Ich
habe mich sehr abgelegen, in einem besonderen kleinen Häuschen einge-
miethet und werde da sehr ruhig und angenehm wohnen. Nur hat mich
die Einrichtung und alles damit zusammenhängende stark afßzirt. Noch
habe ich keine Buhe und an Arbeiten wird überhaupt so bald nicht zu
denken sein.
Der Tristan in Karlsruhe ist au%egeben, und noch habe ich keine Aus-
sicht, ihn wo anders — natürlich unter meiner persönlichen Mitwirkung
vorfahren zu können. Damit hängt fär mich viel verdriessliches zusammen.
— Für jetzt arbeitet Bog er hier an einer Uebersetzung des Tannhäuser,
die wohl erträglich gelingen möchte; eine AuiBfllhrung* desselben in Paris
steht aber noch in ziemlich weitem Felde. Mitte November erwarte ich
meine Frau und gedenke mir mit ihrer Pflege Freude zu machen.
Da haben Sie alle meine Exterieurs : Interieurs sind seitdem noch
nicht sehr laut geworden. Einzig, dass ich das Ding immer überdrüssiger
werde und vorläufig mir gar nicht denken kann, wieder Musik schreiben
zu sollen.
Unter solchen umständen sollen Sie sich desto mehr verpflichtet fühlen»
tüchtig zu arbeiten. Ich erführe gern, dass Sie etwas neues vorhätten und
nehme von Herzen an, dass mein Umgang mit Ihnen nur Ihren Ernst be-
feuert hat. Lassen Sie mich darüber bald erwünschte Versicherung haben.
Und ausserdem wird jede Nachricht von Ihnen mir stets sehr willkommen
sein, denn meiner wahrsten Theilnahme halten Sie sich hoffentlich versichert.
Seien Sie nicht bös, dass ich Ihnen nicht mehr schreibe und geben
Sie mir die Hoffnung, dass wir bald wieder desto mehr sprechen können.
In angenehmster Erinnerung
schönsten Gruss
Ihres
Bidiard Wagner.
284
HL
Aus der Pariser Zeit
(1860/61.)
6-10.
Heetor Berlioz.
Mon eher Wagner
Je vous r^mercie, xnais je ne pois youb envojer xna partition de Fanst;
je Tai preise. Dte qn'on me l'aara rendne je yons la ferai parvenir.
Tont k Yous
H« Berlioz.
(Adresse: Monsieur Wagner 16 me Newton Paris, ohne Poststempel
nnd Datum,)
12. Janvier.
Mon eher Wagner
J'ai perdu la note que yous m'aviez donnte et qui contenait le programme
de votre premier concert. Veuillez m'en envoyer une autre, il est tempa
d'annoncer la ohose dans le Journal des Däbats.
Tout k yous
H. Berlioz.
(Adresse: Monsieur B. Wagner
16. rue de Newton
Champs Elysäes
Paria
Poststempel: 12. Jany. 60.)
2 F^yrier 1860.
Mon eher Wagner
Je suis en effet toujours malade, mais ce n'est pas la raison qui m'a
empechä d'assister k yotre second concert; o'est encore moins un d6faut
d'int^rSt pour yos compositions, croyez le bien. Mais ma soir6e Ätait
imperieusement prise et j'ai du donner yos billets k deux dames exoel-
lentes musiciennes qui däsiraient yiyement yous entendre. Je n'ai pas encore
pu äcrire mon feuilleton, mais je m'y mettrai prochainement et je vons
dirai sinc&rement toutes mes pensies et mes impressions.
Tout k yous
H. BerlioB.
(Die drei Konierte fanden statt am 25. 1., 1. o. 8. 2 1860. Auf die bekannte Be-
gprechong Ton Berlioi im Joornal des D6bat8 Oi^o^ credol**) erwiderte der in den Qea. 8chr.
Bd. VIL 8. 82 iL abgedmckte Brief Yom 20. 2. 60.)
Vendredi matin.
Mon eher Wagner
PeuirStre n'avez vons pas de place ponr la 1& repr^sentation d'Orph^
qni a lieu oe soir k 8}; En oe cas en voil& nne. Yenez, M^ Viardot est
admirable et Toeuvre anssi. C'est monti aveo som.
Je you8 serre la main.
H. Berlioz«
(Adresse: Monsdear IL Wagner
16 rue Newton
pr&i la rae du chemin de Versailles
anz Champs ElysöeSi ohne Poststempel und Datom.)
(Der lettte Brief von Berlioz iit die Antwort aof das iclion in den B. BL 1900 8. 3.
abgedrnckte Schreiben vom 22. Mai 1860, welches snr Erläntemng und Erg&nsnng liier
nochmals mitgeteilt sei, sowie es am selben Tage Lisst mitgeteilt ward:)
eher mattre!
Je viens de lire votre article snr Fidelio. Sojez en mille fois rämeroie !
C'est nne joie tont speciale pour moi d'entendre ces accents pars et nobles
de l'expression d'one äme, d'nne intelligenoe si parfaitement comprenant
et s'appropriant les seorets les plus intimes d'un autre häros de l'art: il j
a des moments, oü je suis presque plus transportä en apprenant cet acte
d'appräciation, que par d'oeuvre appr^iäe elle-mfime, puisque ceUt nous
t^moigne infalliblement qu'une ohatne ininterrompue d'intime parentä rallie
entre eux les grands esprits, qui — par oe seul lien — ne tomberont
Jamals dans Tincompris. Si je m'ezprime mal, j'espöre pourtant, que vous
me ne comprendrez pas maL
(EL W.)
«
Antwort:
Mon eher Wagner
Je suis tout k fait heureuz que mes articles sur Fidelio vous avaient
plu. Je les avais 6tudiäs aveo soins, mais sans espoir, qu'ils fiissent le
moins du monde utiler. Je ne crois plus guöre k P^ducation du public
par la critique; ou du moins je crois qu'uu trös long temps est näcessaire
pour que la critique porte des fruits. Je ne sais, si vous avez encore des
illusions, quant k moi, je vois depuis bien des ann^es les choses teUes
qu'elles sont Vous Stez au moins plein d'ardeur, pr&t k la lutte;
je ne suis moi pröt qu'& dormir et k mourir, Pourtant une espöce de joie
21
284
YIX ^ ponr le beaa, une
.^^rers des rmneurs vnl-
AUP ' 4"^^^^ "jono ponr votre lettre ; eile
0^ ^"^^ ^ 5elgique. Depuis que yous
x"*^^ '^L^^'t/aa triste, bien tourmentÄ de mille
*. -^ ^Mfip'^ fi^^nt mo dites vous: eher maltre, oomme
y<:^j^ ''7*<C^. ^^ de naissanoe ? vous autres allemandd vous
'^J^l^M^'^'^ ^^ ^d0 <^ J^™® ^^' ^^^ donne en eflTet l'oocasion
^•^ln^ fj^i A J'^^tLents de la famille, quant on en a une, et
je 1' '^ßl>jfäoo' ^Tdes ami«.
'^ßfl^^tÄ ^^mxae j« ^^ 5 j'*^ ^^® famille, j'ai des amis exoellent,
'^^ de ^,voff^ de naissanoe dans Pannie que personne ne s'aviserait
f^ . ^tren^ ^\ fcant on sait que cela m'est däsagr^able . . . ne riez
^'^ je ^ jottT, courage; et ne me dites plus: eher maltre. Cela
P^^^^die^f
fA^Bg^' Mille amitiÄs, votre tout d6vou6
Heotor Berlioz.
23. Mid 1860.
(Nach der Aaffühmng des „Tannhänser" :)
Charles Gonttod.
II.
Lundi 18 mars 61.
Mon oher et illustre ami.
Je suis aussi honorS que touoh£ de Toffire que vous avez bien votdu
me faire de vos deux partitions Tannhaüser et Tristan et Yseult: je suis
fier qu'un komme de votre haute valeur m'ait regardö comme capable d'entr^r
avec lui en sociätä intellectuelle, et j'y entre, oroyez le firmement, avec
tonte l'estime que märite votre infatigable courage et vos nobles conviotioiis.
Croyez & mon bien sincöre dSvouement
Ch. Gbunod.
28t
lieber die Fortdauer nach dem Tode.
Von Max Seiliig.*)
Eb hat wohl niemab eine recht-
schaffene Seele gelebt, welche den Ge-
danken hatte ertragen können, dass mit
dem Tode Alles in Ende sei nnd deren
edie Gesinnung sich nicht sor Hoffiinng
der Zokanfi erhoben hätte.
Kaat.
^Dn hast Unsterblichkeit im Sinnl
Kannst dn nns deine Gründe nennen?"
Gar wohl, der Hauptgrund liegt darin,
Dass wir sie nicht entbdiren kOnnen«
GOAtllt.
Die Fortdauer nach dem Tode bildet für jeden tiefer Denkenden die
eigentliche Eardinalfrage der Meniichlieit schon um desswillen, weil ohne
sie eine feste Begründung der Moral so gut wie unmöglich ist. Da diese
Frage zudem nicht ohne weiteres und schlechthin beantwortet werden
kann, ist es gewiss nicht überflüssig, sie auch in diesen Blättern einmal
zu erörtern. Ja, mir scheint dies zumal im Einblick darauf, dass wir von
Bichard Wagner ebenso eindringlich auf Schopenhauers Philosophie wie
auf das Christentum verwiesen worden sind, sogar sehr nötig. Mögen diese
beiden Weltanschauungen auch dermaassen harmonieren, dass Schopenhauer
seine Lehre die christlichste unter allen Philosophien nennen konnte, so
gehen sie hinsichtlich der in Bede stehenden Frage doch sehr weit aus-
einander. Dies soll, bevor ich weiter aushole, vor allem gezeigt werden.
Wenn man von einem Weiterleben nach dem Tode allgemeinhin spricht,
dann hat man eine Fortdauer des individuellen Selbstbewusstseins im
Auge. Während nun diese individuelle Fortdauer vom Christentum in
extremster Form, nämlich als Unsterblichkeit der Seele gelehrt wird, ist sie
mit Schopenhauers System durchaus unvereinbar. Ich betone „System^,
weil Schopenhauer ausserhalb seines Lehrgebäudes manches Wort fallen
liess, das zu Gunsten der individuellen Fortdauer spricht. Als Systematiker
hat Schopenhauer bekanntlich Kants Lehre von der Idealität des Baumes,
der Zeit und der Kausalität mehr als dieser selbst zur Geltung gebracht
und überhaupt einen philosophischen Idealismus gelehrt, der die Bealität
der Aussen welt kühn leugnet. Man erwäge z. B. den Sinn der folgenden
*) Das Thema ist an sich gewiss bedeutend genug, dass unsere Leser es billigen werden,
wenn es ihnen hier einmal in einer Zusammenfassung aUer heute Yorhandenen Anschauungs-
weisen vorgefahrt wird, gleichsam in dem Oeistes-Spiegel der gegenwärtigen Menschheit,
wosn ebensowohl die grundlegende Kultur Ooethe's wie die uns Bayrenthem im allgemeinen
femer Hegende theosophische Betrachtung der Dinge gehOrt D. Red.
21*
288
Worte: ^Wer die Idealität der Welt einmal begriffen hat, dem ersöheint
die Behauptong, dass solche, auch wenn Niemand sie vorstellte, doch vor-
handen sein würde, wirklich unsinnig; weil sie einen Widerspruch aus-
sagt: denn ihr Vorhandensein bedeutet eben nur ihr Vorgestelltwerden.
Ihr Dasein selbst liegt in der Vorstellung des Subjekts. Dies eben besagt
der Ausdruck: sie ist Objekta (Parerga, „Den Intellekt betreffende Gedanken^).
Nach dieser ungeheuerlichen Betrachtungsweise kommt natürlich auch den
Individuen keine Bealität zu, wie es ja allein schon aus der Idealit&t des
Baumes folgt; denn, existiert der Baum nur in meinem Kopfe, dann gibt
es in Wirklichkeit kein Nebeneinander und die Individuen sind nur Schein.
Die Frage, ob die Individuen wirklich oder nur scheinbar existieren,
muss begreiflicherweise vor allem beantwortet sein, ehe man von einem
individuellen Weiterleben nach dem Tode reden kann. Es ist sehr merk-
würdig, dass Kant und Schopenhauer selbst oft genug Zeugnis dafür ab-
gelegt haben, dass ihr transzendentaler, oder vielmehr absoluter Idealismus
nicht ganz fest begründet ist. Kant hat ihn dermaassen preisgegeben, dass
er ganz allgemein den überzeugten Anhängern des Glaubens an ein in-
dividuelles Fortleben beigezählt wird. Auch Schopenhauer hat oft genug
realistische Anwandlungen gehabt; spricht er schon in seinem Erstlings-
werk („Die vierfache Wurzel u. s. w.^) vom „Weltganzen, als welchem
dazu ein absolut objektives, nicht durch unsem Intellekt bedingtes
Dasein beigelegt werden muss", so hat er in späteren Jahren ganze Ab-
handlungen geschrieben, deren Inhalt allein vom realistischen Standpunkt
aus Geltung haben kaim. Von besonderer Wichtigkeit für unsere Unter-
suchung ist nun aber die folgende, in der Abhandlung „Zur Ethik^
(Parerga 11) vorkommende Stelle: „Hieraus (aus der Notwendigkeit des
empirischen Charakters) folgt nun femer, dass die Individualität nii^t
allein auf dem principio individuationis beruht xmd daher nicht durch und
durch blosse Erscheinung ist, sondern dass sie im Dinge an sich, im Willen
des Einzelnen, wurzelt: denn sein Charakter selbst ist individuell. Wie
tief nun aber hier ihre Wurzeln gehen, gehört zu den Fragen, deren Be-
antwortung ich nicht unternehme.^ Damit ist die Möglichkeit einer indi-
viduellen Fortdauer zweifelsohne gegeben, wie denn Schopenhauer anderer-
seits auch die individuelle Präexistenz lehrt, wenn er bei der Besprechung
der Zeugung meint, dass die Eltern durch den Lebenswillen eines neuen
Individuums zusammengezwungen werden, — womit er sogar am Grund-
stein seiner Lehre, am blinden Gesamtwillen, rüttelt. Der um die Fesseln
seines Systems sich nicht kümmernde Philosoph schreibt nun aber gar
Sätze wie: „Wir haben gewacht und werden wieder wachen; das Leben
ist eine Nacht, die ein langer Traum füllt, der oft zum drückenden Alp
wird" oder „Ich glaube, dass wenn der Tod unsre Augen schliesst, wir in
einem Licht stehen, von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist.*^
Schopenhauers idealistisches System darf uns also nimmermehr abhalten.
289
der Frage der individuellen Fortdauer näher zu treten. Es ist mit den
— man kann sagen: natorgemäss — mehr oder weniger widerspmehs-
Yollen Systemen überhaupt eine recht missliohe Sache. Der Wert der
Philosophen liegt keineswegs in ihnen, sondern viebnehr in den firuchtbaren
Einzelwahrheiten, mit welchen sie die menschliche Erkenntnis bereichert
haben, und von Schopenhauer gilt dies ganz besonders. Sehr wahr hat
daher H. von Stein gesagt: ,,Mir scheint, was uns von Schopenhauer
bleibt, ist kein Theorem, es ist eine grosse Erhebung des Geistes.'' In
gleichem Sinne ist der Frankfurter Philosoph schlieslich wohl auch von
Bichard Wagner hochgehalten worden; hat der Meister doch selbst den
mit Schopenhauers System so innig verwachsenen radikalen Pessimismus
insofern abgelehnt, als er an die Möglichkeit einer Begeneration des Men-
schengeschlechts glaubte.
Ist denn nun aber — um dies nebenher noch zu berühren — die
ganze Lehre von der Idealität des Baumes und der 2ieit nur ein Hirn-
gespinst? Die einzige Lösung dieses Problems, die mir annehmbar er-
scheint, ist die, dass eine reale Aussenwelt und eine reale Entwicklung
existiert, und dass eben Baum, 2ieit und andere Formen und Funktionen
des Erkenntnisvermögens nicht für die Erzeugung der Aussenwelt,
sondern lediglich für deren Erkennbarkeit da sind. So ist z. B. die
Zeit diejenige Form unseres Intellektes, vermöge welcher wir das Nach-
einander wahrnehmen. Dass dieses Zeitoiaass subjektiv ist nnd auch anders
sein könnte, geht schon aus der Tatsache hervor, dass wir im Traume in
wenigen Minuten Dinge erleben können, deren Abwicklung im wachen
Leben eine ungleich längere Zeit in Anspruch nehmen würde.
Wenn ich mich jetzt anschicke, für den metaphysischen Individualismus,
insbesondere fbr die Fortdauer des individuellen Selbstbewusstseins in die
Schranken zu treten, so bin ich mir wohl bewusst, dass mir keine eigent-
lichen Beweise zur Seite stehen können ; denn der strenge Beweis gilt nur
im Bereiche der Erfahrong, er setzt die Verwirklichung des zu Beweisenden
.voraus. Dies ist aber in unserem Falle für jeden noch Lebenden nator-
gemäss ausgeschlossen. Freilich, auf religiösem Wege ist es denkbar, auch
im Leben zu einer unumstösslichen Gewissheit von der Fortdauer zu ge-
langen. Damit ist jedoch keinerlei Dogmatik, am wenigsten kirchliche,
gemeint, sondern ein mystisches Erlebnis, durch das wir uns der Göttlichkeit
und Unvergänglichkeit unseres Wesenskemes bewusst würden. Abgesehen
hiervon kann es sich jedoch nur darum handeln, den Glauben an das
Weiterleben durch logische Schlussfolgerungen und Tatsachen möglichst
gnt zu stützen und der Gewissheit nahe zu bringen. Zu diesem Zwecke
möge zunächst kurz daran erinnert werden, wie die Menschheit, zumal ihre
grossen Denker, über ihre wichtigste Lebensfrage bisher gedacht hat.
Wie Th. Waitz in seiner „Anthropologie der Naturvölker" gezeigt hat,
ist der ünsterblichkeitsglaube bei den sogenannten Wilden so gut wie all-
goo
gemein verbreitet, wenn auch die Vorstellnngen des künftigen Ijebens
vielfach roh und kindisch sind. Andererseits gibt es kaxun ein Kulturvolk,
bei dem der Gedanke an die Fortdauer nicht irgendwie znr Geltung ge-
kommen wäre. Selbst in China, wo er infolge des ausweichenden YerhaltenB
des Confiitse nicht in das System der Staatsreligion angenommen wurde,
ist er im Yolksbewusstsein schliesslich so mächtig geworden, dass seine
Leugner als Ketzer verfolgt wurden. Dass das Sinnen und Trachten der
Aegypter fast mehr auf den Tod als auf das Leben gerichtet war, ist be-
kannt. Li Lidien tritt uns der ünsterblichkeitsgedanke entgegen als Glaube
an die Seelenwandenmg und an das Nirwana, den Zustand sdüger Buhe
nach den Kämpfen und Leiden der irdischen Lebensläufe. Lehrt femer
Zarathustra die endliche Versöhnung der Geister mit Gott, so kommt die
persische Anschauung wohl auch in den Worten zum Ausdruck, die der
sterbende Cyrus (nach Xenophon, Cyropädie Vill) an seine Söhne richtete :
pich habe mich niemals überzeugen können, dass der Geist in dem ^verb-
uchen Leibe lebe, nach seinem Ausscheiden aber dahinsterbe, nocüi auch,
dass er bewusstlos werde, wenn er aus dem bewusstlosen Leibe entweiche ;
sondern dass er erst dann, wenn er von aller Gemeinschaft mit dem Leibe
befreit, rein und fleckenlos geworden ist, zum vollen Bewusstsein komme ....
Nichts seht ihr so ähnlich dem Tode als den Schlaf; im Schlafe aber gibt
der Geist seine göttliche Wesenheit am meisten kund; denn wenn er frd
und ausgespannt ist, erkennt er vieles Künftige voraus, woraus man ent-
nehmen kann, in welchem Zustemd er sich nach gänzlicher Befreiunng von
den Banden des Leibes befinden wird.^ Bei den Griechen finden sich die
Vorstellungen vom Hades und vom Elysion. Und dass die Bömer ur-
sprünglich an keine Vernichtung durch den Tod glaubten, bezeugt Cicero
im ersten Buche seiner Tusculanischen Unterredungen mit den Worten*
„Unseren Ahnen war nichts so sehr als der Grundsatz angeboren, dass das
Gefilhl im Tode sich erhalte und dass der Mensch beim Austritte aus dieeon
Leben nicht in der Weise vernichtet werde, dass er ganz und gar nnter^
gehe.^ Weiterhin waren auch den Germanen die Gedanken des Weiter-
lebens und der gerechten Vergeltung fClr die Guten und Bösen nicht fremd.
Endlich ist es nicht ganz richtig, dass die alten Juden, wie namentlich
von Schopenhauer behauptet wird, gar keinerlei Unsterblichkeitslehre be-
sessen haben sollen. Schon J. Huber hat in seiner „Idee der Unsterblichkeit^
darauf aufinerksam gemacht, dass in der aus praktischen Gründen erfolgten
Betonung der diesseitigen Vergeltung weder eine Leugnung, noch eine Un-
kenntnis des Unsterblichkeitsglaubens liege. Uebrigens kehrt selbst in der
ältesten Litteratur der Ausdruck wieder, dass ein Verstorbener „zu seinen
Vätern versammelt^ wurde; und der Ort des schattenhaften Zustandes der
also Versammelten wird Scheol genannt. Ganz unzweideutig spiegelt sieh
die Vorstellung des Weiterlebens in der Erscheinung des Samuel wieder,
den Saul durch das Zauberweib von Endor zitieren lässt. Und in den
291
späteren Büchern des Alten Testaments tritt das Bewnsstsein der Un-
sterblichkeit immer mächtiger hervor; so z. B. Hiob 19^ 25 — 26; Psalm
16, 10; 49, 15-16; Spr(lohe23, 14; Prediger 12, 7; Jesaias 25, 8; 26, 19;
Daniel 12, 2; Hosea 13, 14; Weisheit 3, 1—4. Diese Stellen bedeuten
mehrfach ei^ An&teigen der Seele zu Gk>tt and teilweise sogar eine Aof-
erstehnng des Leibes«
Darf die anfiiallende üebereinstimmnng fast aller Völker sicherlich als
der Ausfloss eines ontrüglichen Instinktes an%efiEisst werden, so ist es
wahrlich nicht von geringerer Bedeutung, dass die allermeisten Weisen,
die Vertreter der überlegenden Vernunft, sich gleichMls zu Gunsten der
individuellen Fortdauer ausgesprochen haben. Es begegnen uns hier
Namen, wie: Jesus von Nazareth, Buddha, Sokrates, Piaton, Empedokles,
Seneoa, Giordano Bruno, Descartes, Leibnitz, Locke, Elant, Fidite, Schelling,
Herbart, Baad^, Lotze, Fechner, Hellenbach und du Prel, sowie die Nicht-
nur-Diohter Lessing, Schiller, Goethe und Bichard Wagner. Besonders
liegen uns am Herzen die Ansichten der Beiden, welche die glänzende
Beihe beschUessen« Der Universalgeist Goethe, der gerade von den modernen
Leugnern der Fortdauer für den „grössten deutschen Denker^ (Haeckel)
erklärt wird, hat dem ünsterblichkritsgedanken, wie kein Anderer, in
bewundernswerter Weise immer wieder neuen Ausdruck verliehen; dafür
habe ich in der Schrift „Goethe und der Materialismus^ (O. Mutze, Leipzig),
in der ich die ganz und gar unberechtigten Ansprüche der Materialisten
auf Goethe energisch zurückweise, mehr als ein halbes Hundert Belege
beigebracht. Das Zeugnis Goethes ist um so wertvoller, als das Weiter-
leben zu den wenigen Punkten gehört, hinsichtlich welcher der grosse
Mann sein ganzes langes Leben hindurch sich stäts im selben entschiedenen
Sinne geäussert hat.
Von Bichard Wagner, dem Denker, sind mir bestimmte Aeusserungen
zwar nicht bekannt; aus den meisten seiner Kunstwerke leuchtet aber der
ünsterblichkeitsgedanke deutlich hervor, wenn auch der Dichter den
jeweiligen PersönUohkeiten und umständen sich anpassen musste. Der
Holländer und Senta entsteigen dem Wasser in verklärter Gestalt, nach-
dem sie in den Wellen den Tod gefunden. Von Elisabeth heisst es, dass
sie als „Engel an Gottes Thron" für Tannhäuser flehe. Wotan ist von
„gefallner Helden hehrer Schar" umgeben. Brünnhilde ist zweifelsohne
vom Gedanken an ein seliges Fortleben erfällt, wenn sie sich dem Geliebten
durch den Feuertod „in mächtigster Minne" vermählt; zieht sie doch „von
Wiedergeburt erlöst" nach dem „heiligsten Wahlland" hin. Mit der Ee-
inkamationsidee hat der Meister bekanntlich auch anderweitig sympathisiert:
Gumemanz äussert über Eundry, auf d^ren frühere Erdenleben auch Klingsor
Bezug nimmt, dass sie vielleicht eine „Schuld aus früherem Leben" zu
büssen habe ; und in der Skizze „Die Sieger" (vergl. die Briefe an Mathilde
Wesendonk S. 67—68) spielt diese Idee sogar eine wesentliche Bolle. —
292
Tristan und Isolde sehen and ersehnen im Tode keineswegs die VemiGhtnngi
sondern viehnehr ein Anderssein (^nen Erkennen, neu Entbrennen, endlos
ewig einbewosst^) ; dass es sich hier um ein dnrchans Positives handelt,
ist uns zmnal durch die Mnsik verbürgt, deren Sinn Porges so herrlich ent-
hüllt hat, wenn er n. a. sagt : „sie erscheint als wahrhaft nnendliche Melodie,
nicht nur der Form nach, indem sie in rastlosem Strome dahinfliesst,
sondern ebenso durch ihren innem Gehalt. Es liegt in ihr ein Beichtom
des Gefühlslebens, dass iast in jedem Takte ein vorher nicht dagewesener
neuer physiognomischer Zug auftritt Bei den Worten „In ungemees'nen
Bäumen überseel'ges Träumen^ ftQüen wir uns von den seeligen Schauem
eines ewigen Lebens durohhaucht Hier durchdringen sich das G^filhl
einer erhabenen Wonne mit dem glutvollen Wallen der wärmsten Hefxens-
empfindxmg. . . . Alle Schranken der individuellen Existenz sind fOx Tristan
und Isolde geschwunden. Sie haben das Gefühl, als wenn sie durch das
Tor des Todes, durch die Nacht des unbewussten Daseins hindurchgegangen,
und zu einem neuen ewigen Leben gelangt wären. ^ Es ist ein sekix glück-
licher Gedanke von Porges, dass er das Beich des Unbewussten als ein
Durchgangsstadium zu einem höheren bewussten Leben auffiisst. Damit
löst sich der Widersprach, den man darin finden könnte, dass das Beiok
des Todes an anderen Stellen der immerhin von pandieistischem Geiste
angehauchten Dichtung als unbewusstes Dasein erscheint. — Von ent-
scheidender Bedeutung wäre endlich — falls man geltend machen wollte,
dass der Dichter mit dem Denker vielleicht nicht immer Hand in Hand
gegangen ist — der „Parsifid^, da er sich mit dem Inhalte der letzten
Prosa - Schriften seines Schöpfers vollkommen deckt, in diesem seinen
künstlerischen Vermächtnis lässt nämlich der Dichter seinen Amfortas aus-
rufen: nOb* der Du jetzt in göttlichem Glanz den Erlöser selbst erschaust.^
Dass auch die sog. exakte Wissenschaft Ewigkeitsgedanken durchaos
nicht ausschliesst, das haben wahrhaft grosse Naturforscher, wie Hopemi-
kus, Galilei, Kepler und Newton bewiesen. Und in neuerer Zeit hat z. B.
der berühmte Mathematiker Gauss die folgende, in mehr als einer Beziehung
höchst bemerkenswerte Aeusserung getan: „Es gibt Fragen, auf der^i
Beantwortung ich einen unendlich viel höheren Wert legen würde als auf
die mathematischen, z. B. über Ethik, über unser Verhältnis zu Gott, über
unsere Bestimmung und über unsere Zukunft. Es ist mir gleichgültig, ob
der Saturn 6 Monde hat oder 7 . . . . Man wird zu der Ansicht gedrängt,
ftlr die ohne eine streng wissenschaftliche Begründung so vieles Andere
spricht, dass neben dieser materiellen Welt noch eine zweite, rein geistige
Weltordnung existiert; — ihrer sollen wir teilhaftig werden.^ In unseren
Tagen wiederum ist der hervorragende und freilich auch philosophisch
gebildete Astrophysiker Zöllner ftlr das Weiterleben mit besonderem Naoh-
druck eingetreten, und wenn Zöllner nicht viele Gesinnungsgenossen hat|
so erklärt sich dies nach seinem eigenen Ausspruch daraus, dass es der
298
Mehrzahl tinter den heutigen Vertretern der exakten Wissenschaften an
einer klarbewossten Kenntnis der ersten Prinzipien der Erkenntnistheorie
gebricht.
Was will es nnn angesichts der erwidinten vielen und grossen Namen
sagen, wenn wir anf gegnerischer Seite zunächst nur Demokrit und seine
modernen Nachtreter gewahr werden! Können sich diese aber nicht auch
auf Aristoteles, Spinoza und Hegel berufen? Mit ihnen steht es ähnlich
wie mit Schopenhauer. Während sie sich im Zwange ihrer Systeme gegen
die individuelle Fortdauer ablehnend verhalten, haben sie sonsthin auch
gegenteilige Meinungen geäussert. Bei Aristoteles ist dieser Punkt über-
haupt so unentschieden, dass Schelling („Nachgelassene Werke^ I) ihm die
in Bede stehende Lehre ausdrücklich zuschreiben konnte und dass Kenner,
wie Zeller und Brandis, kein bestimmtes ürteU zu fidlen wagen. Spinoza
wiederum sagt z. B. in seiner „Ethik^: „Die Menschenseele kann nicht
mit dem Körper ganz zu Orunde gehen; es bleibt etwas von ihr, was
unsterblich ist. Wir fühlen und erfahren, dass wir ewig sind.^ Weitere
Anhaltspunkte ftlr diese Aufi&ssung finden sich im Traktat „Von Gott,
dem Menschen und dessen Glückseligkeit." Und was Hegel betrifit, so
hat sein Schüler Göschel in der Schrift 9 Von den Beweisen ftlr die Unsterb-
lichkeit der menschlichen Seele" diese gerade auf Grundlage der Philosophie
seines Meisters zu rechtfertigen gesucht. — Es gibt Leute, die auch Nietzsche
zu den Führern der Menschheit zählen. Die Berufung auf ihn wäre aber
erst recht verfehlt, weil dieser zügellose Denker sich in allem und jedem
au£gi schroffste widersprochen hat. In unserm Falle empfindet er den
Gedanken vom endgültigen Tode einmal als „unsägliche Wohltat^ („Morgen-
röte^ Nr. 72), um bald darauf fOi den alleräussersten Gegensatz, für die
„ewige Wiederkunft^ zu schwärmen, worunter er eine, unzählige Male
stattfindende, bis ins kleinste getreue Wiederholung des Erdenlebens versteht.
Der einzige grössere Denker, der eben infolge seiner Berührung mit
dem Materialismus sich entschieden ablehnend verhält, ist Eugen Dühring.
Immerhin hat aber auch er bezüglich der höchsten und letzten Fragen in
seinem späteren Buche „Der Ersatz der Beligion durch Vollkommeneres"
einen anderen Ton angeschlagen, wie in fitiheren Werken. Er gesteht,
dass ihm das „Atheistein" widerlich sei, und ringt sich zu einer vernünf-
tigen und sittlichen Weltursache durch, die er nur deshalb nicht „Gott"
nennt, weil dieses Wort zu innig mit dem Aberglauben verwachsen sei.
Und an die Stelle der Fortdauer setzt er, getrieben von seinem tiefen
Gerechtigkeitsbedürfiiis, wenigstens ein Surrogat, insofern er sagt: „Auch
an die Zukunft kann sich die Eofihung knüpfen, dass sich fQi irgend ein
künftiges Bewusstsein das als gerechtfertigt und ausgeglichen zeige, was
etwa au einem Schicksal oder dem Schicksal überhaupt noch Unbefriedigen-
des gewesen." Die Annahme einer solchen Ausgleichung ist von der Be-
inkamationslehre offenbar nicht sehr weit entfernt.
894
Für die eigentliche Begründang der Lehre von der indiTiduellesi
Fortdauer gibt ee so viele, zum Teil freilich erst bei eingdienderer Betmehr
tnng deutlich hervortretende Gesichtspunkte, dass ich mich hier mit einem
kurzen Hinweis auf die wichtigeren begnügen muss. Zim&chst frfigt es
sich, ob das, was gemeinhin als Seele, bezw. Geist (denkende Seele)
bezeichnet wird, etwas Selbstftndiges, oder ob es nur eine „Summe von
physiologischen Funktionen^ ist. Wer sich um Erkenntnistheorie gekümmert
hat und nicht von allen Götfcem verlassen ist, hat von der TTrsprünglich-
keit und Selbständigkeit des Geistes eine so feste üeberzengung gewonnen,
dass er sich immer wieder mit Lotze („Mikrokosmos") sagt: „Unter allen Tw-
irrungen des menschlichen Geistes ist diese mir immer als die sdtsamste
erschienen, dass es dahin kommen konnte, sein eigenes Wesen, weldies er
allein unmittelbar erlebt, zu bezweifeln oder es sich als Erzeugnis einer ftuase-
ren Natur wieder schenken zu lassen, die wir nur aus zweiter Hand, nur
durch das vermittelnde Wissen eben des Geistes kennen, den wir leugneten.'^
Da erkenntnistheoretische Studien nicht Jedermanns Sache sind und
da das Denken der heutigen Menschheit vom Materialismus so durchseucht
ist, dass selbst klarere Köpfe sich seinem Einfluss nicht immw entzi^en
können, mag auch an dieser Stelle gezeigt werden, dass die materialistisdie
„Welt"-Formd „Nur das Sinnliche ist wirklich** £&r die Lösung unseres
Problems nun und nimmer maassgebend ist. Dass der „gesunde Menschen-
verstand", der die Richtigkeit dieser Formel verbürgen soll, in Anbetaracht
seines beschrfinkten Gesichtskreises durchaus nicht immer ins schwarze zu
tre£Fen braucht, beweist z. B. sein Urteil über die Bewegung der Sonne;
dass nämlich der Wechsel von Tag und Nacht nicht durch sie, scmdem
durch die Umdrehung der Erde um ihre Achse bedingt ist, hätte durch
jene bei den Denkfaulen so beliebte Instanz nimmermehr entschieden werden
können. Ganz ähnlich liegt die Sache hinsichtlich des Yeriiältmsses zwischen
Leib und seelischem Prinzip. Wenn auch noch so überzeugend dargetan
wird, dass die seelischen Aeusserungen an den Körper gebunden sind, so
ist damit für die Frage der Existenz der Seele absolut nichts entschieden.
Oder glaubt man auch die Existeoz eines Künstlers in Abrede stellen zu
können, wenn er, nachdem sein Instrument unbrauchbar geworden, uns
seine Kunst auf sinnenfällige Weise nicht mehr vermitteln kann?
Es gibt Fragen, die nicht durch die Erfahrung gelöst werden können,
sondern vor das Forum des Denkens gehören. Dem plumpen IVugschluBs
dei^Materiahsten können indessen auch Tatsachen der Erfahrung entgegrai-
gebalten werden. Wenn das Gehirn kein Apparat ist, hinter welchem ein
denkendes Wesen steht, sondern wenn es selbst denkt, dann muss — wie
denn vom Materialismus ganz unverfroren auch behauptet wird — die
physische Beschaffenheit des Gehirnes mit seinen Leistungen im Einklang
stehen. Dem ist aber durchaus nicht so. Die Denkleistungen sind weder
genau proportional mit dem umfang und der Masse des Gehirnes, nooh
295
mit seiner Emähnmg. Es hat grosse Denker gegeben, wie z. B. Friedrich II.
und Lessing, die verhältnismässig kleine Köpfe gehabt haben, und es ist
eine sehr häufige Ersoheinang, dass bedeutende Menschen und geistesirisohe
Oreise sich mit magerer Kost begnügen. Die quantitative und qualitative
Verschiedenheit der menschlichen Gehirne ist im Vergleich mit der un*
geheueren Verschiedenheit des Denkvermögens überhaupt so lächerlich
gering, dass der Gedanke an die Proportionalität der physischen und psychi-
schen Faktoren gerade2su als Tollheit erscheint. Femer tri£fl der von den
Materialisten zu fordernde Parallelismus im Entwicklungsgange des physi-
schen und psychischen Lebens keineswegs zu. Während in der frühesten
Kindheit die geistige Entwicklung hinter dem Wachstum des Gehirnes
gewöhnlich zurückbleibt, bei Wunderkindern aber das Gegenteil stattfindet,
arbeitet der Geist oft genug ungeschwächt weiter, nachdem die physische
Bückbildung des Körpers längst begonnen hat. So haben namentlich
grosse Männer, wie Sophokles, Piaton, Leibnitz, A. v. Humboldt, Sohelling,
Goethe, Schopenhauer und Bichard Wagner bis zuletzt voUgiltige Proben
einer energischen Geistestätigkeit abgelegt. Es kommt sogar vor, dass
das geistige Leben sich gerade beim Eintritt des Todes höher steigert, wie
es auch beobachtet worden ist, dass Irrsinnigen kurz vor dem Sterben
die Binde vom geistigen Auge genommen wurde. Zudem hat die ana-
tomische Untersuchung zahlreicher Gehirne von Wahnsinnigen nicht die
geringste Spur einer Erkrankung des Denkapparates ergeben, während
andererseits bei Gehimsektionen nicht selten Verhärtungen, Erweichungen
und andere Unregelmässigkeiten vorgeftmden werden, ohne dass die betref-
fenden Gehimbesitzer im Leben irgendwelche Geistesstörung gezeigt hätten.
Die Ohnmacht der Materialisten gegen alle diese Erscheinungen bringt
Eaeckel u. a. dadurch ebenso vorzüglich wie ungeme zum Ausdruck, dass er
schon das blosse Phänomen des Bewusstseins das „Zentralmysterium^ nennt.
Trotz der in mancher Hinsicht gewiss bestehenden Abhängigkeit der
Seele vom Körper darf deren Existenz um so weniger bezweifelt werden,
als auch das leibliche Leben von der Seele beeinflusst wird.
Der Leib würde ohne die Seele bald zu Grunde gehen, wenn diese nicht
ftlr seine Ernährung, Kleidung und Unterkunft sorgen würde; der Wille
setzt den Leib in Bewegung; Gemütsaffekte wirken verstimmend auf leib-
liche Organe; und blosse Vorstellungen können tief eingreifende, ja ver-
nichtende Wirkung auf den Leib haben.*) Die Tatsachen der Suggestion
*) Der jQogste derartige, bekannt gewordeiie Fall hat sich im Not. 1904 in Bnssland
sagetragen. Aof der Eisenbahnstation Krasnojarsk wnrde ein Wagenreiniger aas Versehen
in einen Kohlwagen eingeschlossen, worauf der Zag sich in Bewegung setste. Da der KOhl-
appart nicht in Ordnung war, betrag die Temperatar im Innern des Wagens, wie sich
hinterher heraasstellte, 11 Grad G, Warme. Trotzdem erfror der Mann nach einer Fahrt
Ton nar 30 Eilom., weil er fest davon tkbersengt war, dass er es müsse. Seine aasgestandenen
Qaalen waren ans Terschiedenen knrsen Sätsen zu erkennen, die er mit Kreide auf den
Boden geschrieben.
296
smd hentssntage so bekannt, dass es genügen mag, anf die künstiüohe Er-
zengang von Brandwunden und Blutongen hinzuweisen. Einer geeignetea
und eingeschläferten Versuchsperson wird ein kalter Gegenstand (Schlüssel,
Geldstück) auf die Haut gelegt und die Einrede erteilt, dass der Gegen-
stand glühend heiss sei und eine Brandwunde entstehen werde, worauf
diese nach wenigen Stunden wirklich zum Vorschein kommt. Bei einem
solchen Experiment kann man nun ohne Wundeiglauben nicht voraus-
setzen, dass der Hypnotiseur Nerven und Blut des Patienten direkt beein-
flusst, man muss vielmehr annehmen, dass der Patient die ihm eingepflanzte
Idee zu seiner eigenen macht, und dass er seine unter gewöhnlichen um-
ständen unbewussten und unwillkürlichen organischen Funktionen zu be-
herrschen vermag. Damit ist die Existenz einer Seele gegeben, die nicht
nur denkt, sondern ihre Vorstellungen in organisch-plastischer Weise dar-
stellen kann. Die Selbständigkeit der Seele folgt aber auch schon daraus,
dass die Sinnentätigkeit durch Suggestion plötzlich aufgehoben und auf
abermaligen Befehl gleich wiederhergestellt werden kann. Würde das
Gehirn selbst denken, dann würde ein derartiger Versuch die ganz un-
mögliche Voraussetzung haben, dass es von seinen Nervensträngen plötz-
lich und vollständig getrennt, und ebenso rasch wieder mit ihnen verbunden
werden kann.
Sehr klar tritt der Einfluss der Seele auf den Leib bei der psychischen
Heilweise zu Tage, wie sie uns von Amerika aus in der wenig anspreohen-
den Form der „christlichen Wissenschaft^ als angebliche Neuheit zugetragen
wurde, während ihre Grundzüge schon bei Eant (^Von der Macht des
Gemütes") und bei Feuchtersieben („Diätetik der Seele") zu finden sind.
Der berühmte Arzt Hufeland, der Kants Werkchen mit Anmerkungen ver-
sehen hat, sagt in einer dieser sogar: „Die psychische Macht des Geistes
kann E^rankheiten erregen und heilen; ja, sie kann tödten und lebendig
machen^, und im allgemeinen ist die Macht der Gedanken schon von der
altindischen Weisheit also gelehrt worden: „Der Mensch ist ein Geschöpf
des Nachdenkens; worüber er nachdenkt, das wird er.^
Eine weitgehende Möglichkeit der psychischen Heilung, und zwar aach
organischer Leiden, wird derjenige am wenigsten bezweifeln, der zur Ein-
sicht gekommen, dass die Seele nicht nach alter dualistischer Anschauang
der Gast, sondern der Architekt des Körpers ist. Die Lehre, dass die
Seele nicht nur denkt, sondern auch organisierend wirkt (wie oben an
einem Suggestions-Beispiel gezeigt) und sich den Körper selbst geschaSen
hat, ist namentlich von du Prel fest begründet worden, der seine Beweise
den verschiedensten Gebieten, als der Aesthetik, Technik, dem Somnambulis*
mus und Hypnotismus entnommen. Intuitiv ist der gleiche Gedanke ancli
schon von Gbethe und Schiller erfasst worden. Goethe spricht vom
„Geisterzeugten" (y^Bei Betrachtung von Schillers Schädel") und sagt
der „Harzreise im Winter" mit Bezug auf Plessing wörtlich, dass „
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Neugier rege ward, welohen Körper sich ein so wnnderlioher Oeist gebildet
habe.^ In „WaUenstein" wiederom heisst es: „Es ist der G^ist| der sich
den Körper bant.^
Einer der wichtigsten Gesichtspunkte für die Selbständigkeit des
seelischen Prinzips ist die trotz des Stoffwechsels ununterbrochene Selb st-
gewissheit, das Bewusstsein der sich stäts als die selbe fühlenden
Persönlichkeit. Diese Tatsache bespricht Schopenhauer in seinem Haupt-
werke, indem er auf einen besonders schlagenden umstand also aufmerksam
macht: „Worauf beruht die Identität der Person? — Nicht auf der Materie
des Leibes : sie ist nach wenigen Jahren eine andere. Nicht auf der Form
derselben: sie ändert sich im ganzen und in allen Theilen bis auf den
Ausdruck des Blickes, an welchem man daher auch nach vielen Jahren
einen Menschen noch erkennt, welcher beweist, dass trotz aller Ver-
änderungen, die an ihm die Zeit hervorbringt, doch etwas davon in ihm
völlig unberührt bleibt: es ist eben dieses, woran wir, auch nach den
längsten Zwischenräumen, ihn wieder erkennen und den Ehemaligen un-
versehrt wiederfinden; ebenso auch uns selbst: denn wenn man auch noch so
alt wird, man flüilt doch im Innern sich ganz und gar als der selbe, der
man war, als man noch jung, ja, als man noch ein Kind war. Dieses,
was unverändert stäts ganz das selbe bleibt und nicht mitaltert, ist eben
der Kern unseres Wesens."
Ebenso zwingend spricht für die Selbständigkeit der Seele der um-
stand, dass gewisse Denkleistungen mit einer materialistischen Auffassung
des Seelenlebens schlechterdings unvereinbar sind. E